- Ein etwa arglistiges Verhalten der Volkswagen AG im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal kann einem VW-Vertragshändler nicht zugerechnet werden, weil die Volkswagen AG als Fahrzeugherstellerin nicht Erfüllungsgehilfin des Vertragshändlers ist.
- Ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen ist zwar i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB mangelhaft. Der dem Fahrzeug anhaftende – behebbare – Mangel ist jedoch geringfügig und rechtfertigt deshalb gemäß § 323 V 2 BGB keinen Rücktritt vom Kaufvertrag.
- Die in der Lieferung einer mangelhaften Kaufsache liegende Pflichtverletzung des Verkäufers kann auch dann i. S. des § 323 V 2 BGB unerheblich sein und deshalb einen Rücktritt nicht rechtfertigen, wenn der der Kaufsache anhaftende Mangel nicht behebbar ist.
LG Dortmund, Urteil vom 12.05.2016 – 25 O 6/16
Sachverhalt: Die Klägerin erwarb von der beklagten VW-Vertragshändlerin mit Vertrag vom 22.01.2014 einen Neuwagen zum Preis von 22.345 €. Das Fahrzeug – ein VW Beetle – wurde der Klägerin am 05.05.2014 übergeben.
Im Jahr 2014 kam es erstmals zu einer Fehlfunktion der elektrischen Fensterheber, wobei die Parteien darüber streiten, welche Fenster davon betroffen waren. Am 07.08.2014 trat erneut ein Defekt dergestalt auf, dass die vordere Scheibe über die hintere Scheibe fuhr; auf welcher Seite dies geschah, ist zwischen den Parteien streitig. Nachdem die Defekte in einer fremden VW-Vertragswerkstatt behoben worden waren, traten weitere Fehlfunktionen auf, sodass die Klägerin schließlich gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärte. Nachdem die Beklagte im September 2015 Reparaturarbeiten am Fahrzeug der Klägerin vorgenommen hatte, trat am 30.09.2015 erneut eine Fehlfunktion dergestalt auf, dass das Fenster auf der Fahrerseite beim Öffnen und Schließen quietschte.
Darüber hinaus ist das Fahrzeug der Klägerin mit einem Dieselmotor „VW EA189“ (2,0 l Hubraum) ausgestattet und folglich mit einer „Schummelsoftware“ ausgerüstet. Diese sorgt, wenn sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet, durch einen Umschaltmechanismus für einen geringeren Stickoxid-Ausstoß als im normalen Betrieb des Fahrzeugs. Die Stickoxid-Werte des Fahrzeugs sind in der Realität sieben Mal so hoch wie in der EG-Typgenehmigung angegeben.
Das Fahrzeug der Klägerin ist deshalb von einem Rückruf betroffen, den das Kraftfahrt-Bundesamt mit Schreiben vom 15.10.2015 gegenüber dem Hersteller für über zwei Millionen VW-Markenfahrzeuge angeordnet und dem Hersteller auferlegt hat, die „Schummelsoftware“ aus allen Fahrzeugen zu entfernen. Wann ihr Fahrzeug an der Reihe ist und ein Softwareupdate erhält, wurde der Klägerin noch nicht mitgeteilt. Die Kosten für das Aufspielen des Softwareupdates belaufen sich auf weniger als 100 €.
Die Beklagte hat mit Anwaltsschreiben vom 08.01.2015 wegen eines defekten Fensters den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Mit Schreiben vom 09.10.2015 hat sie mit Blick auf die Abgasmanipulation sowohl die Anfechtung wegen Irrtums und arglistiger Täuschung als auch erneut den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.
Sie behauptet, es sei ihr beim Kauf des VW Beetle darauf angekommen, ein ökologisch weitestgehend sauberes Fahrzeug zu erwerben. Dies sei jedoch aufgrund der erhöhten Abgaswerte nicht gewährleistet. Die Klägerin meint, auf eine Nachbesserung durch die Beklagte müsse sie sich hinsichtlich der manipulierten Abgaswerte nicht einlassen. Denn zum einen werde eine Nachbesserung nicht innerhalb angemessener Frist in Aussicht gestellt, und zum anderen sei ihr, der Klägerin, eine Nachbesserung nicht zumutbar, weil sie das Vertrauen in den VW-Konzern verloren habe.
Die im Wesentlichen auf Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung von 4.050 € verminderten Kaufpreises gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags gemäß § 812 I 1 Fall 1 BGB zu.
Der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag ist nicht gemäß § 142 I BGB wegen Anfechtung gemäß § 123 BGB nichtig. Die Beklagte hat die Klägerin nicht arglistig getäuscht.
Ein arglistiges Verhalten kann der Beklagten nicht vorgehalten werden, denn es ist nicht ersichtlich, dass diese von den Abgasmanipulationen eigene Kenntnis gehabt hätte. Auch eine Zurechnung eines etwaigen arglistigen Verhaltens des Herstellers kommt nicht in Betracht. Eine Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen Vertragshändler und Hersteller in entsprechender Anwendung von § 166 BGB findet nicht statt (vgl. LG Bielefeld, Urt. v. 03.02.2010 – 3 O 222/09, juris Rn. 25, LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15, juris). Vielmehr gilt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH der Vorlieferant des Verkäufers nicht dessen Gehilfe bei der Erfüllung der Verkäuferpflichten gegenüber dem Käufer ist; ebenso ist auch der Hersteller der Kaufsache nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache an seine Kunden verkauft (BGH, Urt. v. 02.04.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337 Rn. 31 m. w. Nachw.). Deshalb haftet der Verkäufer auch nicht dafür, dass sein Lieferant ein mit Mängeln behaftetes Produkt in den Verkehr bringt und dies arglistig verschweigt.
Eine etwaige Täuschung durch den Hersteller ist auch nicht als Täuschung eines Dritten i. S. des § 123 II BGB beachtlich. Denn hiernach berechtigt eine durch einen Dritten begangene Täuschung nur dann zur Anfechtung, wenn der Anfechtungsgegner die Täuschung kannte oder kennen musste. Anhaltspunkte für eine Kenntnis oder eine fahrlässige Unkenntnis der Beklagten sind indes nicht ersichtlich.
II. Ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags aufgrund Rücktritts wegen der manipulierten Abgaswerte gemäß §§ 346 I, 323 I, 437 Nr. 2 BGB steht der Klägerin ebenfalls nicht zu. Zwar ist das von ihr erworbene Fahrzeug mangelhaft. Dieser Mangel ist jedoch nicht so erheblich, dass er einen Anspruch auf Rücktritt begründen könnte.
Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mangelhaft i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB, denn es weist angesichts der streitgegenständlichen Manipulation nicht die Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf. Ein Durchschnittskäufer eines Neufahrzeuges kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxid-Ausstoß reduziert wird. Insoweit resultiert die Mangelhaftigkeit nicht etwa daraus, dass die unter Laborbedingungen (Prüfstandlauf) gemessenen Werte im alltäglichen Straßenverkehr nicht eingehalten werden, sondern basiert darauf, dass der Motor die Vorgaben im Prüfstandlauf nur aufgrund der manipulierten Software einhält. Der Käufer eines Neuwagens kann erwarten, dass die auf dem Prüfstand ermittelten Werte nach dem dafür vorgesehenen Verfahren zustande kommen, ohne dass eine Manipulationssoftware eine Veränderung am Abgasverhalten hervorruft. Denn es ist Sinn und Zweck des Prüfstandverfahrens die Abgaswerte bei einer durchschnittlichen Fahrweise durch Imitation bestimmter standardisierter Straßensituationen abzubilden. Der streitgegenständliche Umschaltmechanismus verhindert eine solche Abbildung und ist damit neben der Überschreitung der angegebenen Stickoxid-Werte bereits ein Sachmangel. (vgl. auch LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15; LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 011 O 341/15).
Ein Rücktritt der Klägerin ist jedoch gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen, da die Pflichtverletzung der Beklagten unerheblich ist.
Im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung gemäß § 323 V 2 BGB ist eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Im Rahmen dieser umfassenden Interessenabwägung ist bei behebbaren Mängeln grundsätzlich auf die Kosten der Mängelbeseitigung abzustellen (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 17). Hier ist nach derzeitigem Erkenntnisstand der Mangel behebbar. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat dem von der Volkswagen AG vorgelegten Maßnahmenplan zugestimmt, sodass nach Durchführung der festgelegten Maßnahmen nach Einschätzung des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Beseitigung des Mangels erfolgt sein wird.
Von einer Geringfügigkeit eines behebbaren Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ist nach dem BGH in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 17). Bei einem Mangelbeseitigungsaufwand von nur knapp 1 % des Kaufpreises liegt dieser ohne Zweifel unterhalb der Bagatellgrenze (BGH, Urt. v. 14.09.2005 – VIII ZR 363/04, juris Rn. 43). Bei dem Fahrzeug der Klägerin wird die Mängelbeseitigung nach Behauptung der Beklagten einen Kostenaufwand von ca. 0,05 % des Kaufpreises des Pkw verursachen und liegt damit unterhalb der regelmäßig zu beachtenden Bagatellgrenze. Für eine Abweichung vom Regelfall besteht hier keine Veranlassung. Erhebliche Umstände hierfür hat die Klägerin nicht dargetan.
Ferner ist im Rahmen der Pflichtverletzung, die die Beklagte gemäß § 323 V 2 BGB treffen muss, zu berücksichtigen, dass sie selbst davon abhängig ist, welche Nachbesserungsmaßnahmen seitens des Herstellers des Fahrzeugs angeboten werden. Sie kann daher erst dann nacherfüllen, sobald der Fahrzeughersteller geeignete Mittel hierzu zur Verfügung stellt. Dies ist mittlerweile der Fall. Es ist der Klägerin zuzumuten, die Durchführung der mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmten Mängelbeseitigungsmaßnahmen abzuwarten. In der Zwischenzeit kann sie ihr Fahrzeug uneingeschränkt nutzen.
Auch aus dem Umstand, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Nachbesserung solcher Fahrzeuge wie dem der Klägerin angeordnet hat, folgt nicht, dass der Mangel erheblich wäre. Eher kann daraus abgeleitet werden, dass er nicht so erheblich ist, dass die Typengenehmigung der betroffenen Fahrzeuge sofort zu widerrufen gewesen wäre. Auch dass, wie die Klägerin behauptet, die Typengenehmigung für ihr Fahrzeug vom Kraftfahrt-Bundesamt hätte entzogen werden können, macht den Mangel nicht zu einem Erheblichen, denn die Typenzulassung ist gerade nicht entzogen worden, was ebenfalls eher für eine Unerheblichkeit des Mangels spricht. Insoweit weist das Fahrzeug auch nicht, wie die Klägerin meint, einen Rechtsmangel auf. Auch wenn es sich bei der Erklärung des Kraftfahrt-Bundesamtes, die betroffenen Fahrzeuge könnten im Rahmen des vereinbarten Maßnahmenplans zunächst weiter im Straßenverkehr genutzt werden, um einen bloßen Nichtanwendungserlass handelt, ist jedenfalls die Nutzbarkeit des Fahrzeugs bis zum Ende des hierin vorgesehenen Zeitrahmens nicht eingeschränkt.
II. Ein Anspruch auf Rückabwicklung steht der Klägerin auch nicht aufgrund des quietschenden Fensters zu. Insoweit kommt es auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Klägerin der Beklagten im Hinblick auf dieses Fenster bereits eine Frist zu Nacherfüllung gesetzt hat, nicht an, denn ein Rücktritt der Klägerin ist auch insoweit gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen, da die Pflichtverletzung der Beklagten unerheblich ist. Insoweit ist auch bei unterstellter Richtigkeit des klägerischen Vortrags, das Quietschen des Fensters sei irreparabel, ein Rücktrittsgrund nicht gegeben. Denn auch ein unbehebbarer Mangel kann im Einzelfall unerheblich sein, soweit die Gebrauchstauglichkeit nicht berührt wird und der Käufer lediglich einen Minderwert hinnehmen muss. Denn in diesen Fällen wird die Mangelbetroffenheit des Käufers durch die Möglichkeit der Minderung und des „kleinen“ Schadenersatzes hinreichend ausgeglichen. So liegt es hier. Ein quietschendes Fenster mag zwar störend sein, beeinträchtigt aber nicht die Betriebsabläufe und ist auch für den sicheren Gebrauch des Fahrzeugs im Straßenverkehr nicht nachteilig. Allein aus der subjektiven Sorge der Klägerin, das Quietschen könne sich jederzeit derart manifestieren, dass sich das Fenster nicht mehr schließen lasse, ergibt sich nichts anderes, denn die Frage der Erheblichkeit beurteilt sich allein anhand objektiver Kriterien (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl. [2015], § 437 Rn. 23).
III. Da die Klägerin nicht berechtigt ist, vom Kaufvertrag zurückzutreten, steht ihr auch der weiter geltend gemachte Anspruch auf Feststellung nicht zu.
IV. Der Hilfsantrag ist ebenfalls unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abtretung etwaiger Ansprüche gegen die Herstellerin aufgrund des Rechtsinstituts der Drittschadensliquidation. Diese setzt eine zufällige Schadensverlagerung voraus, die insbesondere darin bestehen kann, dass der Geschädigte gegen seinen Vertragspartner keinen Anspruch hat, während der Vertragspartner gegenüber einem Dritten zwar einen Regressanspruch hätte, mangels eigener Haftung gegenüber dem Geschädigten allerdings keinen ersatzfähigen Schaden erlitten hat. Im vorliegenden Fall steht der Klägerin jedoch ein Nachbesserungsanspruch gegenüber der Beklagten zu, der dem ihr entstandenen Schaden in Form des vorbezeichneten Sachmangels entspricht. Einen weitergehenden Schaden aufgrund etwaiger schlechter Wiederverkäuflichkeit hat die Klägerin nicht substanziiert dargelegt. Die entsprechende Behauptung im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 22.04.2016 erfolgte ins Blaue hinein und ist damit unbeachtlich …