- Es gehört regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II (früher: Kraftfahrzeugbrief) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und wird ihm eine gefälschte Bescheinigung vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten (im Anschluss an BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, NJW 2013, 1946 Rn. 13 f.; ebenso BGH, Urt. v. 23.09.2022 – V ZR 148/21, juris Rn. 16).
- Der Verkauf eines gebrauchten Fahrzeugs „auf der Straße“ gebietet für den Käufer besondere Vorsicht, weil er – für den Käufer erkennbar – erfahrungsgemäß das Risiko der Entdeckung eines gestohlenen Fahrzeugs mindert. Ein Straßenverkauf führt aber als solcher noch nicht zu weitergehenden Nachforschungspflichten des Käufers, wenn er sich für ihn als nicht weiter auffällig darstellt (im Anschluss an BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, NJW 2013, 1946 Rn. 15 m. w. Nachw.).
- Die Darlegungs- und Beweislast für den fehlenden guten Glauben des Erwerbers trägt derjenige, der den Eigentumserwerb bestreitet. Der Gesetzgeber hat die fehlende Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Deshalb muss derjenige, der sich auf einen gutgläubigen Erwerb beruft, die Erwerbsvoraussetzungen des § 929 BGB beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit (im Anschluss an BGH, Urt. v. 23.09.2022 – V ZR 148/21, juris Rn. 14).
OLG Oldenburg, Urteil vom 27.03.2023 – 9 U 52/22
Sachverhalt: Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Herausgabe eines Pkw Lamborghini.
Dieses Fahrzeug stand im Eigentum des in Spanien lebenden Klägers, der es an die ebenfalls in Spanien ansässige Firma F vermietete. Die Firma F vermietet gewerblich Sportwagen und vermietete den Lamborghini ihrerseits im Juli 2019 an den ebenfalls in Spanien lebenden M. Dieser gab den Pkw nach Ende der einwöchigen Mietzeit nicht zurück. Das Fahrzeug wurde daraufhin von der spanischen Polizei zur europäischen Sachfahndung ausgeschrieben. Es erhielt dennoch am 01.08.2019 von der Zulassungsstelle des Kreises K. in Deutschland eine 30-Tage-Zulassung.
Der Lamborghini wurde anschließend auf der Internetplattform „mobile.de“ zum Kauf angeboten. Auf das entsprechende Inserat hin trat der Beklagte in Kontakt zu den Brüdern B, die vorgaben, das Fahrzeug im Auftrag des M zum Kauf anzubieten. Nach einer Besichtigung des Pkw am 13.08.2019 auf dem Parkplatz einer Spielothek in Wiesbaden wollte der Beklagte das Fahrzeug erwerben und seinen Pkw in Zahlung geben. Die Brüder B gaben an, der Lamborghini werde erst noch für eine Hochzeitsfahrt eines Freundes benötigt.
Man vereinbarte zunächst, die Fahrzeuge – den Lamborghini und den in Zahlung zu gebenden Pkw – am 15.08.2019 am Wohnort des im Emsland ansässigen Beklagten zu übergeben. Später baten die Brüder B darum, dass man sich gegen Mittag desselben Tages „in der Mitte“ auf dem Gelände einer Tankstelle in Essen treffe. Sodann teilten die Brüder B dem Beklagten mit, sie seien erst gegen 19 Uhr am Treffpunkt. Als der Beklagte an der Tankstelle in Essen eintraf, waren die Brüder B noch nicht dort. Sie begründeten ihre Verspätung im Laufe des Abends erst damit, dass sie in einem Stau ständen; später gaben sie an, in eine Polizeikontrolle geraten zu sein. Dort sei es zu Verzögerungen gekommen, weil noch „eine Rechnung beim Amt“ offengewesen sei. Letztendlich trafen die Brüder B gegen 23 Uhr an der Tankstelle in Essen ein.
Der Beklagte und die Brüder B unternahmen sodann Probefahrten mit beiden beteiligten Fahrzeugen, bevor sie um 1 Uhr des Folgetags in einem Burger-King-Restaurant in Essen den Kaufvertrag unterschrieben. Der Beklagte gab seinen Pkw zum Preis von 60.000 € in Zahlung und übergab den Brüdern B überdies 70.000 € in bar. Im Gegenzug erhielt er den streitgegenständlichen Lamborghini nebst der deutschen Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II vom 01.08.2019 sowie einem Prüfbericht vom 01.08.2029. Dem Beklagten wurden zudem zwei Schlüssel übergeben, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob es sich bei dem zweiten Schlüssel um einen Original- beziehungsweise Nachschlüssel des Herstellers oder einen von Dritten angefertigten Schlüssel handelte. Unstreitig funktionierte einer der übergebenen Schlüssel nicht als Funkfernbedienung.
In der dem Beklagten übergebenen Zulassungsbescheinigung Teil II war „M“ unter der Adresse „O.“ eingetragen. In der Zulassungsbescheinigung Teil I ist zum Code C.1.1 („ Name oder Firmenname“) „M Empfangsbevollmächtigter“ und zum Code C.1.2 („Vorname[n])“ „G“, ein Gebrauchtwagenhandel mit Sitz in X., eingetragen. Im Kaufvertrag vom 16.08.2019 wird als Verkäufer „M, O.“ genannt. In der Kopie der Vorderseite eines Personalausweises, die dem Beklagten im Zuge der Vertragsverhandlungen überreicht wurde, ist Herr „M“ eingetragen.
Eine Anmeldung des Lamborghini auf den Namen des Beklagten scheiterte wegen der laufenden Fahndung. Das Fahrzeug wurde am 03.06.2020 im Rahmen einer polizeilichen Hausdurchsuchung bei einem Verwandten des Beklagten sichergestellt und später an diesen als letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben. Aktuell ist das Fahrzeug im Besitz des Beklagten.
Das Landgericht hat die Herausgabeklage abgewiesen. Der Beklagte habe gutgläubig Eigentum an dem – nicht abhandengekommenen – Lamborghini erworben (§ 929 Satz 1, § 932 I 1, II BGB. Ihm sei weder bekannt gewesen, dass der im Kaufvertrag genannte Veräußerer des Pkw nicht dessen Eigentümer gewesen sei, noch sei dem Beklagten insoweit grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Die vorliegenden Umstände hätten für den Beklagten weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau hinreichenden Anlass geboten, an der Eigentümerstellung des M zu zweifeln und weitere Nachforschungen anzustellen. Ihm sei die Original-Zulassungsbescheinigung (Teil I und Teil II) vorgelegt worden, und weder deren Teil I noch deren Teil II weise gravierende Fehler auf. Auch die sonstigen Umstände des Verkaufs seien nicht geeignet gewesen, Zweifel an der Verfügungsbefugnis des Veräußerers zu begründen.
Gegen das Urteil wandte sich der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Er ist der Auffassung, die vorliegenden Umstände hätten dem Beklagten hinreichend Anlass gegeben, daran zu zweifeln, dass M Eigentümer des Lamborghini sei. Der Kläger behauptet zudem, dem Beklagten sei nur ein Originalschlüssel übergeben worden; der zweite Schlüssel befinde sich noch in seinem – des Klägers – Besitz. Gegebenenfalls sei erkennbar gewesen, dass die dem Beklagten übergebene Zulassungsbescheinigung gefälscht sei.
Der Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und die angefochtene Entscheidung unter Vertiefung seines Vortrags zu einem gutgläubigen Erwerb des Eigentums an dem streitgegenständlichen Fahrzeug verteidigt. Er behauptet, ihm seien zwei Schlüssel übergeben worden, und er sei davon ausgegangen, dass es sich dabei um Originalschlüssel handele.
Die Berufung hatte Erfolg.
Aus den Gründen: II. 1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben. Für die Klage sind die deutschen Gerichte nach Art. 4 I der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012 L 351,1; nachfolgend: EuGVVO) zuständig, weil der Beklagte seinen Wohnsitz in Deutschland hat.
2. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
a) Die Frage, ob der Beklagte das Eigentum an dem Fahrzeug erworben hat, beurteilt sich gemäß Art. 43 I EGBGB nach deutschem Recht als der maßgeblichen lex rei sitae (§ 929 Satz 1, § 932 I 1, II BGB). In dem für die Vollendung des Eigentumserwerbs des Beklagten durch Einigung und Übergabe maßgeblichen Zeitpunkt befand sich das Fahrzeug in Deutschland.
b) Der Kläger kann von dem Beklagten gemäß § 985 BGB die Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen.
Nach den erstinstanzlichen Feststellungen, die dem Berufungsverfahren gemäß § 529 I ZPO zugrunde zu legen sind, war der Kläger Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Soweit der Beklagte nunmehr die „Legitimation“ des Klägers bestreitet, bleibt bereits offen, ob er damit die frühere Eigentümerstellung des Klägers bestreiten oder aber behaupten will, das Eigentum sei infolge einer Schadensregulierung durch eine Versicherung auf diese übergegangen. Im Übrigen wäre der Vortrag selbst für den Fall, dass man ihn als hinreichend konkret erachten wollte, im Berufungsverfahren nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund i. S. des § 531 II ZPO nicht dargelegt ist.
Der Kläger hat sein Eigentum durch das streitgegenständliche Rechtsgeschäft nicht an den Beklagten verloren. Zwar hat am 16.08.2019 zwischen den – als Vertreter des M auftretenden – Brüdern B und dem Beklagten eine dingliche Einigung und Übergabe i. S. von § 929 Satz 1 BGB stattgefunden. Weil das Fahrzeug weder dem M noch den Brüdern B gehörte und diese nicht verfügungsbefugt waren, handelten sie als Nichtberechtigte.
Gemäß § 932 I 1 BGB wird der Erwerber durch eine durch Einigung und Übergabe des unmittelbaren Besitzes erfolgte Veräußerung auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zum Zeitpunkt der Eigentumsübertragung nicht in gutem Glauben war. Nach § 932 II BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.
Dass der Beklagte nicht in gutem Glauben war, muss der Kläger beweisen. Der Gesetzgeber hat die fehlende Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Derjenige, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Erwerbsvoraussetzungen beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit (BGH, Urt. v. 23.09.2022 – V ZR 148/21, juris Rn. 14).
Der Beklagte hat vorliegend nicht gutgläubig Eigentum an dem Fahrzeug erworben. Zwar bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte, dass dem Beklagten positiv bekannt war, dass M weder Eigentümer noch verfügungsbefugt war. Der Beklagte hat jedoch zur Überzeugung des Senats insoweit grob fahrlässig gehandelt.
Unter grober Fahrlässigkeit wird im Allgemeinen ein Handeln verstanden, bei dem die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 18.06.1980 – VIII ZR 119/79, BGHZ 77, 274, 278; Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, NJW 2013, 1946 Rn. 11). Im Rahmen des § 932 II BGB gibt es keine Entlastung wegen fehlender subjektiver Fahrlässigkeit, weil der Rechtsverkehr sich bei der Konkretisierung des guten Glaubens auf gleichmäßige Mindestanforderungen einstellen können muss. Es gilt daher ein streng objektiver Maßstab, sodass die persönlichen Maßstäbe des Erwerbers und seine Handelsgewohnheiten den Maßstab nicht mindern (BGH, Urt. v. 02.12.1958 – VIII ZR 212/57, LM § 932 BGB Nr. 12 = MDR 1959, 207). Der Beklagte kann sich mithin nicht darauf berufen, dass es sich aus seiner Sicht um einen üblichen Geschäftsvorgang gehandelt habe, den er beziehungsweise Familienangehörige bereits wiederholt in ähnlicher Weise praktiziert hätten, der Kauf ihm persönlich unverdächtig vorgekommen und er gutgläubig gewesen sei.
Es gehört regelmäßig zu den objektiven Mindesterfordernissen gutgläubigen Erwerbs eines Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen (BGH, Urt. v. 13.05.1996 – II ZR 222/95, NJW 1996, 2226, 2227). Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefs ist, kann der Erwerber gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht hingegen nicht (BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, NJW 2013, 1946 Rn. 13). Anhand der Eintragungen ist die Möglichkeit gegeben, bei dem eingetragenen Berechtigten die Übereignungsbefugnis des Fahrzeugbesitzers nachzuprüfen. Diese Prüfung hat der Erwerber jedenfalls vorzunehmen, um sich nicht dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit auszusetzen. Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und wird ihm ein gefälschter Kraftfahrzeugbrief vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten (BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, NJW 2013, 1946 Rn. 14).
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist dem Beklagten eine deutsche Original-Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II übergeben worden, die vom Kreis K. ausgegeben worden ist. Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren konkret behauptet, dass diese gegebenenfalls als Fälschungen zu erkennen waren, ist er damit gemäß § 531 II ZPO ausgeschlossen, weil nicht erkennbar ist, dass er ohne Nachlässigkeit daran gehindert gewesen wäre, bereits erstinstanzlich entsprechend vorzutragen, und der Beklagte den Vortrag bestritten hat.
Allerdings konnte der Beklagte trotz der ihm vorgelegten Original-Zulassungsbescheinigung nicht davon ausgehen, dass die Fahrzeugbesitzer B verfügungsbefugt waren. Denn nicht sie waren in der Zulassungsbescheinigung ausgewiesen, sondern eine in Spanien wohnhafte Person namens M. Unstreitig haben sich die Brüder als bloße Vermittler ausgegeben und der Beklagte hat davon abgesehen, mit M in persönlichen Kontakt zu treten. Der Beklagte hat auch darauf verzichtet, sich eine schriftliche Vollmacht des M vorlegen zu lassen. Stattdessen hat er sich unter Vorlage einer Kopie der Vorderseite eines auf den Namen M ausgestellten spanischen Personalausweises auf die mündliche Angabe der Brüder B verlassen, bevollmächtigt zu sein. Dies reicht nicht aus, um eine Bevollmächtigung glaubhaft zu belegen. Dies gilt umso mehr, als die Schreibweise des Namens und der Adresse in der Zulassungsbescheinigung von der vorgelegten Kopie des Personalausweises beziehungsweise dem Kaufvertrag abweicht und zudem aus der Zulassungsbescheinigung nicht eindeutig hervorging, ob es sich bei M tatsächlich um denjenigen handelte, auf den das Fahrzeug zugelassen war, oder er gegebenenfalls nur Empfangsbevollmächtigter war (im Einzelnen s. unten).
Indem der Beklagte das Fahrzeug erworben hat, ohne nähere Nachforschungen zur Person des angeblichen Eigentümers sowie zur Bevollmächtigung der beiden Brüder anzustellen, hat er die ihm obliegenden Überprüfungspflichten im Zusammenhang mit der Vorlage der Zulassungsbescheinigung nicht erfüllt. Besondere Vorsicht war hier auch vor dem Hintergrund angezeigt, dass es sich um ein Luxusfahrzeug handelt, das erst wenige Tage vor dem Verkauf aus dem EU-Ausland nach Deutschland eingeführt und hier mit Kurzzeitkennzeichen zugelassen worden war. Ungewöhnlich war zudem, dass die Brüder offenbar sofort zur Inzahlungnahme eines Fahrzeugs des Beklagten unter Anrechnung auf den Kaufpreis bereit waren, ohne zuvor mit dem vermeintlichen Eigentümer Rücksprache zu halten und ohne dass sich dieser das Fahrzeug ansah oder sich zumindest Lichtbilder und Papiere des Fahrzeugs übersenden ließ. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Brüder ausweislich der Mitschnitte vor dem Verkauf angegeben haben, dass auf M alle Kaufverträge gemacht werden. Auch vor diesem Hintergrund hätte für den Beklagten Anlass zu weiteren Nachfragen bestanden, erscheint es doch ungewöhnlich, dass eine Privatperson regelmäßig Fahrzeuge verkauft und die gewerblich im Autohandel tätigen Brüder ausschließlich für diese Privatperson handeln und daher alle Kaufverträge auf M ausstellen.
Nach alldem bestand für den Beklagten trotz Vorlage der Zulassungsbescheinigung von vornherein Anlass, sowohl an der Eigentümerstellung des M als auch an einer Bevollmächtigung der Brüder B zu zweifeln. Auch von Letzteren waren dem Beklagten mit Ausnahme einer Telefonnummer keinerlei persönliche Daten (vollständiger Name, Adresse etc.) bekannt.
Hinzu kommen weitere besondere Umstände des Verkaufs, die sich in vielfacher Hinsicht als auffällig darstellten. So handelte es sich um einen Straßenverkauf. Ein erstes Treffen hatte zunächst am 13.08.2019 in Wiesbaden auf dem Parkplatz einer Spielothek stattgefunden. Das Fahrzeug konnte nach Bekunden der Brüder zu diesem Zeitpunkt noch nicht übergeben werden, weil sie es angeblich zunächst noch für eine Hochzeitsfahrt eines Freundes benötigten. Es erscheint wenig nachvollziehbar, warum die Brüder B als Vermittler berechtigt gewesen sein sollten, das Fahrzeug zu privaten Zwecken zu nutzen.
Ungewöhnlich erscheinen zudem Zeit und Ort des Vertragsschlusses und der Übergabe. Nachdem die Brüder B zunächst angeboten hatten, das Fahrzeug am 15.08.2019 an die Wohnanschrift des Beklagten zu bringen, einigte man sich später darauf, sich um 12 Uhr „in der Mitte“ auf dem Gelände einer Tankstelle in Essen zu treffen, wobei keiner der Beteiligten einen persönlichen Bezug zu der Örtlichkeit hatte. Später teilten die Brüder mit, erst gegen 19 Uhr am Treffpunkt zu sein. Nachdem der Beklagte am Treffpunkt eingetroffen war, teilten die Brüder im Laufe des Abends mit, im Stau zu stehen. Später gaben sie an, in eine Polizeikontrolle geraten zu sein. Dort habe es Verzögerungen gegeben, weil noch „eine Rechnung beim Amt“ offengewesen sei. Sie trafen schließlich erst gegen 23 Uhr am Treffpunkt ein, woraufhin nach der Durchführung von Probefahrten erst um 1 Uhr des Folgetags der Kaufvertrag unterschrieben und das Fahrzeug auf dem Gelände einer Tankstelle an den Beklagten übergeben wurden.
Ein Straßenverkauf im Gebrauchtwagenhandel gebietet besondere Vorsicht, weil er erfahrungsgemäß das Risiko der Entdeckung eines gestohlenen Fahrzeugs mindert (BGH, Urt. v. 09.10.1991 – VIII ZR 19/91, NJW 1992, 310). Er führt nur dann nicht zu weitergehenden Nachforschungspflichten, wenn er sich für den Erwerber als nicht weiter auffällig darstellt (BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, NJW 2013, 1946 Rn. 15). Vorliegend gab es indes, wie dargelegt, ganz erhebliche Auffälligkeiten.
Auffällig waren auch die offensichtlichen Übertragungsfehler in der Wiedergabe des Namens sowie der Wohnanschrift des angeblichen Verkäufers. Lautete dessen Name ausweislich der vorgelegten Kopie des Personalausweises „…“, wurde er in der Zulassungsbescheinigung und dem Kaufvertrag als „…“ bezeichnet. Überdies ist die Wohnanschrift des Verkäufers in der Zulassungsbescheinigung Teil II und in dem Kaufvertrag nicht identisch wiedergegeben. Heißt es in der Zulassungsbescheinigung Teil II „…“, heißt es im Kaufvertrag „…“.
Aus der Zulassungsbescheinigung Teil I geht zudem M nicht eindeutig als derjenige hervor, auf den das Fahrzeug zugelassen ist, folgt dem Namen doch der Zusatz „Empfangsbevollmächtigter“, wobei nicht hinreichend deutlich wird, ob sich dieser Zusatz auf M oder G bezieht, dessen Name erst in der nachfolgenden Rubrik „Vorname(n)“ genannt ist.
Der Beklagte hat zudem auf einen Abgleich der im Kaufvertrag angegebenen Adresse mit dem Personalausweis verzichtet, denn eine Kopie der Rückseite des Personalausweises war ihm nicht vorgelegt worden, sodass ihm eine Überprüfung der Wohnanschrift nicht möglich war.
Der Kaufvertrag ist zudem unvollständig ausgefüllt. Es fehlen Angaben zur Anzahl der übergebenen Schlüssel sowie dazu, ob Service- und Wartungsarbeiten lückenlos durchgeführt wurden und das Serviceheft vorliegt. Gerade bei Luxusfahrzeugen wird aber üblicherweise Wert auf eine lückenlose Dokumentation der durchgeführten Wartungen und Services gelegt. Auch wurden unstreitig die Servicehefte nicht an den Beklagten übergeben. Dass insbesondere Luxusfahrzeuge durch Vertragswerkstätten „scheckheftgepflegt“ sind, stellt einen bei Vertragsverhandlungen üblicherweise maßgeblichen Umstand dar.
Dem Beklagten wurde ein Prüfbericht vom Tag der Zulassung mit der zutreffenden Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) vorgelegt, der als Empfänger allerdings weder den Veräußerer noch die Bevollmächtigten, sondern einen dritten Namen (D) ausweist.
Bei einer Gesamtbetrachtung der genannten Umstände ergaben sich im Zeitpunkt des Erwerbs für den Beklagten zahlreiche Auffälligkeiten, die darauf hindeuteten, dass es sich um ein illegal nach Deutschland eingeführtes Fahrzeug handelte und der im Kaufvertrag als Veräußerer benannte M weder der Eigentümer noch zu einer Verfügung über das Fahrzeug befugt war. Diese Verdachtsmomente werden zur Überzeugung des Senats nicht dadurch entkräftet, dass das Fahrzeug im Internet bei „mobile.de“ angeboten wurde, eine deutsche Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II und ein Prüfbericht existierten, der Beklagte die Brüder B bereits aus einem Gebrauchtwagenverkauf seines Bruders kannte, ihm eine Kopie der Vorderseite des Personalausweises des angeblichen Eigentümers vorgelegt und ihm zudem nach eigenen Angaben zwei Schlüssel übergeben worden sind, mit denen er das Fahrzeug jedenfalls mechanisch öffnen konnte.
Es kann dahinstehen, ob dem Beklagten tatsächlich zwei Schlüssel für das Fahrzeug übergeben worden sind und ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese funktionsfähig waren. Ebenso kann offenbleiben, ob der Beklagte das Fahrzeug zu einem angemessenen Kaufpreis erworben hat und ob im Gegenzug der für das in Zahlung genommene Fahrzeug in Anrechnung gebrachte Betrag von 60.000 € angemessen war. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, die von dem Beklagten erbrachte Gegenleistung dem Verkehrswert des streitgegenständlichen Fahrzeugs entsprochen haben sollte und der Beklagte kein durch eine Straftat erlangtes Fahrzeug erwerben wollte, waren die Begleitumstände des Erwerbs in ihrer Gesamtschau insgesamt so auffällig, dass der Beklagte weitere Nachforschungen zur Berechtigung des Veräußerers hätte anstellen müssen. Nur weil der Bruder des Beklagten bereits einmal ein Fahrzeug an die Brüder verkauft hatte, ohne dass es dabei zu Problemen gekommen war, und die Familie schon mehrfach ohne Komplikationen Fahrzeuge aus dem Ausland erworben hatte, durfte der Beklagte nicht von der Unbedenklichkeit des streitgegenständlichen Kaufs ausgehen. Der Beklagte durfte sich angesichts der höchst ungewöhnlichen Begleitumstände des Erwerbs nicht allein auf einen Abgleich der „Fahrgestellnummer“ mit den Zulassungspapieren und dem Prüfbericht beschränken. Indem er auf eine Überprüfung der Berechtigung des Verkäufers sowie der Bevollmächtigung der als Vermittler auftretenden Brüder verzichtet hat, hat er bewusst die Augen verschlossen und grundlegende Sorgfaltspflichten außer Acht gelassen, die in Anbetracht der auffälligen Gesamtumstände jedem unmittelbar hätten einleuchten müssen.
Eine Beziehung der Strafakten gegen die Brüder B (LG Darmstadt, 10 KLs – 1300 Js 89440/19) ist nicht veranlasst. Dass der Beklagte seinerseits mit dem streitgegenständlichen Kauf Opfer eines Betrugs geworden ist und die Brüder auch andere Käufer auf gleiche Weise betrogen haben, ist unstreitig. Ebenso ist als unstreitig zugrunde zu legen, dass dem Beklagten Original-Zulassungsbescheinigungen des Landkreises K. vorgelegt worden sind. Die den streitgegenständlichen Erwerb betreffenden Protokolle liegen vor. Nachdem der Beklagte nicht dargelegt hat, inwieweit den Strafakten ein weitergehender Erkenntnisgewinn zukommen soll, hat der Senat von einer Beiziehung der Akten abgesehen.
Der Beklagte hat den unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug erlangt. Auch kann sich der Beklagte nicht auf ein von dem Kläger abgeleitetes Besitzrecht berufen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung bemisst sich nach dem Kaufpreis, den der Kläger für den Erwerb des Fahrzeugs aufgewendet hat.
4. Die Schriftsätze des Beklagtenvertreters vom 20.03. und 22.03.2023 sowie des Klägervertreters vom 21.03. und 24.03.2023 lagen bei Urteilsabfassung vor. Sie gaben zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keinen Anlass (§ 156 ZPO). …