Ein Neuwagen kann mangelhaft sein, wenn der vom Hersteller in einem Prospekt angegebene Kraftstoffverbrauch beim Betrieb des Fahrzeugs im normalen Straßenverkehr nicht erreicht werden kann. Daran ändert nichts, dass die vom Hersteller angegebenen Verbrauchswerte in einem genormten Messverfahren nach der Richtlinie 80/1268/EWG – also unter extrem günstigen „Laborbedingungen“ – ermittelt wurden und darauf in einer Fußnote im Prospekt auch hingewiesen wird.
LG Wiesbaden, Urteil vom 30.12.2010 – 3 O 208/09
Sachverhalt: Der Kläger bestellte bei der Beklagten am 27.01.2009 verbindlich einen Neuwagen zum Preis von 63.569,43 €. Das Fahrzeug wurde am 09.04.2009 abgeholt.
Am 04.05.2009 kam es einen ersten Mängelbeseitigungsversuch, nachdem der Kläger eine Vielzahl von Mängeln – unter anderem einen zu hohen Kraftstoffverbrauch und ständige Probleme mit den Memorytasten für Fahrersitz und Spiegel – gerügt hatte. Der Kläger behauptet, dieser Versuch sei erfolglos verlaufen, und auch ein weiterer, für den 27.05.2009 vereinbart Werkstatttermin habe keine Besserung gebracht. Schon beim Verlassen der Werkstatt hätten sich Spiegel und Fahrersitz wieder verstellt. Ebenso habe sich nichts am hohen Kraftstoffverbrauch geändert.
Mit Schreiben vom 11.07.2009 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Er ist der Auffassung, dass sich bereits aus der Vielzahl der Mängel ein Recht zum Rücktritt ergebe. Die Beklagte habe zweimal die Möglichkeit zur Nachbesserung gehabt; ein weiterer Nachbesserungsversuch sei ihm nicht zumutbar. Hauptsächlicher Mangel – so trägt der Kläger vor – sei der wesentlich zu hohe Kraftstoffverbrauch. Das Fahrzeug sei vom Hersteller mit einem durchschnittlichen Verbrauch von 9,3 l/100 km beworben worden, doch liege der tatsächliche Verbrauch bei sehr moderater Fahrweise bei über 11,5 l/100 km, was einen Mehlverbrauch von 24 % ausmache.
Die im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtete Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: … [D]er Kläger kann Rückabwicklung des Kaufvertrags und Ersatz der ihm hierdurch entstandenen Schäden verlangen …
Die Rückabwicklung des Kaufvertrags ist vorzunehmen, da der Kläger berechtigterweise den Rücktritt vom Vertrag … erklärt hat. Er war zum Rücktritt berechtigt, da das Fahrzeug erhebliche Mängel aufweist, die von der Beklagten nicht beseitigt wurden, obwohl diese gerügt worden waren innerhalb der Gewährleistungsfrist und deshalb davon auszugehen ist, dass die Beklagte diese auch zu vertreten hat und sie bereits bei Übergabe der Kaufsache vorgelegen haben.
Dies ergibt sich bereits aus einer Gegenüberstellung der vom Kläger mit Schreiben vom 31.08.2009 aufgelisteten Mängel, die unstreitig zuvor gerügt worden sind. Es hat zudem auch unstreitig einen Beseitigungsversuch hinsichtlich dieser Mängel gegeben, die zum großen Teil aber auch noch bei der Besichtigung durch den Sachverständigen vorhanden waren, wie sich aus dem Gutachten ergibt. Zudem hatte die Beklagte das Vorhandensein von diesen Mängeln rundweg abgestritten, sodass es letztlich nicht mehr darauf ankam, ob es einen weiteren Termin zur Mängelbeseitigung gegeben hat oder nicht. Unstreitig haben jedenfalls eine Vielzahl von Gesprächen zwischen den Beteiligten auch unter Einbeziehung des Herstellers stattgefunden, die nicht zu einer Mangelbeseitigung geführt haben, sodass diese dem Kläger schließlich auch nicht mehr zumutbar war.
Als gravierender Mangel ist es diesbezüglich anzusehen, dass die Einstellung des Fahrersitzes nicht entsprechend bestandskräftig war, sondern sich die Einstellung bei Öffnen der Fahrertür jeweils wieder umstellte. Dies hat der Sachverständige eindeutig bestätigt. Ein derartiger Mangel kann auch nicht als geringfügig angesehen werden, sondern beeinträchtigt das Befinden des Fahrers nachhaltig, ist zeitintensiv und umständlich, der Fahrkomfort leidet nicht unerheblich. Bei einem Fahrzeug dieser Ausstattungs- und Preisklasse ist ein derartiger Mangel nicht hinzunehmen.
Das Gleiche gilt für das Verstellen der Außenspiegel, das vom Kläger mehrfach eindrücklich dargestellt worden ist. Auch wenn dies bei der Probefahrt durch den Sachverständigen nicht festgestellt werden konnte, so ist das Gericht doch davon überzeugt, dass dieser Mangel vorliegt, weil es sich nach den Bekundungen des Sachverständigen um das gleiche Steuerteil handelt, das auch für die Fehlfunktion des Fahrersitzes verantwortlich ist. Auch dieser Mangel ist nicht nur lästig, sondern kann auf die Fahrsicherheit erheblichen Einfluss haben und müsste zu immer neuen Einstellungen der Spiegel auch während des Fahrbetriebs führen oder aber zu Unterbrechungen der Fahrten zur Einstellung der Spiegel. Auch dies ist ein bei einem derart hochwertigen Fahrzug nicht hinzunehmender Mangel.
Letztlich liegt allerdings auch ein Mangel in dem hohen Spritverbrauch des Fahrzeugs, der ebenfalls zur Rückabwicklung berechtigt.
Der Kläger hat unbestritten Prospekte hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs vorgelegt, aus denen sich hinsichtlich des Spritverbrauchs eindeutig ergibt, dass dieser bei durchschnittlich 9,3 l/100 km liegen würde. Dass diese Werte tatsächlich nicht im normalen Betrieb des Fahrzeugs erreicht werden können, ergibt sich zum einen aus den Angaben der Beklagten selbst, die davon ausgeht, dass diese Werte nicht zu erreichen sind, zum anderen aber auch aus den durchaus nachvollziehbaren Ausführungen des Sacherständigen, der die Art der Ermittlung dieser Werte nach dem Messverfahren RL 80/1268/EWG erläutert hat. Demnach handelt es sich um Werte, die mit dem tatsächlichen Verbrauch des Fahrzeugs in normalen Straßenverkehr nichts zu tun haben, sondern unter extrem günstigen Bedingungen im Labor simuliert worden sind und lediglich der Vergleichbarkeit verschiedener Fahrzeuge dienen sollen.
Gerade dies war für den Kläger als Käufer aber nicht ersichtlich. Lediglich in der Beschreibung zu dem Fahrzeug … ergibt sich hierauf als Fußnote auf Seite 23 unten ein klein gedruckter Hinweis auf diese Messung und ihre Bedeutung. Nirgendwo sonst ist darauf hingewiesen worden.
Auch wenn man unterstellt, dass diese Beschreibung schon Grundlage des Vertrages zwischen den Parteien war, der bereits im Januar abgeschlossen worden ist, so kann alleine dieser Hinweis nicht genügen, um den Käufer zutreffend über diese Grundlagen der Verbrauchsangaben zu informieren. Der Kunde geht vielmehr vorrangig von den deutlichen Ankündigungen in den sonstigen Veröffentlichungen aus, die gerade den niedrigen Spritverbrauch deutlich in den Vordergrund gestellt haben. In den Zeiten ständig steigender Spritpreise ist dies auch unzweifelhaft ein wesentlicher Faktor für die Kaufentscheidung.
Es hätte deshalb entweder eines deutlichen Hinweises in der Produktbeschreibung bedurft oder einer entsprechenden Aufklärung beim Beratungsgespräch, dass die Angaben wenig Bezug zum realen Verbrauch bei Nutzung dieses Fahrzeugs haben.
Unstreitig ist der Kläger hierüber aber nicht aufgeklärt worden, seiner Behauptung nach wurde der durchschnittliche Verbrauch von 9,3 Litern beim Verkaufsgespräch sogar ausdrücklich bestätigt. Dem ist die Beklagte nicht substanziiert entgegengetreten. Lediglich der Verweis auf die Fußnote kann hierfür nicht genügen.
Es liegt somit ein Mangel der Kaufsache vor, nämlich eine erhebliche Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit, der Rücktritt ist berechtigt.
Der Kläger hat auch Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzuges, da die Beklagte trotz des berechtigten Rücktritts das Fahrzeug nicht zurückgenommen hat.
Zudem kann der Kläger auch neben dem Rücktritt Schadensersatz gemäß § 437 Nr. 3 geltend machen hinsichtlich der Mehrkosten, die ihm wegen der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs entstanden sind. Da diese noch nicht abschließen beziffert werden können, war die Feststellung gerechtfertigt.
Hinsichtlich der Rückabwicklung kann der Kläger allerdings nur einen Betrag von 51.409,43 € geltend machen. Vom Kaufpreis waren die vom Kläger gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Hierbei geht das Gericht davon aus, dass eine Laufleistung von insgesamt 200.000 km zugrunde zu legen ist. Damit ergibt sich ein Kaufpreisanteil von 0,32 € pro Kilometer, bei gefahrenen 38.000 km damit ein Betrag von 12.160 €, der in Abzug zu bringen ist …