Die Bundesrepublik Deutschland ist dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs jedenfalls deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt einer unionsrechtlichen Staatshaftung zum Schadensersatz verpflichtet, weil es an einer europarechtlichen Norm fehlt, die den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Fahrzeugkäufers bezweckt, und weil ein hinreichend qualifizierten Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen Vorschriften der Richtlinie 2007/46/EG nicht gegeben ist.
OLG Koblenz, Urteil vom 27.05.2021 – 1 U 1685/20
Sachverhalt: Die Klägerin nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal aus unionsrechtlicher Staatshaftung in Anspruch.
Sie erwarb im September 2013 von einem Kfz-Händler für 18.500 € einen Gebrauchtwagen. Dieses Fahrzeug ist mit einem von der Volkswagen AG entwickelten und hergestellter Motor des Typs EA189 ausgestattet, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen war. Mit Bescheid vom 15.10.2015 erließ das Kraftfahrt-Bundesamt mehrere Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung, die die Volkswagen AG verpflichteten, diese unzulässige Abschalteinrichtung aus den vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. Die Klägerin ließ bei ihrem Pkw in der Folge ein ihr angebotenes Softwareupdate installieren. Außerdem schloss sie mit der Volkswagen AG einen Vergleich, in dem die Volkswagen AG sich verpflichtete, an die Klägerin zur Abgeltung aller Ansprüche wegen der Verwendung und der Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung 4.650 € zu zahlen.
Die Klägerin macht geltend, wegen der Installation des von der Volkswagen AG Softwareupdates drohten ihr massive Nachteile in Form eines erhöhten Kraftstoffverbrauchs und eines erhöhten Verschleißes. Auch sei sie – noch nicht bezifferbaren – Nachforderungen bezüglich der Kraftfahrzeugsteuer ausgesetzt, weil die EG-Typgenehmigung erloschen sei und sich der CO2-Ausstoß ihres Fahrzeugs infolge der Installation des Updates deutlich erhöht habe. Überdies würden dem Pkw immer ein Makel und ein Minderwert anhaften. Diese Nachteile – so meint die Klägerin – habe ihr die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der unionsrechtlichen Staathaftung zu ersetzen, da die Beklagte in qualifizierter Weise gegen Individualschutz begründende Normen des Unionsrechts verstoßen habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Koblenz, Urt. v. 22.10.2020 – 1 O 334/19). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass offenbleiben könne, ob die Klägerin das für die Zulässigkeit ihrer Feststellungsklage grundsätzlich erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 I ZPO) habe. Denn jedenfalls sei die Klage abzuweisen, weil der Klägerin der geltend gemachte unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch gegen die Beklagte nicht zustehe. Es sei schon nicht zu erkennen, dass die von der Klägerin angeführten Vorschriften der (Rahmen-)Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.09.2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (ABl. 2007 L 263,1) bezweckten, Fahrzeugkäufern subjektive Rechte zu verleihen. Daher könne letztlich dahinstehen, ob von hinreichend qualifizierten Verstößen der Beklagten ausgegangen werden könne.
Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung hat die Klägerin ihren Standpunkt wiederholt und vertieft, dass die Beklagte in qualifizierter Weise gegen Individualschutz begründende Normen des Unionsrechts verstoßen habe, Sie habe für Rechtsverstöße von Fahrzeugherstellern keine wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen i. S. von Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehen. Die in § 25 EG-FGV vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen seien per se keine Sanktionen, doch auch die vorgesehenen straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sanktionen reichten nicht aus. Darüber hinaus habe das Kraftfahrt-Bundesamt für den hier in Rede stehenden Fahrzeugtyp rechtswidrig, nämlich unter Verstoß gegen Art. 4 ff. der Richtlinie 2007/46/EG, eine Typgenehmigung erteilt. Da es konkrete Anhaltspunkte für Manipulationen gegeben habe, hätte das Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeughersteller genauer kontrollieren und im Typgenehmigungsverfahren Angaben zu Abschalteinrichtungen verlangen müssen. Sowohl Art. 8 I i. V. mit Art. 12 als auch Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG seien individualschützend; sie dienten auch dem Schutz der Verbraucher. Die Klägerin macht geltend, dass sie kein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug hätte erwerben können, wenn die Beklagte ihren unionsrechtlichen Pflichten nachgekommen wäre. Die Beklagte habe daher die mit dem erworbenen Fahrzeug verbundenen Nachteile (Minderwert, erhöhter Kraftstoffverbrauch, zu befürchtende Steuernachforderung) auszugleichen, wobei sie, die Klägerin, sich die Zahlung der Volkswagen AG im Rahmen der schadensrechtlichen Vorteilsausgleichs anrechnen lasse.
Die Klägerin hat in erster Linie beantragt, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils festzustellen, dass die Beklagte ihr bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs die Schäden ersetzen müsse, die ihr daraus entstünden, dass
a) die Beklagten es unterlassen habe, aufgrund Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu erlassen, leichtfertig die Erteilung der EGTypgenehmigung vom 12.04.2012 zugelassen und das entsprechende Verfahren unzureichend überwacht habe;
b) hilfsweise: die Beklagte die Typengenehmigung vom 12.04.2012 erteilt habe;
c) hilfsweise: die Beklagte entgegen Art. 46 der Richtlinie 46/2007 für Verstöße gegen diese Richtlinie keine wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen vorsehe;
d) hilfsweise: die Beklagte es unterlassen habe, das streitgegenständliche Typgenehmigungsverfahren ausreichend zu überwachen.
Hilfsweise hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Beklagte ihr Ersatz für die Schäden leisten müsse, die ihr aus der Manipulation ihres Fahrzeugs entstünden.
Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und das erstinstanzliche Urteil verteidigt. Die Klägerin habe schon das erforderliche Feststellungsinteresse nicht. Dass von der Klägerin Kraftfahrzeugsteuer nachgefordert werde, sei nicht hinreichend wahrscheinlichkeit. Bezüglich der für die Kraftfahrzeugsteuer maßgeblichen CO2-Emissionen werde verbindlich auf die – nie erloschene – EG-Typgenehmigung für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp abgestellt. Ohnehin könne die Klägerin von ihr, der Beklagten, allenfalls das negative und nicht das positive Interesses ersetzt verlangen, sodass sie durch das Softwareupdate verursachte Folgeschäden nicht zu ersetzen habe. Jedenfalls decke der Betrag, den die Volkswagen AG an die Klägerin gezahlt habe, sämtliche etwaigen Schäden ab.
Weder die Richtlinie 2007/46/EG im Allgemeinen – so hat die Beklagte gemeint – noch die von der Klägerin angeführten Normen im Besonderen gäben einem Fahrzeugkäufer oder -halter individuelle Ansprüche. Die Normen bezweckten insbesondere nicht, das Vermögen eines Fahrzeugkäufers oder -halters zu schützen.
Bei der Umsetzung von Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG habe sie, die Beklagte, von dem ihr eingeräumten Ermessen in geeigneter Weise Gebrauch gemacht. Abgesehen davon hätten auch die in den Vereinigten Staaten von Amerika vorgesehenen Sanktionen, die die Klägerin als angemessen ansehe, die Volkswagen AG nicht davon abgehalten, dort manipulierte Fahrzeuge in den Verkehr zu bringen. Auch hinsichtlich der aus Art. 4, 8 und 12 der Richtline 2007/46/EG folgenden Prüf- und Überwachungspflichten fehle es an einer qualifizierten Rechtverletzung: Welche Angaben ein Fahrzeughersteller für im Typgenehmigungsverfahren zu machen habe, sei durch EU-Recht im Einzelnen vorgegeben. Die Angaben, die in dem hier interessierenden Antrag auf Erteilung einer Typgenehmigung gemacht worden seien, hätten dem Kraftfahrt-Bundesamt keinen Anlass gegeben, von der Volkswagen AG als Fahrzeugherstellerin weitere Angaben zu einer (unbekannten) Abschalteinrichtung zu verlangen. Diese Abschalteinrichtung habe mithilfe der bislang rechtlich vorgeschriebenen Prüfzyklen nicht entdeckt werden können.
Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist mangels Vorliegens des gemäß § 256 I ZPO erforderlichen Feststellungsinteresses bereits unzulässig.
Während es bei der Verletzung eines absoluten Rechtsguts ausreicht, wenn künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind, fehlt es bei reinen Vermögensschäden, wie sie vorliegend geltend gemacht werden, an einem feststellbaren Rechtsverhältnis, solange der Eintritt irgendeines Schadens noch ungewiss ist. Hier muss der Kläger schon für die Zulässigkeit der Klage eine Vermögensgefährdung, das heißt die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens, substanziiert dartun (BGH, Urt. v. 04.12.2014 – III ZR 51/13, BGHZ 203, 312 Rn. 12; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. [2020], § 256 Rn. 9). Einer positiven Feststellungsklage fehlt – als Ausfluss des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses – darüber hinaus dann das Feststellungsinteresse, wenn dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar ist (Zöller/Greger, a. a. O., § 256 Rn. 7a).
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, fehlt der Klage das erforderliche Feststellungsinteresse. Die Klägerin hat die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens nicht substanziiert dargelegt.
Der Eintritt des behaupteten Steuerschadens ist völlig ungewiss. Weder wurde die für die Bemessung der Kraftfahrzeugsteuer maßgebliche Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug aufgehoben, noch wurde eine neue Typgenehmigung mit geänderten Emissionsangaben erteilt. Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass – Jahre nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals – ein Entzug der Typgenehmigung ernstlich droht oder eine nachträgliche Änderung der Kraftfahrzeugsteuer von den zuständigen Behörden überhaupt in Erwägung gezogen wird (so auch OLG Köln, Beschl. v. 21.12.2020 – 7 U 53/20, juris Rn. 8 ff.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 7 f.; OLG Hamm, Urt. v. 19.03.2021 – 11 U 56/20, juris Rn. 18). Die Klägerin selbst ist bislang keinen Steuernachforderungen ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund stellen Steuernachforderungen nur eine denktheoretische Möglichkeit dar (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 24.02.2021 – 4 U 274/19, juris Rn. 55).
Soweit die Klägerin weiter behauptet, es drohten zukünftige Schäden aufgrund des Softwareupdates, können diese das erforderliche Feststellungsinteresse ebenfalls nicht begründen. So ist schon nicht substanziiert dargelegt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug – die Klägerin hat das Softwareupdate aufspielen lassen – tatsächlich mehr Kraftstoff verbraucht. Der allgemeine Verweis auf die Auswirkungen des Updates für „Betroffene“, ohne dass ein Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug oder auch nur einem vergleichbaren Fahrzeug zu erkennen wäre, ist insoweit nicht ausreichend. Selbiges gilt für die pauschal behaupteten Schäden an Fahrzeugteilen.
Schließlich ergibt sich ein Feststellungsinteresse auch nicht aufgrund des behaupteten Minderwerts des Fahrzeugs. Dieser ist, wie die Klägerin selbst ausführt, bezifferbar. Insoweit ist eine Leistungsklage möglich und zumutbar.
Jedenfalls fehlt es im vorliegenden Fall schon deshalb an dem erforderlichen Feststellungsinteresse, weil der behauptete Schaden durch die Abgeltungszahlung der Volkswagen AG ausgeglichen ist. Die Klägerin hat zwischenzeitlich einen Vergleich mit der Volkswagen AG geschlossen, in dem diese sich zur Zahlung von 4.650 € verpflichtet hat. Die Klägerin selbst beziffert jedoch den behaupteten Minderwert ihres Fahrzeugs auf zwanzig Prozent des Kaufpreises, mithin 3.700 €; die Steuernachforderung schätzt sie auf circa 50 €/Jahr, das heißt gerechnet auf die nächsten fünf Jahre (vgl. Berufungsbegründung, S. 7), auf 250 €, und den Kraftstoffmehrverbrauch auf 600 €. Der von der Klägerin behauptete Gesamtschaden beläuft sich demnach auf 4.550 €. Dieser Schaden ist durch die Zahlung der Volkswagen AG in Höhe von 4.650,00 €, die sich die Klägerin im Rahmen der Vorteilsausgleichung auf ihren Schadensersatzanspruch anrechnen lässt, bereits ausgeglichen. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin nach eigenen Angaben bald nicht mehr Eigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist, das heißt die vorgenommene Schadensschätzung, bezogen auf die nächsten fünf Jahre, ohnehin einer Grundlage entbehrt.
2. Die Klage ist zudem unbegründet.
Zwar ist eine Feststellungsklage grundsätzlich als unzulässig abzuweisen, wenn das erforderliche Feststellungsinteresse als besonderes Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Die Feststellungsklage kann aber trotz im Raum stehender Unzulässigkeit ausnahmsweise als unbegründet abgewiesen werden, wenn die Klage auch in der Sache abweisungsreif ist (BGH, Beschl. v. 26.09.1995 – KVR 25/94, BGHZ 130, 390, 399 f.; Zöller/Greger, a. a. O., § 256 Rn. 7). Das ist hier der Fall. Die Haftungsvoraussetzungen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs, der auch das hier infrage stehende legislative Unrecht durch fehlerhafte Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht durch den Gesetzgeber erfasst, sind nicht erfüllt.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, der sich der Senat anschließt, kommt eine Haftung eines Mitgliedstaats der Europäischen Union in Betracht, wenn er gegen eine Norm des Unionsrechts verstoßen hat, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen; der Verstoß muss hinreichend qualifiziert sein und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen (Staudinger/Wöstmann, BGB, Neubearb. 2020, § 839 Rn. 530 m. zahlreichen Nachw.).
a) Vorliegend fehlt es bereits an einer europarechtlichen Norm, die den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der Fahrzeugkäufer bezweckt.
Zwar können auch Richtlinien, die sich nach Art. 288 III AEUV zunächst nur an die Mitgliedstaaten richten, drittschützenden Charakter haben, sofern sie die Mitgliedstaaten ausdrücklich dazu verpflichten, individuelle Rechte zu begründen. Ob das der Fall ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei der Wortlaut, der Sinn und der Zweck der einschlägigen Bestimmungen und die Erwägungen des Unionsgesetzgebers, die sich im Allgemeinen den Begründungserwägungen entnehmen lassen, maßgebend sind. Einen ersten Hinweis auf die verfolgten Ziele können zudem die Benennung der Richtlinie und die Angabe ihrer Grundlage in den Verträgen bieten (BeckOGK/Dörr, Stand: 01.02.2021, § 839 BGB Rn. 886). Allein die Erwähnung bestimmter Interessen oder allgemeiner Ziele in den Begründungserwägungen einer Richtlinie berechtigt allerdings nicht zu der Annahme, ein Recht sei verliehen worden, wenn der übrige Inhalt der Richtlinie hierfür keinen hinreichenden Anhalt bietet (BeckOGK/Dörr, a. a. O., § 839 BGB Rn. 890).
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, dienen die von der Klägerin herangezogenen Art. 8 i. V. mit Art. 12 sowie Art. 46 der Richtlinie 46/2007/EG nicht dem Schutz der von ihr in diesem Rechtsstreit angeführten individuellen Interessen. Sowohl die Richtlinie im Allgemeinen als auch die genannten Normen dienen vielmehr der Harmonisierung des Binnenmarktes, wie sich aus deren Grundlage in den Verträgen und aus den Erwägungsgründen ergibt.
Grundlage der Richtlinie ist Art. 95 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Danach erlässt der Rat die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Dieses Ziel findet sich auch in den Erwägungsgründen der Richtlinie 46/2007/EG. Gemäß Erwägungsgrund 2 sollen die Genehmigungssysteme der Mitgliedstaaten im Interesse der Verwirklichung und des Funktionierens des Binnenmarktes der Gemeinschaft durch ein gemeinschaftliches Genehmigungsverfahren ersetzt werden, das auf dem Grundsatz einer vollständigen Harmonisierung beruht. Erwägungsgrund 3, wonach die technischen Anforderungen für Systeme, Bauteile, selbstständige technische Einheiten und Fahrzeuge in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden sollen, stellt ebenfalls hierauf ab. Schließlich benennt auch Erwägungsgrund 23 nochmals als Ziel der Richtlinie die Vollendung des Binnenmarktes durch die Einführung eines verbindlichen Systems gemeinschaftlicher Typgenehmigungen für alle Fahrzeugklassen.
Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass in den Erwägungsgründen unter 17 der Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher genannt ist. Allein die Erwähnung bestimmter Interessen oder allgemeiner Ziele in den Begründungserwägungen einer Richtlinie berechtigt – wie bereits ausgeführt – nicht zu der Annahme, ein Recht sei verliehen worden, wenn der übrige Inhalt der Richtlinie – wie vorliegend – hierfür keinen hinreichenden Anhalt bietet.
In diesem Sinne hat auch bereits der BGH in seinen Grundsatzentscheidungen vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 72 ff. – und vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff. – ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Richtlinie 46/2007/EG (i. V. mit §§ 6 I, 27 I EG-FGV) den Schutz von Individualinteressen, vor allem Vermögensinteressen von Fahrzeugkäufern, bezweckt. Die zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union zielen vielmehr auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz vor unbefugter Benutzung ab, bezwecken aber keinen Individualschutz.
Jedenfalls dient die Richtlinie nicht dem Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts. Selbst wenn einzelne Vorschriften der Richtlinie im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit und die Sicherheit der Verbraucher auch individuelle Interessen im Blick haben sollten, knüpft der hier geltend gemachte Schaden nicht an diese Schutzzwecke an. Die Klägerin möchte vielmehr dafür entschädigt werden, dass sie durch die angeblich unzureichende Umsetzung der Richtlinie zum Abschluss eines Kaufvertrags gebracht wurde, den sie ansonsten nicht geschlossen hätte und durch den sie einen wirtschaftlichen Schaden erlitten haben will. Auf den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zielt die Richtlinie aber nicht – nicht einmal reflexhaft – ab (so auch KG, Beschl. v. 03.11.2020 – 9 U 1033/20, juris Rn. 5 ff.; OLG München, Beschl. v. 17.12.2020 – 1 U 3855/20, n. v.; OLG Köln, Beschl. v. 21.12.2020 – 7 U 53/20, juris Rn. 16 ff.; Beschl. v. 29.12.2020 – 7 U 86/20, juris Rn. 15 ff.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.01.2021 – 4 U 153/20, juris Rn. 6 ff.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 14 ff.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.03.2021 – 4 U 138/20, juris Rn. 20 ff.; OLG Hamm, Urt. v. 19.03.2021 – 11 U 56/20, juris Rn. 22 ff.).
b) Darüber hinaus fehlt es an einem hinreichend qualifizierten Verstoß.
Ein solcher ist gegeben, wenn das handelnde Organ die Grenzen, die das Gemeinschaftsrecht seinem Ermessen setzt, offenkundig und erheblich überschritten hat (Staudinger/Wöstmann, a. a. O., § 839 Rn. 534 ff.). Diesem restriktiven Haftungsmaßstab liegt die Erwägung zugrunde, dass die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit, insbesondere bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen, nicht jedes Mal durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen behindert werden darf. Nur wenn der Mitgliedsstaat zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung über einen erheblich verringerten oder gar auf null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügt, kann schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen. Um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen beziehungsweise zugefügt wurde oder nicht, und die Frage, ob ein etwaiger Rechtsirrtum entschuldbar ist oder nicht (Staudinger/Wöstmann, a. a. O., § 839 Rn. 534 ff. m. zahlreichen Nachw.).
aa) Nach diesen Maßstäben ist ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG nicht gegeben. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.
Nach Art. 288 III AEUV ist die Richtlinie für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Sie überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel, um ihrer Verpflichtung zur Erfüllung der verbindlichen Richtlinienziele nachzukommen. Diese müssen nach Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
Das ihr zustehende Umsetzungsermessen hat die Beklagte rechtsfehlerfrei ausgeübt, indem sie … mit § 37 EG-FGV einen Tatbestand für Ordnungswidrigkeiten geschaffen hat. Zudem kann das Kraftfahrt-Bundesamt gemäß § 25 EG-FGV nachträglich Nebenbestimmungen anordnen oder die Typgenehmigung ganz oder teilweise widerrufen oder zurücknehmen. Diese von der Beklagten – bei der ihr zustehenden freien Wahl der Form und Mittel – vorgesehenen Sanktionen sind dabei insbesondere mit Blick auf die daneben anwendbaren allgemeinen Normen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht offenkundig ungeeignet (so auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 20; OLG Hamm, Urt. v. 19.03.2021 – 11 U 56/20, juris Rn. 26 ff.).
bb) Auch bei der Erteilung und Überwachung der streitgegenständlichen Typengenehmigung ist ein für die unionsrechtliche Staatshaftung erforderlicher hinreichend qualifizierter Verstoß durch das Kraftfahrt-Bundesamt nicht feststellbar.
Gemäß § 4 IV EG-FGV i. V. mit Art. 8 der Richtlinie 2007/46/EG ist das Kraftfahrt-Bundesamt verpflichtet, die Angaben der Hersteller auf Vollständigkeit und Vereinbarkeit mit den unionsrechtlichen Vorgaben zu prüfen.
Unstreitig hat die Volkswagen AG bei Beantragung der streitgegenständlichen Typgenehmigung den Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung verschwiegen. Dass das Kraftfahrt-Bundesamt vor diesem Hintergrund offenbar den Herstellerangaben vertraute und nicht über die europarechtlich vorgeschriebenen Prüfungen hinaus nach verbotenen Abschalteinrichtungen forschte, ist jedenfalls nicht so verwerflich, dass dies als qualifizierter Verstoß zu werten wäre (so auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 U 102/20, juris Rn. 22 f.; OLG Hamm, Urt. v. 19.03.2021 – 11 U 56/20, juris Rn. 27).
3. Einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 III AEUV bedarf es nicht. Die Auslegung des Unionsrechts ist derart offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (sog. acte clair, vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvR 2735/14, BVerfGE 140, 317 Rn. 125).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
5. Die Zulassung der Revision bedurfte es nicht, da die Voraussetzungen des § 543 II 1 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn ihre Beantwortung zweifelhaft ist oder wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist (Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. [2021], § 543 Rn. 5 ff.). Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des Senats steht in Übereinstimmung mit der einheitlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte.