Wird in einem Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen der „abgelesene Tachostand“ vermerkt, liegt hinsichtlich der Laufleistung des Fahrzeugs weder eine positve noch eine negative Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) vor. Bei der Angabe handelt es sich vielmehr um eine bloße Wissenserklärung oder – besser – Wissensmitteilung, die erkennbar auf eine objektiv feststellbare und überprüfbare Information Bezug nimmt, deren Erklärungswert jedeoch beschränkt ist und für deren Richtigkeit der Verkäufer, was sich aus der Einschränkung „abgelesen“ ergibt, nicht einstehen will.

LG Offenburg, Urteil vom 25.10.2013 – 3 O 180/12
(nachfolgend: OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.06.2015 – 14 U 158/13)

Sachverhalt: Der Kläger erwarb von dem Beklagten, einem gewerblichen Kfz-Händler, mit schriftlichem Kaufvertrag vom 04.06.2011 einen gebrauchten Pkw Citroën C4 Picasso 2.0 HDI zum Preis von 14.990 €.

Während einer Urlaubsreise des Klägers in die Türkei trat am 02.08.2011 ein Motorschaden an dem Fahrzeug auf. Der Pkw wurde auf Kosten des Klägers nach Deutschland und in die Werkstatt des Beklagten gebracht. Nachdem der Kläger den Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 19.01.2012 unter Fristsetzung zum 09.02.2012 – erfolglos – zur Nachbesserung aufgefordert hatte, erklärte er unter dem 22.03.2012 den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Der Beklagte ist der im Wesentlichen auf die Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten Klage unter Hinweis auf einen kaufvertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluss entgegengetreten. Dieser Haftungsausschluss – so hat der Beklagte geltend gemacht – sei wirksam, weil der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug ausweislich seiner Versicherung im schriftlichen Kaufvertrag als Unternehmer (§ 14 BGB) erworben habe. Die Behauptung des Klägers, er sei Verbraucher (§ 13 BGB), sei deshalb unzutreffend. Darüber hinaus hat der Beklagte bestritten, dass – wie der Kläger behauptet hat – der Citroën C4 Picasso bei der Übergabe an den Kläger mangelhaft gewesen sei. Er hat die aus seiner Sicht naheliegende Vermutung geäußert, dass der Kläger den Motorschaden selbst zu verantworten habe, weil er – was der Kläger bestreitet – Benzin statt Dieselkraftstoff getankt habe.

Das Gericht hat Beweis durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen G erhoben. Mit Schriftsatz vom 19.06.2013 hat der Kläger den Kaufvertrag angefochten, weil das streitgegenständliche Fahrzeug bei der Übergabe nach den Feststellungen des G nicht eine Laufleistung von 74.000 km, sondern eine Laufleistung von 255.604 km gehabt habe.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: A. Dem Kläger steht wegen der von ihm erklärten Anfechtung des Kaufvertrags ein Rückzahlungsanspruch nicht zu, da der Kaufvertrag nicht rechtswirksam angefochten worden ist.

I. Gründe für eine Anfechtung des Vertrags wegen eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums i. S. von § 119 I BGB sind nicht dargelegt.

II. Auch die Voraussetzungen einer wirksamen Anfechtung des Vertrags wegen einer arglistigen Täuschung sind nicht schlüssig dargelegt. Nach § 123 I Fall 1 BGB setzt dies voraus, dass der Kläger arglistig getäuscht worden wäre. Offensichtlich meint der Kläger hier die Angabe zur Laufleistung des Fahrzeugs im schriftlichen Kaufvertrag. Zwar geht der Sachverständige aufgrund seiner Begutachtung des Fahrzeugs davon aus, dass das Fahrzeug statt einer Laufleistung von 74.000 km eine Laufleistung von rund 255.000 km gehabt haben muss. Der Kläger hat jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass der Beklagte dies gewusst hat.

B. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323, 326 V BGB wegen eines Rücktritts vom Kaufvertrag nicht zu.

Nach den genannten Vorschriften kann der Käufer vom Vertrag zurücktreten, wenn die Kaufsache mangelhaft ist. Dies ist hier nicht der Fall.

I. Gemäß § 434 I 1 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, „wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat“. Nach Satz 2 dieser Bestimmung ist die Sache, soweit eine bestimmte Beschaffenheit nicht vereinbart ist, frei von Sachmängeln,

  • wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (Nr. 1) oder
  • wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (Nr. 2).

1. Eine Abweichung der vereinbarten Beschaffenheit von der tatsächlichen Beschaffenheit des Fahrzeugs liegt nicht darin, dass das Fahrzeug nach den Feststellungen des Sachverständigen eine möglicherweise deutlich höhere Laufleistung hat als im Kaufvertrag erwähnt (255.604 km statt 74.000 km). Im Kaufvertrag heißt es: „ABG. TACHO STAND : 74.000“. Dies kann nur als „abgelesener Tachostand“ verstanden werden. Bei einer solchen Formulierung handelt es sich weder um eine positive noch um eine negative Beschaffenheitsvereinbarung, sondern lediglich um eine Wissenserklärung oder Wissensmitteilung, die erkennbar auf eine objektiv feststellbare und überprüfbare Information Bezug nimmt, deren Erklärungswert jedoch beschränkt ist und für deren Richtigkeit der Verkäufer durch die Einschränkung „abgelesen“ gerade nicht einstehen will (so BGH, Urt. v. 12.03.2008 – VIII ZR 253/05, NJW 2008, 1517 Rn. 12 ff., für die vergleichbare Formulierung „Unfallschäden lt. Vorbesitzer: nein“; vgl. zur Zusicherung einer Eigenschaft der Kaufsache i. S. von § 459 II BGB a.F.: BGH, Urt. v. 04.06.1997 – VIII ZR 243/96, BGHZ 135, 393, 398). Das Auto war daher bei der Übergabe nicht deshalb mangelhaft, weil der angelesene Tachostand nicht stimmte.

2. Nach § 446 Satz 1 BGB geht die Gefahr mit Übergabe der verkauften Sache über. Der hier in Rede stehende Motorschaden, der dazu führte, dass das Fahrzeug nicht mehr fahrbereit war und abgeschleppt werden musste, ist zwar eine dem Kläger nachteilige Abweichung der sogenannten Istbeschaffenheit von der Sollbeschaffenheit. Dieser Defekt lag jedoch bei Übergabe des Fahrzeugs noch nicht vor. Eine Sachmängelhaftung des Beklagten kommt daher insoweit nur dann in Betracht, wenn der Motorschaden seinerseits auf eine Ursache zurückzuführen ist, die eine vertragswidrige Beschaffenheit des Fahrzeugs darstellt und die bei Gefahrübergang bereits vorhanden war (vgl. BGH, Urt. v. 02.06.2004 – VIII ZR 329/03, BGHZ 159, 215, 218).

a) Eine irrtümliche Verwendung von Benzin statt Diesel – wofür der Kläger verantwortlich wäre – hat der Sachverständige in seinem Gutachten als Schadensursache ausgeschlossen. Möglicherweise ist nachträglich Benzin in den Motorkreislauf eingefüllt worden, von wem auch immer. Dies ist jedoch für die kaufvertragsrechtliche Beurteilung des Sachverhalts ohne Belang.

b) Als Schadensursache kommen nach den Feststellungen des Sachverständigen zwei Möglichkeiten in Frage:

  • ein Bruch des Ventiltellers, der zwischen Ventil und Kolben geriet und dadurch ein Aufschlagen des Ventils gegen den Kipphebel verursacht hat, der dadurch gebrochen ist, oder
  • ein Riss des Zahnriemens, was die Synchronisation zwischen Kurbel- und Nockenwelle stört und dazu geführt hat, dass die Kolben auf die Ventile aufschlagen konnten.

Nach Ansicht des Sachverständigen ist die erste Möglichkeit die wahrscheinlichere. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Die teilweise Entsorgung der Motorteile ist dabei im Ergebnis ohne Belang, da ihre Einbeziehung in das Gutachten nach den Ausführungen des Sachverständigen zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte. Entscheidend ist, dass es sich in beiden Fällen um ein mechanisches Versagen eines Bauteils handelt, was im Hinblick auf die großen Laufleistung von über 250.000 km einen normaler Verschleiß darstellt, der, sofern – wie hier – keine besonderen Umstände gegeben sind, keinen Mangel darstellt (vgl. zum alten Recht: OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.12.1987 – 7 U 56/87, NJW-RR 1988, 1138, 1139; zum neuen Recht: BGH, Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434 Rn. 19; OLG Köln, Urt. v. 11.11.2003 – 22 U 88/03, ZGS 2004, 40; KG, Urt. v. 16.07.2004 – 25 U 17/04, ZGS 2005, 76; OLG Celle, Urt. v. 04.08.2004 – 7 U 30/04, NJW 2004, 3566; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl., Rn. 1228 ff.; MünchKomm-BGB/Westermann, 4. Aufl., § 434 Rn. 58).

II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch wegen eines arglistigen Verhaltens des Beklagten.

1. Der Kläger behauptet nicht, dass der Beklagte von einer möglichen Manipulation des Tachometers gewusst hat oder diese hätte erkennen können. Dies scheidet daher als Anknüpfungstatsache für eine mögliche Haftung des Beklagten aus.

2. Falls der Beklagte nach Eintritt des Schadens in seiner Werkstatt Benzin in den Tank des Fahrzeugs fabriziert haben sollte, um eine Falschbetankung vorzutäuschen, so hat dies auf die Entscheidung des Rechtsstreits keine Auswirkungen gehabt, weil es weder die Rechtslage noch die tatsächliche Grundlage für die Entscheidung des Rechtsstreits zum Nachteil des Klägers verändert hat. Gleiches gilt für den Umstand, dass kurz vor der Begutachtung wesentliche Teile des Motors entsorgt worden sind. Beides hat sich im Ergebnis nicht zum Nachteil des Klägers ausgewirkt.

C. Da somit kein Hauptsacheanspruch besteht, schuldet der Beklagte auch keinen Verzugszins als Verzugsschaden. Gleiches gilt für die Geltendmachung der außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten. …

Hinweis: Mit seiner Berufung hat der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Er hat gerügt, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die formularmäßige Einschränkung „abg. Tachostand“ genüge, um eine Haftung des Beklagten zu verneinen. Die Formulierung „abg. Tachostand“ sei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht mit der Formulierung „Gesamtfahrleistung lt. Vorbesitzer“ zu vergleichen.

Das OLG Karlsruhe hat die Berufung mit Urteil vom 19.06.2015 – 14 U 158/13 – zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

„B. … Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Das Landgericht ist in zutreffender Weise zu dem Schluss gelangt, dass ein Mangel des Fahrzeugs, der den Kläger zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigen würde, nicht vorlag. Mit der Formulierung ‚abg. Tachostand‘ wird weder eine Beschaffenheit vereinbart, noch eine Garantie gewährt.

Der BGH hat in dem Urteil vom 12.03.2008 – VIII ZR 253/05 bezüglich der Angabe ‚Unfallschäden lt. Vorbesitzer: nein‘ das Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung verneint . Dazu wurde ausgeführt, dass derjenige, der sich im Rahmen von Verkaufsverhandlungen für eine Aussage ausdrücklich auf eine bestimmte Quelle beziehe, damit hinreichend deutlich zum Ausdruck bringe, woher er die Angabe entnommen habe und dass es sich dabei nicht um eigenes Wissen handle. Im Beschluss vom 02.11.2010 – VIII ZR 287/09 bezieht sich der BGH auf das vorangegangene Urteil und erklärt, mit diesem habe der Senat die Maßstäbe geklärt, nach denen künftig das Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung bei Angaben mit einschränkenden Zusätzen zu beurteilen sei. Es bestehe daher keine Veranlassung für eine weitergehende höchstrichterliche Leitentscheidung. Der BGH hat im genannten Urteil auch erklärt, dass der Zusatz ‚laut Fz.-Brief‘ in gleicher Weise zu würdigen sei. Darüber hinaus komme die Annahme der Vereinbarung einer Beschaffenheit nicht mehr ‚im Zweifel‘, sondern nur noch in einem eindeutigen Fall in Betracht. Der BGH nimmt insofern ausdrücklich von der Rechtsprechung zur alten Rechtslage Abstand.

Nach den danach geltenden Maßstäben kann auch die Angabe eines Tachostands mit dem Zusatz ‚abg.‘, der nur als ‚abgelesen‘ verstanden werden kann, keine Vereinbarung der Beschaffenheit darstellen. In gleicher Weise wie in den Fällen, in denen sich der Verkäufer auf die Angaben des Vorbesitzers oder den Kfz-Brief beruft, wird dem Kaufinteressenten deutlich, worauf diese Angabe beruht, nämlich auf der abgelesenen Anzeige des entsprechenden Instruments. Durch den Zusatz wird zugleich deutlich, dass es sich nicht um Kenntnisse handelt, die der Verkäufer aus anderen Quellen, wie sie im vorliegenden Fall dem Sachverständigen zur Verfügung standen, bezogen hat. Der vom BGH geforderte eindeutige Fall liegt insofern nicht vor (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 09.09.2014 – 5 U 44/14, juris).

2. Dadurch, dass der Verkäufer sich erkennbar auf eine Ablesung des Tachometers bezieht, liegt auch keine Erklärung ‚ins Blaue hinein‘ vor. Das Landgericht hat daher zu Recht die Voraussetzungen für eine arglistige Täuschung verneint.

3. Die Feststellungen des Landgerichts bezüglich des Vorliegens eines Mangels bei Verkauf waren gemäß § 529 I Nr. 1 ZPO zugrunde zu legen. Der Tatrichter hat sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt; konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollstän-digkeit der Beweiserhebung gibt es nicht. …“

PDF erstellen