1. Ein Kraftfahrzeughersteller – hier: die Volkswagen AG – ist im Verhältnis zu seinen Vertragshändlern regelmäßig Dritter i. S. von § 123 II 1 BGB. Deshalb kann der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs seine auf den Abschluss des Kaufvertrages gerichtete und gegenüber einem VW-Vertragshändler abgegebene Willenserklärung allenfalls dann wirksam wegen einer angeblich vom Fahrzeughersteller verübten arglistigen Täuschung anfechten, wenn der Vertragshändler die – behauptete – Täuschung kannte oder kennen musste.
  2. Das Wissen der Volkswagen AG kann einem VW-Vertragshändler auch nicht aus Billigkeitsgründen in entsprechender Anwendung von § 166 BGB zugerechnet werden. Vielmehr gilt, dass der Vorlieferant des Verkäufers nicht dessen Gehilfe bei der Erfüllung der gegenüber dem Käufer bestehenden Verkäuferpflichten ist. Ebenso ist auch der Hersteller der Kaufsache nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache an seine Kunden verkauft. Deshalb haftet der Verkäufer auch nicht dafür, dass sein Lieferant ein mit Mängeln behaftetes Produkt in den Verkehr bringt und dies arglistig verschweigt.

LG Hechingen, Urteil vom 10.03.2017 – 1 O 165/16

Sachverhalt: Die Klägerin schloss mit der Beklagten, einer Vertragshändlerin der Volkswagen AG, am 23.04.2009 einen Kaufvertrag über einen Neuwagen. Der Pkw wurde der Klägerin am 14.08.2009 übergeben.

Ab September 2011 befand sich das Fahrzeug mehrfach in der Werkstatt, weil die Kontrollleuchte „Motorblock“ aufleuchtete. Die Klägerin versuchte anschließend ohne Erfolg, von der Fahrzeugherstellerin, der Volkswagen AG, die Reparaturkosten erstattet zu bekommen.

Mitte September 2015 berichteten die Medien, dass die Volkswagen AG Dieselmotoren in den Verkehr gebracht habe, die mit einer „manipulativen“ Software versehen seien. Diese Software erkennt, ob auf einem Prüfstand die Schadstoffemissionen des Fahrzeugs gemessen werden, und bewirkt in diesem Fall durch einen Eingriff in die Motorsteuerung, dass die einschlägigen Emissionsgrenzwerte eingehalten werden. Im regulären Straßenverkehr werden die betroffenen Fahrzeug dagegen so betrieben, dass der Stickoxidausstoß höher ist als auf dem Prüfstand. Gleichwohl verfügen die betroffenen Fahrzeuge über eine Euro-5-Zertifizierung.

Durch eine Anfrage bei der Fahrzeugherstellerin brachte die Klägerin in Erfahrung, dass ihr Pkw mit einem vom VW-Abgasskandal betroffenen EA189-Dieselmotor ausgestattet ist. Sie hat daraufhin mit Schriftsatz vom 19.07.2016 gegenüber der Beklagten ihre auf den Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung angefochten.

Die Klägerin behauptet, die Volkswagen AG habe auf ihrer Internetseite mitgeteilt, dass in Dieselmotoren des Typs EA189 eine Software zum Einsatz komme, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand optimiere. Damit – so meint die Klägerin – habe die Fahrzeugherstellerin eingeräumt, dass sie, die Klägerin, bei Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags arglistig über die tatsächlichen Schadstoffemissionen des streitgegenständlichen Pkw getäuscht worden sei. Sie – die Klägerin – sei deshalb gemäß § 123 BGB zur Anfechtung berechtigt gewesen, obwohl nicht die Beklagte selbst die Täuschung verübt habe. Denn als VW-Vertragshändlerin müsse sich die Beklagte das Verhalten der Volkswagen AG zurechnen lassen; die Volkswagen AG sei im Verhältnis zur Beklagten nicht „Dritter“ i. S. von § 123 II 1 BGB. Die Klägerin behauptet, sie sei erst durch die Täuschung der Volkswagen AG veranlasst worden, einen Kaufvertrag mit der Beklagten als VW-Vertragshändlerin zu schließen.

Darüber hinaus meint die Klägerin, das streitgegenständliche Fahrzeug sei wegen der in Rede stehenden Software mangelhaft. Diese Software stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 II 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dar. Deshalb sei die Betriebserlaubnis des streitgegenständlichen Pkw kraft Gesetzes (§ 19 II 2 Nr. 3 StVZO) erloschen. Auf die ihr in Aussicht gestellte Nachbesserung des Fahrzeugs – so meint die Klägerin weiter – müsse sie sich nicht einlassen. Es sei nämlich nicht erwiesen, dass der Pkw durch die bloße Installation eines Softwareupdates in einen vorschriftsmäßigen Zustand gebracht werden könne, ohne dass damit Nachteile wie insbesondere ein höherer Kraftstoffverbrauch und eine verminderte Motorleistung verbunden seien.

Die im Wesentlichen auf Zahlung von 22.355,90 € gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. Der Klägerin steht gegen die Beklagte weder ein Anspruch aus § 812 I 1 Fall 1 BGB zu (dazu 1), noch ergeben sich vertragliche (dazu 2) oder deliktische (dazu 3) Schadensersatzansprüche aus § 280 I BGB bzw. § 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB bzw. § 826 BGB.

1. Der Klägerin steht kein Anspruch gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung aus § 812 I 1 Fall 1 BGB zu. Der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag ist nicht gemäß § 142 I BGB wegen Anfechtung nach § 123 BGB nichtig; die erklärte Anfechtung geht mangels Anfechtungsrechts ins Leere.

a) Die Beklagte hat die Klägerin nicht arglistig getäuscht. Eine Täuschung durch die Beklagte selbst ist schon nicht vorgetragen, womit die Voraussetzungen des § 123 I BGB bereits nicht dargetan sind.

b) Eine Zurechnung des Fehlverhaltens der Herstellerin gemäß § 123 II BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Beklagte hat keine Kenntnis von der Täuschung gehabt oder haben müssen (dazu aa), die Herstellerin war im Verhältnis zur Beklagten aber „Dritte“ i. S. des § 123 II BGB (dazu bb).

aa) Es sind schon keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass der Beklagten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahre 2009 bekannt war oder sie es zumindest für möglich hielt, dass die Herstellerin des Fahrzeugs, die Volkswagen AG, eine manipulative Software in den Verkehr gebracht hat.

bb) Ebenso wenig ist die Volkswagen AG im Verhältnis zur Beklagten sogenannte „Nicht-Dritte“. Eine Zurechnung eines etwaigen arglistigen Verhaltens der Herstellerin, der Volkswagen AG, auf die Beklagte kommt deshalb nicht in Betracht (so auch OLG Celle, Beschl. v. 30.06.2016 – 7 W 26/16, juris Rn. 8).

(1) Offenbleiben kann an dieser Stelle, ob überhaupt die Voraussetzungen einer etwaigen Haftung der Herstellerin, der Volkswagen AG, nach § 31 BGB vorliegen. Die Klägerin hat bereits nicht dargetan, wer konzernintern für die Entwicklung und den Einsatz der fraglichen Software verantwortlich war und wer hiervon Kenntnis hatte.

(2) Die Ausführung der Klägerin, die Volkswagen AG sei im Verhältnis zur Beklagten gerade nicht als „Dritte“ i. S. des § 123 II 1 BGB anzusehen, da sie sich im Lager der Beklagten befände, ist unzutreffend.

Grundsätzlich ist „Dritter“ i. S. von § 123 II 1 BGB nur der am Geschäft Unbeteiligte, folglich derjenige, der unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dem Kreis des Erklärungsempfängers zuzurechnen ist (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl. [2017], § 123 Rn. 13). Dagegen ist im Zweifel derjenige, der im Lager des Erklärungsempfängers steht, nicht als Dritter anzusehen (vgl. MünchKomm-BGB/Armbrüster, 7. Aufl. [2015], § 123 Rn. 64).

Vorliegend kann jedoch bereits schon nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Herstellerin, die Volkwagen AG, im Lager der Beklagten befindet. Zwar vertreibt die Beklagte … Produkte der Volkwagen AG; dies ändert indessen nichts daran, dass die Beklagte eine rechtlich selbstständige Verkäuferin dieser Produkte, die sie nicht selbst hergestellt hat, ist. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die Corporate Identity, also auf die Tatsache, dass die Beklagte das Logo der Volkswagen AG für ihre Außenpräsentation verwendet und sich damit das Ansehen der Volkswagen AG in merkantiler Zielsetzung zu eigen macht, verweist, belegt dies nicht das vorgetragene „besonders enge Näheverhältnis“. Dass eine Vertragshändlerin wie die Beklagte vertraglich zum Bewerben der Produkte verpflichtet ist und sich dementsprechend auch der dem Kunden bekannten Aufmachung der Herstellerin bedient, entspricht der gängigen Praxis und vermag nichts daran zu ändern, dass die Beklagte lediglich eine rechtlich selbstständige Vertragshändlerin ist, deren Geschäftszweck sich zudem von dem der Herstellerin signifikant unterscheidet.

Etwas anderes, nämlich dass die Beklagte durch ihr Auftreten besonderes Vertrauen in Anspruch genommen haben könnte und sich damit das etwaige Wissen der Volkwagen AG zurechnen lassen müsste, käme allenfalls in Betracht, wenn es sich bei der Beklagten um eine hundertprozentige Konzerntochter der Volkwagen AG handelte (vgl. LG München I, Urt. v. 14.04.2016 – 23 O 23033/15). Dies ist … jedoch ersichtlich nicht der Fall und wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Auch ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass die Beklagte die Produkte der Volkwagen AG auf eigene Rechnung vertreibt, womit sich die tatsächliche Situation so darstellt, dass die Volkwagen AG am jeweiligen Vertragsschluss mit dem Endkunden gänzlich unbeteiligt ist.

Schließlich vermag auch nicht die Tatsache, dass sich Vertragshändler nach Bekanntwerden des „Abgasskandals“ im September 2015 mit der Herstellerin abstimmten und dergestalt an alle ihre Kunden herantraten, eine Zurechnung etwaigen betrügerischen Verhaltens der Herstellerin auf die Vertragshändler zu bewirken (vgl. LG Paderborn, Urt. v. 09.06.2016 – 3 O 23/16). Ein solches Interesse der Vertragshändler, im Rahmen einer einheitlichen Problembehandlung in Abstimmung mit der Herstellerin zu agieren, ist vielmehr vor dem Hintergrund, dass bundesweit mehr als zwei Millionen Fahrzeuge betroffen sind und Ansprechpartner in aller erster Linie die jeweiligen Händler sein werden, nachvollziehbar.

(3) Auch aus Billigkeitsgründen findet eine Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen Vertragshändler und Hersteller in entsprechender Anwendung von § 166 BGB nicht statt (vgl. zur Zurechnungsproblematik LG Bielefeld, Urt. v. 03.02.2010 – 3 O 222/09; spezieller LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15).

Vielmehr gilt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH der Vorlieferant des Verkäufers nicht dessen Gehilfe bei der Erfüllung der Verkäuferpflichten gegenüber dem Käufer ist; ebenso ist auch der Hersteller der Kaufsache nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache an seine Kunden verkauft (vgl. BGH, Urt. v. 02.04.2014 – VIII ZR 46/13 Rn. 31). Deshalb haftet der Verkäufer auch nicht dafür, dass sein Lieferant ein mit Mängeln behaftetes Produkt in den Verkehr bringt und dies arglistig verschweigt (vgl. LG Dortmund, Urt. v. 12.05.2016 – 25 O 6/16). Die Klägerin kann sich vorliegend mithin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sich die Beklagte insoweit das Verhalten der Volkswagen AG zurechnen lassen müsse.

2. Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch kein vertraglicher Schadenersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 I und III, 281 BGB zu.

Der von der Klägerin behauptete Schadensersatzanspruch scheitert schon am fehlenden Vertretenmüssen. Eigenes vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten der Beklagten i. S. des § 276 BGB hat die Klägerin nicht vorgebracht. Ein etwaiges Fehlverhalten der Herstellerin, der Volkswagen AG, ist der Beklagten weder über § 278 BGB noch über § 31 BGB zurechenbar.

Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei der Beklagten um eine rechtlich selbstständige Vertragshändlerin, die als solche lediglich Produkte der Volkswagen AG vertreibt. Die Klägerin muss sich demnach darauf verweisen lassen, dass ein Vertragshändler kein Handelsvertreter, sondern ein sonstiger Absatzmittler ist, für den der Geschäftsherr schon nicht nach § 31 BGB haftet (MünchKomm-BGB/Arnold, 7. Aufl. [2015], § 31 Rn. 22). Noch weniger haftet umgekehrt der Vertragshändler für ein etwaiges Verschulden des Herstellers, dessen Produkte er vertreibt. Ebenso wenig findet im Verhältnis zwischen Vertragshändler und Hersteller eine Wissenszurechnung in entsprechender Anwendung des § 166 BGB statt (vgl. LG Bielefeld, Urt. v. 03.02.2010 – 3 O 222/09; spezieller LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15). Vielmehr gilt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH der Vorlieferant des Verkäufers nicht dessen Gehilfe bei der Erfüllung der Verkäuferpflichten gegenüber dem Käufer ist. Ebenso ist auch der Hersteller der Kaufsache, vorliegend die Volkswagen AG, nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache an seine Kunden verkauft (vgl. BGH, Urt. v. 02.04.2014 – VIII ZR 46/13 Rn. 31). Deshalb haftet der Verkäufer auch nicht dafür, dass sein Lieferant ein mit Mängeln behaftetes Produkt in den Verkehr bringt und dies arglistig verschweigt (vgl. LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15; LG Dortmund, Urt. v. 12.05.2016 – 25 O 6/16).

3. Schließlich steht der Klägerin im Hinblick auf die Reparaturkosten auch kein deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB bzw. § 826 BGB gegen die Beklagte zu.

Dass der Klägerin überhaupt deliktische Schadensersatzansprüche zustehen, hat sie bereits nicht substanziiert dargelegt. Sie hat weder vorgetragen, noch ist sonst ersichtlich, dass die behaupteten Schäden an der Abgasrückführungsanlage und an dem Abgaskühler sowie das Aufblinken der entsprechenden Kontrollleuchte durch die streitgegenständliche Software verursacht worden wären, sodass es schon an der Kausalität der geltend gemachten Schäden mit der vorgeworfenen Handlung fehlt, ohne dass es auf die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen noch ankäme.

II. Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. …

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