Der private Verkäufer eines Gebrauchtwagens kann nach § 123 I BGB zur Anfechtung des Kaufvertrags berechtigt sein, wenn er nur deshalb einer erheblichen Reduzierung des Kaufpreises (hier: um 3.000 €) zugestimmt hat, weil ihm der versierte Käufer bewusst wahrheitswidrig die Angabe eines falschen Baujahrs vorgeworfen und mit – in Wahrheit nicht bestehenden – Schadensersatzansprüchen gedroht hat.

OLG Koblenz, Urteil vom 16.10.2014 – 2 U 393/13

Sachverhalt: Der Kläger bot im Mai 2012 einen gebrauchten Skoda Octavia über die Internetplattform „mobile.de“ für 9.450 € zum Kauf an. In der Internetanzeige war als Baujahr des Fahrzeugs 2008 angegeben; außerdem wurde auf eine kleine Delle am Kofferraumdeckel hingewiesen.

Der Beklagte betreibt ein Autohaus. Sein für ihn tätiger Sohn, der Zeuge S, nahm telefonisch Kontakt mit dem Kläger auf und schloss mit ihm am 27.05.2012 einen Kaufvertrag, den die Parteien durch folgende E-Mails bestätigten:

„hiermit verkaufe ich … meinen skoda octavia baujahr 2008 für 8000 € an das autohaus X. fahrzeug ist unfallfrei, nicht nachlackiert.“

„hiermit bestätigen wir Ihnen den Ankauf Ihres Skoda Octavia (Bj. 2008) zum Preis von 8000 €. Das Fahrzeug ist, wie auch schon telefonisch besprochen, unfallfrei und nicht nachlackiert. Die Abholung erfolgt gegen Barzahlung nach Terminsabsprache.“

Bei Abholung des Fahrzeugs durch den Zeugen D kam es zu einem weiteren Telefonat mit dem Zeugen S und Meinungsverschiedenheiten über den Zustand des Fahrzeugs. Inhalt und Ablauf des Telefonats sind zwischen den Parteien streitig. Im Nachgang zu diesem Telefonat schlossen die Parteien schriftlich einen Kaufvertrag, in dem der Kaufpreis mit 5.000 € angegeben ist. Diesen Betrag erhielt der Kläger in bar.

Mit seiner Klage hat der Kläger ursprünglich – gestützt auf eine Anfechtung der vertraglichen Vereinbarungen wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und Drohung – die Rückgabe des Fahrzeugs, Zug um Zug gegen Rückzahlung der 5.000 €, verlangt. Nachdem der Beklagte die Weiterveräußerung des Fahrzeuges angezeigt hat, hat der Kläger seine Klage auf Zahlung des „Differenzkaufpreises“ von 3.000 € umgestellt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger – der nur eine Anhörung seiner selbst „als Partei aus Gründen der Waffengleichheit“ angeregt habe – sei beweisfällig dafür geblieben, dass im Rahmen des anlässlich der Fahrzeugübergabe geführten Telefonats ein Anfechtungsgrund gesetzt worden sei. Einer Vernehmung der nur von dem Beklagten benannten Zeugen zum Verlauf des Telefonats habe es nicht bedurft; mangels Vernehmung dieser Zeugen hätten die Voraussetzungen für eine Vernehmung des Klägers als Partei aber gleichfalls nicht vorgelegen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er macht unter anderem geltend, es widerspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass er – wie der Beklagte behaupte – sich allein wegen ein paar kleiner Kratzer an seinem Fahrzeug mit einer Reduzierung des vereinbarten Kaufpreises um 3.000 € einverstanden erklärt habe. Das Rechtsmittel hatte im Wesentlichen Erfolg.

Aus den Gründen: Dem Kläger steht ein weitergehender Kaufpreisanspruch aus dem Kaufvertrag vom 27.05.2012 in Höhe von noch … 3.000 € zu, nachdem er den nachfolgenden, bei Abholung des Fahrzeugs geschlossenen Änderungsvertrag wirksam wegen Drohung und Täuschung angefochten hat.

Die Parteien hatten am 27.5.2012 telefonisch – und durch die beiden gewechselten E-Mails schriftlich bestätigt – einen Kaufvertrag über das Fahrzeug Skoda Octavia zu einem Kaufpreis von 8.000 € geschlossen. Diesen vereinbarten Kaufpreis haben die Parteien anlässlich der Übergabe des Fahrzeugs auf 5.000 € reduziert, wobei es zu dieser Reduzierung nur dadurch kam, dass der Zeuge S den Kläger mit dem Hinweis auf dessen angebliche falsche Angabe des Baujahrs so unter Druck gesetzt hat, indem er ihm mit Schadensersatzansprüchen und einem langwierigen Rechtsstreit drohte, dass sich dieser mit der deutlichen Absenkung einverstanden erklärt hat. Dabei war dem Zeugen S als Fachmann und erfahrenem Autoeinkäufer bewusst, dass das – unstreitig im Januar 2008 erstmalig zugelassene – Fahrzeug dem Baujahr 2008 zuzurechnen war, sodass er hier gezielt die Unkenntnis und Unsicherheit des Klägers im Hinblick auf eine von diesem für möglich gehaltene, versehentliche falsche Angabe des Baujahrs genutzt hat, um eine nachträgliche Reduzierung des Kaufpreises zu erreichen. Er hat hierdurch den Kläger gezielt getäuscht und diesen erst durch die Drohung mit nicht berechtigten Schadensersatzansprüchen zur Zustimmung zu einer Kaufpreisreduzierung bewegt. Dies hat den Kläger zur Anfechtung der mit dem Beklagten im Zuge der Fahrzeugübergabe geschlossenen Abänderungsvereinbarung berechtigt.

Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Senats auf Grundlage der Vernehmung der Zeugen D und S sowie der persönlichen Anhörung des Klägers fest. Dabei ist dem Senat bewusst, dass ausschließlich die Angaben des Klägers diese Annahmen zum tatsächlichen damaligen Geschehen stützen, während sowohl der Zeuge D wie auch der Zeuge S jeweils nicht bestätigt haben, dass das Baujahr im Zuge der Gespräche anlässlich der Übergabe des Fahrzeugs thematisiert worden sei. Dabei hat der Zeuge D mehrfach betont, sich nicht daran erinnern zu können, ob auch das Baujahr Gesprächsgegenstand gewesen sei, während er zu den Kratzern, die das Fahrzeug aufgewiesen habe, ohne dass diese in der „mobile.de“-Anzeige Erwähnung gefunden hatten, noch sehr präzise Erinnerungen bekundet hat. Der Senat konnte sich anlässlich dieses Aussageverhaltens nicht des Eindrucks erwehren, dass sich der Zeuge hier bewusst auf angebliche Erinnerungslücken berief, um nicht umfassend zu dem von ihm und dem Zeugen S damals gezielt als preisdrückend eingesetzten Baujahr bekunden zu müssen.

Auch der Zeuge S ist Nachfragen des Senats nach einer Thematisierung des Baujahrs im Rahmen seines zuletzt mit dem Kläger geführten Telefonats … bewusst ausgewichen, indem er die Bedeutung des Baujahrs unter Hinweis auf die maßgebliche Erstzulassung bagatellisiert hat. Dass im Gebrauchtwagenhandel der Erstzulassung größere Bedeutung beizumessen ist als dem Baujahr eines Fahrzeuges, zieht auch der Senat nicht in Zweifel. Dieser allgemein bekannte Umstand steht indes der hier maßgeblichen Möglichkeit, dass die beiden Zeugen den Kläger bewusst mit dem Begriff des Baujahrs verwirrt haben, um eine Kaufpreisnachbesserung zu erreichen, nicht entgegen. Vielmehr zeigt die vom Beklagten eingereichte Kopie der mobile.de-Anzeige, auf welcher sich der Zeuge S nach seinen eigenen Bekundungen die ihm telefonisch mitgeteilten weiteren Kratzer an dem Fahrzeug notiert hat, dass sich dort neben dem vom Kläger angegebenen Baujahr 2008 gerade auch der handschriftliche Hinweis „Bj 07“ findet, während sämtliche weiteren Angaben des Klägers schlicht abgehakt sind. Dass der Zeuge S, zumal in die vertragsbestätigenden E-Mails auch nur das Baujahr und gerade nicht die – auch nach seinen Angaben – eigentlich viel wichtigere Erstzulassung des Fahrzeugs aufgenommen war, zwar die von ihm handschriftlich vermerkten Kratzer mit dem Kläger telefonisch erörtert haben will, nicht jedoch das ebenfalls dort handschriftlich angemerkte Baujahr, stuft der Senat als unglaubhaft ein.

Waren aber nicht nur die geringfügigen und bei einem viereinhalb Jahre alten Fahrzeug nicht ungewöhnlichen Kratzer Gegenstand der Gespräche anlässlich der Übergabe des Fahrzeugs, sondern auch das angeblich falsch durch den Kläger angegebene Baujahr, erscheint nur dessen Schilderung des damaligen Telefonats, wonach gerade auf diese Abweichung des Baujahrs erhebliche Schadensersatzansprüche des Beklagten gestützt werden sollten, plausibel. Die geringfügigen Kratzer hätten nämlich – zumal der Kläger gegenüber dem ursprünglichen Angebotspreis von 9.450 € ohnehin bereits deutliche Zugeständnisse gemacht hatte – in keiner Weise einen derartigen Preisnachlass gerechtfertigt, der nur dadurch erklärlich wird, dass der Kläger damals tatsächlich Schadensersatzansprüche und einen langwierigen Rechtsstreit mit zwischenzeitlichem Wertverlust des Fahrzeugs befürchtet hat. Diesen Verlauf des Telefonats hat der Kläger widerspruchsfrei und überzeugend geschildert, ohne dass eine Belastungstendenz zu Ungunsten des Beklagten ersichtlich geworden ist. Unabhängig davon, ob sich der Kläger noch an sämtliche Details des Telefonats zutreffend erinnert hat – ob also tatsächlich von einem Käufer in Spanien und nicht möglicherweise (wie vom Zeugen S angegeben) in den Niederlanden die Rede war – steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger den Kern des Telefonats, nämlich den Vorwurf der Angabe eines falschen Baujahres, was zu erheblichen Schadensersatzansprüchen führen werde, zutreffend wiedergegeben hat. Diese Täuschung über eine angebliche – das Fahrzeug gilt zutreffenderweise als Baujahr 2008 – falsche Angabe zum Baujahr und die in diesem Zusammenhang ausgesprochene widerrechtliche Drohung mit nicht bestehenden Schadensersatzansprüchen berechtigten den Kläger, die anlässlich der Fahrzeugübergabe geschlossene Änderungsvereinbarung anzufechten, was durch sein anwaltliches Schreiben vom 13.06.2012 wirksam erfolgt ist.

Ist danach die von den Parteien anlässlich der Übergabe des Fahrzeugs getroffene Abänderungsvereinbarung wirksam angefochten, verbleibt es ausschließlich bei dem ursprünglichen Kaufvertrag vom 27.05.2012 und dem dort vereinbarten Kaufpreis von 8.000 €, sodass dem Kläger der geltend gemachte weitere Zahlungsanspruch von 3.000 € zusteht.

Die Zahlung dieses Betrages hat der Kläger mit seinem Anfechtungsschreiben vom 13.06.2012 unter Fristsetzung zum 22.06.2012 gefordert, sodass sich der Beklagte ab diesem Zeitpunkt in Verzug befindet und entsprechende Zinsen schuldet. Ein Anspruch auf Freistellung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten steht dem Kläger hingegen nicht zu, da das verzugsbegründende Anfechtungsschreiben bereits von seinen Rechtsanwälten stammte, sodass die geltend gemachten Kosten bereits angefallen waren, bevor er den Kläger in Verzug gesetzt hatte …

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