Zum Umfang der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Ersatzfähigkeit von Finanzierungskosten).
BGH, Urteil vom 27.07.2021 – VI ZR 865/20
Sachverhalt:Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
Sie erwarb am 31.08.2011 von einem Kfz-Händler einen gebrauchten VW Passat 2.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 (Euro 5) ausgestattet, in dem eine Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi zur Steuerung der Abgasrückführung. Im „Modus 1“, der im Hinblick auf den Stickoxid(NOX)-Ausstoß optimiert ist und automatisch aktiviert wird, sobald das Fahrzeug auf einem Prüfstand den für die amtliche Bestimmung der Emissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) absolviert, ist die Abgasrückführungsrate höher als im (partikeloptimierten) „Modus 0“, der unter im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen aktiviert ist. Dadurch werden die einschlägigen NOX-Emissionsgrenzwerte (nur) auf dem Prüfstand eingehalten.
Den Bruttokaufpreis für den Pkw in Höhe von 15.950 € finanzierte die Klägerin zum Teil, wobei sie Zinsen in Höhe von 1.416,32 € zahlte.
Am 04.10.2019 veräußerte die Klägerin das Fahrzeug für 1.840 € weiter.
Sie hat erstinstanzlich unter anderem beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 17.366,32 € abzüglich eines in das gerichtliche Ermessen gestellten Vorteilsausgleichs in Höhe von höchstens 4.718,33 € und zuzüglich Zinsen zu zahlen. Das Landgericht hat die Beklagte hinsichtlich dieses Zahlungsantrags unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 9.636,68 € nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent für die Zeit vom 22.11.2018 bis zum 14.01.2019 und in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.01.2019 zu zahlen. Dabei hat es die Darlehenszinsen als erstattungsfähig angesehen.
Gegen das landgerichtliche Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Beklagte hat mit ihrem Rechtsmittel weiterhin die vollständige Abweisung der Klage erreichen wollen. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren unter anderem beantragt, die Beklagte unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zur Zahlung von 15.526,32 € abzüglich eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Vorteilsausgleichs (höchstens 4.718,33 €) nebst Zinsen zu zahlen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil – unter Klageabweisung im Übrigen – dahin gehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 4.186,85 € nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Mit ihrer Revision wandte sich die Klägerin insoweit gegen das Berufungsurteil, als ihr der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Finanzierungskosten in Höhe von 1.416,32 € nebst Rechtshängigkeitszinsen nicht zuerkannt wurde. Insoweit (und im Kostenpunkt) wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil zurückgewiesen.
Aus den Gründen: [9] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (veröffentlicht in BeckRS 2020, 26057) – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
[10] Der Klägerin stehe gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung ein Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung im Wege des Vorteilsausgleichs zu. Die Finanzierungskosten in Höhe von 1.416,32 € seien jedoch nicht erstattungsfähig, weil diese der Klägerin auch beim Erwerb eines anderen Fahrzeugs entstanden wären und daher nicht adäquat kausal von der Beklagten verursacht worden seien.
[11] II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klägerin beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht einen Anspruch auf Erstattung der Finanzierungskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen verneint hat.
[12] 1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme der Vorinstanzen, dass mit dem Erwerb des VW Passat am 31.08.2011 ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Rückgängigmachung der für sie nachteiligen Folgen des Kaufvertrags aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB entstanden ist (vgl. Senat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.). Die Beklagte bringt dagegen im Revisionsverfahren auch nichts vor.
[13] 2. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin gemäß §§ 826, 249 I BGB so zu stellen, als wäre es nicht zu dem Fahrzeugerwerb gekommen, erfasse neben dem gezahlten Kaufpreis nicht auch die mit dem Erwerb verbundenen Finanzierungskosten (vgl. Senat, Urt. v. 13.04.2021 – VI ZR 274/20, ZIP 2021, 1220 Rn. 14 ff.). Das Argument des Berufungsgerichts, die Finanzierungskosten seien keine adäquat kausal verursachte Schadensfolge, weil diese der Klägerin auch beim Erwerb eines anderen Fahrzeugs entstanden wären, trägt schon deshalb nicht, weil ein hypothetischer alternativer Fahrzeugerwerb nicht festgestellt ist. Die Beklagte hat im Revisionsverfahren auch keinen diesbezüglichen Instanzvortrag oder Beweisangebote aufgezeigt.
[14] Die Höhe der Finanzierungskosten (Darlehenszinsen) beträgt nach den bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 314 Satz 1 ZPO) 1.416,32 €.
[15] III. Das Berufungsurteil war daher hinsichtlich der Abweisung des Antrags der Klägerin auf Erstattung der Finanzierungskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen und im Kostenpunkt aufzuheben (§ 562 I ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (§ 563 III ZPO).