- Entsprechend § 952 II BGB ist Eigentümer eines Fahrzeugbriefs (Zulassungsbescheinigung Teil II), wer Eigentümer des zugehörigen Fahrzeugs ist.
- Es gehört zwar zu den Mindestvoraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbs, dass sich der Käufer eines Gebrauchtwagens den Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers prüfen zu können. Im Übrigen trifft den Erwerber aber keine allgemeine Nachforschungspflicht. Deshalb ist grobe Fahrlässigkeit i. S. des § 932 II BGB nur anzunehmen, wenn der Erwerber sachdienliche Nachforschungen unterlässt, obwohl konkrete Verdachtsmomente Zweifel an der Berechtigung des Veräußerers wecken müssen. Wann eine solche besondere Nachforschungspflicht besteht, ist eine Frage des Einzelfalls, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist.
- Bei einem privaten Direktgeschäft ist der Käufer eines Gebrauchtwagens in der Regel als gutgläubig anzusehen, wenn er sich den Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) vorlegen lässt und dieser den Verkäufer als Halter des Fahrzeugs ausweist. Dass der Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) gefälscht ist, schadet einem privaten Käufer – also einer im Kfz-Handel unerfahrenen Person, die den Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) nur bei Erwerb eines Fahrzeugs kurz in den Händen hält – im Gegensatz zu einem Gebrauchtwagenhändler nur, wenn die Fälschung auf den ersten Blick erkennbar ist. Schreibfehler und Auslassungen genügen dafür nicht.
- Dass der Verkauf eines Gebrauchtwagens auf offener Straße oder (hier) auf einem Tankstellengelände abgewickelt wird, muss einen privaten Käufer nur dann zu weiteren Nachforschungen veranlassen, wenn es sich beim Verkäufer des Fahrzeugs um einen – üblicherweise über ein Geschäftslokal verfügenden – Gebrauchtwagenhändler handelt, der nicht der letzte im Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) eingetragene Halter ist.
- Es ist nicht unüblich, dass der Verkauf eines Gebrauchtwagens zwischen Privatleuten (= privates Direktgeschäft) als Bargeschäft abgewickelt wird; vielmehr dürfte dies die Regel sein.
- Bei einem privaten Direktgeschäft muss ein günstiger Kaufpreis den Käufer eines Gebrauchtwagens nur dann misstrauisch machen und ihn zu weiteren Nachforschungen veranlassen, wenn das Missverhältnis zwischen dem marktüblichen Preis für ein vergleichbares Fahrzeug und dem tatsächlich verlangten Kaufpreis eklatant ist. Das ist selbst dann nicht ohne Weiteres der Fall, wenn der Kaufpreis 20–30 % unter dem marktüblichen Preis liegt. Vielmehr kann zu berücksichtigen sein, dass der Verkäufer das Fahrzeug ursprünglich zu einem dem marktüblichen Preis in etwa entsprechenden Preis zum Kauf angeboten hat und der Käufer die Einigung auf einen deutlich geringeren Kaufpreis seinem Verhandlungsgeschick zuschreiben kann.
- Es ist unüblich, dass der private Käufer eines Gebrauchtwagens vom privaten Verkäufer die Vorlage des Kaufvertrags verlangt, mit dem der Verkäufer das jetzt zum Verkauf stehende Fahrzeug erworben hat. Eine derartige Obliegenheit besteht jedenfalls dann nicht, wenn ein Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) vorgelegt wird, der den Verkäufer als Halter des Fahrzeugs ausweist und als Fälschung nicht ohne Weiteres zu erkennen ist.
OLG Braunschweig, Urteil vom 01.09.2011 – 8 U 170/10
Sachverhalt: Die Parteien streiten um das Eigentum an einem Pkw (Audi A4), der sich im Besitz eines Sequesters befindet. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II, die zu diesem Fahrzeug gehört, während die Beklagte widerklagend verlangt, dass der Kläger der Freigabe des Fahrzeugs zu ihren Gunsten zustimmt.
Das Landgericht (LG Braunschweig, Urt. v. 08.10.2010 – 1 O 1609/09) hat die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage verurteilt, gegenüber dem Sequester der Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Beklagte zuzustimmen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger könne nicht mit Erfolg die Herausgabe des Kfz-Briefs verlangen, da er nicht das Eigentum an dem Fahrzeug erworben habe. Der Verkäufer V sei nicht Eigentümer des Fahrzeugs gewesen. Ein gutgläubiger Erwerb nach §§ 929 Satz 1, 932 BGB scheitere daran, dass der Kläger hinsichtlich der Eigentümerstellung des V nicht gutgläubig gewesen sei. Dem Kläger sei insoweit grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Zwar habe er sich den – gefälschten – Kfz-Brief vorlegen lassen und sei die Fälschung auch nicht offensichtlich gewesen. Dass in dem gefälschten Kfz-Brief der Vorname des Halters nicht angegeben gewesen sei, hätte den Kläger aber angesichts der weiteren Umstände zu Nachforschungen veranlassen müssen, auch wenn das Fehlen des Vornamens nach Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes bei Selbstständigen nicht unüblich sei.
Da V von einem Notverkauf wegen einer anstehenden Scheidung gesprochen habe, habe der Kläger in Betracht ziehen müssen, dass die Ehefrau des V Halterin des Fahrzeugs sei. Darüber hinaus sei der Kläger aufgrund weiterer verdächtiger Umstände zu Nachforschungen in Bezug auf das Eigentum des Veräußerers verpflichtet gewesen. So sei ungewöhnlich, dass das Fahrzeug nicht direkt vor dem Haus des V, sondern auf einem Tankstellengelände besichtigt worden und dort auch der schriftliche Kaufvertrag aufgesetzt worden sei. Auch habe der ungewöhnlich niedrige Kaufpreis eine Nachforschungspflicht des Klägers begründet. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten sei im Zeitpunkt der Veräußerung des Audi A4 bei einem Privatverkauf ein Verkaufspreis von mindestens 22.100 € brutto marktüblich gewesen. Der Listenpreis für ein entsprechendes Neufahrzeug habe 35.580 € betragen. Damit habe der tatsächliche Verkaufspreis in Höhe von 17.500 € noch 20 % bis 30 % unterhalb des üblichen Verkaufspreises gelegen. Dass der Kaufpreis äußerst günstig gewesen sei, sei dem Kläger auch bekannt gewesen; ein Indiz hierfür sei, dass der Kläger die weite Anreise von A. nach D. auf sich genommen habe.
Die Widerklage – so das Landgericht – sei unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung begründet, da die Beklagte nach wie vor Eigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei.
Die Berufung des Klägers hatte im Wesentlichen Erfolg.
Aus den Gründen: B. … I. Klage
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II (Kraftfahrzeugbrief) gemäß § 985 BGB zu. Als Eigentümer des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs ist er auch Eigentümer der Zulassungsbescheinigung Teil II. Nach § 952 II BGB analog bemisst sich das Eigentum am Fahrzeugbrief danach, wer Eigentümer des jeweils zugehörigen Fahrzeugs ist (BGH, Urt. v. 19.06.2007 – X ZR 5/07, NJW 2007, 2844 Rn. 7).
Zwar scheitert ein Eigentumserwerb des Pkw Audi A4 nach § 929 Satz 1 BGB daran, dass der Veräußerer V Nichtberechtigter war, da er das Fahrzeug lediglich von der Beklagten geleast hatte. Der Kläger hat aber das Eigentum an dem Fahrzeug gemäß §§ 929 Satz 1, 932 BGB gutgläubig erworben.
Gemäß § 932 I 1 BGB wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn das Fahrzeug dem Veräußerer nicht gehört, es sei denn, dass er im Zeitpunkt der Übergabe nicht in gutem Glauben gewesen ist. Nach § 932 II BGB schließen nur positive Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich der fehlenden Eigentümerstellung des Veräußerers die Redlichkeit des Erwerbers aus.
Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat nicht nachzuweisen vermocht, dass dem Kläger bei dem Erwerb grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf die Eigentümerstellung des Veräußerers zur Last zu legen ist. Unter grober Fahrlässigkeit ist ein Handeln zu verstehen, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (st. Rspr.; BGH, Urt. v. 09.02.2005 – VIII ZR 82/03, NJW 2005, 1365 [1366]). Beim Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs besteht keine allgemeine Nachforschungspflicht. Die Übergabe und Prüfung des Kfz-Briefs bzw. der Zulassungsbescheinigung Teil II sind aber die Mindestanforderungen für einen gutgläubigen Erwerb von Kraftfahrzeugen (BGH, Urt. v. 13.09.2006 – VIII ZR 184/05, NJW 2006, 3488 Rn. 17; Urt. v. 13.05.1996 – II ZR 222/95, NJW 1996, 2226 [2227]; Urt. v. 05.02.1975 – VIII ZR 151/73, NJW 1975, 735 [736]). Vorliegend hat sich der Kläger unstreitig den – gefälschten – Kraftfahrzeugbrief vorlegen lassen, in dem der Veräußerer als Halter eingetragen war. Bei dem hier vorliegenden Direktgeschäft zwischen Privatleuten ist ein Privatkäufer, der die dargestellten Mindestanforderungen an den guten Glauben erfüllt hat, in der Regel als redlich anzusehen (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 10. Aufl., Rn. 2264).
Grobe Fahrlässigkeit ist beim Erwerb vom Nichtberechtigten nur dann anzunehmen, wenn der Erwerber trotz Vorliegens von Verdachtsgründen, die Zweifel an der Berechtigung des Veräußerers wecken müssen, sachdienliche Nachforschungen nicht unternimmt. Wann eine solche Nachforschungspflicht, die nicht allgemein als Voraussetzung für einen gutgläubigen Eigentumserwerb bejaht werden kann, besteht, ist eine Frage des Einzelfalls. Für den Gebrauchtwagenhandel hat der BGH wegen der dort nicht selten vorkommenden Unregelmäßigkeiten in ständiger Rechtsprechung bei der Bewertung der Umstände, die für den Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs eine Nachforschungspflicht hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräußerers begründen, einen strengen Maßstab angelegt (BGH, Urt. v. 01.07.1987 – VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456 [1457]).
a) So besteht nach der Rechtsprechung eine weitere Nachforschungspflicht des Erwerbers bei erkennbarer Fälschung des Fahrzeugbriefs (BGH, Urt. v. 23.05.1966 – VIII ZR 60/64, DAR 1966, 299; KG, Urt. v. 24.05.2002 – 25 U 167/01, MDR 2003, 1350; OLG Schleswig, Urt. v. 01.09.2006 – 14 U 201/05, NJW 2007, 3007 [3008]). In den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen waren die Erwerber jedoch meist Gebrauchtwagenhändler. Deren Händlereigenschaft begründet eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, die eine gewissenhafte Prüfung des vorgelegten Kfz-Briefs erfordert. Einem Privatkäufer, also einer im Kraftfahrzeughandel unerfahrenen Person, die nur bei Erwerb eines Fahrzeugs kurzfristig den Kfz-Brief in den Händen hält, können nicht dieselben Anforderungen auferlegt werden, um dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu entgehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Fälschung augenscheinlich und auf den ersten Blick erkennbar ist (KG, Urt. v. 24.05.2002 – 25 U 167/01, MDR 2003, 1350; OLG Schleswig, Urt. v. 01.09.2006 – 14 U 201/05, NJW 2007, 3007 [3008]).
Dem Kläger kann kein grober Verstoß gegen seine Sorgfaltspflichten angelastet werden, weil er die Fälschung nicht erkannt hat.
Nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts fehlt der Vorname des Halters in dem Kfz-Brief. Ferner zeigt das Dokument Schreibfehler auf, und der Dienststempel weist keine umlaufende Schrift aus. Weiterhin fehlt die Unterschrift des Verantwortlichen der Audi AG. Das Datum der EG-Typgenehmigung liegt vor dem Zeitpunkt der Erstzulassung. Aus dem Bericht der Polizeiinspektion Aschaffenbug ergibt sich ferner, dass das Siegel aus einem anderen Dokument ausgeschnitten ist und aufgeklebt wurde und dass die Unterschrift gefälscht wurde.
Diese Umstände deuteten für den Kläger, der nicht den direkten Vergleich zwischen dem Original und dem Falsifikat hatte, nicht ersichtlich auf eine Fälschung hin. Vielmehr durfte er davon ausgehen, dass es sich um den Original-Kraftfahrzeugbrief handelte. Das vorgelegte gefälschte Formular ist entwendet worden und entspricht damit seinem äußeren Erscheinungsbild nach einem Original. So hat der Zeuge bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht ausgesagt, dass er sich den Brief angesehen habe und ihm das „besondere Papier“ aufgefallen sei.
Zwar ist der Beklagten zuzustimmen, dass beim Vergleich des Originals und der Fälschung die oben genannten Unterschiede auffallen, doch war das für den Kläger als Privatperson nicht offensichtlich. Das aufgeklebte Siegel ist nur dann erkennbar, wenn man mit dem Finger darüberstreicht. Da es sich gegen Mitte des Dokumentes befindet, ist dieses beim einfachen Halten des Dokuments in den Händen nicht erkennbar.
Das unter Ziffer 6 des Briefes vermerkte Datum ist für den Laien nicht ohne Weiteres zuzuordnen. Dass die Unterschrift des Verantwortlichen des Herstellers und der Barcode fehlen, ist für den Laien genauso wenig auffällig wie die Tatsache, dass ein Schreibfehler in dem Dokument, nämlich „ZStraßenverkehrsamt“, enthalten ist. Schreibfehler und Auslassungen werden von der Rechtsprechung ausdrücklich als nicht unüblich angesehen (OLG Schleswig, Urt. v. 01.09.2006 – 14 U 201/05, NJW 2007, 3007 [3008]).
Auch dem fehlenden Vornamen in dem Dokument kommt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz keine derartige Bedeutung zu, dass der Kläger die Fälschung ohne Weiteres hätte erkennen können. Nach dem Gutachten des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 04.11.2009´kommt es durchaus vor, dass auch bei der offiziellen Registrierung beruflich selbstständiger Personen nur der Familienname eingesetzt wird, was das Plausibilitätsprogramm des Kraftfahrt-Bundesamtes bei der Eingabe als Firma und damit als juristische Person nicht beanstandet. Zudem hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass der Verkäufer ihm nicht nur seinen Ausweis, sondern auch ein Schreiben der Stadt Duisburg gezeigt hat, woraus sich die Anerkennung der Selbstständigkeit des Verkäufers ergab.
Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, die Nummer des Kraftfahrzeugbriefes habe nicht zu der des Fahrzeugscheins gepasst, was dem Kläger hätte auffallen müssen. Das entspricht zwar den Feststellungen der Zulassungsstelle des Landratsamtes Aschaffenburg, kann dem Kläger aber nicht als grobe Fahrlässigkeit angelastet werden. Die Nummer der Zulassungsbescheinigung II ist im Feld 16 der Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein) vermerkt; in den übrigen Rubriken sind umfangreiche Zahlen und Buchstaben eingetragen, die vorliegend völlig mit den Daten der Zulassungsbescheinigung Teil II übereinstimmten. Dass sich in dem Feld 16 des Fahrzeugscheines die Nummer der Zulassungsbescheinigung Teil II befindet, ergibt sich für den Laien erst anhand der auf der Umseite des Fahrzeugscheines angegebenen Definition der Felder. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Instanz die im Fahrzeugbrief eingetragene Fahrzeug-Identifikationsnummer sogar selbst am Fahrzeug überprüft hat und sich nicht nur den Fahrzeugbrief, sondern auch den Ausweis des Verkäufers hat vorlegen lassen und sich die Ausweisnummer notiert hat. Diese zusätzlichen Prüfungen begründen angesichts der nicht offensichtlichen Fehler des Kraftfahrzeugbriefes nicht den Vorwurf einer groben Sorgfaltspflichtverletzung.
b) Ein besonderes Verdachtsmoment aus Sicht eines Käufers stellt auch nicht der Umstand dar, dass das Geschäft nicht in der privaten Wohnung des Verkäufers, sondern auf einem nahegelegenen Tankstellengelände abgewickelt wurde. Ein Verkauf auf offener Straße muss dem Käufer gegebenenfalls Anlass zu einer Nachforschung nach der Verfügungsbefugnis des Verkäufers geben, da beim Verkauf von Gebrauchtwagen, vor allem wenn er auf der Straße vorgenommen wird, mit unlauteren Machenschaften gerechnet werden muss (BGH, Urt. v. 05.02.1975 – VIII ZR 151/73, NJW 1975, 735). Allerdings gilt dies hauptsächlich für Fälle, in denen der gewerbliche Veräußerer, bei dem üblicherweise ein Geschäftslokal erwartet wird, nicht als Halter des Fahrzeugs eingetragen ist.
Vorliegend hatte sich der Verkäufer nicht als gewerblicher Kraftfahrzeughändler ausgewiesen. Dem Kläger waren Name und Anschrift des Verkäufers benannt worden, die auch in dem Kfz-Brief eingetragen waren. Auf der Straße vor der benannten Wohnung war nach der Aussage des Zeugen kein Parkplatz mehr frei, das angebotene Fahrzeug stand in zweiter Reihe. Der Kläger konnte angesichts dessen nicht als auffälligen Umstand werten, dass der Verkäufer angesichts der nunmehr drei Fahrzeuge (Audi A4, Fahrzeuge des Klägers und der Begleitpersonen des Verkäufers) vorschlug, zu einer circa 50 Meter entfernten Tankstelle zu fahren, um die Kaufgespräche und die Fahrzeugbesichtigung durchzuführen. Eine Tankstelle eignet sich für die Begutachtung eines Fahrzeugs besonders gut. Es bedarf hierfür einer ebenen Fläche, bei dem das Fahrzeug von allen Seiten betrachtet werden kann. Zudem wurde für die anschließenden Verhandlungen ein Stehtisch von neutraler Seite zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise war es dem Kläger durchaus möglich, die überreichten Papiere zu sichten. Zudem gab es auf diese Weise neutrale Zeugen und eine Videoaufnahme von den Verkaufsverhandlungen.
Entgegen der Darstellung der Beklagten handelte es sich auch nicht um eine hektische Verkaufssituation. Vielmehr fanden längere Kauf- und Kaufpreisverhandlungen statt, und es wurde eine Probefahrt durchgeführt.
c) Entgegen der von der Beklagten vorgebrachten Ansicht ist es im Übrigen nicht unüblich, dass der Fahrzeugkauf zwischen Privaten als Bargeschäft abgewickelt wird. Das dürfte vielmehr die Regel sein.
d) Auch der niedrige Verkaufspreis von letztlich 17.500 € hatte keine weiteren Nachforschungspflichten für den Kläger zur Folge.
Grundsätzlich wird zwar die Preisgestaltung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als beachtenswertes Verdachtsmoment angesehen (vgl. BGH, Urt. v. 30.10.1995 – II ZR 254/94, NJW 1996, 314; Urt. v. 05.02.1975 – VIII ZR 151/73, NJW 1975, 735; Urt. v. 01.07.1987 – VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456, 1457; Urt. v. 13.04.1994 – II ZR 196/93, NJW 1994, 2022, 2023). Allerdings muss das Missverhältnis für den Kläger als Erwerber eklatant sein. Das vermag der Senat nicht ohne Weiteres zu bejahen. Dabei ist wiederum zu beachten, dass es sich bei dem Kläger nicht um einen Kfz-Händler wie in den genannten Entscheidungen, sondern um einen Privatmann handelt. Dieser ist als eher unerfahren anzusehen, auch wenn er nach eigenem Vorbringen in den letzten 22 Jahren bereits mehrere Fahrzeuge erworben hat.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. S vom 21.05.2010 in Verbindung mit seiner mündlichen Anhörung vor der Kammer liegt der vom Kläger gezahlte Kaufpreis von 17.500 € deutlich, nämlich circa 20–30 %, unter den marktüblichen Preisen für ein vergleichbares Fahrzeug. Nach den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 27.08.2010 beträgt der marktübliche Preis mindestens 22.100 €. Hierbei hat der Sachverständige seine Marktrecherche, aber auch die Tatsache zugrunde gelegt, dass es sich um einen Privatverkauf handelte. Außerdem ist in dem Preis der Unfallschaden mitberücksichtigt worden.
Ob allein die Preisdifferenz von gut 20 % bei dem Kläger Misstrauen in Bezug auf die Verkaufsberechtigung des Veräußerers erwecken musste, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Aufgrund der sonstigen Umstände war der Kläger jedenfalls nicht verpflichtet, weitere Nachforschungen in Bezug auf die Eigentümerstellung des Verkäufers anzustellen. Insoweit kann nicht außer Betracht bleiben, dass der Kläger nach seinem unbestrittenem Vortrag Mitte November 2008 erstmalig das Verkaufsangebot für dieses Fahrzeug im Internet für einen Preis von 22.900 € gesehen hat. Erst später wurde der Angebotspreis im Internet auf 17.900 € reduziert. Ausweislich der Internetanzeige ist das Fahrzeug als absoluter Notverkauf wegen bevorstehender Scheidung ausgewiesen worden. Eine entsprechende Begründung ist auch dem Kläger bei den Verkaufsgesprächen genannt worden. Der Kläger durfte aufgrund dieser Angaben davon ausgehen, dass der Verkäufer dringend Geld benötigte. Die Einigung auf letztlich 17.500 € konnte der Kläger seinem Verhandlungsgeschick zuschreiben, indem er auf den nicht gänzlich beseitigten Unfallschaden hinwies. Bei dieser Sachlage ist es nach Auffassung des Senats nicht zwingend, dass sich für den Erwerber ein deutliches Missverhältnis zwischen dem Wert des Fahrzeugs und dem Kaufpreis ergeben müsste. Das gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass das Fahrzeug ursprünglich zu einem Preis angeboten worden war, den der Sachverständige noch als marktüblichen Preis bewertet hat.
Auch die Tatsache, dass der Kläger die rund 300 km von A. nach D. auf sich genommen hat, lässt nicht darauf schließen, dass er wusste, dass das Fahrzeug möglicherweise weit unterhalb des marktüblichen Preises verkauft wurde. Es zeigt lediglich, dass er den geforderten Preis für angemessen hielt und bereit war, diesen zu zahlen. Es ist zudem nicht unüblich, für einen im Internet angebotenen Gebrauchtwagen auch weite Strecken zu fahren, um auf dem Gebrauchtwagenmarkt ein dem Geschmack und Bedürfnis des Käufers entsprechendes Fahrzeug zu kaufen. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich – wie hier – um ein fast neues Fahrzeug handelt.
e) Die Auffassung der Beklagten, der Kläger hätte sich angesichts des neuwertigen Fahrzeugs zumindest den Kaufvertrag zeigen lassen müssen, den der Veräußerer bei seinem Erwerb abgeschlossen hat, vermag der Senat nicht zu teilen. Eine derartige Obliegenheit würde die Pflichten des durchschnittlichen privaten Gebrauchtwagenkäufers in unangemessener Weise ausweiten. Die Forderung nach der Vorlage des vorherigen Kaufvertrags ist zumindest unüblich. Sie besteht jedenfalls dann nicht, wenn ein Original-Fahrzeugbrief vorgelegt wird, der als Fälschung nicht ohne Weiteres zu erkennen ist.
f) Die von der Beklagten aus § 6 IV Nr. 3 FZV hergeleitete Pflicht zur Einholung einer Registerauskunft im Rechtsverkehr mit beweglichen Gegenständen findet sich weder in der Rechtsprechung noch in der Kommentierung wieder. Zudem widerspricht eine derartige Pflicht dem Sinn und Zweck der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs nach § 932 BGB. So dient dieser dem Interesse der Allgemeinheit an der Leichtigkeit des Verkehrs im Umgang mit beweglichen Sachen, welchem Vorrang vor dem Eigentümerinteresse zukommt.
Damit begründete keiner der jeweils dargestellten Umstände für sich genommen, aber auch in ihrer Gesamtheit eine konkrete Verdachtslage. Aufgrund des gutgläubigen Erwerbs des Fahrzeugs nach §§ 929 Satz 1, 932 BGB ist der Kläger analog § 952 II BGB auch Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugbriefs geworden.
II. Widerklage
Die Widerklage ist unbegründet. Nach den obigen Ausführungen ist der Kläger Eigentümer des Pkw Audi A4 geworden, sodass die Beklagte nicht mit Erfolg die Zustimmung des Klägers zur Herausgabe dieses Fahrzeugs an sich verlangen kann.
III. Nebenforderungen
Dem Kläger steht jedoch ein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht zu. Insoweit war die Klage abzuweisen und die Berufung zurückzuweisen.
Ein Schadensersatzanspruch aus Verzug gemäß §§ 280 I, II, 286 BGB kommt nicht in Betracht, weil sich die Beklagte bei Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers noch nicht mit der Herausgabe des Fahrzeugbriefs in Verzug befand. Verzug erfordert grundsätzlich nach § 286 I 1 BGB eine Mahnung. Mit der ersten Aufforderung zur Herausgabe des Kfz-Briefs durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 30.01.2009 fiel die Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG an. Spätere erneute Mahnungen lösen nach der Konzeption des RVG keine ersatzfähige Gebühr mehr aus. Erfolgte damit bereits die erste, den Verzug begründende Mahnung durch einen Rechtsanwalt, kann die Zahlung der angefallenen Gebühren aus Verzugsgesichtspunkten nicht verlangt werden.
Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 280 I BGB in Höhe der vorgerichtlichen Anwaltskosten besteht schon deshalb nicht, weil es an einer vertraglichen oder vorvertraglichen Beziehung der Parteien fehlt. …