Zur Frage des gutgläubigen Erwerbs von fabrikfremden Neuwagen durch die Niederlassung eines Kraftfahrzeugherstellers, wenn eine veräußernde Privatperson Fahrzeugbriefe ohne Haltereintragung vorlegt.
BGH, Urteil vom 30.10.1995 – II ZR 254/94
Sachverhalt: Die Klägerin handelt mit Neu- und Gebrauchtwagen. Im März 1992 schloss sie mit M einen schriftlichen Kaufvertrag über den gebrauchten Pkw (A) zum Preis von 30.000 DM. Der Fahrzeugbrief wurde M bei der Übergabe des Fahrzeugs ausgehändigt. Er wurde als Halter eingetragen. Ebenfalls im März 1992 verkaufte die Klägerin M zwei Neuwagen zum Kaufpreis von 44.000 DM (B) bzw. 38.000 DM (C). Die Fahrzeugbriefe beider Neufahrzeuge wurden M übergeben; er wurde aber nicht als Halter eingetragen. Die Zahlung des Kaufpreises für die Fahrzeuge an die Klägerin blieb aus.
M verkaufte Ende März/Anfang April 1992 die von der Klägerin erworbenen drei Fahrzeuge an die Beklagte und übergab sie ihr mit den zugehörigen Fahrzeugbriefen. Für den Gebrauchtwagen A zahlte die Beklagte an M einen Kaufpreis von 24.000 DM in bar. Die Neufahrzeuge B und C wurden der Beklagten von der M-GbR mit Rechnung vom 01.04.1992 mit Beträgen von 43.000 DM bzw. 28.000 DM berechnet. M erhielt auch diese Kaufpreise in bar ausgezahlt. Die Beklagte hatte sich durch Schreiben vom 01.04.1992 von der M-GbR bestätigen lassen, dass an den Neufahrzeugen B und C keine Rechte Dritter bestünden.
Mit der Klage hat die Klägerin von der Beklagten zunächst Herausgabe der drei Fahrzeuge verlangt. Während des Rechtsstreits hat die Beklagte den Gebrauchtwagen A zum Preis von 23.500 DM und das Neufahrzeug C zum Preis von 28.947 DM weiterverkauft. Die Klägerin hat daraufhin Schadensersatz für den Pkw A in Höhe von 30.000 DM und für den Pkw C in Höhe von 38.000 DM verlangt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Aus den Gründen: I. Das Oberlandesgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob – was die Beklagte bestritten hat – die Klägerin die Kraftfahrzeuge an M unter Eigentumsvorbehalt verkauft hat. In der Revisionsinstanz muss daher davon ausgegangen werden, dass M kein Eigentum an den Fahrzeugen erworben und darüber als Nichtberechtigter verfügt hat.
II. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Beklagte beim Ankauf der drei Fahrzeuge keine weiteren Nachforschungen über die Eigentumsverhältnisse an den Fahrzeugen anstellen musste, weil sich darunter zwei Neufahrzeuge befunden hätten, deren Fahrzeugbriefe üblicherweise keine Haltereintragungen enthielten. Es sei deshalb für die Gutgläubigkeit der Beklagten ausreichend gewesen, dass sie in den Fahrzeugbrief des dritten, als Gebrauchtwagen verkauften Fahrzeuges Einsicht genommen habe, in dem der Verkäufer als Halter eingetragen gewesen sei. Wenn sie sich als Erwerberin vom Verkäufer zusätzlich eine schriftliche Bestätigung über seine Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Neufahrzeuge habe aushändigen lassen, habe sie ihrer Erkundigungspflicht genügt.
Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsirrtum.
1. Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht die vom BGH allgemein entwickelten Voraussetzungen für den gutgläubigen Erwerb von Kraftfahrzeugen und die dabei vom Erwerber zu beobachtende Sorgfaltspflicht am Maßstab der groben Fahrlässigkeit (§ 932 II BGB) umschrieben (BGH, Urt. v. 11.05.1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14 [16]; Urt. v. 05.02.1975 – VIII ZR 151/73, NJW 1975, 735 [736]; Urt. v. 01.07.1987 – VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456; Senat, Urt. v. 11.03.1991 – II ZR 88/90, NJW 1991, 1415 [1417]; Urt. v. 13.04.1994 – II ZR 196/93, NJW 1994, 2022 [2023]). Bei der Anwendung dieses Sorgfaltsmaßstabes auf den hier zu beurteilenden Erwerb von zwei Neufahrzeugen und einem Gebrauchtwagen sind dem Berufungsgericht jedoch revisibele Rechtsfehler unterlaufen.
a) Rechtsfehlerhaft ist zunächst die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Beklagte habe beim Ankauf der zwei Neufahrzeuge B und C keinen Anlass zur weiteren Überprüfung der Rechtsstellung des Veräußerers M gehabt, weil er, wie im Neuwagengeschäft üblich, Fahrzeugbriefe vorgelegt habe, in die die Halter noch nicht eingetragen waren. Die Begründung des Berufungsgerichts, die Rechtsprechung habe eine Nachprüfungspflicht nur in Fällen des Verkaufs von gebrauchten Kraftfahrzeugen durch Privatpersonen angenommen, in den der Veräußerer zwar im Besitz des Kraftfahrzeugbriefs, aber selbst nicht als Halter eingetragen gewesen sei, wird der vorliegenden Fallgestaltung nicht gerecht.
Zwar entspricht es der für den Gutglaubensschutz beim Handel mit Gebrauchtwagen entwickelten Rechtsprechung, dass der Besitz des Kraftfahrzeugs samt dem Fahrzeugschein und dem Fahrzeugbrief den Rechtsschein der Verfügungsmacht über einen gebrauchten Kraftwagen begründet und dass nur das Unterlassen der Einsicht in den Fahrzeugbrief in der Regel einen gutgläubigen Erwerb beim Käufer eines Gebrauchtwagens ausschließt (BGH, Urt. v. 05.02.1975 – VIII ZR 151/73, NJW 1975, 735 [736]; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 5. Aufl., Rn. 1491).
b) Daraus darf indessen nicht der Schluss gezogen werden, dass beim Kauf von Neuwagen der Eintragung des Halters im Fahrzeugbrief nur untergeordnete Bedeutung zukomme. Im Streitfall ging es darum, dass beim Kauf von zwei Neuwagen Fahrzeugbriefe ohne Haltereintragung vorgelegt wurden. Das mag beim Neuwagenkauf von einem autorisierten und zuverlässigen Vertragshändler mangels sonstiger Auffälligkeiten nicht zu beanstanden sein. Das kann aber auf einen Autokauf aus Privathand nicht ohne Weiteres übertragen werden. Weder M noch die M-GbR waren Vertragshändler, sodass unter den gegebenen Umständen die fehlende Eintragung des Halters im Fahrzeugbrief entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht als üblich bezeichnet werden kann. Ungewöhnlich war hier auch, dass eine Privatperson, die offenbar mit der Beklagten nicht in ständiger Geschäftsbeziehung stand, innerhalb kurzer Zeit insgesamt drei Kraftwagen veräußerte, ohne ihrerseits – jedenfalls ist das nicht festgestellt – ein Fahrzeug zu erwerben. Zudem handelt es sich bei zwei Fahrzeugen für die Beklagte um Fabrikate anderer Autohersteller. Für die Frage des guten Glaubens i. S. des § 932 BGB ist auf das Gesamtbild der in zeitlichem Zusammenhang erfolgten Verkäufe abzustellen.
2. Waren bereits diese Umstände geeignet, Zweifel an dem Eigentum Ms an den Neuwagen zu erwecken, so musste die das Gesamtbild ebenfalls beeinflussende Preisgestaltung bei zwei von drei Wagen die Verdachtsmomente noch verstärken. Beim Neufahrzeug C lag der von der Beklagten gezahlte Preis von 28.000 DM mit 26,31 % unter dem von der Klägerin angegebenen Mindestverkehrswert von 38.000 DM. Bei dem zusammen mit den beiden Neufahrzeugen von der Beklagten angekauften Gebrauchtfahrzeug A hat der Verkäufer M der Beklagten zwar den Fahrzeugbrief vorgelegt, in dem er auch als Halter eingetragen war. Aber auch die Umstände bei diesem Erwerb hätten bei der Beklagten Verdacht erregen müssen, weil der Kauf aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs Teil eines Gesamtvorgangs war und auch hier der von der Beklagten gezahlte Kaufpreis mit 24.000 DM 20 % unter dem von der Klägerin behaupteten üblichen Marktpreis lag.
Auch dieses festgestellte auffällige Missverhältnis zwischen dem beim Ankauf an M gezahlten Preis und dem üblichen „marktgerechten“ Preis bei den zwei Fahrzeugen hätte Anlass geben müssen, Nachforschungen nach dem Voreigentümer der Neufahrzeuge anzustellen. Dies hätte zum Beispiel bei den Neuwagen anhand der Fahrgestellnummer durch Nachfrage beim Hersteller erfolgen können.
3. Ein sich auch aus beiden Umständen aufdrängender Verdacht, der Verkäufer M könnte nicht Eigentümer der Neufahrzeuge sein, war auch nicht dadurch zu entkräften, dass sich die Beklagte die Erklärung vom 01.04.1992 übermitteln ließ, in der bestätigt wurde, an den beiden Neufahrzeugen bestünden keine Rechte Dritter. Die von der M-GbR abgegebene Erklärung lässt den vom Oberlandesgericht nicht näher aufgeklärten Widerspruch zwischen der Tatsache offen, dass der Verkauf der Neufahrzeuge durch M als Privatperson erfolgte, während die Erklärung durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts abgegeben wurde, die als Handelsagentur für Industriegüter und Kommunikationswesen nicht mit dem Handel von Kraftfahrzeugen befasst war. Die Erklärung ist auch nach ihrem Inhalt nicht geeignet, einem sich auf den guten Glauben berufenden Erwerber sichere Anhaltspunkte über die Herkunft der fabrikneuen Fahrzeuge und über die Verfügungsbefugnis oder das Eigentum des Verkäufers zu geben.
Zweifel hätten umso mehr auftreten müssen, als die Beklagte den Kaufpreis für die Neufahrzeuge und das dritte hochwertige Gebrauchtfahrzeug A in Höhe von insgesamt 95.000 DM nicht einmal an die M-GbR gezahlt hat. Diese hat zwar der Beklagten für den Verkauf der beiden Neufahrzeuge und ein weiteres – nicht in diesem Rechtsstreit befangenes – Gebrauchtfahrzeug unter dem 01.04.1992 eine Rechnung erteilt. Den hohen Kaufpreis hat die Beklagte, ein eingeführtes Unternehmen der Automobilbranche, dem Verkäufer M dagegen in bar ausgehändigt, was ebenso ungewöhnlich ist.
III. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist zu erneuter tatrichterlicher Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die Parteien erhalten dadurch Gelegenheit, sich zur Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts und zu den Anforderungen an die Erkundigungspflicht auch hinsichtlich der zwei Neufahrzeuge sowie zu den auffällig günstigen Kaufpreisen zu äußern und gegebenenfalls hierzu ergänzend vorzutragen.