Ein von einem Kraftfahrzeughändler als „Neuwagen“ verkaufter Pkw muss in der Regel „fabrikneu“ sein. Diese regelmäßig konkludent vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 I 1 BGB) hat ein Fahrzeug, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine durch eine längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate liegen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160). Darauf, wann das Fahrzeug dem Käufer übergeben wird, kommt es für die Fabrikneuheit nicht an.
LG Oldenburg, Urteil vom 09.11.2012 – 16 O 2576/12
(nachfolgend: OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.01.2013 – 6 U 225/12)
Sachverhalt: Der Kläger bestellte bei der Beklagten am 19.07.2012 einen Neuwagen – einen Hyundai ix20 1.4 in der Ausstattungsvariante „Classic“ – zum Preis von 18.665 €. Die Beklagte nahm die Bestellung noch am selben Tag an. Das bestellte Fahrzeug wurde dem Kläger am 02.08.2012, dem Tag der Erstzulassung des Pkw, übergeben.
Mit Schreiben vom 07.09.2012 erklärte der – anwaltlich vertretene – Kläger gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag. Er machte geltend, dass das ihm gelieferte Fahrzeug bei der Übergabe nicht fabrikneu gewesen sei, weil es ausweislich der Zulassungsbescheinigung II (Fahrzeugbrief) bereits am 27.05.2011 hergestellt worden sei. Mittlerweile ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Hyundai ix20 1.4 (schon) am 29.07.2011 hergestellt worden ist. Die Beklagte wies den Rücktritt mit anwaltlichem Schreiben vom 17.09.2011 zurück und forderte den Kläger – erfolglos – auf, ihr außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten zu erstatten.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises (18.665 € nebst Zinsen), Zug um Zug gegen Rückgewähr des Hyundai ix20 1.4, sowie auf Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten (492,54 €) in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und widerklagend verlangt, von außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 807,20 € freigestellt zu werden.
Nur die Widerklage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: I. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Rückabwicklung des Kaufvertrags und damit Zahlung von 18.665 € Zug um Zug gegen Rückgabe des gekauften Pkw Hyundai ix20 1.4 „Classic“ verlangen. Die Voraussetzungen gemäß §§ 434 I, 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 440, 323 BGB sind nicht erfüllt. Das Fahrzeug wies die vereinbarte Beschaffenheit eines „Neufahrzeugs“ auf, sodass ein Sachmangel i. S. des § 434 I 1 BGB nicht vorliegt.
Das Fahrzeug ist nach dem Kaufvertrag als „neu“ verkauft worden. Im Verkauf eines Fahrzeugs als „Neuwagen“ durch einen Kfz-Händler liegt in der Regel die Zusicherung, dass das verkaufte Fahrzeug „fabrikneu“ ist (BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160), worin eine vereinbarte Beschaffenheit i. S. des § 434 I 1 BGB liegt (Palandt/Putzo, BGB, 70. Aufl., § 434 Rn. 16). „Fabrikneu“ ist ein Fahrzeug, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine durch eine längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und – drittens – wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate liegen (BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160).
Dass es an den ersten beiden Voraussetzungen fehlt, ist vom Kläger jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht behauptet worden. Das Gericht hat auf diesen Aspekt in der mündlichen Verhandlung hingewiesen.
Was die Zeitspanne zwischen der Herstellung und dem Abschluss des Kaufvertrags angeht, ergibt sich aus dem nunmehr unstreitigen Parteivorbringen, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags nicht älter als zwölf Monate gewesen ist. Denn danach ist der Hyundai am 29.07.2011 hergestellt worden. Der Kaufvertrag ist hingegen am 19.07.2012 rechtsverbindlich für beide Seiten zustande gekommen. Umstände, aus denen sich ergibt, dass ausnahmsweise schon eine Lager- und Standzeit von unter zwölf Monaten die Fabrikneuheit des Neuwagens beseitigt (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160), sind vom Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht dargetan worden. Auch hierauf ist der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden.
Zwar ist der Pkw erst nach Ablauf der Zwölf-Monats-Frist an den Kläger ausgeliefert worden; nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist aber für die Beurteilung der Neuwageneigenschaft nicht auf den Zeitpunkt der Übergabe, sondern auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses abzustellen.
Soweit der Kläger nun erstmals mit einem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten, ihm nicht nachgelassenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 31.10.2012 behauptet, dass die Herstellergarantie von zwölf Monaten im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs bereits abgelaufen gewesen sei, und daraus ableitet, dass (auch) deshalb der Hyundai als Neufahrzeug mängelbehaftet sei, bleibt dieses Vorbringen nach § 296a ZPO unberücksichtigt. Es bestand kein Anlass, der Beklagten insoweit eine Erklärungsfrist zu setzen oder die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO wiederzueröffnen, da der Kläger diesen Umstand bereits in seinen vorbereitenden Schriftsätzen oder innerhalb der mündlichen Verhandlung hätte vortragen können. Auch hat er sich keine Stellungnahmefrist auf die in der Verhandlung erteilten Hinweise nach § 139 V ZPO ausbedungen.
II. Die Widerklage ist nach § 33 I ZPO zulässig. …
Die Widerklage ist auch begründet. Der Kläger hat die Beklagte von den außergerichtlichen Kosten ihrer Bevollmächtigten freizustellen. Als Folge des ungerechtfertigten Rückabwicklungsverlangens des Klägers vom 07.09.2012 steht der Beklagten insoweit ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger zu.
Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, oder ein Gestaltungsrecht ausübt, das nicht besteht, verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 II BGB (BGH, Urt. v. 16.01.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262 Rn. 17 m. w. Nachw.). Nach diesem Maßstab waren sowohl die Aufforderung des Klägers an die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises als auch sein Rücktritt vom Vertrag nicht nur sachlich unbegründet, sondern auch i. S. von § 280 I 1 BGB pflichtwidrig.
Der Kläger hat sein unberechtigtes Zahlungsverlangen und seinen unberechtigten Rücktritt auch zu vertreten, weil er in beiden Fällen fahrlässig gehandelt hat. Er hätte – anwaltlich beraten – vor Abfassen des Aufforderungsschreibens vom 07.09.2012 erkennen können und müssen, dass nicht schon aufgrund der Eintragungen in der Zulassungsbescheinigung II angenommen werden kann, dass der Hyundai früher als zwölf Monate vor dem Kaufdatum hergestellt worden ist. Denn das dort unter „(6)“ abgedruckte Datum „27.05.2011“ bezog sich gemäß der Erläuterung unter Buchstabe „K“ der Bescheinigung offenkundig auf den Tag der (allgemeinen) EG-Typgenehmigung und nicht auf das individuelle Herstellungsdatum. Auf diesen Eintrag hätte der Kläger daher nicht auf das Herstellungsdatum des Hyundai schließen und hierauf nicht seinen Rücktritt stützen dürfen.
Die Berechnung der beanspruchten Netto-Gebührenforderung im Schriftsatz vom 09.10.2012 ist im Hinblick auf den angesetzten Gegenstandswert und eine Rahmengebühr von 1,3 nicht zu beanstanden. …
Hinweis: Mit Beschluss vom 21.01.2013 – 6 U 225/12 – hat der 6. Zivilsenat des OLG Oldenburg den Kläger darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 II ZPO zurückzuweisen. Das Rechtsmittel habe „offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg“, weil „das Landgericht die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, abgewiesen“ habe. In dem Hinweisbeschluss heißt es:
„Der BGH hat ausdrücklich festgestellt,
‚dass ein unbenutztes Kraftfahrzeug regelmäßig noch ›fabrikneu‹ ist, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine durch längere Standzeit bedingte Mängel aufweist und wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate liegen“ (BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160).
Danach kommt es, wie das Landgericht richtig festgestellt hat, nicht auf die Zeitspanne zwischen Herstellung und Auslieferung, sondern auf den Zeitraum zwischen Herstellung und Abschluss des Kaufvertrags an; dieser Zeitraum beträgt hier weniger als zwölf Monate. Besondere Umstände – etwa Lagerungsschäden oder Ähnliches –, die ein Abrücken von der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung festgelegten Zeitgrenze rechtfertigen könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.“