1. Ein Die­sel­fahr­zeug, bei dem ei­ne Soft­ware die Ab­gas­auf­be­rei­tung (nur) in ei­ner Test­si­tua­ti­on op­ti­miert und das des­halb vom so­ge­nann­ten VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fen ist, ist i. S. des § 434 I BGB man­gel­haft.
  2. Ei­ne Nach­bes­se­rung ist auch dann ob­jek­tiv un­mög­lich, wenn der Man­gel, der der Kauf­sa­che an­haf­tet, zwar ein­schließ­lich sei­ner Ur­sa­che be­sei­tigt wer­den kann, aber ein tech­ni­scher oder mer­kan­ti­ler Min­der­wert ver­bleibt.
  3. Ein VW-Ver­trags­händ­ler muss sich das Wis­sen und ins­be­son­de­re ei­ne et­wai­ge arg­lis­ti­ge Täu­schung der Volks­wa­gen AG als Fahr­zeug­her­stel­le­rin nicht zu­rech­nen las­sen.

OLG Cel­le, Be­schluss vom 30.06.2016 – 7 W 26/16

Sach­ver­halt: Die An­trag­stel­le­rin be­gehrt Pro­zess­kos­ten­hil­fe für ei­ne be­ab­sich­tig­te Kla­ge ge­gen ei­ne Kfz-Händ­le­rin (An­trags­geg­ne­rin zu 1) und die Vols­wa­gen AG (An­trags­geg­ne­rin zu 2). Sie hat im Sep­tem­ber 2014 von der An­trags­geg­ne­rin zu 1 ei­nen Sko­da Ye­ti 2.0 TDI er­wor­ben, der vom so­ge­nann­ten VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fen ist.

Das Land­ge­richt hat den Pkh-An­trag mit dem an­ge­foch­te­nen Be­schluss zu­rück­ge­wie­sen. Auf die so­for­ti­ge Be­schwer­de der An­trags­stel­le­rin hat das OLG Cel­le die­sen Be­schluss auf­ge­ho­ben.

Aus den Grün­den: Der Ab­gas­skan­dal, von dem un­zäh­li­ge Fahr­zeu­ge be­trof­fen sind, wirft … schwie­ri­ge Tat­sa­chen- und Rechts­fra­gen auf, die bis­lang in der Recht­spre­chung nicht ge­klärt sind. Für ei­nen der­ar­ti­gen Fall gilt, dass es ver­fas­sungs­recht­lich un­zu­läs­sig ist, schwie­ri­ge und nicht ge­klär­te Rechts­fra­gen im Pkh-?Ver­fah­ren durch­zu­ent­schei­den. Die­se Fra­gen müs­sen viel­mehr ei­ner Klä­rung im Haupt­sa­che­ver­fah­ren zu­ge­führt wer­den (vgl. et­wa Fi­scher, in: Mu­sielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 114 Rn. 20). Hin­rei­chen­de Er­folgs­aus­sicht für ei­ne be­ab­sich­tig­te Rechts­ver­fol­gung ist des­halb be­reits dann zu be­ja­hen, wenn der Rechts­stand­punkt der Pro­zess­kos­ten­hil­fe be­geh­ren­den Par­tei auf­grund ih­rer Sach­dar­stel­lung zu­min­dest ver­tret­bar er­scheint.

Dies ist hier hin­sicht­lich des Rück­tritts- und Scha­dens­er­satz­be­geh­rens der An­trag­stel­le­rin an­zu­neh­men.

Die An­trag­stel­le­rin kann die An­trags­geg­ne­rin zu 1 … auf Rück­ab­wick­lung des in Re­de ste­hen­den Kauf­ver­trags in An­spruch neh­men, wenn die Kauf­sa­che mit ei­nem Sach­man­gel be­haf­tet ist und die Nach­er­fül­lungs­pha­se er­folg­los durch­lau­fen ist. Die An­trag­stel­le­rin hat in­des da­von Ab­stand ge­nom­men, die An­trags­geg­ne­rin zu 1 nach § 439 BGB auf Nach­er­fül­lung in An­spruch zu neh­men, son­dern hat un­mit­tel­bar mit An­walts­schrei­ben vom 04.02.2016 den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag er­klärt, weil sie der An­sicht ist, dass ei­ne Nach­bes­se­rung des Man­gels un­mög­lich sei.

Fahr­zeu­ge mit ei­ner ma­ni­pu­lier­ten Ab­gas­soft­ware sind i. S. des § 434 I BGB man­gel­be­haf­tet (vgl. et­wa LG Fran­ken­thal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15). Un­ge­klärt ist in­des die Fra­ge, ob die­ser Man­gel, et­wa mit­tels ei­nes Soft­ware­up­dates, fol­gen­los für das Fahr­zeug be­sei­tigt wer­den kann.

All­ge­mein gilt, dass ei­ne ob­jek­ti­ve Un­mög­lich­keit der Nach­bes­se­rung auch dann an­zu­neh­men ist, wenn der Man­gel als sol­cher ein­schließ­lich sei­ner Ur­sa­che zwar be­sei­tigt wer­den kann, dies aber nur un­ter Zu­rück­blei­ben ei­ner tech­ni­schen und/oder mer­kan­ti­len Wert­min­de­rung mög­lich ist (vgl. Rein­king/Eg­gert, Der Au­to­kauf, 12. Aufl., Rn. 938). Hier­auf hat sich die An­trag­stel­le­rin be­reits in ih­rem Kla­ge­ent­wurf be­ru­fen. Sie hat un­ter Dar­le­gung im Ein­zel­nen und un­ter Be­zug­nah­me auf Un­ter­la­gen vor­ge­bracht, dass ei­ne Nach­bes­se­rung nach­tei­li­ge Aus­wir­kun­gen auf das Fahr­zeug ha­ben wer­de, was sie in der Be­schwer­de­instanz ins­be­son­de­re durch Vor­la­ge ei­nes Gut­ach­tens ver­tieft hat. Fer­ner ist von ihr be­reits in dem Kla­ge­ent­wurf im Ein­zel­nen un­ter Ver­weis auf An­la­gen aus­ge­führt wor­den, dass Fahr­zeu­ge, die von dem Ab­gas­skan­dal be­trof­fen sind, dau­er­haft mit ei­nem Ma­kel be­haf­tet sei­en, was zu ei­nem mer­kan­ti­len Min­der­wert füh­re. Da die von der An­trag­stel­le­rin als sol­che schlüs­sig vor­ge­brach­ten und un­ter Sach­ver­stän­di­gen­be­weis ge­stell­ten Be­haup­tun­gen, wo­nach ei­ne Be­he­bung des Man­gels oh­ne das Auf­tre­ten von Fol­ge­pro­ble­men nicht mög­lich sei und es trotz der von den An­trags­geg­nern an­ge­dach­ten Nach­bes­se­rungs­maß­nah­men bei dem Fahr­zeug zu ei­ner dau­er­haf­ten Wert­min­de­rung kom­men wer­de, grund­sätz­lich nur mit­tels ei­nes Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens auf ih­re Rich­tig­keit hin über­prüft wer­den kön­nen (vgl. hier­zu den Be­weis­be­schluss des LG Traun­stein vom 10.06.2016 – 6 O 1267/16), kann vor­lie­gend der be­ab­sich­ti­gen Kla­ge ei­ne hin­rei­chen­de Er­folgs­aus­sicht i. S. des § 114 I ZPO nicht ab­ge­spro­chen wer­den. Denn soll­te ei­ne Nach­bes­se­rung we­gen des Ver­bleibs nach­tei­li­ger Fol­gen für das Fahr­zeug ob­jek­tiv un­mög­lich sein, wä­re grund­sätz­lich so­wohl das Rück­tritts­be­geh­ren ge­gen­über der An­trags­geg­ne­rin zu 1 als auch das Scha­dens­er­satz­be­geh­ren ge­gen­über der An­trags­geg­ne­rin zu 2 be­grün­det.

An­zu­mer­ken ist, dass für den Fall, dass der Man­gel fol­gen­los be­ho­ben wer­den kann, sich das Rück­tritts­be­geh­ren der An­trag­stel­le­rin … als der­zeit un­be­grün­det dar­stellt. Denn die An­trag­stel­le­rin muss sich dann auf das Durch­lau­fen der Nach­er­fül­lungs­pha­se ver­wei­sen las­sen. Ent­ge­gen ih­rer An­sicht ist … ei­ne Nach­bes­se­rung un­be­scha­det ei­nes län­ge­ren Zu­war­tens we­der un­zu­mut­bar noch we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung ent­behr­lich. Denn die An­trags­geg­ne­rin zu 1 muss sich ei­ne et­wai­ge arg­lis­ti­ge Täu­schung der An­trags­geg­ne­rin zu 2 nicht zu­rech­nen las­sen. Dem­zu­fol­ge kommt hier zu­guns­ten der An­trag­stel­le­rin ei­ne An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung nach § 123 BGB nicht in Be­tracht. Der Ver­trags­händ­ler muss sich das Wis­sen des Her­stel­lers nicht zu­rech­nen las­sen (vgl. Rein­king/Eg­gert, a. a. O., Rn. 4339).

Im Er­geb­nis kann der An­trag­stel­le­rin … aber … Pro­zess­kos­ten­hil­fe ge­währt wer­den. Die ab­schlie­ßen­de Ent­schei­dung hier­über, das heißt, ob die An­trag­stel­le­rin nach ih­ren per­sön­li­chen und wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen die Kos­ten des Ver­fah­rens nicht, nur zur Teil oder nur in Ra­ten auf­brin­gen kann (§ 114 I ZPO), bleibt dem Land­ge­richt vor­be­hal­ten …

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