Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens verharmlost einen Unfallschaden, den das Fahrzeug erlitten hat, wenn er diesen als „Streifschaden“ bezeichnet, obwohl das Fahrzeug bei einem Unfall – hier: insbesondere im Bereich der linken Seitenwand und der Fahrertür – erheblich und großflächig deformiert worden ist und anschließend nicht fachgerecht instand gesetzt wurde. Denn ein durchschnittlicher Gebrauchtwagenkäufer versteht unter einem „Streifschaden“ einen Lack- oder Blechschaden von geringer Intensität.
OLG Hamm, Urteil vom 16.12.2009 – 11 U 191/08
Sachverhalt: Die Klägerin hat von dem Beklagten am 14.08.2006 einen gebrauchten Pkw BMW 330Ci Cabrio erworben und wegen eines nur unfachmännisch reparierten Unfallschadens sowie mit Blick auf einen damit verbundenen Wertverlust des Fahrzeugs die Minderung erklärt. Das Landgericht hat der Klage nach uneidlicher Vernehmung der Zeugen X und E stattgegeben. Es hat ausgeführt, wegen des nicht fachgerechten reparierten Unfallschadens sei das streitgegenständliche Fahrzeug mangelhaft. Der Beklagte habe nicht bewiesen, dass er – wie er behaupte – der Klägerin diesen Mangel vor Abschluss des Kaufvertrags mitgeteilt habe. Es lasse sich auch nicht feststellen, dass die Klägerin den schriftlichen Kaufvertrag vom 14.08.2006 nachträglich manipuliert habe. Dass der Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten habe, sei unerheblich; das Minderungsrecht der Klägerin sei nicht durch Veräußerung des Pkw auf den Zeugen E übergegangen.
Mit seiner Berufung hat sich der Beklagte gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gewandt und gemeint, schon das äußere Bild spreche dafür, dass die Kaufvertragsurkunde vom 14.08.2006 nachträglich manipuliert worden sei. Jedenfalls aber hätte das Landgericht ein graphologisches Sachverständigengutachten einholen müssen. Der Beklagte hat geltend gemacht, die Klägerin habe dadurch, dass sie der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ferngeblieben sei, verhindert, überraschend als Partei vernommen zu werden. Darüber hinaus hat der Beklagte (weiterhin) die Aktivlegitimation der Klägerin in Abrede gestellt und darauf verwiesen, dass die Klägerin die Klageforderung ausweislich der Aussage des Zeugen E an diesen abgetreten habe. Die Klägerin hat eine Abtretung bestritten.
Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. …Zu Recht hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Minderung des Kaufpreises für den gebrauchten Pkw BMW 330Ci Cabrio aus dem Kaufvertrag vom 14.08.2006 gemäß §§ 434 I, 437 Nr. 2 Fall 2, § 441 BGB zu.
1. Der Abschluss eines Kaufvertrags zwischen den Parteien am 14.08.2006 ist unstreitig.
Die Klägerin ist ferner berechtigt, die Klageansprüche in eigenem Namen geltend zu machen.
Nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme durch den Senat spricht bereits alles dafür, dass die Klägerin nach wie vor Inhaberin der Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag gegen den Beklagten ist und nicht etwa die Ansprüche an ihren früheren Ehemann, den Zeugen E, gemäß § 398 BGB abgetreten hat.
Die Klägerin hat die vom Beklagten behauptete Abtretung der Ansprüche an ihren früheren Ehemann bestritten. Die Aussage des Zeugen E enthält deutliche Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Behauptung. Zwar hat der Zeuge sowohl bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung durch das Landgericht als auch bei der Vernehmung durch den Senat erklärt, er habe die streitgegenständlichen Ansprüche „übernommen“ bzw. diese seien ihm abgetreten worden. Nach dem gesamten Kontext seiner Aussage ist jedoch davon auszugehen, dass der Zeuge diesbezüglich einem Rechtsirrtum erlegen ist. So schildert er zwar, dass eine – auch schriftlich fixierte – Einigung mit seiner früheren Ehefrau stattgefunden habe, wonach er nach der Trennung die Raten für die Finanzierung des Fahrzeugs wie auch die Kosten für erforderliche Reparaturen getragen habe. Hierfür habe ihm die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug (bzw. zunächst das Anwartschaftsrecht daran) übertragen. Eine derartige Vereinbarung würde jedoch ohne weitere Absprache die Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag mit dem Beklagten nicht erfassen. Dafür spricht auch die weitere Aussage des Zeugen E, wonach im Falle des Obsiegens der Klägerin im vorliegenden Prozess die von dem Beklagten zu zahlende Summe „geteilt“ werde. Eine derartige Regelung ist mit einer Abtretung der Ansprüche an den Zeugen nicht vereinbar, weil er in diesem Fall die gesamte Zahlung für sich beanspruchen könnte. Seine Aussage macht daher nur Sinn, wenn man annimmt, dass der Zeuge davon ausgeht, einen güterrechtlichen Ausgleich von seiner früheren Frau beanspruchen zu können.
Letztlich kann aber ohnehin dahinstehen, ob eine Abtretung der Ansprüche an den Zeugen stattgefunden hat. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, stünde nach den Erklärungen des Zeugen im Senatstermin fest, dass der Zeuge die Klägerin zur Einziehung der Forderung im eigenen Namen als Prozessstandschafterin ermächtigt hat. Der Zeuge hat ausdrücklich erklärt, dass er mit der Prozessführung der Klägerin im vorliegenden Verfahren einverstanden ist. Darüber hinaus besitzt die Klägerin auch ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Prozessführung und werden schutzwürdige Belange des Beklagten hierdurch nicht betroffen. Ein schutzwürdiges Eigeninteresse der Klägerin ergibt sich bereits daraus, dass nach der Aussage des Zeugen der Klägerin die Hälfte der aufgrund der Klage erzielten Summe verbleiben soll. Anlass zu Zweifeln an der Ernsthaftigkeit der Erklärung des Zeugen, der aufgrund der vielfältigen Ehestreitigkeiten mit der Klägerin ersichtlich keinen Anlass mehr hat, sie durch Vorspiegelung eines tatsächlich nicht bestehenden Einverständnisses zu unterstützen, und dessen Aussage unvorbereitet und voreingenommen wirkte, besteht nicht.
Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zur Erlangung des schriftlichen Kaufvertrags zwischen dem Zeugen E und der Klägerin die Beiziehung der Akten des gegen den Zeugen geführten Steuerstrafverfahrens beantragt hat, brauchte dem Antrag schon deshalb nicht nachgegangen werden, weil es auf die Vereinbarungen der Ehegatten im Hinblick auf die Finanzierung und die Eigentumszuordnung des Fahrzeugs nicht ankommt.
2. Die übrigen Voraussetzungen eines Gewährleistungsanspruchs gegen den Beklagten liegen vor.
a) Das Fahrzeug weist in zweierlei Hinsicht für die Klägerin als Käuferin nachteilige Abweichungen von der Sollbeschaffenheit eines Gebrauchtfahrzeuges auf. Zum einen handelte es sich bei dem Fahrzeug, das einen erheblichen Seitenschaden links erlitten hatte, um ein Unfallfahrzeug; zum anderen war der Unfallschaden unfachmännisch repariert worden, was sich aus dem Gutachten des Sachverständigen S vom 16.11.2007 im selbstständigen Beweisverfahren …, welches die Parteien auch nicht mehr angegriffen haben, überzeugend ergibt.
Steht damit die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs fest, kann dahinstehen, ob sich ein Mangel auch daraus ergeben würde, dass die Parteien durch den schriftlichen Kaufvertrag vom 14.08.2006 entsprechend dem Wortlaut des von der Klägerin vorgelegten Schriftstücks Unfallfreiheit als vertragsgemäße Beschaffenheit des Fahrzeugs ausdrücklich vereinbart haben und der Beklagte insofern eine Garantie i. S. des § 443 BGB übernommen hat, oder ob der schriftliche Kaufvertrag nachträglich durch die Klägerin bzw. den Zeugen E manipuliert wurde.
b) Die Gewährleistungsrechte der Klägerin sind nicht aufgrund bei ihr vor Kaufvertragsabschluss bestehender Kenntnis von den Mängeln gemäß § 442 I 1 BGB untergegangen.
Soweit das Landgericht den Beklagten aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme als beweisfällig angesehen hat, die Klägerin über den Vorschaden aufgeklärt zu haben, ist der Senat gemäß § 529 I Nr. 1 ZPO an diese mit überzeugender Begründung getroffene Feststellung gebunden. Das Berufungsvorbringen des Beklagten rechtfertigt hieran keine Zweifel aufgrund konkreter Anhaltspunkte an der Richtigkeit oder Vollständigkeit. Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass ohnehin allein die vom Beklagten behauptete Mitteilung an die Klägerin, dass das Fahrzeug einen „Streifschaden“ erlitten habe, die Anwendung des § 442 I 1 BGB nicht rechtfertigen könnte. Denn zum einen würde eine derartige Erklärung kein Wissen verschaffen, dass das Fahrzeug nur unfachmännisch repariert wurde. Zum anderen handelt es sich nicht um eine vollständige Darstellung des eingetretenen Unfallschadens, sondern lediglich um eine verharmlosende Beschreibung, weil ein Durchschnittskäufer unter einem „Streifschaden“ einen Blech- und Lackschaden von geringer Intensität versteht und verstehen darf, während der streitgegenständliche Pkw nach den Ausführungen des Sachverständigen S einen Unfall mit erheblichen und großflächigen Deformierungen besonders im Bereich der linken Seitenwand und der Fahrertür erlitten hat.
Die Anwendung des § 442 I BGB rechtfertigt sich auch nicht aufgrund grob fahrlässiger Unkenntnis der Klägerin von Unfallschaden und unfachmännischer Reparatur (§ 442 I 2 BGB). Darüber hinaus handelte der Beklagte ohnehin arglistig, weil er auch nach seiner eigenen Einlassung vor dem Senat das bei ihm vorhandene Wissen nur teilweise offenbarte. Denn wenn ihm aufgrund der Mitteilung des Berliner Verkäufers bewusst war, dass das Fahrzeug einen „Seiten-Streifschaden auf der gesamten Fahrerseite“ erlitten hat, dann enthält die bloße Offenbarung eines „Streifschadens“ bereits eine verharmlosende Darstellung entgegen seiner Verpflichtung zur vollständigen Offenbarung seines Wissens. Erst recht würde dies gelten, wenn entsprechend der protokollierten Einlassung des Beklagten vor dem Landgericht das Fahrzeug mit dem noch unreparierten Vorschaden gekauft und in Berlin abgeholt worden wäre.
c) Soweit der Minderungsanspruch weiter voraussetzt, dass der Beklagte nicht mehr zur Nacherfüllung berechtigt ist, liegt auch diese Voraussetzung vor. Hinsichtlich des merkantilen Minderwerts entfällt von vornherein jegliche Nachbesserungsmöglichkeit. Wegen der unfachmännisch ausgeführten Reparatur des Fahrzeugs hat die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 17.07.2008 ergebnislos zur Nachbesserung aufgefordert. Darüber hinaus hat der Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit jegliche Verantwortung für die Mängel des Fahrzeugs abgelehnt und damit die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert.
d) Die Höhe der Minderung entspricht den vom Sachverständigen S ermittelten Kosten für die fachgerechte Instandsetzung des Fahrzeugs in Höhe von 4.354,94 € (ohne USt.) sowie dem danach verbleibenden merkantilen Minderwert von 700 €. …