1. Verwendet der Verkäufer bei der Bestellung eines Neuwagens zur Bezeichnung des Fahrzeugs ein Kürzel („5G14GZ“), dessen Bedeutung er dem Käufer nicht erläutert, und wird deshalb ein Fahrzeug mit drei Türen geordert und ausgeliefert, obwohl der Käufer von der Bestellung eines Fünftürers ausgegangen ist, kommt die Annahme eines „Scheinkonsenses“ als Unterfall eines Dissenses (§ 155 BGB) in Betracht.
  2. Konnte und musste der Verkäufer nach den gesamten Umständen des Verkaufsgesprächs annehmen, dass der Käufer – wie es heute meist der Fall ist – einen Fünftürer erwerben wollte, ist trotz Verwendung eines einen Dreitürer bezeichnenden Kürzels ein Vertrag über einen fünftürigen Neuwagen zustande gekommen.

OLG Schleswig, Urteil vom 12.02.2016 – 17 U 66/15

Sachverhalt: Die Klägerin verlangt die Rückabwicklung eines mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrags über einen Neuwagen.

Die Klägerin nutzte Anfang 2013 einen 13 Jahre alten fünftürigen BMW. Sie interessierte sich für einen Neuwagen und wollte einen VW Golf erwerben. Nachdem sie sich im Internet über Neuwagen informiert hatte, suchte die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann E am 25.05.2013 erstmalig die Niederlassung der Beklagten in P. auf. Dort wurde sie von dem Verkäufer V beraten. Die Klägerin und E interessierten sich für einen VW Golf in der Ausstattungsvariante „Highline“. Anlässlich eines weiteren Beratungsgesprächs am 28.05.2013 fand zunächst eine Probefahrt mit einem von der Beklagten zur Verfügung gestellten VW Golf VII Comfortline mit fünf Türen (vier Seitentüren, eine Hecktür) statt. Im anschließenden Verkaufsgespräch wurden verschiedene Ausstattungsmerkmale (z. B. Motorstärke, Automatikgetriebe, Ganzjahresreifen, Navigationsgerät) thematisiert. Ob dabei auch der Ausdruck eines Internetangebots, das einen fünftürigen Golf in der Ausstattungvariante „Highline“ zum Gegenstand hat, eine Rolle gespielt hat, ist zwischen den Parteien umstritten. Jedenfalls erstellte V am PC ein Angebot und gewährte zunächst einen Nachlass von 8 % auf die Angebotssumme, den er nach Intervention des E unter Hinweis auf noch günstigere Internetangebote auf 12 % erhöhte.

Am 30.05.2013 gegen 17.25 Uhr druckte V das vollständige Angebot, das einen Endpreis von 25.100 € brutto bei Selbstabholung des Fahrzeugs durch die Klägerin in der Autostadt Wolfsburg auswies, aus. Unmittelbar danach unterzeichnete die Klägerin eine auf dieser Grundlage erstellte Bestellung, die die Beklagte mit einer Auftragsbestätigung vom gleichen Tag annahm. Beide Dokumente enthalten Hinweise auf „Sonderausstattungen&ldquo wie Leichtmetallräder, Sportsitze und ein Navigationssystem und beschreiben das bestellte Fahrzeug unter anderem mittels des Herstellercodes „5G14GZ“. Dieser Code steht für ein Fahrzeug mit drei Türen (zwei Seitentüren, eine Hecktür); die Ausstattung mit vier Seitentüren ist eine Sonderausstattung und kostet bei der Beklagten regelmäßig einen Aufpreis von 900 €.

Nachdem die Klägerin die Rechnung der Beklagten vom 09.09.2013 umgehend bezahlt hatte, nahm sie am 12.09.2013 in Wolfsburg das bereits zugelassene Fahrzeug in Empfang. Dabei stellte sie fest, dass das Fahrzeug nur zwei Seitentüren hat, und nahm es unter Protest mit. Noch am gleichen Tag wandten sich die Klägerin und E an die Beklagte und verlangten die Ersatzlieferung eines Fünftürers. Hierüber in der Folgezeit geführte Verhandlungen führten nicht zum Erfolg, sodass die Klägerin schließlich mit Anwaltsschreiben vom 25.11.2013 den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärte.

Die Klägerin meint, sie habe einen fünftürigen VW Golf in der Austattungsvariante „Highline“ bestellt und demnach ein „falsches“ Fahrzeug erhalten. Die Beklagte steht demgegenüber auf dem Standpunkt, dass die Klägerin eindeutig ein Fahrzeug mit drei Türen bestellt habe. Diese Bestellung hätte sie zwar möglicherweise unverzüglich wegen eines Irrtums anfechten können; dafür sei es jetzt aber zu spät.

Das Landgericht hat der Klage nach Anhörung der Parteien und Vernehmung der Zeugen E und V der Klage stattgegeben. Es hat angenommen, wegen eines versteckten Einigungsmangels (Dissens) sei kein Kaufvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen. Dementsprechend hat das Landgericht die Beklagte unter bereicherungsrechtlichen Gesichtspunkten für verpflichtet gehalten, der Klägern den Kaufpreis abzüglich einer mit 2.500 € bemessenen Nutzungsentschädigung zurückzuzahlen. Gleichzeitig hat es festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des von der Klägerin herauszugebenden Fahrzeugs in Verzug befinde.

Die dagegen gerichtete Berfung der Beklagten hatte nur insoweit Erfolg, als die ihr zustehende Nutzungsentschädigung in Anbetracht einer inzwischen größeren Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs höher bemessen wurde.

Aus den Gründen: II. … Ungeachtet dessen hat das Landgericht die Beklagte zu Recht … zur Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, verurteilt und … den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Allerdings folgt dieses Ergebnis nicht – wie es das Landgericht angenommen hat – erst aus einer Anwendung des Bereicherungsrechts und der Anwendung der Regelungen über den versteckten Einigungsmangel („Dissens“, § 155 BGB). Vielmehr geht der Senat vom Zustandekommen eines Kaufvertrags des Inhalts aus, dass die Beklagte sich seinerzeit gegenüber der Klägerin zur Lieferung eines fünftürigen Golfs (eine Heckklappe und vier Seitentüren) verpflichtet hatte. Der hieraus folgenden Soll-Beschaffenheit i. S. des § 434 I 1 BGB entspricht das gelieferte dreitürige Fahrzeug (eine Heckklappe und zwei Seitentüren) nicht, sodass die Klägerin nach abgelehnter Nacherfüllung gemäß §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB zu Recht mit Schreiben vom 25.11.2013 vom Kaufvertrag zurückgetreten ist.

1. Dem Landgericht und auch der Beklagten ist zuzugeben, dass die vorliegende Konstellation jedenfalls auch durch einen Willensmangel gekennzeichnet ist. So muss schon nach den bisherigen Feststellungen davon ausgegangen werden, dass aus Sicht der Klägerin diese tatsächlich einen fünftürigen Golf bestellen wollte und auch bestellt hat, während die schriftliche Bestellung vom 30.05.2013 – angenommen durch Auftragsbestätigung vom gleichen Tag – lediglich auf „5G14GZ Golf Highline BlueMotion-Technologie 1.4 TSI 90 kW (122 PS), 7-Gang-Kupplungsgetriebe DSG …“ lautet … Eine derartige Bezeichnung beschreibt aber nach den von der Beklagten als Vertragshändlerin verwendeten Vorgaben des Herstellers die Bestellung eines dreitürigen Fahrzeugs, welches nach der Verkaufsstrategie von Hersteller und Händler als Standardmodell angeboten wird, während die Bestellung eines Fünftürers aufpreispflichtig ist.

Für den gleichwohl auf die Lieferung eines Fünftürers gerichteten Bestellwillen der Klägerin sprechen folgende Umstände: Die Klägerin hatte bisher ebenfalls einen Fünftürer – wenn auch vom Hersteller BMW – gefahren. Auch bei der Probefahrt fuhr sie zur Kenntnis der Beklagten einen zwar anders ausgestatteten, aber ebenfalls fünftürigen Golf. Weiter beanstandete sie unmittelbar nach Abholung des Fahrzeugs im Werk in Wolfsburg die Auslieferung eines Dreitürers und wandte sich noch am Tag der Auslieferung an die Beklagte. Schließlich muss nach Würdigung der bisherigen Feststellungen davon ausgegangen werden, dass die Problematik Dreitürer oder Fünftürer in den Kaufvertragsverhandlungen nicht mehr gesondert angesprochen worden war. Dies kann sowohl der Aussage des Zeugen E … entnommen werden als auch der Aussage des Zeugen V, welcher spontan befragt ebenfalls einräumte, dass über die Zahl der Türen nicht weiter explizit gesprochen worden sei. Dass er im Verlauf der späteren Vernehmung davon doch ausging, über die Zahl der Türen gesprochen zu haben, steht dem nicht entgegen; insoweit schlussfolgerte er lediglich ein Geschehen aus seiner generellen Arbeitsweise, eine Konfiguration mit dem Kunden auch durchzugehen.

Muss bei dieser Sachlage davon ausgegangen werden, dass jedenfalls der Klägerin die Bedeutung der von ihr unterzeichneten Bestellung und der dort verwendeten Chiffres verschlossen geblieben ist, liegt die Annahme eines „Scheinkonsenses“ als Unterfall des versteckten Einigungsmangels i. S. des § 155 BGB nahe, weil und soweit die Bedeutung der in der vorliegenden Bestellung und Auftragsbestätigung verwendeten Chiffres nicht zwischen den Parteien zuvor geklärt worden war (vgl. hierzu Staudinger/Bork, BGB, Neubearb. 2015, § 155 Rn. 9 f.). Allerdings kommt die Anwendung des § 155 BGB und die sich aus dieser Auslegungsregel zumeist ergebende Folge der Unwirksamkeit des scheinbar geschlossenen Vertrages nur dann in Betracht, wenn nicht aufgrund anderer Erwägungen gemäß §§ 133, 157 BGB vom Zustandekommen eines Vertrages mit definiertem Inhalt ausgegangen werden kann. So aber liegt es hier.

2. Bei Anwendung einer gemäß §§ 133, 157 BGB sowohl nach dem Empfängerhorizont als auch insbesondere interessengerechten Auslegung musste nämlich die durch den Zeugen V handelnde Beklagte davon ausgehen, dass die Klägerin nicht nur ein durch technische Chiffrierungen bestimmtes Fahrzeug, sondern konkret ein Fahrzeug mit fünf Türen bestellen wollte. Nahm die Beklagte eine derartige Bestellung mittels Auftragsbestätigung gleichwohl an, so mag letztlich sie sich ;– also nicht die Klägerin – in einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum i. S. des § 119 BGB befunden haben, dessen Anfechtung zwischenzeitlich gemäß § 121 BGB ausgeschlossen ist.

Für ein derartiges Auslegungsergebnis streiten die bereits angeführten Umstände, welche zumindest zum Teil – etwa die Probefahrt mit einem Fünftürer und die nicht explizite Erörterung der Zahl der Türen – auch für den Zeugen V und damit für die Beklagte erkennbar waren. Von weiterer Bedeutung ist, dass die Bestellung des Fünftürers einem der Beklagten bekannten typischen Käuferverhalten entsprach, hat doch der – seinen Angaben nach im Verkauf von Golf-Fahrzeugen erfahrene – Zeuge V bei seiner Vernehmung angegeben, dass etwa im Jahre 2014 auf hundert Golf-Fahrzeuge lediglich fünfzehn mit drei Türen gekommen seien. Die Verkaufspraxis wird aber durch eine derartige Übung geprägt, nicht durch die Preispolitik des Herstellers, der aus verkaufstaktischen Gründen die Ausstattung mit fünf Türen als Sonderausstattung verkauft sehen möchte. Zumindest muss der Händler in einer solchen Situation davon ausgehen, dass eine derartige Verkaufsstrategie dem Kunden nicht bekannt ist, sondern erläutert werden muss. Und auf die sonst durchaus angemessene Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit einer schriftlichen Erklärung kann sich der Händler schon dann nicht berufen, wenn diese – wie hier – in teilweise chiffrierter Form erfolgt und nicht vom Kunden konzipiert worden ist, sondern von ihm selbst.

Dies führt auch keineswegs zu unzumutbaren Ergebnissen. Denn zum einen wäre es für einen Händler wie die Beklagte ein Leichtes, in Absprache mit dem Hersteller die Bestellung so zu gestalten, dass auch ein Außenstehender erkennen kann, was für ein Fahrzeug er eigentlich bestellt. Ein Anhaltspunkt für die erforderliche Beschreibungsdichte könnte die von der Klägerin in diesem Rechtsstreit eingereichte Internetkonfiguration („Ihr Wunschneuwagen“ bei www.meinauto.de) sein. Zum anderen läge ein alternativer Weg in einer expliziten Beratung durch den Verkäufer, welche dann aber gegebenenfalls besser als bisher zu dokumentieren wäre.

Das dargestellte Auslegungsergebnis hatte der Senat in seinem Hinweisbeschluss vom 12.11.2015 noch aus der Anwendung der Regeln über die Unschädlichkeit einer Falschbezeichnung hergeleitet („falsa demonstratio non nocet“). Und in der Tat wird diese Rechtsfigur über die – wie es auch § 133 BGB zum Ausdruck bringt – maßgebliche Bedeutung des wirklichen Willens heute auch auf Fälle angewendet, in denen nur eine der Parteien eine objektiv falsche Erklärung abgegeben hat und die andere dies erkennt (vgl. MünchKomm-BGB/Kramer, 5. Aufl., § 119 Rn. 61) oder hätte erkennen müssen (vgl. MünchKomm-BGB/Kramer, a. a. O., § 119 Rn. 61; Staudinger/Singer, BGB, Neubearb. 2004, § 133 Rn. 13). Damit wird aber im Anschluss an Flume (Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts II: Das Rechtsgeschäft, 2. Aufl., § 16 1 d [S. 302]), welcher die Möglichkeit des Erkennens ansonsten nicht ausreichen lassen will, eine „normative Auslegung“ bedeutsam. Zeigt sich mithin, dass letztlich auf die §§ 133, 157 BGB unmittelbar abzustellen ist, so kommt aber den Regeln über die Unschädlichkeit einer Falschbezeichnung keine dogmatisch-konstruktive, sondern allenfalls eine erkenntnisleitend-phänotypische Bedeutung zu. Wie eingangs formuliert, folgt daher das Auslegungsergebnis aus den §§ 133, 157 BGB selbst.

3. Liegt es derart, hat sich das … Vertragsverhältnis durch berechtigten Rücktritt der Klägerin unmittelbar in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt. Damit kann offenbleiben, ob nicht das gleiche Ergebnis auch schadensersatzrechtlich über die Annahme eines Verschuldens bei Vertragsschluss zu erreichen gewesen wäre, weil und soweit die Beklagte ihren Pflichten zur Beratung über Bedeutsamkeit von Ausstattungsvarianten und Kurzbezeichnungen nicht nachgekommen ist und auf dieser Ebene noch keine wirkliche Konkurrenz zum System des Gewährleistungsrechts besteht.

In jedem Fall ist der von der Beklagten an die Klägerin zu erstattende Kaufpreis – und dies hat die Beklagte auch geltend gemacht – um die gezogenen Nutzungen zu vermindern. Insoweit hat bereits das Landgericht zu Recht thematisiert, dass die vorliegende Fallgestaltung insofern atypisch ist, als die Klägerin das Fahrzeug trotz verstrichener geraumer Zeit nur unterdurchschnittlich nutzt. Aufgrund der jetzt weiterhin verstrichenen Zeit und insgesamt jetzt 10.994 zurückgelegter Kilometer hält der Senat in Anwendung des § 287 ZPO eine pauschale Bemessung des Nutzungsvorteils mit in Höhe von 12,5 % des ursprünglichen Kaufpreises von 25.100 € für angemessen und geboten. Nach einem Abzug von somit 3.137,50 € … errechnet sich mithin der nunmehr ausgeurteilte – und Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu leistende – Zahlbetrag von 21.962,50 € …

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