Ein unbenutztes Kraftfahrzeug, das bereits rund zwei Jahre vor Abschluss des Kaufvertrags hergestellt wurde, ist auch dann nicht mehr „fabrikneu“, wenn die Produktion des Modells des betreffenden Fahrzeugs kurz nach dessen Herstellung eingestellt wurde.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 08.01.2007 – 15 U 71/06
Sachverhalt: Die Klägerin bestellte am 28.07.2003 bei der V-Leasing GmbH einen Pkw VW Golf Cabriolet 1.9 TDI. Diese Bestellung bestätigte die V-Leasing GmbH unter dem 14.08.2003. In deren Leasingbedingungen heißt es unter anderem:
„XIII. Ansprüche und Rechte bei Fahrzeugmängeln
1. … Dies vorausgeschickt tritt hiermit der Leasing-Geber sämtliche Ansprüche und Rechte aus dem Kaufvertrag einschließlich der Garantieansprüche gegen Hersteller/Importeur/Dritte wegen der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs an den Leasing-Nehmer ab. Der Leasing-Nehmer nimmt die Abtretung an. Er ist berechtigt und verpflichtet, die Ansprüche und Rechte im eigenen Namen mit der Maßgabe geltend zu machen, dass im Falle des Rücktritts und der Kaufpreisminderung etwaige Zahlungen des Lieferanten direkt an den Leasing-Geber zu leisten sind. …“
Die V-Leasing GmbH erwarb das von der Klägerin bestellte Neufahrzeug bei der Beklagten für 20.941,39 € netto. Der Pkw wurde der Klägerin am 06.08.2003 übergeben. Dieser Tag wurde im Fahrzeugschein als Tag der Erstzulassung eingetragen.
Anlässlich einer Inspektion, die die Klägerin im September 2004 durchführen ließ, erfuhr sie, dass das Baujahr des Fahrzeugs nicht mit dem Jahr der Erstzulassung übereinstimmt. Denn tatsächlich war der Pkw bereits am 26.09.2001 hergestellt worden; die Produktion des Fahrzeugmodells war im September 2001 eingestellt worden.
Nachdem ein VW-Vertragshändler das Herstellungsdatum auf Bitten der Klägerin in Erfahrung gebracht hatte, bat die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 14.02.2005 um Bestätigung dieses Datums. Die Beklagte erwiderte darauf mit Schreiben vom 16.02.2005, dass die Klägerin vor Abschluss des Leasingvertrags davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass das Fahrzeugmodell seit dem Frühjahr 2003 nicht mehr gebaut werde. Die Klägerin gab daraufhin ein Kurzgutachten bezüglich des Herstellungsdatums ihres Fahrzeugs in Auftrag, das unter dem 23.05.2006 erstellt wurde. Auch ausweislich dieses Gutachtens wurde das streitgegenständliche Fahrzeug (schon) am 26.09.2001 produziert.
Mit Schreiben vom 18.02.2005 erklärte die – anwaltlich vertretene – Klägerin vor diesem Hintergrund den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, sich bis zum 25.02.2005 zur Rücknahme des Cabriolets bereit zu erklären. Die Beklagte lehnte eine Rückabwicklung des Kaufvertrags ab.
Die Klägerin hält ihr Fahrzeug für mangelhaft, weil es bei der Übergabe an sie bereits 22 Monate alt gewesen sei. Die Klägerin hat behauptet, dass sie ein Neufahrzeug habe leasen wollen, die Beklagte das von ihr gewünschte Fahrzeug aber nicht vorrätig gehabt habe. Man habe ihr deshalb angeboten, den Versuch zu unternehmen, das Fahrzeug bei einem anderen Händler zu besorgen. Schließlich sei man bei einem Händler im Norden fündig geworden, und man habe ihr erklärt, dass der bei diesem Händler vorrätige Pkw dort bereits einige Zeit gestanden habe. Auf ihre – der Klägerin – Nachfrage sei dieser Zeitraum auf 12 bis 14 Wochen konkretisiert worden. Dass die Produktion des Fahrzeugmodells bereits im September 2001 eingestellt worden sei, habe sie nicht gewusst.
Die Beklagte ist der auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten Klage entgegengetreten. Sie hat einen Mangel des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Abrede gestellt und die Einrede der Verjährung erhoben. Die Klägerin – so hat die Beklagte behauptet – habe ihr gegenüber Ende Juli 2003 den Wunsch geäußert, ein Golf-Cabriolet mit Dieselmotor in einer möglichst dunklen Farbe zu erwerben. Die Klägerin habe gewusst, dass das Fahrzeugmodell seit Langem nicht mehr hergestellt werde; sie habe deshalb ausdrücklich gefragt, ob die Beklagte das gewünschte Fahrzeug beschaffen könne. Über das Herstellungsdatum des Fahrzeugs sowie den Auslauf der Produktion sei nicht gesprochen worden, weil alle Beteiligten gewusst hätten, dass das Fahrzeugmodell schon seit Langem nicht mehr hergestellt werde.
Das Landgericht hat der Klägerin einen Anspruch aus abgetretenem Recht der V-Leasing GmbH auf Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung verminderten Kaufpreises nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs, zuerkannt (LG Osnabrück, Urt. v. 30.10.2006 – 8 O 1373/06).
Es hat ausgeführt, dass der Pkw i. S. von § 434 I 1 BGB mangelhaft sei. Denn die die Klägerin habe einen Neuwagen bestellt, und im Verkauf eines Neuwagens durch einen Kraftfahrzeugändler liege nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160) in der Regel die konkludente Zusicherung, dass das Fahrzeug fabrikneu sei. Das hier interessierende Cabriolet sei bei der Übergabe an den Klägerin indes nicht fabrikneu gewesen. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02; Urt. v. 16.07.200 – VIII ZR 243/02, NJW 2003, 2824, 2825) sei nämlich ein unbenutztes Kraftfahrzeug regelmäßig nur fabrikneu, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine durch eine längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als 12 Monate liegen. Das Fahrzeug der Klägerin sei aber schon im September 2001 hergestellt und erst im August 2003 erworben worden; ihm habe deshalb bei der Übergabe an die Klägerin die vereinbarte Beschaffenheit „fabrikneu“ gefehlt.
Die Beklagte habe ihre Behauptung, die Klägerin habe seinerzeit gewusst, dass das Fahrzeug bereits geraume Zeit auf Lager gestanden haben müsse, weil das Fahrzeugmodell schon seit Langem nicht mehr produziert werde, nicht bewiesen.
Dadurch, dass die Klägerin das Fahrzeug nach der Erklärung des Rücktritts im Rahmen des Üblichen weitergenutzt habe, habe sie ihre Gewährleistungsrechte nicht verwirkt (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160, 161). Der geltend gemachte Anspruch sei auch nicht verjährt; vielmehr unterliege der (erst) mit der wirksamen Ausübung des Rücktrittsrechts entstandene Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises der dreijährigen Regelverjährung nach §§ 195, 199 BGB. § 438 BGB gelte für diesen Anspruch nicht.
Der 15. Zivilsenat des OLG Oldenburg hat die Beklagte mit Beschluss vom 08.01.2007 – 15 U 71/06 – auf seine Absicht hingewiesen, ihre Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 II ZPO zurückzuweisen.
Aus den Gründen: Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich der am 14.08.2003 abgeschlossene Kaufvertrag auf ein fabrikneues Fahrzeug bezog. Diese Neuwageneigenschaft des Pkw war mithin eine von den Kaufvertragsparteien vereinbarte Beschaffenheit der Kaufsache. Diese Beschaffenheit wies der ausgelieferte Wagen nicht auf. Denn er war bereits am 26.09.2001, also fast 23 Monate vor dem Kauf, hergestellt worden. Eine so lange Standzeit führt auch bei einem nicht benutzten Fahrzeug zwangsläufig zu einem gewissen Alterungsprozess sowie nach der Verkehrsanschauung zu einer Werteinbuße, sodass ein solcher Pkw kein Neufahrzeug mehr darstellt (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160: 19 Monate Standzeit).
Der Umstand, dass der hier verkaufte Fahrzeugtyp seit September 2001 nicht mehr hergestellt wird, ist insoweit unerheblich. Ihm käme allerdings rechtliche Bedeutung zu, wenn er der Klägerin bei Vertragsabschluss bekannt gewesen, insbesondere ihr vom dem Verkäufer der Beklagten mitgeteilt worden wäre. Dann läge im vorliegenden Fall eine vom Regelfall eines Neuwagenkaufs abweichende Beschaffenheitsvereinbarung vor. Das hat die – insoweit beweisbelastete – Beklagte zwar behauptet, allerdings nicht beweisen können. Der von ihr benannte Zeuge M hat lediglich ausgesagt, er habe der Klägerin erklärt, der von ihr gewünschte Fahrzeugtyp werde „seit längerer Zeit“ bzw. „seit einiger Zeit“ nicht mehr gebaut. Das reichte nicht aus. Ein Zeitraum von annähernd 23 Monaten, also fast schon zwei Jahren, kann nicht mehr lediglich als „längere“ oder „einige“ Zeit bezeichnet werden. Der Zeuge hätte, woran ihn im Übrigen ja auch nichts gehindert hätte, der Klägerin den ihm bekannten Zeitpunkt der Produktionseinstellung mitteilen oder wenigstens sagen müssen, der Pkw-Typ werde „seit langer Zeit“ oder „seit fast zwei Jahren“ nicht mehr gebaut.
Im Übrigen reicht die Zeugenaussage aber auch nicht als Grundlage einer vollen gerichtlichen Überzeugungsbildung aus, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat. Gewisse Zweifel daran sind schon wegen der Verbundenheit des Zeugen mit der Beklagten, bei der er seit Langem angestellt ist, angezeigt, ferner wegen eines etwaigen Regressrisikos des Zeugen sowie schließlich auch deshalb, weil der Zeuge der Klägerin später – objektiv wahrheitswidrig – schriftlich mitteilte, der Pkw sei Ende 2002 gebaut worden. Selbst wenn er dabei – wie er jetzt angibt – einem Irrtum unterlegen sein sollte, zeigt dies eine Unsorgfältigkeit zulasten der Klägerin und zugunsten der Beklagten, die auch geeignet ist, die Richtigkeit seiner Zeugenaussage schon in einem Maße fraglich erscheinen zu lassen, dass eine gerichtliche Feststellung hierauf nicht ausreichend gegründet werden kann.
Da nach alledem zugrunde zu legen ist, dass die Kaufsache nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufwies, war das rechtzeitig geltend gemachte Verlangen der Klägerin nach Rückgängigmachung des Kaufvertrags berechtigt. Das Landgericht hat ihrer Klage deshalb – unter zutreffender Berücksichtigung der von ihr erhaltenen Gebrauchsvorteile – zu Recht nach §§ 433 I, 434 I 1, § 437 Nr. 2, §§ 323 I, 346 ff., 398 BGB stattgegeben. Auch gegen die Nebenentscheidungen des Landgerichts ist nichts zu erinnern.
Hinweis: Die Berufung wurde zurückgenommen.