Die beabsichtigte Klage eines Neuwagenkäufers, dessen Fahrzeug vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffen ist und der die Lieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs (§ 439 I Fall 1 BGB) erreichen möchte, kann auch dann hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. des § 114 I 1 ZPO bieten, wenn der Verkäufer geltend macht, eine Ersatzlieferung sei nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich (§ 439 III BGB). Denn über die Berechtigung dieser Einrede ist nicht im summarischen Pkh-Verfahren, sondern erst im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass der Verkäufer den Käufer nicht ohne Weiteres auf eine Nachbesserung verweisen kann, wenn diese nicht binnen angemessener Frist möglich ist.
OLG Hamm, Beschluss vom 21.06.2016 – 28 W 14/16
Sachverhalt: Die Antragstellerin erwarb im Jahr 2011 durch Vermittlung der U-GmbH von der Antragsgegnerin einen Neuwagen (VW Polo 1.6 TDI Trendline) zum Preis von 19.509,21 €. Das Fahrzeug, in dem sich ein Dieselmotor des Typs EA189 befindet, wurde im September 2011 ausgeliefert.
Im Oktober 2015 erfuhr die Klägerin, dass ihr VW Polo vom sogenannten Abgasskandal betroffen ist, weil eine Software die Stickoxid-Emissionen „optimiert“, wenn sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet. Mit Anwaltsschreiben vom 16.10.2015 warf sie der Antragsgegnerin vor, ihr diesen Mangel arglistig verschwiegen zu haben, und verlangte die Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs mit der aus der Rechnung vom 14.09.2011 ersichtlichen Ausstattung. Hierfür setzte die Antragstellerin der Antragsgegnerin – vergeblich – eine Frist bis zum 30.10.2015.
Die Antragstellerin begehrt nun Prozesskostenhilfe für eine Klage. Sie will gestützt auf § 439 I Fall 2 BGB erreichen, dass die Antragsgegnerin verurteilt wird, ihr – der Antragstellerin – Zug um Zug gegen Rückgabe des bereits gelieferten Fahrzeugs ein mangelfreies Neufahrzeug zu liefern. Außerdem soll festgestellt werden, dass sich die Antragsgegnerin mit der Rücknahme des bereits gelieferten VW Polo in Verzug befindet, und soll die Antragsgegnerin dazu verurteilt werden, die Antragstellerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen.
Die Antragsgegnerin steht auf dem Standpunkt, das Fahrzeug der Antragstellerin sei nicht mangelhaft, weil es technisch sicher und uneingeschränkt fahrbereit sei und über alle Genehmigungen verfüge. Im Übrigen sei das Nachlieferungsverlangen unverhältnismäßig. Sie, die Antragsgegnerin, sei bereit, sämtliche mit einem Motor des Typs EA189 ausgestatteten Fahrzeuge technisch zu überarbeiten, und gehe davon aus, dass damit je Fahrzeug ein Zeitaufwand von weniger als eine Stunde und ein Kostenaufwand von deutlich weniger als 100 € verbunden sei. Demgegenüber entstünden ihr im Falle einer Nachlieferung Kosten von etwa 19.300 €.
Das Landgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, dass zwar die Installation der Manipulationssoftware einen Sachmangel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB begründe und das Fahrzeug der Antragstellerin auch mit Blick auf § 434 I 3 BGB mangelhaft sei. Die Antragsgegnerin mache jedoch mit Recht geltend, dass eine Nachlieferung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich sei (§ 439 III BGB). Der mit einer einer Mangelbeseitigung verbundene Kosten- und Zeitaufwand sei relativ gesehen so gering, dass die Antragstellerin gehalten sei, zunächst die Beseitigung des Mangels (§ 439 I Fall 2 BGB) zu verlangen. Dass die dafür in Aussicht genommenen Maßnahmen nicht& griffen oder mit Nachteilen verbunden seien, sei nicht bekannt.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, hatte Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Der Antragstellerin war gemäß den §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu bewilligen, weil die Nachlieferungsklage hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht, nicht mutwillig ist und die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung zu tragen.
1. Die Antragstellerin hat schlüssig vorgetragen, dass ihr gegen die Antragsgegnerin ein Anspruch auf Nachlieferung eines Neufahrzeugs gemäß § 439 I BGB zusteht.
Sie hat insbesondere mit hinreichender Erfolgsaussicht geltend gemacht, dass das bei der Antragsgegnerin erworbene Fahrzeug einen bereits bei Übergabe vorhandenen Sachmangel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB aufweist. Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin entspricht ein Neufahrzeug nicht schon dann der üblichen und berechtigterweise von einem Käufer zu erwartenden Beschaffenheit, wenn es technisch sicher und fahrbereit ist und über alle Genehmigungen verfügt. Durch die Installation der Manipulationssoftware, die die korrekte Messung der Stickoxidwerte verhindert und im Prüfbetrieb niedrigere Ausstoßmengen vorspiegelt, dürfte ein Fahrzeug vielmehr von der bei vergleichbaren Fahrzeugen üblichen Beschaffenheit abweichen.
2. Ob die Antragsgegnerin die von der Antragstellerin gewählte Art der Nacherfüllung in Form der Nachlieferung gemäß § 439 III BGB verweigern darf, ist derzeit noch nicht abschließend und sicher festzustellen.
Nach § 439 III BGB kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung unbeschadet des § 275 II und III BGB verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist.
Die Antragsgegnerin beruft sich hier weder auf die Unmöglichkeit der Nachlieferung (§ 275 II BGB) noch auf die Unzumutbarkeit des damit verbundenen Aufwandes (§ 275 III BGB), sondern auf die Unverhältnismäßigkeit der mit dieser Form der Nacherfüllung verbundenen Kosten.
Über diesen Einwand, dessen Berechtigung nicht unzweifelhaft ist, ist nicht im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren zu entscheiden, dies ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
Die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe notwendige hinreichende Erfolgsaussicht ist in der Regel schon dann zu bejahen, wenn die Entscheidung von der Beantwortung schwieriger Rechts- und Tatfragen abhängt (BGH, Beschl. v. 07.03.2007 – IV ZB 37/06, NJW-RR 2007, 908 Rn. 7).
Bei der Beurteilung der Streitfrage der von der Antragsgegnerin geltend gemachten Unverhältnismäßigkeit der Nachlieferung wird zu berücksichtigen sein, dass § 439 III BGB richtlinienkonform einschränkend dahin auszulegen ist, dass nur die Berufung auf die relative Unverhältnismäßigkeit der vom Käufer gewählten Art der Nachlieferung statthaft ist (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073). Das setzt voraus, dass der Antragsgegnerin beide Arten der Nacherfüllung tatsächlich möglich sind.
Die Parteien streiten nicht darum, dass der Antragsgegnerin die von der Antragstellerin gewünschte Nachlieferung möglich ist; jedoch lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen, dass dies auch für die von der Antragsgegnerin favorisierte Nachbesserung gilt. Dabei mag das in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt durchgeführte Prüfungsverfahren darauf hinweisen, dass, soweit Freigaben erfolgen, die von der Antragsgegnerin vorgesehene technische Nachrüstung nicht zu den von der Antragstellerin befürchteten Nachteilen in Form erhöhter Verbrauchswerte oder einer reduzierten Fahrleistung führen wird. Allerdings ist zu konstatieren, dass der Antragsgegnerin nach ihrer eigenen Darstellung bislang keine Freigabe des Kraftfahrt-Bundesamts für die technische Umrüstung des streitgegenständlichen Fahrzeugmodells vorliegt. Wann damit zu rechnen ist und bis zu welchem Zeitpunkt die technische Maßnahme gegebenenfalls an dem Fahrzeug der Antragstellerin umgesetzt werden könnte, ist bislang nicht vorgetragen.
Es erscheint aber zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin die Antragstellerin unter Hinweis auf die Unverhältnismäßigkeit der Nachlieferung auf eine Nachbesserung verweisen könnte, wenn ihr diese nicht binnen angemessener Frist möglich ist. Welche Frist als angemessen anzusehen ist, ist nicht ohne Weiteres festzulegen (s. dazu LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15, juris). Die rechtliche und tatsächliche Bewertung dieses Gesichtspunkts ist nicht im Rahmen des summarischen Prozesskostenhilfeverfahrens vorzunehmen.
Die zwischen den Parteien kontrovers diskutierten Fragen um die im Rahmen der Prüfung der Unverhältnismäßigkeit einzustellenden Kosten der einen und der anderen Art der Nacherfüllung können deswegen – einstweilen – offenbleiben.