Ein Käufer, dem ein mangelhaftes Kraftfahrzeug geliefert wurde und der deshalb bereits die Minderung erklärt hat, kann – ebenso wie nach einem bereits erklärten Rücktritt – auf einen Schadensersatzanspruch umschwenken.

OLG Stuttgart, Urteil vom 01.02.2006 – 3 U 106/05

Sachverhalt: Der Kläger verlangt aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Pkw.

Das Landgericht hat der Klage nur teilweise stattgegeben und dem Kläger lediglich einen Minderungsanspruch zuerkannt, während weitergehende Schadensersatzansprüche abgelehnt wurden. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er ist der Auffassung, einem Käufer sei es nach neuem Kaufrecht grundsätzlich möglich, in Analogie zu § 325 BGB von einer erklärten Minderung auf einen Schadensersatzanspruch gemäß § 437 Nr. 3, §§ 280 I, III, 281 BGB umzuschwenken. Das Rechtsmittel hatte weitgehend Erfolg.

Aus den Gründen: II. … Der Kläger hat Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags im Wege des sogenannten großen Schadensersatzes nach den § 437 Nr. 3, §§ 280 I, III, 281 I 3, 346 BGB. Allerdings hat er sich die von ihm gezogenen Gebrauchsvorteile anrechnen zu lassen.

1. Der Kläger ist in analoger Anwendung des § 325 BGB berechtigt, von der von ihm zunächst erklärten Minderung des Kaufpreises auf die Geltendmachung von Schadensersatz statt der ganzen Leistung (sogenannter großer Schadensersatz) umzuschwenken.

a) Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung festgestellt, dass der von der Beklagten verkaufte Pkw eine vereinbarte Beschaffenheit nicht aufwies, da die zugesicherte Werksgarantie nicht vorlag. Ein Mangel i. S. des § 437 BGB ist damit gegeben, welchen die Beklagte nach § 280 I 2 BGB zu vertreten hat. Dieser Mangel ist auch erheblich, sodass der Kläger gemäß § 281 I 3 BGB die Rückgängigmachung des Kaufvertrags im Wege des großen Schadensersatzes verlangen kann. Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung ist entbehrlich, nachdem die Werksgarantie nachträglich nicht mehr erteilt werden kann und im Übrigen eine endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung der Beklagten vorliegt.

b) Der Kläger ist berechtigt, trotz der von ihm zunächst erklärten Kaufpreisminderung gemäß § 325 BGB analog Schadensersatz geltend zu machen.

Nach der gesetzlichen Regelung in § 325 BGB wird das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen. Soweit sich der Käufer für die Minderung entscheidet und an dieser Wahl festhält, werden dadurch Schadensersatzansprüche wegen zusätzlicher, nicht schon durch die Herabsetzung des Kaufpreises ausgeglichener Nachteile ebenfalls nicht ausgeschlossen, wohl aber, soweit es sich um Schadensersatz statt der Leistung handelt (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 65. Aufl., § 437 Rn. 31, § 441 Rn 19; Faust, in: Bamberger/Roth, BGB, Stand: Januar 2005, § 437 Rn. 164; MünchKomm-BGB/Westermann, 4. Aufl., § 437 Rn. 18). Ebenso wie beim Rücktritt handelt es sich bei der Minderung um eine Gestaltungsrecht, welches mit seiner Ausübung grundsätzlich unwiderruflich wird (vgl. Palandt/Putzo, a. a. O., § 441 Rn. 10; Faust, in: Bamberger/Roth, a. a. O., § 441 Rn. 162). Mit Einführung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wurde allerdings durch die neue Regelung des § 325 BGB dem Gläubiger das Recht eingeräumt, trotz erklärten Rücktritts vom Vertrag weiterhin Schadensersatz statt der Leistung verlangen zu können (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 65. Aufl., § 325 Rn. 1 f.). Inwieweit der Gläubiger sich in entsprechender Anwendung des § 325 BGB von der erklärten Minderung wieder lösen und ebenfalls – wie beim Rücktritt – Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen darf, ist bisher ungeklärt, obergerichtliche Rechtsprechung hierzu liegt – soweit ersichtlich – noch nicht vor. In dem von der Berufung zitierten Aufsatz von Derleder (NJW 2003, 998, 1002) wird die Auffassung vertreten, dass der minderungsberechtigte Käufer trotz ausgeübten Gestaltungsrechts in bestimmten Fällen weiterhin das Recht haben sollte, in Analogie zu § 325 BGB auf die Geltendmachung von Schadensersatz – auch in Form des sogenannten großen Schadensersatzes – umzuschwenken. Dies sei insbesondere in solchen Fällen geboten, wenn der Käufer zunächst „voreilig“ gemindert habe, sich später dann aber herausstelle, dass der Kaufgegenstand für ihn unverwertbar sei. Derleder selbst weist darauf hin, dass die methodischen Voraussetzungen für eine derartige Analogie zweifelhaft sein könnten, da es hierfür einer planwidrigen Unvollständigkeit bei Novellierung des neuen Leistungsstörungsrechts bedürfe. Im Ergebnis hält er aber eine analoge Anwendung des § 325 BGB für eine sachgerechte Fortschreibung des in dieser Norm enthaltenen Programms. Danach behalte zwar die Wahl zwischen Rücktritt und Minderung weiterhin ihre Gestaltungswirkung. Der Käufer könne aber nach gewählter Minderung ebenso wie nach gewähltem Rücktritt weiterhin zum kleinen oder großen Schadensersatzanspruch umschwenken (ebenso Palandt/Putzo, a. a. O., § 437 Rn. 31; MünchKomm-BGB/Westermann, a. a. O., § 437 Rn. 3; Erman/Grunewald, BGB, § 437 Rn. 13). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an, da keine sachlichen Gründe erkennbar sind, einen Gläubiger, der sich zunächst für sein Recht auf Minderung entscheidet, aber später den großen Schadensersatz geltend machen möchte, anders zu behandeln als einen Gläubiger, der sich zunächst für den Rücktritt vom Vertrag entschieden hat, aber über § 325 BGB dennoch seine Schadensersatzansprüche weiter verfolgen kann.

c) Der Kläger kann daher von der Beklagten die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen. Allerdings hat sich der Kläger nach der sinngemäß heranzuziehenden Vorschrift des § 346 BGB die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen. Nachdem das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 1.900 verkauft wurde und zwischenzeitlich einen solchen von 20.600 aufweist, hat der Kläger der Beklagten die von ihm gefahrenen 18.700 km zu vergüten. Der Senat schätzt den Wert der gezogenen Nutzungen gemäß § 287 ZPO auf 1.309 €. Dabei wurde eine Gesamtlaufleistung des Pkw von 150.000 km zugrunde gelegt, sodass sich eine Restfahrleistung von 129.400 km ergibt. Im Verhältnis zum Kaufpreis von 8.700 € entspricht die Nutzungsvergütung pro Kilometer damit einem Betrag von rund sieben Cent. Für die zu vergütenden 18.700 km ergibt dies einen Betrag von 1.309 € (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rn. 1554 ff.). …

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