- Bezeichnet der Verkaufsmitarbeiter einer mit Kraftfahrzeugen handelnden juristischen Person einen Gebrauchtwagen nur deshalb – zu Unrecht – als „unfallfrei“, weil der zuständige Mitarbeiter der Einkaufsabteilung es lediglich fahrlässig unterlassen hat, den Unfallschaden des Fahrzeugs im zentralen EDV-System zu vermerken, dann ist der Vorwurf einer arglistigen Täuschung nicht berechtigt. Diesen Vorwurf muss sich eine juristische Person vielmehr allenfalls gefallen lassen, wenn sie nicht sichergestellt hat, dass „Einkaufswissen“ und „Werkstattwissen“ in geeigneter Weise erfasst und verfügbar gehalten wird, oder wenn die Erfassung dieses Wissens vorsätzlich unterlassen wurde.
- Nach einer wirksamen Anfechtung ist ein Kaufvertrag – wie nach einem wirksamen Rücktritt – einheitlich dort rückabzuwickeln (§ 812 I 1 Fall 1 BGB), wo sich die Kaufsache im Zeitpunkt der Anfechtung vertragsgemäß befindet; denn eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung folgt vertragsrechtlichen Grundsätzen. Der einheitliche „Austauschort“ ist Erfüllungsort i. S. des § 29 I ZPO.
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 14.08.2014 – 10 O 3910/14
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Pkw VW Passat Variant in Anspruch.
Dieses Fahrzeug erwarb die Beklagte Anfang Juni 2010 von der Volkswagen Leasing GmbH und veräußerte es anschließend an den Kläger. Im schriftlichen Kaufvertrag vom 15.06.2010 gab die Beklagte an, dass der Pkw „lt. Vorbesitzer“ keine Unfallschäden habe und ihr, der Beklagten, auch auf andere Weise keine Mängel und Unfallschäden bekannt geworden seien.
Tatsächlich hatte das Fahrzeug am 09.11.2007 bei einem Unfall einen Heckschaden erlitten; es war anschließend seitend der Beklagten mit einem Kostenaufwand von 1.701 € netto instand gesetzt worden. Der Unfallschaden war auch im Leasing-Rückgabeprotokoll, das die Beklagte als VW-Vertragshändlerin aufgrund der Reparaturhistorie des Fahrzeugs erstellt hatte, vermerkt worden. Ein Mitarbeiter der Einkaufsabteilung der Beklagten hatte anschließend die relevanten Daten des Fahrzeugs in den „Elektronischen Verkaufsassistenten“ (EVA) übernommen, allerdings ohne dort den Unfallschaden zu vermerken.
Bei der Veräußerung des VW Passat Variant an den Kläger griff der Verkaufsmitarbeiter V der Beklagten auf den „Elektronischen Verkaufsassistenten“ zurück, ohne dass sich aus dem System ergab, dass der Pkw einen Unfallschaden erlitten hatte.
Der anwaltlich vertretene Kläger erklärte mit Schreiben vom 07.04.2014 die Anfechtung seiner auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung. Er hat geltend gemacht, dass die Beklagte bei Vertragsschluss von dem streitgegenständlichen Unfallschaden gewusst habe, weil das Fahrzeug seitens der Beklagten instand gesetzt worden sei und diese den Unfallschaden im Leasing-Rückgabeprotokoll vermerkt habe. Mit dieser Begründung hat der Kläger die Beklagte auf Rückabwicklung des Kaufvertrags sowie auf Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten (1.029,35 € nebst Zinsen) in Anspruch genommen. Außerdem hat er den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt haben wollen.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und eine arglistige Täuschung des Klägers in Abrede gestellt. Sie habe die organisatorischen Vorkehrungen dafür getroffen, dass relevantes Wissen an die jeweils zuständige Stelle gelange. Das habe im Streitfall nur deshalb nicht funktioniert, weil – was der Kläger bestritten hat – einer ihrer Mitarbeiter es lediglich fahrlässig versäumt habe, den Unfallschaden im „Elektronischen Verkaufsassistenten“ zu vermerken.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Die Klage ist zulässig.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das angegangene Gericht sowohl sachlich gemäß §§ 71 I, 23 Nr. 1 GVG als auch örtlich gemäß § 29 I ZPO zuständig. Für die Rückgängigmachung des Kaufs (Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgewähr der Kaufsache) ist einheitlicher Erfüllungsort und damit Gerichtsstand der Ort, wo sich die Kaufsache zur Zeit des Rücktritts nach dem Vertrag befindet (BGH, Urt. v. 09.03.1983 – VIII ZR 11/82, BGHZ 87, 104 = NJW 1983, 1479, 1480). Beim nichtigen Kaufvertrag gelten diese Grundsätze entsprechend, da auch die Rückabwicklung nach der Leistungskondition vertragsrechtlichen Grundsätzen folgt (Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 29 Rn. 6 – „Kaufvertrag“; a. A. RG, Urt. v. 25.10.1901 – II 219/01, RGZ 49, 421, 423 ff.; AG Marbach, Urt. v. 03.05.1988 – 1 C 166/88, MDR 1988, 1061).
2. Im Hinblick auf die Feststellung des Annahmeverzugs ergibt sich das Feststellungsinteresse des Klägers aus der Verknüpfung des von ihm geltend gemachten Anspruchs mit dem Anspruch der Beklagten auf Rückübereignung des Fahrzeugs. Im Falle des Obsiegens mit der Feststellungsklage kann der Leistungsanspruch des Klägers erleichtert gemäß § 756 I, § 765 Nr. 1 ZPO, das heißt unabhängig von der der Beklagten gebührenden Gegenleistung vollstreckt werden (vgl. BGH, Urt. v. 31.05.2000 – XII ZR 41/98, NJW 2000, 2663, 2664; Urt. v. 19.04.2000 – XII ZR 332/97, NJW 2000, 2280, 2281).
II. Die objektive Klagehäufung ist zulässig, weil die Verbindungsvoraussetzungen des § 260 ZPO vorliegen, insbesondere für alle Ansprüche das Prozessgericht zuständig und dieselbe Prozessart zulässig ist.
III. Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags zu.
1. Dem Kläger steht kein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 I 1 Fall 1 BGB zu. Die Beklagte hat den durch den Kläger hingegebenen Kaufpreis nicht ohne Rechtsgrund erlangt, da der Kaufvertrag nicht wirksam angefochten werden konnte. Eine arglistige Täuschung des Klägers durch die Beklagte liegt nicht vor.
a) Arglist setzt voraus, dass der Verkäufer den Mangel der Kaufsache kennt, damit rechnet oder weiß, dass der Käufer diesen Mangel nicht kennt, und er die Vorstellung hat, der Käufer würde bei Kenntnis des Mangels den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abschließen (BGH, Urt. v. 22.11.1991 – V ZR 215/90, NJW-RR 1992, 333, 334).
aa) Ein arglistiges Handeln durch den unmittelbar mit dem Verkauf des Fahrzeugs betrauten Mitarbeiter der Beklagten V liegt nicht vor, da dieser von der Tatsache des Vorschadens keine Kenntnis hatte.
bb) Nach der Rechtsprechung des BGH muss sich allerdings eine juristische Person das Wissen aller ihrer vertretungsberechtigten Organwalter zurechnen lassen, selbst wenn das „wissende“ Organmitglied an den betreffenden Rechtsgeschäft nicht selbst mitgewirkt oder nichts davon gewusst hat (BGH, Urt. v. 17.05.1995 – VIII ZR 70/94, WM 1995, 1145 = juris Rn. 15). Der Beklagten ist daher grundsätzlich das Wissen des Angestellten zuzurechnen, der in der Einkaufsabteilung für den Einkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs zuständig war. Die Kammer muss davon ausgehen, dass diesem die Tatsache, dass das Fahrzeug einen Vorschaden hatte, bekannt war, da ihm zu diesem Zeitpunkt das Rückgabeprotokoll (Anlage B 3) vorlag, aus dem sich dies ergibt.
Zu beachten ist indes, dass die Wissenszurechnung bei juristischen Personen dafür zu sorgen hat, dass der Vertragspartner des Unternehmens nicht schlechter, aber auch nicht besser dasteht als der Vertragspartner einer natürlichen Person (BGH, Urt. v. 02.02.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30 = NJW 1996, 1339, 1340). Der vorliegende Fall, dass ein Mitarbeiter eine wesentliche Tatsache nicht in ein EDV-System einträgt, auf das die Mitarbeiter des Verkaufs des Unternehmens Zugriff haben und anhand dessen sie die Kaufverträge erstellen, ist indes nicht anders zu beurteilen, als wenn der mit dem Verkauf betraute Mitarbeiter unmittelbar Kenntnis von dem Vorschaden des streitgegenständlichen Fahrzeugs gehabt hätte, jedoch aus Unachtsamkeit im Kaufvertrag angekreuzt hätte, dass es sich um ein unfallfreies Fahrzeug handeln würde. Kommt es nun bei der Erfassung der Fahrzeugdaten in dem für den Informationsaustausch maßgeblichen Dokument bzw. Datenträger nicht zu betrieblich-organisatorischen, sondern zu individuellen Versäumnissen, ist bereits der Zurechnungstatbestand nicht erfüllt. Gleiches gilt für individuelle Fehlleistungen bei der Weiterleitung der Daten wie etwa Schreibversehen, Missverständnisse und Verzögerungen in der Datenbearbeitung und Verwaltung. Abgrenzungs- und Nachweisschwierigkeiten können nicht dazu führen, zulasten der Unternehmen mit einem Beweis des ersten Anscheins für Organisationsverschulden zu operieren (vgl. dazu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl., Rn. 4311; a. A. OLG Schleswig, Urt. v. 18.08.2005 – 5 U 11/05, NJW-RR 2005, 1579, 1580).
Anders liegt es bei einer vorsätzlichen falschen Datenaufnahme. Für ein vorsätzliches Tun oder Unterlassen des Autohausmitarbeiters ist der Käufer indes beweispflichtig (BGH, Urt. v. 31.01.1996 – VIII ZR 297/94, NJW 1996, 1205, 1206). Anhaltspunkte dafür, dass der betreffende Mitarbeiter der Beklagten die Unfallwageneigenschaft des Fahrzeugs vorsätzlich nicht in das EDV-System eingepflegt hat, liegen nicht vor. Der Kläger ist diesbezüglich auch beweisfällig geblieben. Nicht ausreichend war es insoweit, lediglich zu bestreiten, dass der Mitarbeiter der Beklagten – so wie diese behauptet hat – lediglich fahrlässig gehandelt hat. Dieses „Bestreiten“ mag zwar die Behauptung implizieren, dass ein vorsätzliches Handeln des Mitarbeiters der Beklagten vorliege. Einen Beweis für diese Behauptung hat der Kläger jedoch nicht angetreten. Dies hätte etwa durch eine Aufforderung an die Beklagte erfolgen können, den nur ihr bekannten Mitarbeiter namhaft zu machen, damit dieser durch den Kläger als Zeuge benannt werden kann. Bei einer Nichtnamhaftmachung durch die Beklagte wäre dann gegebenenfalls zu ihren Lasten von einer Beweisvereitelung im Rahmen der Beweiswürdigung auszugehen gewesen (vgl. BGH, Urt. v. 17.01.2008 – III ZR 239/06, NJW 2008, 982, 984).
cc) Der Beklagten liegt auch kein Organisationsverschulden zur Last.
(1) Hat der Kfz-Betrieb nicht dafür Sorge getragen, das erworbenes „Einkaufswissen“ in geeigneter Weise erfasst und verfügbar gehalten wird, muss er sich aus Gründen des Verkehrsschutzes so behandeln lassen, als hätte der am Verkauf beteiligte – unwissende – Mitarbeiter von der fraglichen Information im Zeitpunkt des Verkaufs aktuelle Kenntnis gehabt. Vorliegend war es jedoch so, dass es bei der Erfassung der Fahrzeugdaten in dem für den Informationsaustausch maßgeblichen EDV-System nicht zu betrieblich-organisatorischen, sondern zu individuellen Versäumnissen des mit dem Ankauf befassten Mitarbeiters kam.
(2) Ein Organisationsverschulden aufseiten der Beklagten liegt auch nicht deshalb vor, weil „Werkstattwissen“ aus früheren Reparaturen nicht weitergeleitet worden ist. Es war vielmehr so, dass die im Jahr 2007 an dem streitgegenständlichen Fahrzeug durchgeführte Reparatur in das EDV-System „Service-Online“ eingepflegt wurde. Auf dieses wurde nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten von dieser anlässlich der Rückgabe des Leasingfahrzeugs am 01.06.2010 (Anlage B 3) auch zurückgegriffen. Lediglich bei der Übernahme der Angaben in das sogenannte EVA-System wurde der Unfallschaden nicht eingetragen. Durch die Einspeisung der Reparatur im Jahr 2007 in das System „Service-Online“ war daher grundsätzlich sichergestellt, dass werkstattmäßig erworbenes Wissen der Beklagen auch zu einem späteren Zeitpunkt noch zur Verfügung stand. Lediglich bei der Verwertung dieses Wissens kam es – wie bereits aufgezeigt – zu individuellen Versäumnissen.
2. Weitere Ansprüche aus anderen Rechtsgründen kommen nicht in Betracht. Insbesondere muss sich die Kammer nicht damit befassen, ob die Anfechtung möglicherweise in eine Rücktrittserklärung umzudeuten wäre. Gewährleistungsansprüche gemäß §§ 346 I, 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323 I, 326 V BGB wegen Rücktritts bestehen nämlich nicht. Der Rücktritt ist gemäß § 218 I 1 und 2, § 438 I Nr. 3, II BGB ausgeschlossen, da Mängelansprüche bereits verjährt wären.
3. Da kein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags besteht, ist die Beklagte mit der Annahme der Zug um Zug angebotenen Leistung auch nicht in Verzug geraten.
4. Mangels Bestehens eines Anspruchs in der Hauptsache waren auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht ersatzfähig.