Der Abschluss einer Vollkaskoversicherung für ein Familienfahrzeug der Ehegatten kann ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i. S. von § 1357 I BGB sein. Gleiches gilt für die Kündigung eines solchen Vertrags.

BGH, Urteil vom 28.02.2018 – XII ZR 94/17

Sachverhalt: Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistung aus einem Vertrag über eine Vollkaskoversicherung in Anspruch.

Sie unterhielt bei der Beklagten eine Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung für ein auf ihren Ehemann zugelassenes Fahrzeug (BMW 525d). Mit einem vom Ehemann unterzeichneten Schreiben vom 22.12.2014 wurde die Vollkaskoversicherung zum 01.01.2015 gekündigt. Hierauf fertigte die Beklagte einen – die Vollkaskoversicherung nicht mehr enthaltenden – Versicherungsschein vom 22.12.2014 aus, der eine Widerrufsbelehrung enthielt, und erstattete überschießend geleistete Beiträge.

Das versicherte Fahrzeug wurde am 05.10.2015 bei einem selbst verschuldeten Unfall beschädigt. Die Reparaturkosten belaufen sich auf insgesamt 12.601,28 € zuzüglich Umsatzsteuer. Mit Schreiben vom 14.01.2016 widerrief die Klägerin die Kündigung der Vollkaskoversicherung.

Mit der Klage hat die Klägerin die Beklagte – unter Berücksichtigung einer vereinbarten Selbstbeteiligung von 300 € – auf Zahlung der Reparaturkosten in Höhe von 12.301,28 € nebst Zinsen sowie auf Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 958,18 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Aus den Gründen: [6]    A. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Ehemann der Klägerin die Vollkaskoversicherung wirksam zum 01.01.2015 gekündigt habe. Für den am 05.10.2015 eingetretenen Versicherungsfall habe daher kein Versicherungsschutz mehr bestanden.

[7]    Der Ehemann der Klägerin sei gemäß § 1357 I BGB berechtigt gewesen, den von der Klägerin geschlossenen Versicherungsvertrag – auch mit Wirkung für die Klägerin – zu kündigen. § 1357 BGB erlaube jedem Ehegatten allein nicht nur die Begründung von Rechten und Pflichten mit Wirkung für und gegen den Partner, sondern auch deren Abänderung mit Wirkung für beide Ehegatten. Hieraus folge, dass der Ehemann der Klägerin den von ihr geschlossenen Vertrag über die Vollkaskoversicherung auch mit Wirkung für die Klägerin habe kündigen können. Ihrer Mitwirkung habe es hierzu nicht bedurft.

[8]    Sowohl der Abschluss als auch die Kündigung des Vertrags über die Vollkaskoversicherung stellten nach den gesamten Umständen des Falles ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Ehegatten dar. Was zum Lebensbedarf eines Ehepaares oder einer Familie gehöre, bestimmten zunächst die jeweiligen Verhältnisse der Ehegatten, die jedoch nicht mit deren Einkommensverhältnissen identisch zu sein bräuchten. Im Interesse des Rechtsverkehrs komme es entscheidend auf den Lebenszuschnitt der Eheleute oder der Familie an, wie er nach außen in Erscheinung trete. In den durch die Verhältnisse der Ehegatten gezogenen Grenzen sei der nach den §§ 1360, 1360a BGB bemessene Lebensbedarf umfassend zu verstehen. Die Berechtigung solle sich nach dem Willen des Gesetzgebers allerdings nicht auf Geschäfte größeren Umfangs erstrecken, die ohne Schwierigkeiten zurückgestellt werden könnten bzw. bei denen grundsätzlich eine vorherige Verständigung der Ehegatten erforderlich erscheine und in der Regel auch stattfinde.

[9]    Bei dem versicherten Fahrzeug handele es sich um das Familienfahrzeug, das auf den Ehemann der Klägerin zugelassen gewesen sei und für das sie den Versicherungsvertrag abgeschlossen habe. Die Prämie für die Vollkaskoversicherung habe sich auf monatlich 144,90 € belaufen. Der Abschluss oder die Kündigung einer Vollkaskoversicherung mit einer Prämienbelastung in dieser Höhe stelle nach dem vorliegend nach außen in Erscheinung getretenen Lebenszuschnitt der Familie der Klägerin kein Rechtsgeschäft dar, bei dem in der Regel eine vorherige Verständigung der Ehegatten geboten sei und auch stattfinde. Nachdem der Ehemann der Klägerin Eigentümer des Fahrzeugs gewesen sei, könne nicht angenommen werden, dass der damit zusammenhängende Versicherungsschutz seinem Handlungsbereich im konkreten Fall entzogen sein sollte.

[10]   Die Klägerin habe die Kündigung auch nicht wirksam widerrufen können. Ein Widerrufsrecht der Klägerin gemäß § 8 VVG bestehe nicht. Sinn und Zweck der Einräumung eines Widerrufsrechts bestehe darin, die Eingehung einer Verpflichtung einem Reuerecht zu unterwerfen. Die Kündigung entfalte demgegenüber als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung im Zeitpunkt ihres Zugangs beim Versicherer endgültig ihre Gestaltungswirkung, ohne dass dem Versicherungsnehmer ein Reuerecht eingeräumt werde. In der dem geänderten Versicherungsschein beigefügten Widerrufsbelehrung könne auch nicht die vertragliche Vereinbarung eines Widerrufsrechts bezüglich der erfolgten Kündigung erblickt werden.

[11]   B. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.

[12]   I. Das Oberlandesgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die von ihrem Ehemann erklärte Kündigung nicht nach den Regeln der Stellvertretung gemäß §§ 164 ff. BGB der Klägerin zuzurechnen ist.

[13]   Zwar hat der Ehemann offensichtlich im Namen der Klägerin gehandelt, weil das von ihm unterzeichnete Kündigungsschreiben im Briefkopf (ausschließlich) den Namen der Klägerin aufweist. Jedoch hat weder das Oberlandesgericht feststellen können noch die hierfür darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl., § 164 Rn. 18 m. w. Nachw.) dargelegt, dass die Klägerin ihren Ehemann hierzu bevollmächtigt habe. Auch zu den Voraussetzungen einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht sind keine Feststellungen getroffen. Eine gesetzliche Vertretungsmacht unter Ehegatten kennt das Bürgerliche Gesetzbuch indes nicht (vgl. BT-Drs. 15/2494, 16).

[14]   II. Das Oberlandesgericht hat zudem in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise erkannt, dass der Ehemann die Vollkaskoversicherung gemäß § 1357 I BGB auch mit Wirkung für die Klägerin wirksam gekündigt hat.

[15]   1. Entgegen der Auffassung der Revision steht es der Anwendung des § 1357 I BGB nicht entgegen, dass der Ehemann die Kündigung nach den äußeren Umständen ersichtlich im Namen der Klägerin ausgesprochen hat. Bei ausdrücklichem Handeln im Namen des Ehegatten kommt es regelmäßig über § 1357 I BGB auch zu einer Mitverpflichtung des handelnden Ehegatten, es sei denn, der Ausschluss der eigenen Mitverpflichtung ist eindeutig offengelegt (Senat, Urt. v. 13.02.1985 – IVb ZR 72/83, BGHZ 94, 1 = FamRZ 1985, 576). Solches hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt.

[16]   2. Freilich kann die Kündigung der Vollkaskoversicherung nur in den Anwendungsbereich des § 1357 BGB fallen, wenn das mit ihr korrespondierende Grundgeschäft, also der Abschluss der Vollkaskoversicherung selbst, ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i. S. von § 1357 I 1 BGB wäre. Hiervon ist das Oberlandesgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Recht ausgegangen.

[17]   a) Gemäß § 1357 I 1 BGB ist jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Nach § 1357 I 2 BGB werden durch solche Geschäfte beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn, dass sich aus den Umständen etwas anderes ergibt.

[18]   aa) Die auf dem Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14.06.1976 (BGBl. 1976 I, 1421 [1422]) beruhende Fassung der Vorschrift knüpft nicht mehr an die nach früherem Recht bestehende Pflicht der Frau an, den Haushalt in eigener Verantwortung zu führen (§ 1356 I 1 BGB a.F.) und ihr dementsprechend die Berechtigung zu geben, Geschäfte innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises mit Wirkung für den Mann zu besorgen („Schlüsselgewalt“; grundlegend dazu Senat, Urt. v. 13.02.1985 – IVb ZR 72/83, BGHZ 94, 1 = FamRZ 1985, 576 [577]; s. auch BGH, Urt. v. 11.03.2004 – III ZR 213/03, FamRZ 2004, 778 m. w. Nachw). Denn § 1356 BGB überlässt die Aufgabenverteilung in der ehelichen Gemeinschaft den Partnern selbst.

[19]   Die Rechtsmacht zur Verpflichtung auch des Partners, die § 1357 BGB nunmehr jedem der Ehegatten einräumt, dient also nicht mehr dem Zweck, dem Handelnden die Erfüllung von bestimmten, ihm zugewiesenen Aufgaben zu ermöglichen. Daher kann die (jetzt beiderseitige) Rechtsmacht nicht mehr funktional – nach dem zur Erfüllung vorgegebener Aufgaben Erforderlichen – bestimmt und begrenzt werden. Nach wie vor sind die Ehegatten jedoch einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten (§ 1360 Satz 1 BGB). Deshalb orientiert sich das Gesetz in § 1357 BGB nunmehr an der „angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie“, also an einem unterhaltsrechtlichen Begriff, bei dessen Auslegung die §§ 1360, 1360a BGB herangezogen werden können (Senat, Urt. v. 13.02.1985 – IVb ZR 72/83, BGHZ 94, 1 = FamRZ 1985, 576 [577] m. w. Nachw.).

[20]   Wie weit der Lebensbedarf der Familie reicht, bestimmt sich familienindividuell nach den Verhältnissen der Ehegatten (s. § 1360a I BGB). Ihre Einkünfte und ihr Vermögen, die diese Verhältnisse in erster Linie prägen, werden dem Vertragspartner allerdings häufig verborgen bleiben. Deshalb kommt es bei der Anwendung des § 1357 BGB – wie schon bei der Schlüsselgewalt des früheren Rechts – entscheidend auf den Lebenszuschnitt der Familie an, wie er nach außen in Erscheinung tritt. Übersteigt dieses Erscheinungsbild nach spezifischen und konkreten Anhaltspunkten den aufgrund der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten zu erwartenden Lebenszuschnitt, so erhöht das im Grundsatz den Umfang der nach § 1357 BGB möglichen Mitverpflichtung (Senat, Urt. v. 13.02.1985 – IVb ZR 72/83, BGHZ 94, 1 = FamRZ 1985, 576 [577] m. w. Nachw.).

[21]   Die Vorschrift des § 1357 I BGB verlangt weiterhin, dass die Deckung des Lebensbedarfs der Familie „angemessen“ sein muss. Dem liegt die im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Vorstellung zugrunde, dass „Geschäfte größeren Umfangs, die ohne Schwierigkeiten zurückgestellt werden könnten“, nicht unter § 1357 BGB fallen sollen (Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 7/650, 99; vgl. auch Rechtsausschuss BT-Drs. 7/4361, 26). Die beabsichtigte Restriktion schützt den an dem Rechtsgeschäft nicht beteiligten Ehegatten somit vor einer ihn überraschenden Inanspruchnahme aus Alleingeschäften größeren Umfangs, die der andere Ehegatte abgeschlossen hat (Senat, Urt. v. 13.02.1985 – IVb ZR 72/83, BGHZ 94, 1 = FamRZ 1985, 576 [577]).

[22]   bb) Die Anwendung des § 1357 BGB hat der BGH für die Änderung einer vertraglichen Vereinbarung über die Abrechnung von Nebenkosten in einem bestehenden Mietverhältnis (BGH, Urt. v. 16.03.2016 – VIII ZR 326/14, WuM 2016, 353 Rn. 25) und für den Abschluss eines Bauvertrags über ein Wohnhaus (BGH, Urt. v. 29.09.1988 – VII ZR 186/87, FamRZ 1989, 35) verneint. Bejaht hat er demgegenüber die Anwendung des § 1357 BGB für den Abschluss eines Stromlieferungsvertrags (Senat, Beschl. v. 24.04.2013 – XII ZR 159/12, FamRZ 2013, 1199 Rn. 5), den Abschluss eines Telefondienstvertrags für einen in der Familienwohnung befindlichen Festnetzanschluss (BGH, Urt. v. 11.03.2004 – III ZR 213/03, FamRZ 2004, 778 f.), eine medizinisch indizierte, unaufschiebbare ärztliche Behandlung eines Ehegatten ohne Rücksicht auf die Höhe der mit ihr verbundenen Kosten (BGH, Urt. v. 27.11.1991 – XII ZR 226/90, BGHZ 116, 184 = FamRZ 1992, 291 [292]) und für Honoraransprüche aus privatärztlicher Behandlung (Senat, Urt. v. 13.02.1985 – IVb ZR 72/83, BGHZ 94, 1 = FamRZ 1985, 576 f.).

[23]   cc) Die in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum uneinheitlich beantwortete Frage, ob auch der Abschluss von Versicherungsverträgen als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs i. S. von § 1357 I 1 BGB anzusehen ist, hat dem BGH noch nicht zur Entscheidung vorgelegen.

[24]   (1) Nach einer Auffassung soll der Abschluss üblicher Versicherungsverträge (Erman/Kroll-Ludwigs, BGB, 15. Aufl., § 1357 Rn. 12), jedenfalls aber der Abschluss einer Hausratversicherung unter § 1357 I BGB fallen (AG Eschwege, Urt. v. 14.07.1959 – 2 C 440/58, VersR 1959, 1038, und AG Karlshafen, Urt. v. 03.02.1965 – C 63/64, VersR 1965, 871; jeweils zum früheren Recht; MünchKomm-BGB/Roth, 7. Aufl., § 1357 Rn. 23; NK-BGB/Wellenhofer, 3. Aufl., § 1357 Rn. 15; Staudinger/Voppel, BGB, Neubearb. 2012, § 1357 Rn. 64; Palandt/Brudermüller, BGB, 77. Aufl., § 1357 Rn. 13; Hahn, in: Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., § 1357 Rn. 17).

[25]   (2) Andere sehen den Abschluss von Versicherungsverträgen grundsätzlich als nicht von § 1357 I BGB umfasst an (Soergel/Lipp, BGB, 13. Aufl., § 1357 Rn. 25; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl., § 19 IV Rn. 47).

[26]   (3) Im Ansatz zutreffend ist die erstgenannte Auffassung. Entgegen der zuletzt genannten Auffassung verbietet es sich, Versicherungsverträge pauschal aus dem Anwendungsbereich des § 1357 BGB herauszunehmen. Entscheidend ist vielmehr der Bezug des in Rede stehenden Geschäfts zum Lebensbedarf der Familie, weshalb es jeweils auf den individuellen Zuschnitt der Familie ankommt. Ob es sich danach um ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie handelt, hat der Tatrichter für den jeweiligen Einzelfall festzustellen. Dabei kann auch der Abschluss einer Vollkaskoversicherung in den Anwendungsbereich des § 1357 I BGB fallen, sofern ein ausreichender Bezug zum Familienunterhalt nach §§ 1360, 1360a BGB gegeben ist.

[27]   In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist etwa anerkannt, dass nach § 1360a BGB je nach den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der Ehegatten auch Aufwendungen zur Anschaffung und zum Betrieb eines Pkw (BGH, Urt. v. 24.02.1983 – IX ZR 42/82, FamRZ 1983, 351 [352] m. w. Nachw.) oder für die Kfz-Haftpflichtversicherung zum angemessenen Familienunterhalt gehören können (BFH, Urt. v. 23.11.2011 – III R 76/09, BFHE 236, 79 = BStBl. 2012 II, 413 Rn. 11; BSG, Urt. v. 26.05.1971 – 12/11 RA 40/70, FamRZ 1971, 579 [581]). In der Instanzrechtsprechung und Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Reparatur des von der ganzen Familie genutzten Pkw unter § 1357 I BGB fällt (LG Freiburg, Urt. v. 19.01.1988 – 9 S 164/87, FamRZ 1988, 1052 f.; Staudinger/Voppel, a. a. O., § 1357 Rn. 45). Entsprechendes wird für sonstige Verträge angenommen, die ein von der Familie genutztes Fahrzeug betreffen (vgl. NK-BGB/Wellenhofer, a. a. O., § 1357 Rn. 13), jedenfalls soweit sie, wie etwa die TÜV-Kosten, die Unterhaltung des Fahrzeugs anbelangen (AG Usingen, Beschl. v. 27.03.2006 – 2 C 636/05, juris Rn. 3; NK-BGB/Wellenhofer, a. a. O., § 1357 Rn. 15). Schließlich wird sogar vertreten, dass der Erwerb eines Familienfahrzeugs selbst unter den Anwendungsbereich des § 1357 I BGB fällt (Herr, FF 2017, 285 [290]; MünchKomm-BGB/Roth, a. a. O., § 1357 Rn. 23; Erman/Kroll-Ludwigs, a. a. O., § 1357 Rn. 15; a. A. NK-BGB/Wellenhofer, a. a. O., § 1357 Rn. 16; Staudinger/Voppel, a. a. O., § 1357 Rn. 45).

[28]   b) Gemessen hieran ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts, wonach der Abschluss der Vollkaskoversicherung vorliegend ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i. S. von § 1357 I BGB darstellt, auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

[29]   Bei dem versicherten Pkw handelt es sich danach um das einzige Fahrzeug der fünfköpfigen Familie. Vor dem Hintergrund, dass der Pkw auf den Ehemann zugelassen war und sich der monatliche Anteil der Vollkaskoversicherung von 144,90 € noch in einem angemessenen Rahmen bezogen auf die Bedarfsdeckung der Familie bewegte, hält sich die Annahme des Oberlandesgerichts, eine vorherige Verständigung der Ehegatten über den Abschluss einer Vollkaskoversicherung erscheine nicht erforderlich, im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Würdigung. Daran ändert auch der Einwand der Revision nichts, wonach eine Vollkaskoversicherung weniger der konkreten Unterhaltung des Fahrzeugs als vielmehr der Vermögenssicherung diene. Denn wenn es sich – wie hier – um das einzige Fahrzeug der Familie handelt, der Abschluss der Vollkaskoversicherung mithin den Erhalt eines Fahrzeugs für die Familie sichern soll, wird damit auch der Bedarf der Familie, immer ein Fahrzeug zur Verfügung zu haben, i. S. von § 1357 I 1 BGB gedeckt. Entgegen der Auffassung der Revision ist dieses Interesse nicht mit dem Wert des versicherten Fahrzeugs identisch.

[30]   Schließlich ist nach den getroffenen Feststellungen, wonach die Klägerin den Versicherungsvertrag für das auf ihren Ehemann zugelassene Fahrzeug abgeschlossen hat, auch davon auszugehen, dass die Klägerin die Vollkaskoversicherung während der Ehe abgeschlossen hat und ihr Ehemann durch den Versicherungsvertrag mitberechtigt und -verpflichtet worden ist.

[31]   3. Aus Rechtsgründen ist nichts dagegen zu erinnern, dass das Oberlandesgericht auch die Kündigung der Vollkaskoversicherung als von § 1357 I BGB umfasst angesehen hat.

[32]   a) Allerdings ist im Schrifttum umstritten, ob auch die Ausübung von Gestaltungsrechten, wie namentlich die Kündigung, unter § 1357 I BGB fallen kann.

[33]   aa) Die wohl überwiegende Auffassung bejaht diese Frage (Staudinger/Looschelders, BGB, Neubearb. 2017, § 429 Rn. 41; MünchKomm-BGB/Roth, a. a. O., § 1357 Rn. 41; Palandt/Brudermüller, a. a. O., § 1357 Rn. 22; Rauscher, Familienrecht, 2. Aufl., Rn. 282; FAKomm-FamR/Weinreich, 5. Aufl., § 1357 Rn. 17; Hahn, in: Bamberger/Roth, a. a. O., § 1357 Rn. 30; NK-BGB/Wellenhofer, a. a. O., § 1357 Rn. 24; vgl. auch AG Neuruppin, Urt. v. 17.12.2008 – 42 C 192/07, FamRZ 2009, 1221 [1222]).

[34]   bb) Nach der Gegenmeinung können Gestaltungsrechte nicht durch nur einen Ehegatten ausgeübt werden, insbesondere nicht durch denjenigen, der selbst nicht der ursprünglich kontrahierende Ehegatte war (vgl. Berger, FamRZ 2005, 1129 [1131 f., 1133 f.]; Gernhuber/Coester-Waltjen, a. a. O., § 19 IV Rn. 53).

[35]   cc) Die erstgenannte Auffassung ist zutreffend. § 1357 I BGB führt zu einer Mitverpflichtung und zu einer Mitberechtigung des jeweils anderen Ehegatten. Erstere zieht eine gesamtschuldnerische Haftung der Eheleute nach sich. Die Mitberechtigung begründet für beide Ehegatten die Stellung von Gesamtgläubigern (Staudinger/Looschelders, a. a. O., § 428 Rn. 63 f.; NK-BGB/Wellenhofer, a. a. O., § 1357 Rn. 23 f.; MünchKomm-BGB/Roth, a. a. O., § 1357 Rn. 41 m. w. Nachw.).

[36]   Zwar entfalten Gestaltungsrechte wie etwa die Kündigung in der Regel nur dann Wirkung, wenn die Gesamtgläubiger sie gemeinsam ausüben (Staudinger/Looschelders, a. a. O., § 429 Rn. 34 m. w. Nachw.). Etwas anderes gilt jedoch, soweit es sich um Gestaltungsrechte handelt, die Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i. S. von § 1357 I 1 BGB betreffen. So wie es den Eheleuten ermöglicht wird, für und gegen ihre jeweiligen Partner Rechte und Pflichten zu begründen, muss es ihnen spiegelbildlich erlaubt sein, sich hiervon auch mit Wirkung für und gegen den anderen wieder zu lösen (vgl. MünchKomm-BGB/Roth, a. a. O., § 1357 Rn. 34, 41). Dies gilt schließlich unabhängig davon, ob der das Gestaltungsrecht ausübende Ehegatte auch derjenige gewesen ist, der die eingegangene Verpflichtung über § 1357 I BGB ursprünglich begründet hat.

[37]   b) Damit ist das Oberlandesgericht nach den getroffenen Feststellungen zu Recht von einer wirksamen Kündigung der Vollkaskoversicherung zum Ablauf des Versicherungsjahres mit Wirkung auch für die Klägerin ausgegangen.

[38]   III. Das Oberlandesgericht ist zudem mit Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin die durch ihren Ehemann ausgesprochene Kündigung nicht wirksam widerrufen konnte. Die Kündigung hat als rechtsgestaltende empfangsbedürftige Willenserklärung die Beendigung des Versicherungsverhältnisses zum vertraglich vereinbarten Zeitpunkt zur Folge. Eine Kündigung kann daher nicht einseitig zurückgenommen oder widerrufen werden (BGH, Urt. v. 08.06.2016 – IV ZR 346/15, NJW-RR 2017, 222 Rn. 14 m. w. Nachw).

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