Der Käufer eines Gebrauchtwagens – hier: eines Porsche Cayenne S V8 – verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn er sich einerseits vom Verkäufer als Unternehmer behandeln lässt und einen Gewährleistungsausschluss akzeptiert, um das begehrte Fahrzeug überhaupt erhalten zu können, und andererseits später geltend macht, der Kfz-Kaufvertrag sei ein Verbrauchsgüterkauf i. S. von § 474 I 1 BGB und deshalb sei der Gewährleistungsausschluss unwirksam (§ 476 I BGB).
AG Singen, Urteil vom 19.06.2020 – 1 C 187/19
Sachverhalt: Der Kläger kaufte von dem beklagten Inhaber eines Autohauses mit schriftlichem Vertrag vom 25.01.2019 einen gebrauchten, im Mai 2006 erzugelassenen Porsche Cayenne S V8 mit einer Laufleistung von 167.665 km zum Preis von 10.950 €. Im Kaufvertrag wird der Kläger als „Firma“ bezeichnet; die (ebenfalls) vorgedruckten Anreden „Herr“ und „Frau“ sind durchgestrichen. Außerdem ist unter „Zahlungsvereinbarungen“ die Option „Für Vorsteuerabzugsberechtigte kein Umsatzsteuerausweis möglich, § 25a UStG“ angekreuzt. Weiter heißt es in dem Kaufvertrag vorgedruckt: „Handelt der Käufer als Unternehmer, so wird Folgendes vereinbart:"; hier wurde handschriftlich „unter Ausschluss der Gewährleistungsgarantie“ eingetragen.
Die Parteien vereinbarten, dass vor Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger die Heckklappe und das Radio-Navigationssystem instand gesetzt würden und der Pkw einer Hauptuntersuchung unterzogen werde.
Das Fahrzeug wurde dem Kläger schließlich am 09.02.2019 übergeben.
Mit Schreiben vom 30.07.2019 rügte der Kläger gegenüber dem Beklagten Mängel des Pkw und verlangte von dem Beklagten deren Beseitigung. Der Beklagte lehnte eine Nachbesserung mit Schreiben vom 13.08.2019 ab.
Mit der Klage hat der Kläger den Beklagten auf Zahlung von 3.617,86 € sowie auf Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Er behauptet, im Juli 2019 sei festgestellt worden, dass das Getriebe (Kabelstrang, Wellendichtring) und der Klimakompressor des Porsche Cayenne S V8 undicht seien. Eine Reparatur koste voraussichtlich 3.617,86 €. Auf den im Kaufvertrag enthaltenen Gewährleistungaausschluss – so meint der Kläger – dürfe sich der Beklagte gemäß § 476 I BGB nicht berufen. Der Kläger behauptet insoweit, dass er das Fahrzeug als Verbraucher erworben und im Verkaufsgespräch wiederholt darauf hingewiesen habe, dass er kein Unternehmer sei. Er sei angestellter Informatiker und habe sich bis zuletzt in keiner Weise unternehmerisch betätigt. Die mit dem Verkauf des Fahrzeugs befasste Ehefrau des Beklagten habe ihn noch vor der Unterzeichnung des Kaufvertrags gefragt, ob er ein gewerblicher Käufer sei; dies habe er verneint. Daraufhin habe die Ehefrau des Beklagten entgegnet, sie wisse von nichts, das müsse aber so gemacht werden. Ungeachtet dessen darf sich der Beklagte nach Auffassung des Klägers hinsichtlich des defekten Getriebes deshalb nicht auf den Gewährleistungsausschluss berufen, weil der Beklagte diesen Mangel arglistig verschwiegen habe.
Der Beklagte behauptet, seine Ehefrau habe dem Kläger achon am Telefon erklärt, dass das Fahrzeug nicht an Verbraucher, sondern nur an Gewerbetreibende verkauft werde. Der Kläger habe erwidert, dass er Gewerbetreibender sei. Auch im Verkaufsgespräch habe seine – des Beklagten – Ehefrau den Kläger mehrfach darauf hingewiesen, dass der Pkw nur an einen Unternehmer verkauft werde. Der Kläger habe wiederum bestätigt, dass er das Fahrzeug als Gewerbetreibender kaufe. Die behaupteten Mängel seien weder ihm – dem Beklagten – noch seiner Ehefrau bekannt gewesen.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 3.617,84 € als Schadensersatz gemäß § 433 I 2, § 434 I 2 Nr. 2, § 437 Nr. 3 Fall 1, §§ 280 I, III, 281 BGB. Der vertraglich vereinbarte Gewährleistungsausschluss ist wirksam (dazu 1). Ein arglistiges Verschweigen des Beklagten wird ins Blaue hinein behauptet und ist dem angebotenen Sachverständigenbeweis nicht zugänglich (dazu 2).
1. Es kann dahinstehen, ob das verkaufte Auto die vom Kläger behaupteten anfänglichen Mängel hat. Weiter kann offenbleiben, ob die Ehefrau des Beklagten als dessen Vertreterin gesagt hat, nichts davon wissen zu wollen, dass der Kläger kein gewerblicher Käufer sei.
Entscheidend ist vielmehr, dass zur Überzeugung des Gerichts Folgendes feststeht: Der Kläger hat im Verkaufsgespräch jedenfalls deutlich zu verstehen gegeben, das Auto privat kaufen zu wollen. So hat er davon gesprochen, ein solches Auto kriege man ja gar nicht als Verbraucher; es werde einem nicht verkauft. Er sei schon bei mehreren Händlern gewesen, ohne Erfolg. Diese Feststellung stützt sich auf Folgendes: Auch im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger, ohne dass dies im Protokoll Niederschlag gefunden hätte, nicht müde geworden, wiederholt zu erklären, dass es für solche Autos wie das hier vom Beklagten erworbene keinen Markt für Privatkäufer gebe (s. S. 2 des Protokolls: „In dieser Preisklasse werden heute kaum noch Autos verkauft.“). Die Zeugin E hat insoweit im Fortsetzungstermin ausgesagt, ihr Ehemann, der Kläger, habe noch betont, „man bekomme als Privatmann schlecht solche Autos gebraucht“ (S. 2 des Protokolls). Schließlich hat die Zeugin S angegeben, der Kläger habe erwähnt, schon mehrere solche Autos angeguckt zu haben. Doch keiner der Händler verkaufe solche Autos an Endverbraucher (S. 3 des zweiten Protokolls).
Weiter steht fest, dass sich der Kläger sehenden Auges darauf eingelassen hat, einen Kaufvertrag zu schließen, in dem er als Unternehmer aufgeführt wurde. Hierauf ließ er sich ein, weil er keinen anderen Weg für sich sah, ein solches Gebrauchtfahrzeug zu einem solchen Preis zu bekommen, weder von dem Beklagten noch von sonst einem gewerblichen Händler. Nach wiederholt vergeblichen Anläufen war er, um dieses Ziel zu erreichen, auch bereit, sich wie ein gewerblicher Käufer behandeln zu lassen und einen Gewährleistungsausschluss hinzunehmen. Diese Feststellung stützt sich auf das mündliche Vorbringen des Klägers (S. 2 des ersten Protokolls, vorletzter Absatz), ferner auf die Angabe seiner als Zeugin vernommenen Ehefrau nach Vorhalt der Fassung des schriftlichen Vertrags: „Mein Mann sagte ja, er sei Privatmann. Er wollte aber ja das Auto. Darum hat er den Vertrag unterschrieben.“ (S. 2 des zweiten Protokolls). Außerdem fußt diese Feststellung auf der Aussage der Zeugin S, wonach der Kläger „ja etwas an Sicherheit“ habe haben wollen. Daraufhin habe sie ihm gesagt, er bekomme den Wagen „TÜV neu“. Damit sei er einverstanden gewesen (S. 3 des zweiten Protokolls).
Dem Ansinnen des Klägers, von der gängigen Praxis des Beklagten und sonstiger Gebrauchtwagenhändler eine Ausnahme zu machen und ihm als Verbraucher doch die Möglichkeit zu eröffnen, ein solches Auto gebraucht zu erwerben, gab der durch seine Ehefrau vertretene Beklagte nach. Der Gewährleistungsausschluss war die conditio sine qua non dafür, dass der Kläger als Käufer akzeptiert wurde. Umgekehrt war der Kläger hierfür bereit, sich wie ein Unternehmer behandeln zu lassen, den Vertrag entsprechend zu fassen und darin, wie stets gegenüber gewerblichen Käufern, die Gewährleistung auszuschließen. Der Kläger holte gleichsam als Kompensation für diesen Rechtsverzicht Folgendes heraus, was der Klägervertreter eigens im – nicht nachgelassenen – Schriftsatz vom 15.06.2020 noch einmal übersichtlich zusammengestellt hat: die Instandsetzung von Radio-Navigationsgerät und Heckklappe, einen zusätzlichen Satz Sommerreifen und die Vorstellung des Autos zur Hauptuntersuchung („TÜV neu“).
Unter diesen Umständen erachtet es das Gericht als treuwidrig, nunmehr geltend zu machen, es habe sich entgegen dem vertraglichen Wortlaut der Sache nach um einen Verbrauchsgüterkauf i. S. von § 474 I 1 BGB gehandelt und § 476 I 1 BGB stehe der Einwendung des Beklagten entgegen, sich auf den Gewährleistungsausschluss zu berufen. Auch in diesem besonderen Fall erscheint als
„nicht legitim, dass der Verbraucher einen doppelten Vorteil – Preisnachlass und Schutzvorschriften – und der Unternehmer einen doppelten Nachteil – Gewährung einer Preisreduktion bei dennoch voller Inanspruchnahme – erleidet[, zumal] das Europäische Verbraucherrecht (…) nur nach ‚Waffengleichheit‘, nicht nach zwingender Bevorzugung des Verbrauchers (strebt)“
(so für eine weitere Fallgruppe BeckOGK/Augenhofer, Stand: 15.04.2020, § 474 BGB Rn. 77; ähnlich Naidecki, ZGS 2009, 155, 156).
Zu diesem Ergebnis kommt man auch, wenn man mit Weidenkaff (in: Palandt, BGB, 79. Aufl. [2020], § 474 Rn. 4) in der ausdrücklichen Bestätigung des Verbrauchers, Unternehmer zu sein, nur dann eine Umgehung i. S. von § 476 I 2 BGB sieht, wenn der Verkäufer „böswillig“ handelt, also nicht lediglich bösgläubig ist. Von „Böswilligkeit“ kann beim Beklagten und dessen Stellvertreterin im gegebenen Fall keine Rede sein.
Der der maßgeblichen Richtlinie und der entsprechenden gesetzlichen Regelung zugrunde liegende Zweck, Verbraucher vor vertragsmäßiger Benachteiligung zu schützen, lässt sich hier nicht geltend machen. Der Wille zum Vertrag lag hier ganz wesentlich aufseiten des Klägers. Er wollte den fast 13 Jahre alten, stark motorisierten SUV aus dem Hochpreissegment partout verkauft bekommen und gewann den durch seine Ehefrau vertretenen Beklagten dafür, doch in seinem besonderen Fall eine Ausnahme zu machen und ihm einen Gebrauchtwagenmarkt zu eröffnen, der ihm sonst verschlossen war. Mit anderen Worten verdient unter diesen besonderen Umständen nicht der Kläger den Schutz der §§ 474 ff. BGB, sondern der Beklagte verdient den Schutz der §§ 133, 157, 242 BGB. Es erscheint als allein billig und gerecht, den Kläger an dem Vertrag festzuhalten und ihn so zu behandeln, wie er dies bei Vertragsschluss vereinbarte, um sein singuläres Konsumerlebnis zu verwirklichen.
Es kommt hinzu, dass § 476 III BGB ausdrücklich anordnet, der Anspruch auf Schadensersatz, wie er hier geltend gemacht wird, stehe zur Disposition des Verbrauchers und dürfe ausgeschlossen werden. Auch diese gesetzgeberische Entscheidung rechtfertigt im gegebenen Fall, den vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruch als wirksam vertraglich ausgeschlossen anzusehen.
2. Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen des § 166 II 1 BGB hier zu bejahen wären, macht der Kläger ebenfalls ohne Erfolg geltend, die Einwendung des Gewährleistungsausschlusses scheitere zumindest teilweise daran, dass der Beklagte eine der behaupteten Mangelerscheinungen arglistig verschwiegen habe (§ 444 Fall 1 BGB). Diese bestrittene Behauptung ist nicht nur gänzlich unsubstanziiert geblieben, sie ist auch nicht in geeigneter Weise unter Beweis gestellt worden. Die Kenntnis des Beklagten und dessen innere Tatseite im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich. Das Vorbringen, dem Beklagten könne nicht entgangen sein, dass das Getriebe undicht gewesen sei, weil zwangsläufig „entsprechende“ Öltropfen (auf dem Stellplatz und dem Boden der Ausstellungshalle) hätten erkennbar gewesen sein müssen, ist eine bloße Mutmaßung und stellt eine Behauptung ins Blaue hinein dar. Zu Recht ist in der mündlichen Verhandlung darum vonseiten des Beklagten die Frage aufgeworfen worden, wie der Kläger zu dieser Behauptung komme, sei ihm doch offenbar selbst über Monate hinweg (Übergabe des Autos im Februar, Service im Juli 2019) nichts dergleichen aufgefallen. Der Kläger ist die Antwort darauf schuldig geblieben. Unter dieser Voraussetzung aber, doch auch ohnedies ist ausgeschlossen, ein Gerichtssachverständiger könne ohne weitere Anknüpfungstatsachen zur Einschätzung gelangen, das Getriebe müsse in dem – nicht bekannten – Zeitraum, in dem der Beklagte im Besitz des Autos gewesen sei, Öl in auffälligem Maße verloren haben, welchen Umstand der Beklagte müsse mitbekommen und daraus den sicheren Schluss gezogen haben, das Auto habe einen Defekt.
III. Mangels Hauptforderung hat der Kläger auch keinen Anspruch darauf, die ihm aus der vorgerichtlichen Geltendmachung dieses Anspruchs entstandenen Kosten ersetzt zu erhalten. Im Übrigen wären diese Kosten auch sonst nicht ersatzfähig, da sich der Beklagte im Zeitpunkt der vorgerichtlichen Beauftragung des Klägervertreters mit der Erfüllung eines Gewährleistungsanspruchs nicht in Verzug befand (vgl. §§ 280 I, II, 286 I, 288 IV BGB). …