- Verlangt der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs vom Verkäufer – in erster Linie gestützt auf eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise gestützt auf einen mangelbedingten Rücktritt vom Kaufvertrag – die Rückabwicklung des Kaufvertrags und macht er gegen die Volkswagen AG als Herstellerin des Fahrzeugs Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§ 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB, § 826 BGB) geltend, dann kann für den Rechtsstreit der gemeinschaftliche besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) begründet sein.
- Die sich aus einer wirksamen Anfechtung (hier: wegen arglistiger Täuschung) oder einem wirksamen Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag ergebenden Rückgewährpflichten sind einheitlich dort zu erfüllen, wo sich die Kaufsache im Zeitpunkt der Entstehung des Rückabwicklungsschuldverhältnisses vertragsgemäß befindet, in der Regel also am Wohnsitz des Käufers.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2017 – I-5 Sa 44/17
Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der Beklagten zu 1 mit Kaufvertrag vom 10.12.2012 einen von der Beklagten zu 2, der Volkswagen AG, hergestellten VW Passat Variant 2.0 TDI Highline. Das Fahrzeug ist mit einem EA189-Dieselmotor ausgestattet und deshalb vom VW-Abgasskandal betroffen. Der Kläger behauptet, dass die Abgasreinigungsanlage des Pkw softwaregesteuert so arbeite, dass der Stickoxid(NOX-)Ausstoß möglichst gering sei, sobald das Fahrzeug einen standardisierten Emissionstest absolviere. Beim regulären Betrieb des Fahrzeugs würden dagegen Teile der Abgaskontrollanlage außer Kraft gesetzt.
Darin sieht der Kläger einen unbehebbaren Mangel und macht geltend, dass ihm eine Mangelbeseitigung durch Installation eines von der Beklagten zu 2 avisierten Softwareupdates jedenfalls nicht zuzumuten sei. Der Kläger hat deshalb die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Er ist der Auffassung, die Beklagte zu 2 habe ihm durch Vorspiegelung falscher Tatsachen hinsichtlich des Schadstoffausstoßes des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht nur in sittenwidriger Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt (§ 826 BGB), sondern auch den Tatbestand des Betrugs erfüllt (§ 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB). Dies müsse sich die Beklagte zu 1 als Vertragshändlerin zurechnen lassen.
Von der Beklagten zu 1 verlangt der Kläger Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgewähr des Fahrzeugs, und er will festgestellt haben, dass sich die Beklagte zu 1 mit der Rücknahme des Pkw in Annahmeverzug befinde. Gegenüber der Beklagten zu 2 begehrt der Kläger die Feststellung, dass ihm die Beklagte zu 2 für Schäden, die „aus der Manipulation“ des gekauften Fahrzeugs resultierten, Ersatz leisten müsse.
Die Beklagte zu 2 hat die Unzuständigkeit des vom Kläger angerufenen LG Krefeld gerügt. Das OLG Düsseldorf als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht hat die vom Kläger begehrte Bestimmung des zuständigen Gerichts abgelehnt.
Aus den Gründen: II. 1. Das OLG Düsseldorf ist als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 II ZPO berufen, weil das zuerst mit der Sache befasste LG Krefeld in seinem Bezirk liegt.
2. Nach § 36 I Nr. 3 ZPO bestimmt das im Rechtszug zunächst höhere Gericht das zuständige Gericht, wenn mehrere Parteien, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist.
a) Der Kläger nimmt die Beklagten als Streitgenossen i. S. der §§ 59, 60 ZPO in Anspruch.
§ 60 ZPO beruht weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen und ist deshalb grundsätzlich weit auszulegen. Dies gestattet es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH, Beschl. v. 03.05.2011 – X ARZ 101/11, NJW-RR 2011, 1137 Rn. 18).
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen der Mangelhaftigkeit seines Fahrzeugs aufgrund falscher Angaben über den Schadstoffausstoß in Anspruch und stützt seinen Ansprüche gegenüber beiden Beklagten jedenfalls auch darauf, dass sie ihn zurechenbar arglistig getäuscht hätten. Der sachliche Zusammenhang wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Kläger gegen die Beklagte zu 1 auch Ansprüche aus dem Kaufvertrag geltend macht. Trotz der bestehenden Unterschiede erscheinen die erhobenen Ansprüche ihrem Wesen nach gleichartig, weil der Kläger seine Ansprüche damit begründet, bei dem Kauf seines Fahrzeugs arglistig getäuscht worden zu sein mit der Folge, ein mangelhaftes Fahrzeug erworben zu haben, wozu beide Beklagte als Händler bzw. als Hersteller des Dieselmotors einen Beitrag geleistet haben.
Im Ergebnis kommt es jedoch nicht darauf an, ob die Beklagten als Streitgenossenschaft gemäß §§ 59, 60 ZPO anzusehen sind, denn die Frage, ob die Beklagten Streitgenossen i. S. des § 60 ZPO sind, ist hier nicht entscheidungserheblich. Eine Gerichtsstandbestimmung scheidet nämlich bereits wegen des Bestehens eines gemeinschaftlichen besonderen Gerichtsstands beider Beklagten aus. Der Senat ist daher im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Nürnberg vom 25.04.2017 (1 AR 749/17) nicht gehalten, die Sache gemäß § 36 III ZPO dem BGH zu Entscheidung vorzulegen.
b) Die Beklagten haben ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand bei unterschiedlichen Gerichten. Die Beklagte zu 1 hat ihren allgemeinen Gerichtsstand bei dem LG Krefeld. Die Beklagte zu 2 ist im Bezirk des LG Braunschweig ansässig und hat dort ihren allgemeinen Gerichtstand.
c) Die Gerichtsstandsbestimmung ist gleichwohl abzulehnen, da die Beklagten über einen gemeinschaftlichen besonderen Gerichtsstand verfügen. Dabei hat der Senat im Rahmen des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens nach § 36 ZPO nicht zu prüfen, ob die geltend gemachten Ansprüche tatsächlich bestehen. Auszugehen ist vielmehr von den Tatsachenbehauptungen des Klägers (Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 36 Rn. 18).
Zwar besteht kein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes, jedoch sind – nach dem Klägervortrag &ndash die Voraussetzungen des § 32 ZPO für beide Beklagten erfüllt.
aa) Für die Beklagte zu 1 besteht neben ihrem allgemeinen Gerichtsstand in Krefeld noch ein besonderer Gerichtsstand bei dem LG Fulda. Dort liegt der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO), an dem die nachrangig geltend gemachte Rückgewährverpflichtung aus Vertrag zu erfüllen ist. Für Rückabwicklungsschuldverhältnisse bei Kaufverträgen ist der einheitliche Erfüllungsort bei Klagen des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgewähr der Kaufsache dort, wo sich die Kaufsache zum Zeitpunkt der Entstehung des Rückabwicklungsschuldverhältnisses (hier: Rücktritt, Anfechtung) nach dem Vertrag befindet (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 29 Rn. 25 – „Kaufvertrag“). Das ist vorliegend der Wohnort des Klägers im Zeitpunkt des Rücktritts.
Im Verhältnis zu der Beklagten zu 2 besteht der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nicht, denn der Kläger und die Beklagte zu 2 sind nicht vertraglich verbunden. Die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte zu 2 stützen sich ausschließlich auf deliktische Anspruchsgrundlagen. Die Anwendbarkeit des § 29 ZPO setzt aber schon nach dem Gesetzeswortlaut Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis bzw. über das Bestehen eines solchen voraus. Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO für beide Beklagten ist daher nicht gegeben.
bb) Nach dem für das Bestimmungsverfahren maßgebenden Vorbringen des Klägers sind jedoch die Voraussetzungen des § 32 ZPO für beide Beklagten erfüllt.
Gemäß § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubter Handlung das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Den Begriff der unerlaubten Handlung bestimmt das bürgerliche Recht; er ist nach materiellem Recht zu qualifizieren. Er umfasst jeden rechtswidrigen Eingriff in fremde Rechtssphären. Von § 32 ZPO werden unerlaubte Handlungen im weiteren Sinn erfasst, nicht nur gemäß §§ 823 ff. BGB. Gleichgültig ist, welches prozessuale Begehren aus der unerlaubten Handlung hergeleitet wird. Auch der Feststellungsantrag, der die Unwirksamkeit von Verträgen infolge der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zum Gegenstand hat, kann daher im Gerichtsstand des § 32 ZPO geltend gemacht werden, wenn die Anfechtung wegen einer unerlaubten Handlung erklärt worden ist (BayObLG, Beschl. v. 12.06.2003 – 1Z AR 26/03, MDR 2003, 1311; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 32 Rn. 14). Nichts anderes kann gelten, wenn die Rückabwicklung eines aufgrund Arglistanfechtung nichtigen Vertrages begehrt wird.
Begehungsort der deliktischen Handlung kann sowohl der Handlungs- als auch der Erfüllungsort sein, sodass eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo eine der Verletzungshandlungen (hier: die behauptete Täuschung über den Schadstoffausstoß) begangen wurde, oder dort, wo in ein geschütztes Rechtsgut (Vermögen des Klägers) eingegriffen wurde (BGH, Urt. v. 28.02.1996 – XII ZR 181/93, NJW 1996, 1411, 1412 f.).
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten zu 1 mit Anwaltsschriftsatz vom 25.01.2016 vorranging die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung erklärt. Nur hilfsweise hat er sich auf die Gewährleistungsrechte aus dem Kaufvertrag berufen. In der Klageschrift hat er die Reihenfolge der geltend gemachten Ansprüche entsprechend aufrechterhalten. Damit stützt er seine Ansprüche weiterhin vorrangig auf die Anfechtung wegen einer unerlaubten Handlung. Er vertritt die Ansicht, dass sich die Beklagte zu 1 die behauptete betrügerische Vorgehensweise der Beklagten zu 2 zurechnen lassen müsse. Ob diese Tatbestandsvoraussetzungen tatsächlich erfüllt sind, hat der Senat im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nicht zu beurteilen.
Gegen die Beklagte zu 2 stützt der Kläger seine Ansprüche ausschließlich auf deliktische Ansprüche, sodass für beide Beklagten der gemeinschaftliche besondere Gerichtsstand des § 32 ZPO gegeben ist.
Da der Kläger geltend macht, die Beklagte zu 2 habe sich zur Begehung der betrügerischen Handlung, nämlich der Täuschung, der Beklagten zu 1 bedient, liegt der Begehungsort am Sitz der Beklagten zu 1 in Krefeld, wo der Kaufvertrag abgeschlossen worden ist. Stellt man auf den Eintritt des behaupteten Vermögensschadens ab, liegt der Begehungsort am damaligen Wohnort des Klägers, Bergisch-Gladbach.
Eine Zuständigkeitsbestimmung ist auch nicht ausnahmsweise aus prozessökonomischen Gründen veranlasst. Dies kann allerdings der Fall sein, wenn das nach Ansicht des Senats zuständige Gericht erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit hat (BayObLG, Beschl. v. 10.11.2003 – 1Z AR 114/03, NJW-RR 2004, 944). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Das LG Krefeld hat keine diesbezüglichen Bedenken geäußert, sondern frühen ersten Termin anberaumt. Diesen hat es wegen des Antrags des Klägers aufgehoben und gleichzeitig mitgeteilt, seiner Auffassung nach lägen die Voraussetzungen für eine Gerichtsbestimmung nach § 36 I Nr. 3 ZPO nicht vor.