- Wird im Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen dessen Laufleistung mit der Einschränkung „soweit dem Verkäufer bekannt“ genannt, liegt lediglich eine Wissensmitteilung vor, auf die Gewährleistungsrechte nicht gestützt werden können.
- Es gehört zur üblichen und vom Käufer zu erwartenden Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB), dass die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs nicht erheblich vom angezeigten Kilometerstand abweicht.
OLG Hamm, Urteil vom 11.12.2012 – 28 U 80/12
Sachverhalt: Der Kläger verlangt von dem Beklagten, von dem er für 4.800 € einen Gebrauchtwagen erworben hat, in erster Linie die Rückabwicklung des Kaufvertrages.
Bei Abschluss des Kaufvertrages, am 06.08.2011, nahm der Kläger an, das Fahrzeug habe – wie vom Kilometerzähler angezeigt und im Kaufvertrag festgehalten – eine Laufleistung von 196.000 km. Im Nachhinein stellte sich allerdings heraus, dass die Laufleistung bereits im Oktober 2010 bei 305.225 km gelegen hatte. Der Kläger ließ daraufhin mit Anwaltsschreiben vom 31.08.2011 die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und hilfsweise seinen Rücktritt vom Kaufvertrag erklären, wobei er ergänzend behauptete, der Gebrauchtwagen habe bereits bei der Übergabe einen Getriebeschaden aufgewiesen. Dieser Schaden soll am 20.08.2011 auf Veranlassung des Klägers in einer Reparaturwerkstatt für 750 € behoben worden sein.
Der Beklagte hat sich damit verteidigt, dass er das Fahrzeug selbst erst am 18.02.2011 erworben habe, und zwar von dem Zeugen V. Seinerzeit sei eine Laufleistung von 180.000 km angegeben gewesen, zu der eine von ihm, dem Beklagten, zurückgelegte Fahrleistung von 16.000 km komme. Der tatsächlich höhere Kilometerstand sei ihm, dem Beklagten, nicht bekannt gewesen.
Das Landgericht (LG Essen, Urt. v. 06.03.2012 – 12 O 332/11) hat der Klage stattgegeben und sich dabei im Wesentlichen auf die Aussage des Zeugen V gestützt. V hatte bekundet, er habe den Beklagten darüber informiert, dass bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug der Kilometerzähler ausgetauscht worden sei und das Fahrzeug eine Laufleistung von über 300.000 km aufweise. Deshalb, so das Landgericht, sei eine arglistige Täuschung des Klägers durch den Beklagten zu bejahen.
Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Die Klage war als unbegründet abzuweisen, weil der Senat nach erneuter Beweisaufnahme die Voraussetzungen für eine Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht feststellen konnte.
1. Ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen Mangelhaftigkeit des erworbenen Gebrauchtfahrzeugs aus §§ 346, 323, 440, 437 Nr. 2, 434 I, 433 BGB steht dem Kläger nicht zu.
a) Auch wenn die tatsächliche Laufleistung des Audi A4 mit über 300.000 km unstreitig deutlich höher ist als die im Vertrag angegebene Laufleistung von 196.000 km, begründet dies im Rechtssinne keine Negativabweichung von einer vereinbarten Beschaffenheit (§ 434 I 1 BGB). Der Vertrag enthält insoweit die formularmäßige Einschränkung „soweit dem Verkäufer bekannt“ und den handschriftlichen Zusatz „Gesamtlaufleistung nicht bekannt“. Damit beinhaltete die Information über den Kilometerstand lediglich eine Wissensmitteilung, auf die Gewährleistungsrechte nicht gestützt werden können (BGH, Urt. v. 17.02.2010 – VIII ZR 67/09, NJW 2010, 1131).
b) Zwar gehört es bei einem Gebrauchtfahrzeug zu der üblichen Beschaffenheit i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB, dass die tatsächliche Laufleistung nicht erheblich von dem angezeigten Kilometerstand abweicht (BGH, Urt. v. 16.03.2005 – VIII ZR 130/04, DAR 2006, 143; OLG Bremen, Urt. v. 08.10.2003 – 1 U 40/03, NJW 2003, 3713; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl., Rn. 2841). Auch wenn der Audi A4 dieser Anforderung unstreitig nicht gerecht wird, weil seine Laufleistung mit über 300.000 km deutlich über dem im Zeitpunkt des Kaufs angezeigten Stand von 196.000 km lag, kann der Kläger daraus keine Gewährleistungsrechte herleiten, weil diese in dem vom Beklagten verwendeten Kaufvertragsformular wirksam abbedungen wurden. Bei einem hier in Rede stehenden privaten Direktverkauf eines Gebrauchtfahrzeugs ist ein umfassender Gewährleistungsausschluss zulässig (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 4038); zudem wurden die Klauselverbote i. S. des § 309 Nr. 7 lit. a und lit. b BGB im Hinblick auf die Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit sowie grobes Verschulden berücksichtigt. Ein Fall des arglistig verschwiegenen Sachmangels (§ 444 BGB) liegt hier ebenfalls nicht vor, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen.
c) Soweit in dem Schreiben des Klägervertreters vom 31.08.2011 auch ein bei Übergabe vorhandener Getriebeschaden – wohl des Rückwärtsgangs – gerügt wurde, vermochte dies schon deshalb kein Rücktrittsrecht zu begründen, weil dieser behauptete Sachmangel im Rücktrittszeitpunkt nicht mehr vorlag (BGH, Urt. v. 09.03.2011 – VIII ZR 266/09, NJW 2011, 1664). Er soll nach eigener Darstellung des Klägers bereits am 20.08.2011 von der Firma F in M. durch Arbeiten an dem Multitronic-Steuergerät behoben worden sein.
2. Der Kläger kann den gezahlten Kaufpreis von 4.800 € nicht nach Bereicherungsrecht (§ 81 I 1 Fall 1 BGB) zurückverlangen. Der Kaufvertrag ist nicht unwirksam i. S. des § 142 I BGB, weil die Voraussetzungen einer Arglistanfechtung nach § 123 I BGB nicht festgestellt werden können.
Der Kläger kann letztlich den subjektiven Arglisttatbestand nicht beweisen. Dazu ist erforderlich, dass der Verkäufer bei Abschluss des Kaufvertrages die die Negativabweichung begründenden Umstände kennt oder zumindest für möglich hält (BGH, Beschl. v. 08.12.2006 – V ZR 249/05, NJW 2007, 835).
a) Der Senat geht abweichend vom Landgericht nicht davon aus, dass der Beklagte bei Ankauf des Fahrzeugs von dem Zeugen V über den hohen Kilometerstand von mehr als 300.000 in Kenntnis gesetzt wurde.
Die Aussage des Zeugen V ist nicht glaubhaft: Nach den als wahr zu unterstellenden Begleitumständen handelt der Zeuge V neben seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit regelmäßig mit gebrauchten Kraftfahrzeugen auf dem Gelände des Essener Autokinos, wo auch der streitgegenständliche Audi A4 vom Beklagten angekauft und später wieder an den Kläger verkauft wurde. Der Zeuge V hatte den Audi A4 seinerseits über das Internet von dem Erstbesitzer G aus B. erworben. Die Überführungsfahrt von B. nach F. soll von einem Verwandten des Zeugen V vorgenommen worden sein. Bei dieser Gelegenheit – so der Zeuge V – soll dann während der Fahrt „der Tacho“ ausgefallen sein. Bereits dieser Umstand ist eher ungewöhnlich. Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist, weshalb bei einem solchen Defekt die komplette Tachometereinheit einschließlich des Kilometerzähler ausgetauscht werden musste. Selbst wenn man unterstellt, dass dies technisch notwendig war, wurden die näheren Umstände des Tachometertauschs vom Zeugen V nicht glaubhaft dargelegt. Während er erstinstanzlich noch ausgesagt hatte, den Austausch selbst vorgenommen zu haben mit einem bei einem Schrotthändler erworbenen Tachometer, soll der Austausch nach seinen abweichenden Angaben vor dem Senat in einer Werkstatt direkt neben dem Autokino erfolgt sein. Von dieser Werkstatt habe er allerdings keine Rechnung über die durchgeführten Arbeiten erhalten, weil es keine Fachwerkstatt gewesen sei. Das überzeugt nicht: Gerade wenn der Zeuge V einem späteren Kaufinteressenten den Tachometertausch kundtun wollte, hätte es nahegelegen, schriftliche Unterlagen über die vorgenommenen Arbeiten bereitzuhalten, um nicht in den Verdacht einer strafbaren Handlung nach § 22b StVG zu kommen. Aber selbst wenn man einen technisch notwendigen Austausch des Kilometerzählers unterstellt, bleibt unerfindlich, weshalb nun die Angaben des Austauschgerätes (180.000 km) in den Kaufvertrag über den Audi A4 übernommen wurden, der mit diesem Gerät gerade nicht gefahren wurde. Es hätte erst recht nicht in dem am 18.02.2011 mit dem Beklagten abgeschlossenen Kaufvertrag des doppelten handschriftlichen Zusatzes „Gesamtlaufleistung nicht bekannt“ bedurft, weil die Gesamtlaufleistung von mehr als 300.000 km dem Zeugen V nach eigenen Angaben sehr wohl bekannt war. Sie ging aus dem Scheckheft und aus den TÜV- und ASU-Unterlagen hervor, die er von dem Vorbesitzer erhalten hatte. Unabhängig davon hätte er zu der Anzeige des ausgefallenen Kilometerzählers nur die restliche Fahrtstrecke von B. nach F. addieren müssen, um den aktuellen Kilometerstand zu erhalten. Wiederum nicht plausibel ist die Aussage des Zeugen V vor dem Senat, er habe dem Beklagten mündlich einen Kilometerstand von 250.000 mitgeteilt, der allerdings weder dem tatsächlichen entsprach noch dem in den Kaufvertrag übernommenen. Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist, weshalb der Zeuge V – der nach eigenen Angaben über Erfahrungen beim Gebrauchtwagenverkauf verfügt – die für den Kilometerstand relevanten Fahrzeugunterlagen wie Scheckheft und TÜV-Berichte bei dem Verkauf an den Beklagten nicht im Fahrzeug aufbewahrte, zumal er mit einer kritischen Nachfrage wegen des Tachometertauschs rechnen musste. Der Zeuge V sagte dazu aus, er habe erst am Nachmittag des Verkaufstages bei sich zu Hause in diese Unterlagen geschaut, daraufhin den Beklagten angerufen, „einer Frau“ den tatsächlichen Kilometerstand von mehr als 300.000 mitgeteilt und eine Rückabwicklung des Kaufvertrages angeboten; der Beklagte habe das jedoch nicht gewünscht, weil der Audi A4 ohnehin [„nach Osteuropa“] sollte. Eine solche gleichgültige Reaktion des Beklagten ist aber mehr als fernliegend, denn unabhängig davon dass er das Fahrzeug später gerade nicht nach Osteuropa verkaufte, sondern es von seiner Familie benutzt wurde, wäre auch bei einer Verwendung als Exportfahrzeug der von ihm bezahlte Kaufpreis angesichts einer Laufleistung von mehr als 300.000 km deutlich überhöht gewesen, was kaum gleichmütig hingenommen worden wäre.
Wenn es aber dem Beklagten darum gegangen wäre, einen späteren Aufkäufer des Fahrzeugs in Osteuropa ebenfalls über die tatsächliche Laufleistung zu täuschen – worauf der Zeuge V mit seiner Aussage offenbar hinauswollte –, dann wäre es wiederum aus Sicht des Beklagten überflüssig gewesen, sich eine Woche später die maßgeblichen Unterlagen, aus denen die Laufleistung von mehr als 300.000 km hervorging, unter Einschaltung des Zeugen B aushändigen zu lassen.
Unabhängig davon, dass die Aussage des Zeugen V wegen ihrer logischen Widersprüchlichkeit einer Überzeugungsbildung nicht zugrunde gelegt werden kann, ergab sich auch aus der Aussage des Zeugen B, dass der Beklagte weder über den Tachometertausch informiert worden war noch eine Woche später relevante Unterlagen über den Kilometerstand ausgehändigt bekommen hatte.
Der Zeuge B bekundete auf ausdrücklichen Vorhalt der Aussage des Zeugen V, dass er das Verkaufsgespräch zwischen dem Zeugen V und dem Beklagten von Anfang bis Ende mitverfolgt habe. Dabei sei über einen Austausch des Tachometers nicht gesprochen worden, sondern lediglich darüber, dass das Fahrzeug „technisch super in Ordnung“ sei. Es sei auch nicht so gewesen, dass ihm der Zeuge V später irgendwelche Unterlagen übergeben habe. Der Senat hat keine Bedenken, der Aussage des Zeugen B folgen. Dass dessen Aussage – wie das Landgericht meint – nicht sonderlich detailreich ausfiel, mag damit zusammenhängen, dass ein Zeuge über nicht stattgefundene Ereignisse – nämlich die Aufklärung über den Tachometertausch und die nachträgliche Aushändigung von Unterlagen – schlechterdings keine ausschmückenden Angaben machen kann.
b) Der Senat hält es zwar nicht für ausgeschlossen, dass der Beklagte während seiner etwa sechsmonatigen Besitzzeit Kenntnis erhielt von der tatsächlich wesentlich höheren Gesamtlaufleistung des Audi A4. Entsprechende Umstände konnten aber nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden.
Der Beklagte hat sich bei seiner Anhörung vor dem Senat allerdings in Widersprüche verwickelt. So gab er an, die Hauptuntersuchung nach Ankauf des Fahrzeugs im Februar 2011 selbst veranlasst zu haben. Dagegen spricht allerdings, dass er bei dem Weiterverkauf an den Kläger ein Verkaufsschild mit der Angabe „TÜV 10/2012“ verwendete, was zu der letzten vom Vorbesitzer G am 26.10.2010 durchgeführten Hauptuntersuchung passt. Andererseits mussten für die Zulassung des Audi A4 auf den Kläger nichts zwangsläufig die DEKRA-Unterlagen über die Hauptuntersuchung vom 26.10.2010 vorgelegt werden, aus denen ein Kilometerstand von 305.225 hervorging. Dafür genügte auch der Stempel über die durchgeführte Hauptuntersuchung in der Zulassungsbescheinigung. Sollte der Beklagte hingegen selbst bei der DEKRA oder dem TÜV im Februar 2011 eine Hauptuntersuchung durchgeführt haben, hätte dabei nicht der tatsächliche Kilometerstand festgestellt werden müssen, und außerdem wäre darüber ein entsprechender neuer Stempel in der Zulassungsbescheinigung ausgestellt worden, dessen Existenz aber von keiner der Prozessparteien vorgetragen wird.
Andere Umstände, die einen Rückschluss auf die positive Kenntnis des Beklagten von dem hohen Kilometerstand erlauben, sind nicht ersichtlich.
c) Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Beklagte es wenigstens für möglich hielt, dass die in den mit dem Kläger abgeschlossenen Kaufvertrag übernommene Angabe „196.000 km“ unzutreffend niedrig war, führt dies nicht zu einem Anfechtungsrecht des Klägers nach § 123 I BGB, denn insoweit fehlt es an der erforderlichen Täuschungshandlung. Die Möglichkeit eines abweichenden Kilometerstands ging bereits aus der in den Kaufvertrag übernommenen Formulierung „Gesamtlaufleistung nicht bekannt“ hervor, die der Beklagte aus dem vorangegangenen Kaufvertrag mit dem Zeugen V übernommen hatte. Dies spiegelte letztlich die realistische Erwartungshaltung sowohl des Klägers als auch des Beklagten wider, denn insofern räumte auch die als Zeugin vernommene Ehefrau des Klägers bei ihrer Vernehmung ein, ihr sei schon bewusst gewesen, dass bei den am Essener Autokino veräußerten Gebrauchtfahrzeugen nicht selten der Tachostand manipuliert werde.
2. In Ermangelung eines Rückabwicklungsverhältnisses kann der Kläger auch nicht die Reparaturkosten der Firma F in Höhe von 750 € ersetzt verlangen …