Einen aus einem fehlerhaften Herstellungsprozess folgenden Mangel hat der am Herstellungsprozess nicht beteiligte („reine“) Händler grundsätzlich nicht zu vertreten; der Hersteller ist insbesondere nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers.
LG Hagen, Urteil vom 24.08.2012 – 2 O 61/12
Sachverhalt: Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen eines an seinem Pkw entstandenen Motorschadens in Anspruch.
Der Kläger ist Eigentümer eines im Jahre 2002 erstzugelassenen Audi A6. Am 22.03.2011 bestellte er bei dem Beklagten einen Zahnriemensatz zum Preis von 276,42 €. Wenige Tage später lieferte die Beklagte dem Kläger diesen Zahnriemensatz, zu dem unter anderem ein Zahnriemen, eine Umlenk- und eine Exzenterrolle sowie mehrere Bolzen gehörten. Der Zahnriemensatz war originalverpackt in Kartons der B-GmbH. Der Beklagte hatte die Teile seinerseits von der X-AG als Lieferantin originalverpackt erhalten und sie unverändert an den Kläger weitergeleitet. Am 01.04.2011 wurde der Zahnriemensatz in das Fahrzeug des Klägers bei einem Kilometerstand von 132.776 eingebaut. Am 20.06.2011 brach die zur Exzenterrolle gehörende Befestigungsschraube (Bolzen). Das Fahrzeug des Klägers erlitt bei einem Kilometerstand von 137.845 einen Motorschaden. Die Schraube war auf Biegung beansprucht, was letztlich zu ihrem Bruch geführt hat. Sodann versagte die Ventilsteuerung des Motors, sodass der Pkw nicht mehr fahrbereit war.
Mit Anwaltsschreiben vom 20.12.2011 forderte der Kläger den Beklagten unter Fristsetzung zur Erstattung von Reparaturkosten in Höhe von 3.848,37 € netto auf und verlangte außerdem Ersatz eines Nutzungsausfallschadens in Höhe von insgesamt 1.250 €.
Der Kläger behauptet, er habe den von Beklagten gelieferten Zahnriemensatz einschließlich der zur Exzenterrolle gehörenden Schraube selbst in sein Auto eingebaut und verfüge über die hierfür erforderliche Sachkunde. Der Zahnriemensatz sei mangelhaft gewesen. Die Schraube sei gebrochen, weil ihre geometrische Eigenschaften mangelhaft gewesen seien: Der Innensechskant des Schraubenkopfs sei nicht zentrisch, sondern exzentrisch eingebracht gewesen. Außerdem handele es sich bei dem gelieferten Zahnriemensatz um eine Produktfälschung.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Erstattung von Reparaturkosten und Zahlung einer Nutzungsentschädigung weder aus §§ 433, 434 I, 437 Nr. 3, 280 I 1 BGB noch aus § 823 I BGB zu.
Zwar steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass die in das Fahrzeug des Klägers eingebaute Befestigungsschraube der Exzenterrolle mangelhaft war und dieser Mangel zu dem an dem Pkw des Klägers eingetretenen Motorschaden geführt hat. Der Sachverständige C hat unter Auswertung des Untersuchungsberichts der von ihm hinzugezogenen amtlichen Materialprüfungsanstalt der Freien Hansestadt Bremen vom 26.10.2011 festgestellt, dass die geometrischen Eigenschaften der betreffenden Schraube mangelhaft waren. Die Materialprüfungsanstalt hat ermittelt, dass der in den Schraubenkopf eingebrachte Innensechskant exzentrisch und nicht, wie es erforderlich wäre, zentrisch war. Infolgedessen wurde unabhängig von der Frage einer ordnungsgemäßen Montage im Gewindegrund eine Biegespannung erzeugt, was letztlich zum Bruch der Schraube führte, was wiederum die Schädigung des Motors zur Folge hatte. Die Lieferung der mangelhaften Schraube an den Kläger stellt – zu seinen Gunsten unterstellt, die eingebaute Schraube stamme aus dem vom Beklagten gelieferten Zahnriemensatz – eine objektive Pflichtverletzung des zwischen den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrags dar, da der Beklagte gemäß § 433 I 2 BGB verpflichtet war, dem Kläger den Zahnriemensatz frei von Sachmängeln zu verschaffen. Die Lieferung der fehlerhaften Schraube stellt darüber hinaus zugleich eine Eigentumsverletzung i. S. von § 823 I BGB dar, da der Mangel zur Beschädigung des Fahrzeugs des Klägers geführt hat.
Der Beklagte hat jedoch die Pflichtverletzung und die Verletzung des Eigentums des Klägers selbst, wenn die Schraube aus seiner Lieferung stammte, jedenfalls nicht zu vertreten (§§ 280 I 2, 823 I, 276 I, II BGB). Ein vorsätzliches Handeln scheidet von vornherein aus. Der Beklagte hat aber auch nicht fahrlässig gehandelt. Es kann nicht festgestellt werden, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat.
Der Beklagte hat die gelieferte Schraube nicht selbst hergestellt, sondern den Zahnriemensatz, der die Schraube enthielt und der ihm von seiner Lieferantin originalverpackt angeliefert worden war, unverändert an den Kläger weitergeliefert. Der Mangel der Schraube, also die unsymmetrische Einstanzung des Innensechskants im Schraubenkopf, kann, wie der Sachverständige anlässlich der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens überzeugend dargestellt hat, nur im Herstellungsprozess geschehen sein. Einen aus einem Herstellerfehler folgenden Mangel hat der am Produktionsprozess nicht beteiligte reine Händler jedoch grundsätzlich nicht zu vertreten (BGH, NJW 2008, 2837; Weller, NJW 2012, 2312). Der Händler hat nämlich in der Regel keine Möglichkeit, die ihm zum Vertrieb gelieferte Ware umfassend auf Fehler zu überprüfen.
Dabei ist es unerheblich, dass der Beklagte den streitgegenständlichen Zahnriemensatz, den er an den Kläger geliefert hat, nicht ausgepackt und auf Fehler hin überprüft hat. Denn selbst wenn er eine entsprechende Überprüfung vorgenommen hätte, hätte er den nicht genau mittig eingestanzten Innensechskant aller Voraussicht nach nicht feststellen können. Schon die Inaugenscheinnahme der von der amtlichen Materialprüfungsanstalt der Freien Hansestadt Bremen von der streitgegenständlichen Schraube sowie von Vergleichsstücken gefertigten Fotos zeigt, dass der exzentrische Innensechskant mit bloßem Auge nicht wahrgenommen werden kann, obwohl die Fotos bereits vergrößert sind. Selbst der Sachverständige C hat, wie aus seinem schriftlichen Gutachten hervorgeht, die exzentrische Einstanzung zunächst nicht wahrgenommen. Er vermutete die Ursache des Bolzenbruchs vielmehr in einem minderwertigen Material und hat deshalb die Schraube an die Materialprüfungsanstalt zur Analyse übersandt. Erst die nähere Untersuchung durch die Materialprüfungsanstalt ergab, dass der Innensechskant der Schraube exzentrisch eingestanzt war. Wenn jedoch der Sachverständige zunächst mit bloßem Auge den Geometriefehler der Schraube zunächst nicht bemerkt hat, hätte auch der Beklagte, selbst wenn er die Einzelteile des Zahnriemensatzes aus der Verpackung genommen hätte, diesen Fehler aller Voraussicht nach nicht bemerkt. Dies wird dadurch bestätigt, dass der Kläger selbst mit Schriftsatz vom 13.08.2012 unstreitig vorgetragen hat, dass die mangelhafte Eigenschaft der Schraube beim normalen Einbau nicht auffallen musste. Schließlich hat auch er selbst den nicht zentrierten Innensechskant nicht erkannt, obwohl er sich die Schraube vor dem Einbau, wie er anlässlich seiner mündlichen Anhörung im Termin am 24.08.2012 geschildert hat, genau betrachtet hat. Er hat sogar die alte ausgebaute und die neue einzubauende Schraube nebeneinander gehalten, um die Übereinstimmung von Größe und Materialbeschaffenheit zu überprüfen. Dabei hat er eingeräumt, dass man bei bloßer Betrachtung der Schraube nicht bemerkt hat, dass der Innensechskant leicht verschoben war. Wenn aber weder der Sachverständige noch der Kläger bei genauer Betrachtung der Schraube den Fehler bemerkt haben, hätte auch eine Sichtprüfung der Einzelteile durch den Beklagten voraussichtlich nicht zur Entdeckung des Sachmangels geführt.
Eine weitergehende Untersuchung, etwa durch eine Vermessung der Schraube, war dem Beklagten nicht zuzumuten. Dies hätte zu einem Aufwand geführt, der einem einfachen Händler nicht zugemutet werden kann. Abgesehen davon, dass der Kläger dem Vortrag des Beklagten nicht widersprochen hat, seine Kundschaft erwarte, die von ihr bestellte Ware in originalverpacktem Zustand zu erhalten, was schon ausschließt, dass der Händler die Verpackung öffnet, um die Einzelteile näher zu untersuchen, wäre eine eingehende Untersuchung jedes einzelnen Teils – zumal angesichts der Vielzahl der von dem Beklagten vertriebenen Produkte – für einen einfachen Zwischenhändler, der nicht über eine besondere Ausstattung zur Materialprüfung verfügen dürfte, nicht zu leisten. Wenn der Aufwand für eine Untersuchung, wenn sie denn mit den Mitteln des Händlers überhaupt möglich wäre, so hoch wäre, dass der Verkehr dies, nicht zuletzt mit Blick auf den Verkaufspreis der Ware, nicht erwarten kann, können dem Händler weitergehende eingehende Materialprüfungen nicht angesonnen werden (Weller, NJW 2012, 2312 [2314]).
Der Kläger hat auch nicht vorgetragen noch ist sonstwie ersichtlich, dass der Beklagte konkrete Anhaltspunkte für einen bestimmten Fehler des Materials gehabt hätte, denen er hätte nachgehen müssen.
Der Beklagte hat einen Fehler des Herstellers auch nicht gemäß § 278 BGB zu vertreten. Nach herrschender Meinung und ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, muss sich der Händler ein Verschulden des Herstellers nicht gemäß § 278 BGB zurechnen lassen, weil der Hersteller nicht der Erfüllungsgehilfe des Verkäufers ist (BGHZ 48, 118; BGH, NJW 2008, 2837). Der Verkäufer ist gemäß § 433 BGB lediglich zur Übereignung und Übergabe der Kaufsache verpflichtet. Die Herstellung der Kaufsache gehört hingegen nicht zu den Pflichten des Händlers. Die abweichende in der Literatur vertretene Auffassung, die den Hersteller als Erfüllungsgehilfen des Verkäufers ansieht (Weller, NJW 2023, 2312 [2315]), vernachlässigt die Unterschiede zwischen Kauf- und Werkvertrag. Nur der Werkunternehmer ist gemäß § 631 I BGB zur Herstellung eines versprochenen Werkes verpflichtet, nicht aber der Verkäufer.
Der Kläger kann seinen Anspruch gegen den Beklagten auch nicht auf seinen Vortrag stützen, es handele sich bei dem gelieferten Zahnriemensatz um eine Produktfälschung; das gelieferte Set stamme nicht original von H. Insoweit fehlt es bereits an der hinreichenden Darlegung eines Sachmangels i. S. von § 434 I BGB. Die Feststellung eines Sachmangels knüpft an die Beschaffenheit der Kaufsache selbst an. Die Herkunft der Sache, insbesondere der Umstand, an welchem Produktionsort sie hergestellt ist, wirkt sich jedoch nicht unmittelbar auf die Eigenschaft und Beschaffenheit der Sache selbst aus. Der Begriff „Produktfälschung“ ist insoweit nur ein Schlagwort und hat keine Aussagekraft für die Qualität und Beschaffenheit der Ersatzteile. Der Kläger legt auch nicht dar, dass die Parteien bei Abschluss des Kaufvertrags vereinbart hätten, dass die Gegenstände von einem bestimmten Hersteller produziert sein sollten. Die in der Bestellung offenbar enthaltene Bezeichnung „…“ könnte zwar eine Abkürzung enthalten, die auf die Streithelferin zu 2. als Herstellerin hindeuten könnte. Dies bedeutet aber nicht, dass die Herstellung der Ware durch einen bestimmten Produzenten vertraglich als Eigenschaft vereinbart worden wäre. Die Bezeichnung findet sich unter der Rubrik „Artikel-Nr.“ und stellt daher lediglich eine besondere Kennzeichnung und Individualisierung der bestellten Ware, also eine reine Produktbeschreibung dar, jedoch keine Beschaffenheitsvereinbarung i. S. von § 434 I 1 BGB.
Abgesehen hiervon hat der Kläger seinen diesbezüglichen, vom Beklagten bestrittenen Vortrag aber auch nicht unter Beweis gestellt und ist daher insoweit beweisfällig geblieben. Der Sachverständige C hat zwar einige Anhaltspunkte dafür genannt, dass das Produkt nicht von der Streithelferin zu 2. stammte, namentlich eine von der üblichen Verfahrensweise der Streithelferin zu 2. abweichende Prägung auf der Schraube und ein fehlender Aufdruck auf dem Zahnriemen. Diese Anhaltspunkte reichen aber nicht aus, dem Gericht die Gewissheit zu verschaffen, dass die Teile tatsächlich nicht von der Streithelferin zu 2. produziert worden sind. Auch der Sachverständige C konnte sich zu einer entsprechenden positiven Feststellung nicht durchringen. In seinem schriftlichen Gutachten spricht er lediglich von einem „Verdacht“ einer Produktfälschung. Anlässlich seiner mündlichen Erläuterung hat er lediglich angegeben, nach Lage der Dinge scheine es so, dass das gelieferte Set nicht original von H stamme. Ein solcher Anschein genügt für eine entsprechende Feststellung aber nicht. Weitere Beweismittel hat der Kläger zu dieser Frage nicht benannt. Dass die Streithelferin zu 2., die dem Rechtsstreit aufseiten des Beklagten beigetreten ist, mit Schriftsatz vom 29.06.2012 ebenfalls vorgetragen hat, es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem eingebauten Produkt um eine Fälschung gehandelt habe, ändert an der Beurteilung nichts. Insoweit setzt sich die Streithelferin zu 2. in Widerspruch zu dem Sachvortrag der von ihr unterstützten Hauptpartei, sodass ihr Vorbringen insoweit gemäß § 67 ZPO unbeachtlich ist …