1. Das Prozessgericht ist verpflichtet, bei der Suche und Auswahl eines geeigneten Sachverständigen alle bekannten Erkenntnisquellen auszuschöpfen (§ 404 I 1 ZPO). Findet es keinen geeigneten Sachverständigen, kann es unter den Voraussetzungen des § 356 ZPO von einer Beweiserhebung absehen. Die dafür maßgeblichen Erwägungen müssen in den Urteilsgründen, gegebenenfalls unter Bezugnahme auf Verfügungen und Beschlüsse des Prozessgerichts, für die Parteien nachvollziehbar dargelegt werden. Dazu gehört die Offenlegung sämtlicher Bemühungen des Prozessgerichts, aus denen sich der zwingende Schluss ergibt, dass der Beweis durch Sachverständige nicht geführt werden kann.
  2. Die Bezeichnung eines geeigneten Sachverständigen ist in diesem Fall im Rahmen der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht erforderlich, um die Verletzung des Verfahrensgrundrechts aus Art. 103 I GG, § 404 I 1 ZPO darzulegen.

BGH, Beschluss vom 29.03.2017 – VII ZR 149/15

Sachverhalt: Die Klägerin macht gegen die Beklagte restlichen Werklohn geltend.

Die Beklagte beauftragte die Klägerin im Rahmen des Ausbaus der Rheinuferstraße in Köln mit Verkehrssicherungsarbeiten. Die Parteien vereinbarten die Geltung der VOB/B. Die Klägerin verpflichtete sich, die von ihr geschuldeten Leistungen zum Festpreis von 102.379,48 € zu erbringen. Dieser Betrag war in der Weise zustande gekommen, dass die Klägerin auf ein nach Einheitspreisen erstelltes Angebot vor der Vergabe des Auftrags einen pauschalen Nachlass gewährt hatte.

In ihrer Schlussrechnung rechnete die Klägerin für eine Bauzeitverlängerung und verschiedene Umbauten Nachträge in Höhe von 161.162,66 € netto ab. Die Beklagte erkannte die Nachträge im Umfang eines Nettobetrages von 88.412,09 € als berechtigt an. Diesen Betrag zuzüglich Umsatzsteuer bezahlte sie an die Klägerin.

Mit der Klage begehrt die Klägerin weiteren Werklohn in Höhe von 86.871,88 €. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe trotz entsprechender Hinweise die geforderten Nachtragspreise nicht auf die Preisermittlungsgrundlage aus dem Hauptvertrag zurückgeführt. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage angeordnet, ob es sich bei den von der Klägerin aufgeführten Einheitspreisen um die übliche Vergütung handelt, die zur Zeit des Vertragsschlusses für nach Art, Güte und Umfang gleiche Leistungen nach allgemeiner Auffassung der beteiligten Kreise im Raum Köln gewährt zu werden pflegt. Zur Beantwortung dieser Frage hat das Berufungsgericht nacheinander vier Sachverständige herangezogen. Schließlich hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil die Sachverständigen die Beweisfrage nicht hätten beantworten können und weitere geeignete Sachverständige nicht ersichtlich seien. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Der dagegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der BGH teilweise stattgegeben.

Aus den Gründen: [5]    II. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision führt in dem im Tenor bezeichneten Umfang zur Zulassung der Revision, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht (§ 544 VI und VII ZPO).

[6]    1. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Interesse, ausgeführt:

[7]    Soweit die Klägerin Nachträge von 132.150,87 € netto geltend mache, könne für die Berechnung der geschuldeten Vergütung auf die Urkalkulation zurückgegriffen werden. Für die weiteren Nachtragsarbeiten, die nicht anhand der Urkalkulation berechnet werden könnten, fehle es an einer gesicherten Grundlage für deren Preisermittlung. Dass die von ihr in Ansatz gebrachten Preise zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ortsüblich gewesen seien, habe die Klägerin nicht zu beweisen vermocht. Der Sachverständige H habe sich zu einer abschließenden Begutachtung außerstande gesehen, nachdem ihm eine repräsentative Erhebung der marktüblichen Preise nicht möglich gewesen sei. Der Sachverständige J habe mitgeteilt, die Sachfrage sei von seinem Bestellungsgebiet nicht abgedeckt. Der Sachverständige M habe die Begutachtung ohne Ergebnis aus persönlichen Gründen abbrechen müssen. Die Begutachtung des Sachverständigen L schließlich, der die Beweisfrage mit „Ja“ beantwortet habe, sei nicht nachvollziehbar.

[8]   Weitere Sachverständige, die die Beweisfrage beantworten könnten, seien dem Berufungsgericht nicht bekannt. Eine Beauftragung des von der Beklagten vorgeschlagenen Sachverständigen G scheide aus, da ein Zusammenhang der Beweisfrage mit dessen Fachgebieten nicht ersichtlich sei. Soweit grundsätzlich die Möglichkeit in Betracht zu ziehen sei, dass sich jeder Sachverständige durch Nachfragen bei in der Branche tätigen Unternehmen einen Überblick zu den üblichen Preisen verschaffen könne, ergebe sich aus der Stellungnahme des Sachverständigen H, dass dies vorliegend keinen Erfolg verspreche.

[9]   2. Das angefochtene Urteil beruht in dem im Tenor genannten Umfang auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG), weil das Berufungsgericht eine weitere Beweiserhebung durch Sachverständige abgelehnt hat.

[10]   a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 I GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Das gilt auch dann, wenn der Tatrichter dieses Vorbringen zwar zur Kenntnis genommen hat, das Unterlassen der danach gebotenen Beweisaufnahme aber im Prozessrecht keine Stütze findet (BGH, Beschl. v. 16.11.2016 – VII ZR 23/14, ZfBR 2017, 146 Rn. 10 m. w. Nachw.).

[11]   b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 I GG hier verletzt.

[12]   aa) Nach § 403 ZPO wird der Beweis durch Sachverständige durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte angetreten. Die Benennung eines bestimmten Sachverständigen ist für den Beweisantritt nicht erforderlich. Vielmehr erfolgt die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl durch das Prozessgericht (§ 404 I 1 ZPO). Um den oder die geeigneten Sachverständigen zu finden, obliegt es dem Prozessgericht, sich beispielsweise bei Kammern, Berufsverbänden, Instituten und durch Kontaktaufnahme mit Sachverständigen kundig zu machen. Zudem kann das Prozessgericht die Parteien auffordern, einen geeigneten Sachverständigen zu bezeichnen (§ 404 IV ZPO).

[13]   Findet das Prozessgericht unter Ausschöpfung aller bekannten Erkenntnisquellen keinen geeigneten Sachverständigen, kann es, unter den Voraussetzungen des § 356 ZPO, von einer Beweiserhebung absehen. Die dafür maßgeblichen Erwägungen müssen in den Urteilsgründen, gegebenenfalls unter Bezugnahme auf Verfügungen und Beschlüsse des Prozessgerichts, für die Parteien nachvollziehbar dargelegt werden. Dazu gehört die Offenlegung sämtlicher Bemühungen des Prozessgerichts, aus denen sich der zwingende Schluss ergibt, dass der Beweis durch Sachverständige nicht geführt werden kann.

[14]   bb) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.

[15]   Dem angefochtenen Urteil kann bereits nicht entnommen werden, dass das Berufungsgericht sämtliche Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat. Kontaktaufnahmen zu Kammern, Berufsverbänden und Instituten sind nicht dokumentiert. Die Beauftragung des Sachverständigen G wird mangels einschlägigen Fachgebiets abgelehnt, ohne zu dokumentieren, ob der Sachverständige G Gelegenheit hatte, sich dazu zu äußern, woraus sich eine andere Einschätzung ergeben könnte. Die Ablehnung eines mit betriebswirtschaftlicher Kalkulation vertrauten Sachverständigen wird allein unter Bezugnahme auf Ausführungen des als ersten bestellten Sachverständigen H begründet. Eine Kontaktaufnahme zu einem mit betriebswirtschaftlicher Kalkulation vertrauten Sachverständigen, der eigene Sachkunde bejaht haben oder einen geeigneten Sachverständigen hätte vorschlagen können, ist nicht dokumentiert.

[16]   cc) Der Umstand, dass die Klägerin im Beschwerdeverfahren selbst keinen geeigneten Sachverständigen bezeichnet, ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung für die Darlegung der Verletzung des Verfahrensgrundrechts aus Art. 103 I GG, § 404 I 1 ZPO und damit eines Grundes zur Zulassung der Revision (§§ 544 II 3, 543 II ZPO) ohne Belang, da die Benennung des Sachverständigen der beweisführenden Partei nicht obliegt. Eine Bezeichnung des Sachverständigen im Rahmen der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist deshalb ebenfalls nicht erforderlich.

[17]   3. Das angefochtene Urteil kann daher im tenorierten Umfang keinen Bestand haben.

[18]   III. Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 IV 2 Halbsatz 2 ZPO).

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