- Der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz an die Stelle des § 459 BGB a.F. getretene § 434 BGB geht von einem wesentlich weiteren Sachmangelbegriff aus, sodass auf diese Vorschrift die enge Beschaffenheitsdefinition des § 459 I BGB a.F. nicht mehr angewendet werden kann.
- Als Beschaffenheit einer Kaufsache i. S. von § 434 I BGB sind sowohl alle Faktoren anzusehen, die der Sache selbst anhaften, als auch alle Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben (Anschluss an BGH, Urt. v. 19.04.2013 – V ZR 113/12, NJW 2013, 1948 Rn. 15; Urt. v. 30.11.2012 – V ZR 25/12, NJW 2013, 1671 Rn. 10; Fortführung von Senat, Beschl. v. 26.08.2014 – VIII ZR 335/13, juris Rn. 17).
BGH, Urteil vom 15.06.2016 – VIII ZR 134/15
(vorangehend: OLG München, Beschluss vom 13.05.2015 – 21 U 4559/14)
Sachverhalt: Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Audi TT RS Coupé. Dieses Fahrzeug hatte der beklagte Kfz-Händler auf der Internetplattform „mobile.de“ mit der Beschreibung „inklusive Audi-Garantie bis 11/2014“ zum Kauf angeboten. Der Kläger erwarb das Fahrzeug von dem Beklagten am 06.07.2013 mit einer Laufleistung von 45.170 km für 42.200 €.
Auf die Audi-Garantie erhielt der Kläger im Audi-Zentrum der Streithelferin aufgrund von Getriebeproblemen zunächst im August 2013 ein Austauschgetriebe und im September 2013 ein neues Steuergerät für die Kraftstoffpumpe. Da die Motorstörungen weiterhin auftraten, veranlasste die Streithelferin eine Analyse durch die AUDI AG. Diese stellte eine Abweichung der Kilometerstände des Kombigeräts und des Motorsteuergeräts fest und verweigerte anschließend weitere Garantieleistungen mit der Begründung, sie habe Anzeichen dafür festgestellt, dass – vor Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger – eine Manipulation des Kilometerstands stattgefunden habe. Die Streithelferin verlangte daraufhin von dem Kläger die Zahlung von insgesamt 1.121,65 € für durchgeführte Reparaturen und für das während der letzten Reparatur zur Verfügung gestellte Ersatzfahrzeug.
Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 02.10.2013 den Rücktritt vom Kaufvertrag. Mit seiner Klage verlangt er die Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung der Gebrauchsvorteile für die gefahrenen Kilometer sowie den Ersatz nutzloser Aufwendungen, insgesamt 45.773,87 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Auf die Revision des Klägers wurde die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen: [5] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
[6] Dem Kläger stünden keine Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis zu. Er sei nicht zum Rücktritt berechtigt gewesen, weil das Fahrzeug keinen Sachmangel aufgewiesen habe. Das Nichteingreifen der Herstellergarantie aufgrund der offensichtlich unstreitigen Manipulationen am Kilometerstand vor der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger stelle keinen Sachmangel i. S. von § 434 BGB dar. Denn bei der Herstellergarantie handele es sich nicht um eine Beschaffenheit des streitigen Fahrzeugs, da sie diesem nicht „anhafte“. Es handele sich lediglich um eine rechtliche Beziehung außerhalb der Kaufsache und habe in dieser nicht selbst ihren Grund. Dies entspreche der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 24.04.1996 – VIII ZR 114/95, BGHZ 132, 320), die zwar zu der Rechtslage vor der Schuldrechtsreform ergangen sei, jedoch fortgelte, weil der Beschaffenheitsbegriff durch die Schuldrechtsreform nicht verändert worden sei. Auch aus der in diesem Zusammenhang neu eingeführten Regelung des § 434 I 3 BGB könne der Kläger nichts für sich herleiten. Dieser Vorschrift sei lediglich zu entnehmen, dass zur Beschaffenheit nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB auch Eigenschaften einer Sache gehörten, die der Käufer nach öffentlichen Äußerungen namentlich des Verkäufers erwarten könne. Damit werde aber – ohne eine inhaltliche Änderung des Beschaffenheitsbegriffs – lediglich die Art und Weise, wie eine Beschaffenheit der Kaufsache zum Vertragsinhalt werden könne, erweitert.
[7] II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[8] Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers auf Rückabwicklung des Kaufvertrags (§§ 437 Nr. 2 Fall 1, 434 I, 323, 346 I, 348 BGB) nicht verneint werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stellt das Bestehen einer Herstellergarantie in der Regel ein Beschaffenheitsmerkmal der Kaufsache nach § 434 I 1 BGB (Beschaffenheitsvereinbarung) und § 434 I 2 BGB (Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder die gewöhnliche Verwendung) dar, sodass dessen Fehlen – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen dieser Vorschriften – einen Sachmangel begründet.
[9] 1. Das Berufungsgericht hat – wie die Revision mit Recht rügt – verkannt, dass sich die Rechtslage hinsichtlich der kaufrechtlichen Beschaffenheit mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (Schuldrechtsmodernisierungsgesetz) vom 26.11.2001 (BGBl. 2001 I 3138) am 01.01.2002 grundlegend geändert hat. Denn der an die Stelle des § 459 BGB a.F. getretene § 434 BGB geht von einem wesentlich weiteren Sachmangelbegriff aus, sodass auf diese Vorschrift die enge Beschaffenheitsdefinition des § 459 I BGB a.F., auf die sich das Berufungsgericht gestützt und die auch der Senat – zum früheren Recht, auch speziell zur Kraftfahrzeuggarantie – vertreten hat (Senat, Urt. v. 24.04.1996 – VIII ZR 114/95, BGHZ 132, 320, 324 ff.), nicht mehr angewendet werden kann.
[10] a) Durch die Neuregelung des Gewährleistungsrechts im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz sind die im früheren Recht vorhandenen Unterschiede zwischen Fehlern (§ 459 I BGB a.F.) und zusicherungsfähigen Eigenschaften (§ 459 II BGB a.F.) dergestalt aufgehoben worden, dass über den engen Fehlerbegriff hinaus jedenfalls jede nach früherem Recht zusicherungsfähige Eigenschaft nunmehr eine Beschaffenheit i. S. des § 434 I BGB darstellt (BGH, Urt. v. 05.11.2010 – V ZR 228/09, NJW 2011, 1217 Rn. 13; Urt. v. 30.11.2012 – V ZR 25/12, NJW 2013, 1671 Rn. 10). Damit sind als Beschaffenheit einer Sache i. S. von § 434 I BGB sowohl alle Faktoren anzusehen, die der Sache selbst anhaften, als auch alle Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben (BGH, Urt. v. 19.04.2013 – V ZR 113/12, NJW 2013, 1948 Rn. 15; Urt. v. 30.11.2012 – V ZR 25/12, NJW 2013, 1671 Rn. 10; Senat, Beschl. v. 26.08.2014 – VIII ZR 335/13, juris Rn. 17; OLG Koblenz, Beschl. v. 05.03.2012 – 5 U 1499/11, MDR 2012, 507, 508; ähnlich Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2013, § 434 Rn. 54; MünchKomm-BGB/Westermann, 7. Aufl., § 434 Rn. 10; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl., Rn. 2441; jeweils m. w. Nachw.; enger hingegen Erman/Grunewald, BGB, 14. Aufl., § 434 Rn. 3).
[11] b) Entgegen der Revisionserwiderung entspricht dieser gegenüber der früheren Rechtslage weitere Beschaffenheitsbegriff der Intention des Gesetzgebers der Schuldrechtsreform. Nach der Gesetzesbegründung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sollte der Begriff der „Beschaffenheit“ zwar nicht definiert und insbesondere nicht entschieden werden, ob er nur Eigenschaften umfasst, die der Kaufsache unmittelbar physisch anhaften, oder ob auch Umstände heranzuziehen sind, die außerhalb der Sache selbst liegen (BT-Drs. 14/6040, S. 213). Der Gesetzgeber hat aber ausdrücklich den subjektiven Fehlerbegriff zugrunde gelegt und betont, dass für die Umschreibung des Sachmangels auf eine Unterscheidung zwischen Fehlern und dem Fehlen zugesicherter Eigenschaften – unter der die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen bis dahin in nur schwer erträglichem Maße gelitten habe – verzichtet werden könne, wenn maßgeblich auf die Vereinbarung der Parteien und nicht auf außerhalb des Willens der Parteien liegende „objektive“ Merkmale abgestellt werde (BT-Drs. 14/6040, S. 211 f.).
[12] c) Hinzu kommt, dass ein enges Verständnis des Beschaffenheitsbegriffs dem Wortlaut des Art. 2 I der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, ABl. 1999 L 171, 12) widerspricht, welcher für den Verbrauchsgüterkauf den Verkäufer ohne Einschränkung auf physische Eigenschaften verpflichtet, „dem Kaufvertrag gemäße Güter zu liefern“. Die Umsetzung dieser Richtlinie war eines der Hauptanliegen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes.
[13] Ob der Beschaffenheitsbegriff deshalb noch weiter zu fassen ist, etwa dahin, dass nicht nur Beziehungen der Sache zur Umwelt, die ihren Ursprung im Kaufgegenstand haben, umfasst sind, sondern sogar jeder tatsächliche Bezug zum Kaufgegenstand ausreichte (offengelassen in BGH, Urt. v. 19.04.2013 – V ZR 113/12, NJW 2013, 1948 Rn. 15; bejahend Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Aufl., Rn. 303 ff.; Schmidt-Räntsch, AnwBl 2009, 260, 261; Redeker, Beschaffenheitsbegriff und Beschaffenheitsvereinbarung, 2012, S. 207 ff., 227; ders., NJW 2012, 2471, 2474; wohl auch OLG München, Urt. v. 06.09.2006 – 20 U 1860/06, juris Rn. 29), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
[14] d) Denn bereits auf der Grundlage der oben (unter II 1 a) genannten neueren Rechtsprechung des BGH stellt das Bestehen einer Herstellergarantie in der Regel ein Beschaffenheitsmerkmal der Kaufsache nach § 434 I BGB dar, dessen Fehlen – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift – einen Sachmangel begründet (so im Ergebnis auch OLG Schleswig, Urt. v. 15.03.2012 – 5 U 103/11, DAR 2012, 581 Rn. 22; OLG Stuttgart, Urt. v. 01.02.2006 – 3 U 106/05, ZGS 2008, 479 Rn. 21; a. A. OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.11.2011 – I-1 U 141/07, juris Rn. 37).
[15] Das Bestehen einer Herstellergarantie bei einem Kraftfahrzeug stellt ein auf das Fahrzeug bezogenes rechtliches Verhältnis zwischen Fahrzeughalter und Fahrzeughersteller dar, in dessen Rahmen in der Regel gemäß den Garantiebedingungen Ersatz für die Kosten bestimmter Reparaturen geleistet wird. Damit handelt es sich um eine Beziehung der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache hat. Insbesondere kann das (Nicht-)Bestehen einer Herstellergarantie im Einzelfall von großem wirtschaftlichen Gewicht sein und entsprechend bedeutenden Einfluss auf den Wert eines Kraftfahrzeuges haben (vgl. hierzu bereits Senat, Urt. v. 24.04.1996 – VIII ZR 114/95, BGHZ 132, 320, 325). So liegt der Fall hier. Die Parteien ziehen auch im Revisionsverfahren nicht in Zweifel, dass der hier streitgegenständlichen Herstellergarantie erhebliches wirtschaftliches Gewicht zukommt.
[16] Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind damit jedenfalls die Voraussetzungen des § 434 I 2 Nr. 2 BGB i. V. mit § 434 I 3 BGB gegeben. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Parteien hinsichtlich der Herstellergarantie eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen haben, was das Berufungsgericht nicht geprüft hat und woran strenge Anforderungen zu stellen sind, da nach neuem Schuldrecht eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht mehr „im Zweifel“, sondern nur noch in einem eindeutigen Fall in Betracht kommt (s. nur Senat, Urt. v. 12.03.2008 – VIII ZR 253/05, NJW 2008, 1517 Rn. 13; Beschl. v. 02.11.2010 – VIII ZR 287/09, juris Rn. 4).
[17] e) Ebenso kommt es nicht auf die – weder von den Parteien noch vom Berufungsgericht vertiefte – Frage an, ob ein Sachmangel des Fahrzeugs daneben, wie von der Revision angesprochen, auch in der vom Berufungsgericht – allerdings nicht in ihrem Ausmaß und ihren Auswirkungen – festgestellten Abweichung der Kilometerstände des Kombigerätes von denen des Motorsteuergerätes und der vom Berufungsgericht deshalb als unstreitig angesehenen Manipulation des Kilometerstands des Fahrzeugs vor Übergabe gesehen werden kann (sofern ein solcher Sachmangel von einem bisher nicht festgestellten Nacherfüllungsverlangen und von der Rücktrittserklärung des Klägers, zu deren näherem Inhalt das Berufungsgericht ebenfalls keine Feststellungen getroffen hat, umfasst sein sollte; vgl. hierzu Senat, Urt. v. 20.01.2016 – VIII ZR 77/15, ZIP 2016, 625 Rn. 13 ff.).
[18] 2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
[19] Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, ein Rücktritt vom Kaufvertrag scheide bereits mangels eines Nacherfüllungsverlangens des Klägers aus, fehlt es an den insoweit erforderlichen Feststellungen des Berufungsgerichts. Dieses hat bislang, von seinem Rechtsstandpunkt aus allerdings folgerichtig, schon keine – für die Frage des Vorliegens eines Sachmangels in dem oben genannten Sinne indes erforderlichen – Feststellungen zu dem Fortbestehen der Herstellergarantie getroffen. Ebenso wenig hatte das Berufungsgericht bisher Anlass zu prüfen, ob es sich – wie der Kläger geltend gemacht hat – gegebenenfalls um einen nicht behebbaren Mangel handelte und es deshalb eines Nacherfüllungsverlangens nicht bedurfte oder ob – wie der Beklagte behauptet hat – die Herstellergarantie ohne Weiteres durch Rückgängigmachung der von einem Vorbesitzer durchgeführten Maßnahmen hätte wiederhergestellt werden können. Das Gleiche gilt für die von der Revisionserwiderung aufgeworfene Frage der Ersatzlieferung (zur Nacherfüllung durch Ersatzlieferung beim Gebrauchtwagenkauf vgl. Senat, Urt. v. 07.06.2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 Rn. 23 f.).
[20] III. Nach alledem kann der Beschluss des Berufungsgerichts keinen Bestand haben; er ist daher aufzuheben (§ 562 I ZPO). Die nicht entscheidungsreife Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 I 1 ZPO).