- In der Rechtsprechung sind Fallgestaltungen anerkannt, bei denen ein Fahrzeug trotz Verwendung der Begriffs „Neuwagen“ oder „neu“ nicht fabrikneu, sondern lediglich aus Neuteilen hergestellt und unbenutzt sein muss. So kann es liegen, wenn der Verkäufer den Käufer auf einen Modellwechsel hingewiesen und ihm einen hohen Preisnachlass gewährt hat.
- Ein Lagerfahrzeug, das keine erheblichen Mängel aufweist, ist auch nach 18 Monaten noch ein „Neuwagen“.
OLG Bamberg, Urteil vom 21.06.2002 – 6 U 9/02
Sachverhalt: Der Kläger verlangt die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen BMW 520i.
Die Vertragsurkunde vom 17.07.2001 – eine Standardbestellung eines neuen BMW-Kraftfahrzeugs – weist einen Hauspreis von 58.000 DM aus. Bei den Vertragsverhandlungen war der Kläger darauf hingewiesen worden, dass zwischen Herstellung und Verkauf des Pkw ein Modellwechsel stattgefunden habe. Als der Kläger das Fahrzeug im September 2001 zulassen wollte, wurde ihm im Hinblick auf das Ausstellungsdatum des Kfz-Briefs (24.01.2000) zur Auflage gemacht, zuvor eine TÜV-Hauptuntersuchung, eine Abgassonderuntersuchung und eine Umschreibung auf die neuen europäischen Abgasnormen durchführen zu lassen.
Der Kläger meint, dem verkauften Pkw fehle die zugesicherte Eigenschaft eines Neuwagens. Er begehrt im Wege des großen Schadensersatzes die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.
Das LG Coburg hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Der Senat nimmt zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen vollinhaltlich auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 540 I Nr. 2 ZPO n.F.). Lediglich zu zwei Berufungsangriffen des Klägers sind nachfolgende ergänzende Bemerkungen veranlasst:
1. Dem streitgegenständlichen Fahrzeug fehlt weder eine zugesicherte Eigenschaft (§§ 463, 459 II BGB a.F.) noch ist es mit einem nicht unerheblichen Mangel behaftet (§ 459 I 2 BGB a.F.).
a) Auch wenn der Kaufvertrag unter Verwendung eines vorgefertigen Formulars über die Bestellung eines BMW-Neufahrzeugs erfolgte, ist gleichwohl wegen der Besonderheiten des Sachverhalts die gefestigte Rechtsprechung über den Begriff der „Fabrikneuheit“ als zugesicherte Eigenschaft (vgl. etwa BGH, Urt. v. 22.03.2000 – VIII ZR 325/98, NJW 2000, 2018, 2019; Urt. v. 06.02.1980 – VIII ZR 275/78, NJW 1980, 1097 unter II 1; Urt. v. 18.06.1980 – VIII ZR 185/79, NJW 1980, 2127 unter I) nicht einschlägig.
In der Rechtsprechung sind Fallgestaltungen anerkannt, bei denen die Verwendung des Begriffs „neu“ oder „Neuwagen“ unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles nicht als Zusicherung der Eigenschaft als „fabrikneu“ zu werten ist (vgl. BGH, Urt. v. 22.03.2000 – VIII ZR 325/98, NJW 2000, 2018, 2019; Urt. v. 26.03.1997 – VIII ZR 115/96, NJW 1997, 1847, 1848; OLG Schleswig, Urt. v. 21.07.1999 – 9 U 101/98, OLGR 1999, 412; OLG Zweibrücken, Urt. v. 05.05.1998 – 5 U 28/97, NJW-RR 1998, 1211, 1212; OLG Naumburg, Urt. v. 14.10.1993 – 4 U 108/93, VerkMitt 1994 Nr. 40).
So liegt der Fall hier: Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger bei den Verkaufsverhandlungen im Juli 2001 auf den stattgefundenen Modellwechsel (mit geänderter PS-Stärke des Motors und Facelifting im Frontbereich) hingewiesen wurde. Ihm wurde ein sogenannter Hauspreis mit einem Nachlass auf den Listenpreis von über 20 % eingeräumt.
Die Einvernahme des Zeugen an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln der Senat ebenso wenig Anlass hat wie das Erstgericht, hat zudem ergeben, dass der Zeuge dem Kläger auch den Modellwechsel im September 2000 mitgeteilt hat. Der Kläger wusste somit, dass er keinen „fabrikneuen“ Wagen im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung erwarb, sondern einen neuen, das heißt aus Neuteilen hergestellten und noch nicht genutzten Pkw. Diese Auslegung des Begriffs „Neuwagen“ im Kaufvertragsformular (§§ 133, 157 BGB) folgt aus den besonderen Umständen des hier zu entscheidenden Einzelfalls.
Dem Fahrzeug fehlt auch nicht deswegen die Neuwageneigenschaft, weil er bei Abschluss des Kaufvertrags schon knapp 18 Monate alt war. Der erkennende Senat schließt sich der insoweit herrschenden Meinung in der Rechtsprechung an, wonach ein Lagerfahrzeug auch nach 18 Monaten noch ein Neufahrzeug ist, solange das Fahrzeug keine wesentlichen Mängel aufweist (BGH, Urt. v. 06.02.1980 – VIII ZR 275/78, NJW 1980, 1097; OLG Schleswig, Urt. v. 21.07.1999 – 9 U 101/98, OLGR 1999, 412: 2 ½ Jahre; OLG Zweibrücken, Urt. v. 05.05.1998 – 5 U 28/97, NJW-RR 1998, 1211: 3 Jahre; OLG Naumburg, Urt. v. 14.10.1993 – 4 U 108/93, VerkMitt 1994 Nr. 40: 2 Jahre; a. M. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 17.12.1997 – 23 U 42/97, NJW-RR 1998, 1213: 1 Jahr). Zum einen spielt das Baujahr bei der Bewertung eines Pkw keine übergeordnete Rolle; vielmehr ist die Erstzulassung das entscheidende Kriterium beim Weiterverkauf als Gebrauchtwagen (so schon BGH, Urt. v. 06.02.1980 – VIII ZR 275/78, NJW 1980, 1097 f.). Vor allem aber spricht hier der verhältnismäßig hohe Preisnachlass von über 20 % auf den Listenneupreis für eine für den Kläger erkennbare längere Stand- und Lagerzeit, zumal dem Kläger im Juli 2001 bei den Vertragsverhandlungen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Hinweis auf den bereits zehn Monate zuvor im September 2000 erfolgten Modellwechsel gegeben worden ist, er sich also auf ein Fahrzeug etwa dieses Alters eingestellt hatte. Wäre es ihm entscheidend auf das Fabrikationsdatum angekommen, hätte er den Verkäufer danach fragen müssen; eine Erkundigungs- und Offenbarungspflicht des Händlers hierüber bestand – auch angesichts des im Kfz-Brief enthaltenen Ausstellungsdatums (24.01.2000) – nicht (vgl. OLG Zweibrücken, Urt. v. 05.05.1998 – 5 U 28/97, NJW-RR 1998, 1211, 1212).
b) Dem Fahrzeug haftete bei Übergabe im Sommer 2001 auch kein nicht nur unwesentlicher Mangel i. S. des § 459 I 2 BGB a.F. an. Der Kläger hat nicht behauptet, dass das Fahrzeug die TÜV-Hauptuntersuchung, die Abgassonderuntersuchung oder die Umschreibung auf die neuen EURO-Schadstoffnormen nicht erfolgreich absolvieren bzw. erlangen könne. Ebenso wenig hat er Mängel am Lack oder an den Reifen des Fährzeugs durch die lange Standzeit konkret behauptet. Er hat diese Argumente lediglich zur Interpretation des Begriffs „Neufahrzeug“ herangezogen.
Die Tatsache, dass das Fahrzeug wegen Überschreitens der 18-Monats-Frist trotz Neuzulassung dem TÜV … vorgeführt werden musste, stellt einen allenfalls unwesentlichen, die Gebrauchstauglichkeit nicht dauerhaft beeinträchtigenden Mangel i. S. des § 459 I 2 BGB a.F. dar, zumal die Beklagte dem Kläger angeboten hatte, diese Dinge für ihn zu erledigen. …