Die Par­tei­en ei­nes Ge­braucht­wa­gen­kauf­ver­trags kön­nen zwar i. S. von § 434 I 1 BGB ver­ein­ba­ren, dass an dem Fahr­zeug ei­ne „Ta­cho­ma­ni­pu­la­ti­on“ vor­ge­nom­men wur­de, al­so die vom Ki­lo­me­ter­zäh­ler an­ge­zeig­te Ge­samt­lauf­leis­tung nicht der wah­ren Ge­samt­lauf­leis­tung des Fahr­zeugs ent­spricht. Wer die – ge­mäß § 22b I Nr. 1 StVG straf­ba­re – „Ta­cho­ma­ni­pu­la­ti­on“ vor­ge­nom­men hat, kann aber nicht Ge­gen­stand ei­ner Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung (§ 434 I 1 BGB) sein.

OLG Je­na, Be­schluss vom 29.08.2019 – 1 U 239/19
(vor­an­ge­hend: LG Mühl­hau­sen, Ur­teil vom 15.02.2019 – 6 O 340/18 ⇒ OLG Je­na, Be­schluss vom 24.07.2019 – 1 U 239/19)

Sach­ver­halt: Der Klä­ger nimmt den Be­klag­ten, von dem er ei­nen Ge­braucht­wa­gen er­wor­ben hat, auf Rück­ab­wick­lung des im Ja­nu­ar 2018 ge­schlos­se­nen Kauf­ver­trags in An­spruch.

In die­sem Ver­trag wird die Ge­samt­lauf­leis­tung des Fahr­zeugs mit „ca. 195.000 km“ an­ge­ge­ben und dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der Pkw mit ei­nem Aus­tausch­ge­trie­be aus­ge­stat­tet sei, das sei­ner­seits ei­ne Lauf­leis­tung von 125.000 km auf­wei­se. Die­se Lauf­leis­tung – 125.000 km – zeig­te auch der Ki­lo­me­ter­zäh­ler des streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeugs bei Ab­schluss des Kauf­ver­trags an. Die An­zei­ge war das Er­geb­nis ei­ner Ma­ni­pu­la­ti­on, die der Be­klag­te 2017 selbst in Auf­trag ge­ge­ben hat­te, um den Stand des Weg­stre­cken­zäh­lers an die Lauf­leis­tung des Aus­tausch­ge­trie­bes an­zu­pas­sen. Das Aus­tausch­ge­trie­be war in­des schon ein­ge­baut wor­den, als das Fahr­zeug ei­ne Lauf­leis­tung von 70.000 km oder 77.000 km auf­ge­wie­sen hat­te.

Noch im Ja­nu­ar 2018 ver­lang­te der Klä­ger mit ei­ner Whats­App-Nach­richt von dem Be­klag­ten ei­ne Her­ab­set­zung des Kauf­prei­ses mit der Be­grün­dung, die Lauf­leis­tung des Pkw be­tra­ge in Wahr­heit mehr als 200.000 km. Der Klä­ger be­haup­tet, der Be­klag­te ha­be ihm vor Ab­schluss des Kauf­ver­trags be­rich­tet, der „Ta­chostand“ sei schon beim Ein­bau des Aus­tausch­ge­trie­bes durch den Her­stel­ler ver­än­dert wor­den. Er ist der Auf­fas­sung, dass der Be­klag­te die Ma­ni­pu­la­ti­on tat­säch­lich selbst ver­an­lasst ha­be und der Um­stand, dass der Pkw, der ei­gent­lich ein Viel­fah­rer-Fahr­zeug sei, im Jahr 2017 schein­bar nur sehr we­nig be­wegt wor­den sei, lie­ßen nur den Schluss zu, dass die Ge­samt­lauf­leis­tung des Fahr­zeugs in Wirk­lich­keit sehr viel hö­her sei, als der Ki­lo­me­ter­zäh­ler an­zei­ge.

Das Land­ge­richt hat die – auch auf ei­ne nach Kla­ge­er­he­bung er­klär­te An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung ge­stütz­te – Kla­ge mit der Be­grün­dung ab­ge­wie­sen, die An­fech­tung sei nach Ab­lauf der hier­für gel­ten­den Frist er­klärt wor­den, und ein Sach­man­gel des Pkw sei des­halb nicht ge­ge­ben, weil der Be­klag­te die Ta­cho­ma­ni­pu­la­ti­on bei Ab­schluss des Kauf­ver­trags of­fen­bart ha­be.

Mit sei­ner Be­ru­fung ver­folgt der Klä­ger sein erst­in­stanz­li­ches Be­geh­ren wei­ter. Er hält dem Land­ge­richt vor, es ha­be nicht hin­rei­chend zwi­schen der zu­ge­ge­be­nen Ma­ni­pu­la­ti­on und der Fra­ge  un­ter­schie­den, wann und von wem sie durch­ge­führt wor­den sei. Da er, der Klä­ger, dies­be­züg­lich ir­re­ge­lei­tet wor­den sei und er von der Ur­he­ber­schaft des Be­klag­ten erst im Pro­zess er­fah­ren  ha­be, sei we­der die An­fech­tung ver­fris­tet, noch sei das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug man­gel­frei.

Das Rechts­mit­tel hat­te kei­nen Er­folg.

Aus den Grün­den: II. Die Be­ru­fung ge­gen das Ur­teil des LG Mühl­hau­sen vom 15.02.2019 – 6 O 340/18 – ist ge­mäß § 522 II ZPO zu­rück­zu­wei­sen, weil nach ein­stim­mi­ger Auf­fas­sung des Se­nats das Rechts­mit­tel of­fen­sicht­lich kei­ne Aus­sicht auf Er­folg hat, der Rechts­sa­che auch kei­ne grund­sätz­li­che Be­deu­tung zu­kommt, we­der die Fort­bil­dung des Rechts noch die Si­che­rung ei­ner ein­heit­li­chen Recht­spre­chung ei­ne Ent­schei­dung des Be­ru­fungs­ge­richts er­for­dert und die Durch­füh­rung ei­ner münd­li­chen Ver­hand­lung über die Be­ru­fung nicht ge­bo­ten ist.

Zur Be­grün­dung wird auf den vor­aus­ge­gan­ge­nen Hin­weis des Se­nats vom 24.07.2019 Be­zug ge­nom­men, in dem aus­ge­führt ist:

„Der zu­läs­si­gen Be­ru­fung muss nach der­zei­ti­gem Stand der Er­folg in der Sa­che ver­sagt blei­ben. Die Ent­schei­dung des Land­ge­richts lässt we­der ent­schei­dungs­er­heb­li­che Rechts­feh­ler er­ken­nen, noch be­ste­hen Zwei­fel an der Rich­tig­keit und Voll­stän­dig­keit der erst­in­stanz­lich ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen (§§ 513, 529 ZPO). Das Land­ge­richt hat die Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Der Klä­ger kann die Rück­ab­wick­lung des streit­ge­gen­ständ­li­chen Kauf­ver­trags we­der nach § 812 I I Fall 1 BGB we­gen An­fech­tung sei­ner Wil­lens­er­klä­rung ge­mäß § 123 I Fall 1 BGB noch in­fol­ge ei­nes wirk­sa­men Rück­tritts we­gen ei­nes Sach­man­gels ge­mäß § 437 Nr. 2 Fall 1, § 346 I BGB ver­lan­gen oder im Rah­men ei­ner Haf­tung für vor­ver­trag­li­ches Fehl­ver­hal­ten nach §§280 I, 311 II, 241 II BGB.

1. An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung

Was die An­fech­tungs­frist an­be­langt, die sich nach § 124 I BGB auf ein Jahr be­läuft und die das Land­ge­richt für ver­säumt hält, will die Be­ru­fung zwi­schen der Be­haup­tung ei­ner über 200.000 km lie­gen­den Lauf­leis­tung und der Fra­ge der Ur­he­ber­schaft der Ma­ni­pu­la­ti­on des Mess­ge­räts un­ter­schie­den wis­sen. Dies ge­lingt ihr nicht. Denn die ei­ne Fehl­vor­stel­lung ist un­trenn­bar mit der an­de­ren ver­knüpft. Die in der Whats­App-Nach­richt des Klä­gers vom 27.01.2018 zum Aus­druck ge­brach­te An­nah­me ei­ner Lauf­leis­tung über 200.000 km er­gibt sich ja ge­ra­de dar­aus, dass die Ver­än­de­rung der An­zei­ge auf den Be­klag­ten zu­rück­ge­hen soll. Wä­re der Klä­ger zu die­sem Zeit­punkt nach wie vor da­von aus­ge­gan­gen, dass der Ein­griff durch den Her­stel­ler er­folgt war, hät­te für ihn über­haupt kein An­lass zu Zwei­feln dar­an be­stan­den, dass die im Ver­trag an­ge­ge­be­ne Lauf­leis­tung der Wirk­lich­keit ent­spricht. Die An­fech­tung des Kauf­ver­trags ist da­her in je­dem Fall ver­fris­tet.

2. Rück­tritt we­gen Sach­man­gels

a) Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung

Der Se­nat ver­mag sich der von der Be­ru­fung an­ge­streb­ten Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Lauf­leis­tung und Ur­he­ber­schaft der Ta­cho­ma­ni­pu­la­ti­on auch nicht im Hin­blick auf die kauf­recht­li­che Ge­währ­leis­tung an­zu­schlie­ßen. Da ein Ein­griff in die Mes­sung des Weg­stre­cken­zäh­lers ei­ne Straf­tat nach § 22b I StVG be­deu­tet, kann die Fra­ge ih­rer Ur­he­ber­schaft von vorn­her­ein nicht Ge­gen­stand ei­ner Ver­kehrser­war­tung an die Be­schaf­fen­heit ei­ner Kauf­sa­che ge­mäß § 434 I 2 BGB sein. Aus dem­sel­ben Grund taugt sie aber auch nicht als Ob­jekt ei­ner wirk­sa­men Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung ge­mäß Satz 1 der Vor­schrift. Selbst wenn der vom Klä­ger an­ge­bo­te­ne Zeu­gen­be­weis er­ge­ben soll­te, dass der Be­klag­te vor Ver­trags­schluss ei­ne Ver­än­de­rung der An­zei­ge durch den Her­stel­ler be­haup­tet ha­ben soll­te, folg­te hier­aus noch nicht, dass dies ent­ge­gen der Ur­kun­de über den streit­ge­gen­ständ­li­chen Ver­trag auch als Be­schaf­fen­heit des Fahr­zeugs ver­ein­bart wor­den wä­re. Zum ei­nen wä­re ei­ne Ei­ni­gung über die Mo­da­li­tä­ten ei­ner Straf­tat als Merk­mal der Kauf­sa­che oh­ne­hin wir­kungs­los ge­we­sen (es gibt ent­ge­gen der An­sicht der Be­ru­fung kei­ne ‚fach­ge­rech­te‘ Ma­ni­pu­la­ti­on). Zum an­de­ren war, wie das Land­ge­richt eben­falls her­vor­ge­ho­ben hat, den vom Be­klag­ten über­ge­be­nen Un­ter­la­gen ein­deu­tig zu ent­neh­men, dass die Ver­än­de­rung des Ta­cho­me­ters nicht an­läss­lich des Ein­baus des Aus­tausch­mo­tors er­folgt sein konn­te. Folg­lich kann dem Be­klag­ten auch nicht un­ter­stellt wer­den, sich auf ei­ne Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung mit dem In­halt ein­ge­las­sen zu ha­ben, wie ihn der Klä­ger be­haup­tet. Wor­über sich die Par­tei­en ge­ei­nigt ha­ben und was aus der Ur­kun­de auch klar her­vor­tritt, ist al­lein die Di­ver­genz zwi­schen der An­zei­ge des Ta­cho­me­ters und der wah­ren Lauf­leis­tung.

b) Fal­sche An­ga­be der Lauf­leis­tung

Ist die Ur­he­ber­schaft an der straf­ba­ren Ver­än­de­rung der Lauf­leis­tungs­mes­sung nicht Ge­gen­stand ei­ner Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung ge­wor­den, könn­te sich ein Man­gel der Kauf­sa­che nur noch dar­aus er­ge­ben, dass die Lauf­leis­tung tat­säch­lich von der An­ga­be im Kauf­ver­trag ab­weicht. Hier­für gibt es aber, wie das Land­ge­richt zu Recht an­ge­nom­men hat, kei­nen hin­rei­chen­den An­halts­punkt. Der vom Klä­ger an­ge­bo­te­ne Be­weis durch Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten stellt da­her ei­nen Aus­for­schungs­be­weis dar, den das Land­ge­richt nicht er­he­ben durf­te.

3. Haf­tung für cul­pa in con­tra­hen­do

Taugt ein Merk­mal der Kauf­sa­che nicht zum Ge­gen­stand ei­ner Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung, ist noch denk­bar, dass ei­ne ent­spre­chen­de Fehl­in­for­ma­ti­on ei­ne Haf­tung we­gen vor­ver­trag­li­chen Ver­schul­dens aus­löst. Vor­aus­set­zung wä­re frei­lich, dass das Ver­trau­en, das der Be­klag­te in die­sem Fall in An­spruch ge­nom­men hät­te, auch schutz­wür­dig wä­re. Hier­an fehlt es aber. Denn so we­nig sich die Vor­stel­lung über ei­ne Ta­cho­ma­ni­pu­la­ti­on zum Ob­jekt der Ver­kehrser­war­tung eig­net, kann sie An­knüp­fungs­punkt für ein schutz­wür­di­ges Ver­trau­en des Klä­gers sein.“

Die Aus­füh­run­gen des Klä­gers in sei­nem Schrift­satz vom 19.08.2019 än­dern an der Ein­schät­zung des Se­nats nichts. Im Ein­zel­nen:

1. Auch wenn der Klä­ger dar­auf be­harrt, die Fehl­vor­stel­lung ei­ner Ta­cho­ma­ni­pu­la­ti­on durch den Her­stel­ler sei für ihn kauf­ent­schei­dend ge­we­sen, er­gibt sich hier­aus noch nicht, dass die­se Vor­stel­lung auch zum Ge­gen­stand ei­ner Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung ge­wor­den wä­re. Mit ihr wä­ren näm­lich die Um­stän­de ei­ner Straf­tat zum Merk­mal des Kauf­ob­jekts be­stimmt wor­den, wes­halb sich sich dem Be­klag­ten schlech­ter­dings nicht un­ter­stel­len lässt, er ha­be sich auf ei­ne sol­che Ver­ein­ba­rung ein­ge­las­sen.

2. Wenn der Klä­ger, um dem Ein­wand der Ver­fris­tung sei­nes An­fech­tungs­rechts zu ent­ge­hen, nun zwi­schen dem Ver­dacht ei­ner Lauf­leis­tung über 200.000 km und der si­che­ren Kennt­nis von der Ur­he­ber­schaft an der Ta­cho­ma­ni­pu­la­ti­on un­ter­schie­den wis­sen will, geht dies ins Lee­re: Grund­la­ge sei­ner Whats­App-Nach­richt vom 27.01.2018 war die Er­kennt­nis, dass die Ver­än­de­rung der Ta­cho­da­ten nicht auf den Her­stel­ler zu­rück­ging, so­wie die hier­aus ge­zo­ge­ne Schluss­fol­ge­rung, dass die wah­re Lauf­leis­tung deut­lich über dem Wert lie­ge, der in dem Kauf­ver­trag an­ge­ge­ben ist. Da­mit war sich der Klä­ger, wenn sei­ne An­nah­me denn zu­trä­fe, über al­le Um­stän­de be­wusst, aus de­nen sich sei­ne Täu­schung er­ge­ben konn­te. Er kann nun nicht vor­brin­gen, er ha­be ent­ge­gen dem von ihm ein­ge­stan­de­ner­ma­ßen schon ge­heg­ten Ver­dacht ei­ner Ta­cho­ma­ni­pu­la­ti­on durch den Be­klag­ten vor al­lem mit der Mög­lich­keit ge­rech­net, die­se sei durch ei­nen et­wai­gen Vor­be­sit­zer er­folgt.

3. So­wohl un­ter dem Ge­sichts­punkt der Irr­tums­an­fech­tung als auch im Hin­blick auf die Män­gel­haf­tung spielt kei­ne Rol­le, dass die Ta­cho­ma­ni­pu­la­ti­on pro­fes­sio­nell er­folg­te und sich auf sämt­li­che Da­ten­spei­cher des Fahr­zeugs er­streck­te. Es än­dert we­der et­was dar­an, dass die Ma­ni­pu­la­ti­on bei Ver­trags­schluss of­fen­bart wur­de, wes­halb der Klä­ger auch das Ri­si­ko ei­nes sich hier­aus er­ge­ben­den Min­der­er­lö­ses beim Wei­ter­ver­kauf über­nom­men hat, noch bie­tet es ei­nen hin­rei­chen­den Grund, um der Ver­mu­tung des Klä­gers nach­zu­ge­hen, das Fahr­zeug ha­be schon ei­ne län­ge­re als die Stre­cke zu­rück­ge­legt, die im Kauf­ver­trag als wirk­li­che Lauf­leis­tung an­ge­ge­ben ist.

Die Be­ru­fung war da­her mit der sich aus § 97 I ZPO er­ge­ben­den Kos­ten­fol­ge zu­rück­zu­wei­sen. …

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