Zwar wird bei einem Verbrauchsgüterkauf (§ 474 I 1 BGB) dann, wenn sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel zeigt, gemäß § 477 BGB grundsätzlich vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war. Bestehen insoweit indes – hier: wegen einer wenige Wochen vor Gefahrübergang beanstandungsfrei durchgeführten Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO – begründete Zweifel und können diese nicht aufgeklärt werden, weil der Käufer die angeblich mangelhafte Kaufsache hat verschrotten lassen, so gehen diese Zweifel unter dem Gesichtspunkt einer Beweisvereitelung zulasten des Käufers.
AG München, Urteil vom 23.08.2019 – 173 C 1229/18
Sachverhalt: Die Klägerin erwarb von dem beklagten Kfz-Händler am 18.01.2017 für 1.400 € einen gebrauchten Pkw Mercedes-Benz A 160. Ausweislich des schriftlichen Kaufvertrags wies das Fahrzeug seinerzeit einen Unfallschaden auf und war bei Abschluss des Kaufvertrags das linke Türschloss defekt.
Nachdem sich am 24.01.2017 insbesondere ein Defekt des Kühlers gezeigt hatte, reparierte der Beklagte das streitgegenständlichen Fahrzeug, indem er den Kühler ersetzte und einen Ölwechsel durchführte. Zwei Wochen später beanstandete die Klägerin gegenüber dem Beklagten, dass der Pkw „ruckele“. Das Fahrzeug wurde deshalb in eine Werkstatt gebracht, wo der Liftfilter und Luftmengenmesser gereinigt wurden. Anschließend fuhr die Klägerin mit dem Fahrzeug noch über 1.000 km.
Am 08.03.2017 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten den Rücktritt von dem hier interessierenden Kfz-Kaufvertrag und verlangte dessen Rückabwicklung. Der Beklagte bot der Klägerin daraufhin mit Telefax vom 14.03.2017 an, den Luftmengenmesser und den Luftfilter auszutauschen; die Klägerin solle dafür einen Termin in der zuvor aufgesuchten Kfz-Werkstatt vereinbaren. Am 20.03.2017 suchte die Klägerin mit dem Mercedes-Benz A 160 das ADAC-Prüfzentrum München auf. Dort wurden einige Mängel an dem Fahrzeug festgestellt und behauptet, dass dieses nicht verkehrssicher sei. Im Anschluss daran – mit anwaltlichem Schreiben vom 21.03.2017 – forderte die Klägerin den Beklagten auf, den Pkw in eine Werkstatt zu verbringen und dort die im ADAC-Prüfzentrum festgestellten Mängel beseitigen zu lassen. Der Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 22.03.2017 zwar zu einer Nachbesserung bereit. Er weigerte sich jedoch, das Fahrzeug bei der Klägerin abzuholen und verlangte, dass die Klägerin den Wagen selber in die Werkstatt bringe.
Zu einer Reparatur des Mercedes-Benz A 160 kam es letztlich nicht; vielmehr ließ der Ehemann der Klägerin das Fahrzeug verschrotten, bevor die Klägerin am 18.01.2018 eine auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags gerichtete Klage gegen den Beklagten erhob. Mit dieser Klage hat die Klägerin außerdem erreichen wollen, dass ihr der Beklagte vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 € nebst Zinsen erstatten muss.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten udn hat behauptet, bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug seien im Februar 2017 sowohl der Luftfilter als auch – was die Klägerin bestritten hat – der Luftmengenmesser erneuert worden. Er hat bestritten, dass der Pkw nicht verkehrssicher gewesen sei; das Fahrzeug – so hat der Beklagte behauptet – habe keine schwerwiegenden Mängel aufgewiesen. Es sei vielmehr am 27.12.2016 einer Hauptuntersuchung unterzogen worden, bei der keine Mängel festgestellt worden seien. Insbesondere sei der im ADAC-Prüfzentrum München festgestellte Rost nicht vorhanden gewesen und dementsprechend auch nicht bemängelt worden. Bei der ersten Vorführung des Fahrzeugs zur Hauptuntersuchung am 21.12.2016 sei zwar festgestellt worden, dass die Achse links durchgerostet gewesen sei. Diesen Mangel habe er, der Beklagte, jedoch durch einen Austausch der Achse beseitigt. Bei der erneuten Vorführung des Pkw zur Hauptuntersuchung am 27.12.2016 sei nicht bemängelt worden, dass etwa das Bodenblech, der Kraftstofftank oder das Tankfüllrohr angerostet seien.
Darüber hinaus hat der Beklagte geltend gemacht, dass ihm die Klägerin keine Möglichkeit zur Nachbesserung eingeräumt habe. Mängelrügen habe die Klägerin vielmehr erst erhoben, nachdem sie den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt gehabt habe.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Die Klägerin hat keine Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag gegenüber dem Beklagten.
Voraussetzung für einen Rücktritt vom Kaufvertrag ist gemäß §§ 434 I, 437 Nr. 2 Fall 1 BGB das Vorliegen einer mangelhaften Sache im Zeitpunkt der Übergabe der Kaufsache. Bei Vorliegen eines Verbrauchsgüterkaufs ist § 477 BGB zu beachten, wonach vermutet wird, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, wenn sich der Mangel innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang zeigt.
Die Klägerin ist vorliegend dann berechtigt, vom Kaufvertrag zurückzutreten und dessen Rückabwicklung zu verlangen, wenn der streitgegenständliche Mercedes-Benz A 160 am 18.01.2017 mangelhaft war und die Klägerin dem Beklagten erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat bzw. der Beklagte die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert hat.
Es kann vorliegend nicht geklärt werden, ob der Mercedes-Benz A 160 bei der Übergabe wirklich mangelhaft war. Das Gericht hat zur Frage der Mangelhaftigkeit ein Sachverständigengutachten erholt, auf das ausdrücklich Bezuge genommen wird. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht eindeutig belegt werden könne, dass die bei der Untersuchung am 20.03.2017 festgestellten Mängel – abgesehen von den Anrostungen – zum Zeitpunkt des Kaufvertrags und der Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin bereits vorhanden waren. Lediglich hinsichtlich des stark angerosteten bzw. durchgerosteten Bodenblechs, des stark angerosteten Tankfüllrohrs und der stark angerosteten Achsträger und Drahtaufhängung der Hinterachse sei davon auszugehen, dass der Rost mit äußerster Wahrscheinlichkeit bereits zum Kaufzeitpunkt vorhanden gewesen ist.
Diesem Ergebnis steht jedoch die Hauptuntersuchung am 27.12.2016 entgegen, die keine Mängel festgestellt hat. Der Sachverständige S führte in seinem Gutachten aus, dass unter normalen Umständen ein Blech nicht innerhalb von zwei Monaten durchrosten kann. Das bedeutet aber auch, dass es nicht in einem Zeitraum von drei Wochen nach der Hauptuntersuchung durchrosten kann. Für das Gericht bedeutet dieser Widerspruch, dass entweder der TÜV die Hauptuntersuchung nicht ordentlich durchgeführt hat oder das Prüfzentrum die Durchrostung dramatischer angegeben hat, als sie tatsächlich war. Da der Sachverständige S das Fahrzeug nicht selbst in Augenschein nehmen konnte, kann er auch nicht zur Stärke der Durchrostung Stellung nehmen.
Gegen die These, dass der TÜV das Fahrzeug nicht gründlich untersucht hat, spricht, dass bei der ersten Untersuchung eine durchgerostete Achse bemängelt worden ist, weswegen der Beklagte das Fahrzeug am 27.12.2016 nach dem Austausch der Achse erneut beim TÜV vorgeführt hat, und die nochmalige Überprüfung die Mangelfreitheit des Mercedes-Benz A 160 ergeben hat. Die Klägerin hat das Fahrzeug verschrotten lassen, obwohl sie wusste, dass sie einen Rechtsstreit über die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs führt. Es fällt daher in ihren Verantwortungsbereich, dass dieser Widerspruch nicht zweifelsfrei geklärt werden kann. Die Zweifel gehen zu ihren Lasten. Zwar wird grundsätzich gemäß § 477 BGB zugunsten der Klägerin vermutet, dass die Durchrostung bereits bei Fahrzeugübergabe vorhanden war. Da das Gericht allerdings wegen des TÜV-Berichts begründete Zweifel hat, dass das Fahrzeug tatsächlich mangelhaft war, und die Klägerin die Beweisführung vereitelt hat, kann dies gemäß § 242 BGB nicht zulasten des Beklagten gehen. Daher bleibt es ausnahmsweise dabei, dass die Klägerin nachweisen muss, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe mängelbehaftet war. Dieser Nachweis ist ihr aus Sicht des Gerichts nicht gelungen.
Die Klage ist daher abzuweisen.
Der Klage hätte auch keinesfalls in vollem Umfang stattgegeben werden können, da eine Zug-um-Zug-Verurteilung wegen der Verschrottung des Pkw gar nicht möglich ist. Zu Berücksichtigen wäre auch gewesen, dass die Klägerin mit dem Fahrzeug 1.000 km gefahren ist. Insofern wäre ein Abzug für die Nutzung des Pkw während der zwei Monate vorzunehmen gewesen. Dies ist jedoch letztendlich irrelevant, da die Klage bereits mangels Nachweises der geschilderten Mängel abzuweisen ist. …
Hinweis: Das Urteil ist aus meiner Sicht zwar im Ergebnis richtig; die Begründung überzeugt jedoch nicht. Denn wenn gemäß § 477 BGB zugunsten des Käufers vermutet wird, dass ein bestimmter Mangel schon bei Gefahrübergang – in der Regel also bei der Übergabe der Kaufsache an den Käufer (§ 446 Satz 1 BGB) – vorhanden war, dann hilft es dem Verkäufer nicht, diese Vermutung – wie hier durch Verweis auf die beanstandungsfreie Hauptuntersuchung – lediglich zu erschüttern. Der Verkäufer muss vielmehr den vollen Beweis des Gegenteils der vermuteten Tatsache (§ 292 ZPO) führen; das heißt, er muss beweisen, dass der Mangel auf eine erst nach Gefahrübergang eingetretene, ihm nicht zuzurechnende Ursache zurückzuführen ist (s. nur BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn. 59 f. m. w. Nachw. [zu § 476 BGB a.F.]). Diesen dem Verkäufer obliegenden Beweis des Gegenteils hat die Käuferin im Streitfall zumindest fahrlässig vereitelt. Denn sie hat zugelassen, dass das angeblich mangelhafte Fahrzeug verschrottet wurde, obwohl ihr hätte klar sein müssen, dass der Pkw in einem Gewährleistungsprozess gegen den Verkäufer als Beweismittel benötigt werden könnte. Diese Beweisvereitelung darf natürlich nicht zulasten den Verkäufers gehen. Das Amtsgericht hat deshalb letztlich zu Recht entschieden, dass die Klägerin hätte beweisen müssen, dass die Mängel, auf die sie den Rücktritt vom Kaufvertrag stützte, schon bei der Übergabe des Pkw vorhanden waren. Konstruktiv lässt sich dieses Ergebnis (hier) wohl nur rechtfertigen, indem man annimmt, dass sich wegen der zumindest fahrlässigen Beweisvereitelung die Beweislast erneut umkehrt habe (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434 Rn. 25). Denkbar ist zwar grundsätzlich auch, wegen einer Beweisvereitelung das für den beklagten Verkäufer wahrscheinlichste Geschehen als von ihm bewiesen anzusehen (BGH, Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434 Rn. 25). Man muss sich dann hier aber die – meiner Ansicht nach kaum zu beantwortende – Frage stellen, ob es wahrscheinlicher ist, dass die Hauptuntersuchung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde oder dass die ADAC-Mitarbeiter Fahrzeugmängel „dramatisiert“ haben.