- Beim Kauf eines Gebrauchtwagens ist die Übergabe und Prüfung des Fahrzeugbriefs nur eine Mindestanforderung für einen gutgläubigen Erwerb des Eigentums. Sind Umstände vorhanden, die einen Verdacht des Käufers erregen müssen, so ist der Käufer verpflichtet, sich beim letzten im Fahrzeugbrief eingetragenen Halter des Fahrzeugs über die Eigentumsverhältnisse und die Verfügungsbefugnis des Verkäufers zu vergewissern. Solche Umstände liegen immer vor, wenn ein Gebrauchtwagen auf der Straße verkauft wird und der Verkäufer nicht der letzte im Fahrzeugbrief eingetragene Halter ist.
- Der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis eines Kaufmanns (vgl. § 366 I HGB) kann auch dann gerechtfertigt sein, wenn ein guter Glaube an sein Eigentum durch grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen wäre.
BGH, Urteil vom 05.02.1975 – VIII ZR 151/73
Sachverhalt: Die H-GmbH, die 1971 mit dem Geschäftszweck der Abwicklung von Umschuldungsverträgen gegründet worden war, kaufte ab August 1971 gebrauchte Kraftfahrzeuge an, um sich flüssige Mittel zu verschaffen. Die Fahrzeuge bezahlte sie mit ungedeckten Schecks und später nicht eingelösten Wechseln und verkaufte sie sofort erheblich unter dem Zeitwert an Dritte weiter. Die für diese Geschäftspraktiken bei der H-GmbH verantwortlichen Personen sind unter anderem wegen Betruges verurteilt worden.
Am 13.09.1971 hatte der Streithelfer der Beklagten, der Kaufmann K, erstmals einen Gebrauchtwagen zu einem sehr niedrigen Preis von der H-GmbH erworben. Er kaufte bis zum Eingreifen der Polizei am 26.09.1971 insgesamt zehn gebrauchte Fahrzeuge auf diese Weise.
Am 16.09.1971 verkaufte der Kläger seinen Opel GT 1900 (Baujahr 1969) unter Eigentumsvorbehalt an die H-GmbH zum Preis von 8.200 DM. Er erhielt hierfür 2.000 DM in bar und über den Kaufpreisrest von 6.200 DM einen am 01.10.1971 fälligen Wechsel, der nicht eingelöst wurde. Der Kläger übergab der H-GmbH mit dem Fahrzeug auch den Kraftfahrzeugbrief, weil die Käuferin ihn um kurzfristige Überlassung des Briefs zwecks Umschreibung des Fahrzeugs gebeten hatte. Der Wagen des Klägers kostete damals neu ab Werk 11.000 DM und hatte nach den im Gebrauchtwagenhandel verwendeten Listen einen Zeitwert von etwa 7.500 DM.
Noch am gleichen Tag, am 16.09.1971, verkaufte die H-GmbH das Fahrzeug für 5.100 DM gegen Barzahlung an K. K, der den Wagen zusammen mit anderen von ihm zum Kauf angebotenen Fahrzeugen auf der Straße vor seiner Wohnung abgestellt hatte, verkaufte das Fahrzeug am 22.09.1971 zum Preis von 6.800 DM gegen Barzahlung an den Beklagten zu 2 weiter. Im Fahrzeugbrief war stets der Kläger als Halter eingetragen. Erst in der Folgezeit wurde der Fahrzeugbrief auf den Beklagten zu 1, den Vater des Beklagten zu 2, als Halter umgeschrieben.
Der Kläger hat von den beiden Beklagten als Gesamtschuldner die Herausgabe seines Fahrzeugs nebst dem Fahrzeugschein und vom Beklagten zu 1 die Herausgabe des Fahrzeugbriefs verlangt. K ist nach Streitverkündung durch die Beklagten dem Rechtsstreit auf deren Seite als Streithelfer beigetreten.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision des Streithelfers der Beklagten (K), der die Abweisung der Klage erreichen wollte, hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht hat einen gutgläubigen Eigentumserwerb des Streithelfers der Beklagten bei seinem Kauf des Kraftwagens am 16.09.1971 von der H-GmbH verneint, weil K als Händler angesichts des Kaufpreises des auf einen Dritten, nämlich den Kläger, zugelassenen Wagens, der erheblich unter dem im Gebrauchtwagenhandel listenmäßig erfassten Zeitwert lag, infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist, dass das Fahrzeug nicht der Veräußererin gehörte (§ 932 II BGB).
a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision hiergegen mit dem Hinweis, der Kauf eines gebrauchten Kraftwagens sei ein Risikogeschäft, weil manche wertmindernden Umstände nicht erkennbar seien. Außerdem sei das Fahrzeug des Klägers zwischen dem 16.09. und 22.09.1971 dreimal verkauft worden, woraus sich bereits erhebliche Zweifel an dem wirklichen Wert des Wagens ergäben, den das Berufungsgericht überdies nicht festgestellt habe.
Aus dem Umstand des mehrfachen Verkaufs des Fahrzeugs des Klägers innerhalb weniger Tage kann abweichend von der Meinung der Revision nichts über den Wert des Wagens hergeleitet werden; denn aufseiten der H-GmbH war der sofortige Weiterverkauf deswegen geplant und notwendig, um möglichst umgehend Geld für den Wagen zu beschaffen. Dass das Berufungsgericht keine Feststellung über den wirklichen Wert des Fahrzeugs des Klägers getroffen hat, ist nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht konnte seine Sachverhaltswürdigung, der Streithelfer der Beklagten habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders gravierender Weise deshalb außer Acht gelassen, weil er die erhebliche Differenz zwischen dem listenmäßigen Zeitwert des Wagens und dem Verkaufspreis nicht zum Anlass weiterer Aufklärungsversuche genommen habe, schon unter Berücksichtigung des bekannten damaligen Neupreises solcher Fahrzeuge treffen. Von keiner Seite ist irgendein Umstand vorgetragen worden, der Anlass für eine erheblich geringere Ansetzung des Zeitwerts des Fahrzeugs gegeben hätte, als er der im Gebrauchtwagenhandel geführten Liste damals entsprach.
b) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Besitz des Kraftfahrzeugs samt dem Kraftfahrzeugschein und dem Kraftfahrzeugbrief den Rechtsschein der Verfügungsmacht über einen gebrauchten Kraftwagen gibt und dass das Unterlassen der Einsicht in den Kraftfahrzeugbrief in der Regel einen gutgläubigen Erwerb beim Käufer eines Gebrauchtwagens ausschließt (Senat, Urt. v. 02.12.1958 – VIII ZR 212/57, LM § 932 BGB Nr. 12 = WM 1959, 138; Urt. v. 27.01.1965 – VIII ZR 62/63, NJW 1965, 687; Urt. v. 20.02.1967 – III ZR 134/65, BGHZ 47, 207 = NJW 1967, 1022 [1024]). Der Kraftfahrzeugbrief bezweckt nämlich nach dem Gesetz die Sicherung des Eigentums oder anderer Rechte am Fahrzeug (§ 25 IV 2 StVZO), wenn er auch kein Wertpapier, insbesondere kein Traditionspapier ist (Senat, Urt. v. 21.01.1970 – VIII ZR 145/68, NJW 1970, 653 = WM 1970, 251). Anhand der Eintragungen im Kraftfahrzeugbrief ist die Möglichkeit gegeben, bei dem eingetragenen Berechtigten die Übereignungsbefugnis des Fahrzeugbesitzers nachzuprüfen, zumal ein Erfahrungssatz besteht, dass Händler gebrauchte Kraftfahrzeuge häufig nicht zu Eigentum, sondern nur kommissionsweise zum Verkauf erhalten (Senat, Urt. v. 09.10.1963 – VIII ZR 210/62, WM 1963, 1186 = BB 1963, 1278).
Wenn das Berufungsgericht hier für den Streithelfer der Beklagten aufgrund des besonders niedrigen Kaufpreises und des Umstandes, dass er bereits drei Tage vor dem Ankauf des hier streitigen Fahrzeugs von der Verkäuferin unter ähnlichen Umständen ein Kraftfahrzeug gekauft hatte, das Unterlassen einer Nachprüfung bei dem im Brief als Halter eingetragenen Kläger als grobe Fahrlässigkeit angesehen und deshalb einen gutgläubigen Eigentumserwerb ausgeschlossen hat, ist diese auf tatrichterlichem Gebiet liegende Würdigung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
c) Soweit sich die Revision auf die Entscheidung des OLG Saarbrücken (Urt. v. 06.09.1967 – 1 U 185/64, NJW 1968, 1936) beruft, dass sich beim Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs der Käufer stets auf den durch den Besitz des Kraftfahrzeugbriefs geschaffenen Rechtsschein verlassen dürfe, ohne grob fahrlässig zu handeln, kann dem nicht gefolgt werden. Gerade zum Zwecke der Umschreibung eines Fahrzeugs (§ 27 StVZO) wird es vielfach notwendig sein, dass der Eigentümer eines unter Eigentumsvorbehalt verkauften Kraftwagens den in seinem Besitz befindlichen Kraftfahrzeugbrief aus der Hand gibt. Es geht nicht an, grundsätzlich den Schluss zu ziehen, der Eigentümer habe damit zum Entstehen einer Sachlage beigetragen, die sein Eigentum nicht mehr ohne Weiteres erkennbar werden lasse, und deshalb bei Vorlage des Kraftfahrzeugbriefes den Eigentumserwerb nach § 932 BGB stets eintreten zu lassen. Dem Streithelfer der Beklagten, der sich nach der Feststellung des Berufungsgerichts zu den Kraftfahrzeughändlern zählt, war es vielmehr nach den sonstigen Umständen des Falles zuzumuten, durch eine Rückfrage bei dem im Kraftfahrzeugbrief eingetragenen Kläger sich über die Eigentumsverhältnisse und die Verfügungsbefugnis der Verkäuferin des Wagens zu vergewissern (RG, Urt. v. 28.11.1933 – VII 187/33, RGZ 143, 14 [18]). Wäre das geschehen, so wäre dem Streithelfer der Beklagten der Eigentumsvorbehalt des Klägers gegenüber der H-GmbH nicht verborgen geblieben. Das vom Berufungsgericht festgestellte grob fahrlässige Verhalten des Streithelfers der Beklagten als Kfz-Händler schließt seinen Eigentumserwerb sowohl nach § 932 BGB, als auch nach § 366 HGB in gleicher Weise aus.
II. Soweit das Berufungsgericht auch einen gutgläubigen Eigentumserwerb des Beklagten zu 2 verneint hat, ist ihm im Ergebnis beizutreten.
a) Das Berufungsgericht hat den Streithelfer der Beklagten entsprechend seinem Vortrag als Kraftfahrzeughändler angesehen, der ein Grundhandelsgewerbe (§ 1 II Nr. 1 HGB) ausübt. Es ist eine gerichtsbekannte Erfahrungstatsache, dass Kraftfahrzeughändler gebrauchte Fahrzeuge oftmals nur kommissionsweise zum Verkauf erhalten (vgl. Senat, Urt. v. 09.10.1963 – VIII ZR 210/62, WM 1963, 1186 = BB 1963, 1278). Wer bei einem Händler im Rahmen von dessen Geschäftsbetrieb eine Ware kauft, geht im Zweifel mindestens von dessen Verfügungsbefugnis über den von ihm zum Verkauf angebotenen Gegenstand aus, was die Beklagten hier geltend gemacht haben (vgl. dazu Senat, Urt. v. 10.03.1959 – VIII ZR 46/58, LM § 366 HGB Nr. 9 = WM 1959, 533 [534]; Urt. v. 28.09.1964 – VIII ZR 13/63, WM 1964, 1193 [1194]; Urt. v. 27.01.1965 – VIII ZR 62/63, NJW 1965, 687; Mormann, WM 1966, 2 [5]). Die Prüfung, ob es infolge grober Fahrlässigkeit eines Käufers am guten Glauben beim Erwerb einer beweglichen Sache gefehlt hat, kann bei Anwendung von § 932 BGB oder § 366 HGB zu verschiedenen Ergebnissen führen; denn der gute Glaube in die Verfügungsbefugnis eines Kaufmanns kann gerechtfertigt sein, selbst wenn ein guter Glaube an sein Eigentum durch grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen wäre (Senat, Urt. v. 10.03.1959 – VIII ZR 46/58, LM § 366 HGB Nr. 9 = WM 1959, 533 [534]). Daher kann die Frage eines gutgläubigen Eigentumserwerbs nach § 932 BGB dahingestellt bleiben, wenn der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis eines Kaufmanns, der eine bewegliche Sache im Betrieb seines Handelsgewerbes veräußert hat, zu bejahen ist.
b) Das Berufungsgericht hat, ausgehend davon, dass der Beklagte zu 2 den Kaufmann K für den Eigentümer des Wagens gehalten hat, die Frage eines Eigentumserwerbs infolge guten Glaubens des Beklagten zu 2 an die Verfügungsbefugnis Ks (§ 366 HGB) unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 23.05.1966 – VIII ZR 60/64, LM § 932 BGB Nr. 21 = WM 1966, 678 = MDR 1966, 754, nicht geprüft. Es hat hierbei die Tragweite jener Entscheidung verkannt. Die damalige Klage richtete sich gegen einen Händler, dem trotz Vorlage des (gefälschten) Kraftfahrzeugbriefs Zweifel an dem Eigentum des Veräußerers kommen mussten, deren Übergehen einen gutgläubigen Erwerb sowohl nach § 932 II BGB als auch nach § 366 HGB ausschloss. Die Beklagten sind keine Händler. Sie haben sich im Berufungsverfahren ausdrücklich auf den guten Glauben des Beklagten zu 2 an die Verfügungsbefugnis des Streithelfers berufen. Bei dieser Sachlage hat das Berufungsgericht zu Unrecht die Prüfung eines Eigentumserwerbs des Beklagten zu 2 nach § 366 HGB unterlassen.
c) Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine allgemeine Nachforschungspflicht bei Dritten als Voraussetzung für einen gutgläubigen Eigentumserwerb nicht besteht (Senat, Urt. v. 22.06.1966 – VIII ZR 141/64, NJW 1966, 1959 [1960]). Das Berufungsgericht hat auch festgestellt, dass dem Beklagten zu 2 wegen des von ihm geforderten und bezahlten Kaufpreises, der in keinem auffallenden Missverhältnis zum Zeitwert des Kraftwagens stand, keine Nachforschungspflicht erwachsen ist. Es hat in Übereinstimmung mit dem Senatsurteil vom 23.05.1966 (VIII ZR 60/64, LM § 932 BGB Nr. 21 = WM 1966, 678 = MDR 1966, 754) die Übergabe und Prüfung des Kraftfahrzeugbriefs als Mindestanforderung für einen gutgläubigen Erwerb gewertet. Durch sie wird aber eine einen solchen Erwerb verhindernde grobe Fahrlässigkeit dann nicht ausgeschlossen, wenn besondere Umstände, die einen Verdacht beim Käufer erregen müssen, außer Acht gelassen werden. Das Berufungsgericht hat angenommen, es bestehe unter allen Umständen dann eine Erkundigungspflicht für den Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, wenn der Veräußerer nicht mit dem letzten im Kraftfahrzeugbrief eingetragenen Halter identisch ist. Ob dem stets beizutreten ist, wenn ein gebrauchtes Kraftfahrzeug von einem Händler im Rahmen von dessen Geschäftsbetrieb erworben wird und dabei der Kraftfahrzeugbrief samt allen sonstigen Unterlagen dem Käufer übergeben werden und sonstige Umstände, die einen Verdacht des Käufers hervorrufen müssen, nicht vorliegen, erscheint angesichts der häufigen kommissionsweisen Einschaltung von Händlern beim Gebrauchtwagenverkauf nicht unzweifelhaft, braucht aber hier nicht abschließend entschieden zu werden; denn bei der Bewertung der Umstände, die für den Käufer eines gebrauchten Kraftwagens eine Nachforschungspflicht begründen, wenn er das Fahrzeug von einem Händler kauft und in dem ihm vorgelegten Kraftfahrzeugbrief ein anderer als Halter eingetragen ist, ist ein strenger Maßstab anzuwenden.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Streithelfer der Beklagten das von ihm zum Verkauf angebotene Fahrzeug auf der Straße vor seinem Haus abgestellt hatte. Dieser Umstand musste in Verbindung mit der Tatsache, dass in dem Kraftfahrzeugbrief nicht der Verkäufer, sondern ein Dritter als Halter des Fahrzeugs eingetragen war, dem Beklagten zu 2 Anlass zu einer Nachforschung nach der Verfügungsbefugnis des Verkäufers geben. Dass er eine solche Nachforschung unterlassen hat, ist ihm als grobe Fahrlässigkeit anzulasten, die seinen Eigentumserwerb sowohl nach § 366 HGB als auch nach § 932 BGB ausschließt; denn auch dem Beklagten zu 2 musste bekannt sein, dass beim Verkauf von Gebrauchtwagen, vor allem wenn er auf der Straße vorgenommen wird, mit unlauteren Machenschaften gerechnet werden muss. Hätte der Beklagte zu 2 bei dem damals noch im Brief als Halter des Fahrzeugs eingetragenen Kläger nachgefragt, dann wäre ihm dessen Eigentumsvorbehalt und die fehlende Verfügungsbefugnis des Verkäufers über das Fahrzeug nicht verborgen geblieben. Bei dieser Sachlage haben die Tatsacheninstanzen zu Recht der Eigentumsherausgabeklage stattgegeben.
III. Da das vom Streithelfer ohne Beteiligung der von ihm unterstützten Partei eingelegte Rechtsmittel erfolglos geblieben ist, hat er die Kosten des Revisionsverfahrens nach § 97 ZPO zu tragen …