Der Mangel, an dem ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen – möglicherweise – leidet, ist geringfügig i. S. des § 323 V 2 BGB und rechtfertigt deshalb keinen Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag. Denn jedenfalls ist eine Nachbesserung durch Installation eines Softwareupdates möglich, und diese Maßnahme ist selbst dann mit einem Kostenaufwand von nicht mehr als 100 € verbunden, wenn man auch die – anteiligen – Kosten für die Entwicklung des Updates berücksichtigt.
LG Ansbach, Urteil vom 20.01.2017 – 2 O 755/16
(nachfolgend: OLG Nürnberg, Urteil vom 24.04.2018 – 6 U 409/17)
Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Abgasskandal die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags.
Er bestellte bei der Beklagten am 30.09.2014 verbindlich einen Neuwagen (VW Tiguan 2.0 TDI Sport & Style 4Motion) mit einer Motorleistung von 103 kW zum Preis von 38.190 €. Das bestellte Fahrzeug wurde dem Kläger am 28.11.2014 übergeben.
Es ist mit einem EA189-Dieselmotor ausgestattet und deshalb vom VW-Abgasskandal betroffen. Das heißt, dass in dem SUV eine Software zum Einsatz kommt, die seine Stickoxid(NOX)-Emissionen optimiert, sobald das Fahrzeug auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert und dafür einen genormten Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Darüber informierte die Volkswagen AG den Kläger im Februar 2016 schriftlich.
Der Kläger sieht darin, dass sein Fahrzeug mit einer den Schadstoffausstoß manipulierende Software ausgestattet ist, einen Mangel. Er ließ die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 24.03.2016 zur Beseitigung des Mangels auffordern. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 29.03.2016 eine Nachbesserung ab. Daraufhin ließ der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 11.04.2016 seinen Rücktritt von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag erklären. Die Beklagte wurde aufgefordert, den Kaufvertrag bis zum 25.04.2016 rückabzuwickeln. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 21.04.2016 ab.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Dem Kläger stehen keine Ansprüche aus einem Rückabwicklungsschuldverhältnis auf Rückzahlung des Kaufpreises von 38.190 € abzüglich gezogener Nutzungen gemäß § 346 I BGB zu. Die Voraussetzungen gemäß §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 BGB sind nicht erfüllt.
Die Frage, ob das streitgegenständliche Fahrzeug mangelhaft ist, kann vorliegend offengelassen werden. Diese Frage wird in der bisherigen Rechtsprechung zur VW-Abgasproblematik nicht einheitlich beurteilt. Im vorliegenden Fall kommt es hierauf aber nicht an, da selbst bei Bejahung eines Sachmangels i. S. des sect; 434 I BGB einem Rücktritt des Klägers hier entgegensteht, dass der Mangel nicht erheblich ist (§ 323 V 2 BGB).
1. Nach § 323 V 2 BGB kann der Gläubiger vom Vertrag im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung dann nicht zurücktreten, wenn er dem Schuldner zuvor eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.
a) Ein Rücktritt des Klägers ist hier gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen, da die Pflichtverletzung der Beklagten unerheblich ist. Das Gericht schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des LG Bochum in dessen Urteil vom 16.03.2016 – I-2 O 425/15, DAR 2016, 272 – an.
b) Im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung gemäß § 323 V 2 BGB ist eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Im Rahmen dieser umfassenden Interessenabwägung ist bei behebbaren Mängeln grundsätzlich auf die Kosten der Mängelbeseitigung abzustellen (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229 Rn. 17).
Hier ist nach derzeitigem Erkenntnisstand der Mangel behebbar. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat dem von der Volkswagen AG vorgelegten Maßnahmenplan gerichtsbekannt zugestimmt, sodass nach Durchführung der festgelegten Maßnahmen nach Einschätzung des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Beseitigung des Mangels erfolgt sein wird.
Von einer Geringfügigkeit eines behebbaren Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ist nach dem BGH in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229 Rn. 17) Bei einem Mangelbeseitigungsaufwand von deutlich unter 1 % des Kaufpreises liegt dieser ohne Zweifel unterhalb der Bagatellgrenze (vgl. auch BGH, Urt. v. 14.09.2005 – VIII ZR 363/04, NJW 2005, 3490 [3493]).
Bei dem Fahrzeug des Klägers wird die Mängelbeseitigung nach Behauptung der Beklagten einen Kostenaufwand von ca. 0,26 % des Kaufpreises des Pkw verursachen und liegt damit unterhalb der regelmäßig zu beachtenden Bagatellgrenze. Für eine Abweichung vom Regelfall besteht hier keine Veranlassung. Erhebliche Umstände hierfür hat der Kläger nicht dargetan. Zwar hat er die Höhe der Mängelbeseitigungskosten bestritten. Dies erfolgte jedoch ins Blaue hinein und ist daher unbeachtlich. Der Kläger hat nichts dafür vorgetragen, warum das Einspielen eines Softwareupdates, so wie dies mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmt ist, höhere Kosten als 100 € verursachen soll. Selbst wenn man zu den Kosten der Einspielung der Software noch anteilige Entwicklungskosten des Updates hinzurechnen würde, so ist plausibel und nachvollziehbar, dass auch dann die Mängelbeseitigungskosten nicht mehr als 100 € betragen, da die Entwicklungskosten auf mehr als zwei Millionen betroffene Fahrzeuge umzulegen sind.
c) Ferner ist im Rahmen der Pflichtverletzung, die die Beklagte gemäß § 323 V 2 BGB treffen muss, zu berücksichtigen, dass sie selbst davon abhängig ist, welche Nachbesserungsmaßnahmen seitens des Herstellers des Fahrzeugs angeboten werden. Sie kann daher erst dann nacherfüllen, sobald der Fahrzeughersteller geeignete Mittel hierzu zur Verfügung stellt. Dies ist mittlerweile der Fall. Es ist dem Kläger zuzumuten, die Durchführung der mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmten Mängelbeseitigungsmaßnahmen abzuwarten. In der Zwischenzeit kann er sein Fahrzeug uneingeschränkt nutzen. Dass er während der Nutzung seines Fahrzeugs der Umwelt einen höheren Schaden zufügt als er es beim Kauf des Fahrzeugs erwartete, verärgert ihn zu Recht, beruht aber nicht auf einem Verschulden der Beklagten, sondern der Volkswagen AG. Die Beklagte hat die Manipulationen ebenso wenig zu vertreten wie der Kläger.
Auch aus dem Umstand, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Nachbesserung solcher Fahrzeuge wie dem des Klägers angeordnet hat, folgt nicht, dass der Mangel erheblich wäre. Eher kann daraus abgeleitet werden, dass er nicht so erheblich ist, dass die Typgenehmigung der betroffenen Fahrzeuge sofort zu widerrufen gewesen wäre. Gerade die Tatsache, dass das Kraftfahrt-Bundesamt der Volkswagen AG die Möglichkeit einräumt, den Mangel nachzubessern, folgt, dass die Durchführung dieser Nachbesserungsmaßnahme dem einzelnen Fahrzeugkäufer zumutbar ist.
Der Vortrag des Klägers hinsichtlich der Wertminderung seines Fahrzeugs und etwaigen Problemen nach Durchführung der Nachbesserungsmaßnahme, etwa hinsichtlich eines erhöhten Kraftstoffverbrauchs oder langfristig zu erwartenden Motorschäden, führt nicht zur Erheblichkeit des Mangels. Es ist derzeit unmöglich festzustellen, ob es nach Durchführung der geplanten Maßnahmen zu diesen Problemen bei dem klägerischen Pkw kommen wird. Dass auch bei einer erfolgreichen Nachbesserung durch die Beklagte ein Minderwert verbleibt, ist von der Klagepartei ins Blaue hinein behauptet und kann auch durch das angebotene Sachverständigengutachten nicht bewiesen werden. Durch ein Sachverständigengutachten sind keine Aussagen zu künftigen Marktverhältnissen in Bezug auf das klägerische Fahrzeug möglich, weshalb dieses Beweismittel als zu diesem Punkt ungeeignet zurückzuweisen ist. …
Hinweis: Die Berufung des Klägers hat das OLG Nürnberg mit Urteil 24.04.2018 – 6 U 409/17 – zurückgewiesen.