Ein gewerblicher Kfz-Händler, der einen Pkw von einem Privatmann kauft, mag nicht generell zur Untersuchung des Fahrzeugs verpflichtet sein. Wird ihm das Fahrzeug jedoch nebst Kfz-Schein und Kfz-Brief zur Schätzung des Kaufpreises überlassen, ist der Händler zumindest verpflichtet, die wesentlichen Angaben in den Kfz-Papieren zu prüfen und mit den tatsächlichen Gegebenheiten abzugleichen. Dazu gehört auch die Angabe des Fahrzeugherstellers. Versäumt der Händler diese Prüfung, kann es zu seinen Lasten gehen, wenn das Fahrzeug mangelhaft ist, weil es zwar wie ein Fahrzeug eines bestimmten Herstellers aussieht, tatsächlich aber aus verschiedenen Fahrzeugteilen zusammengebaut ist.
OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 18.08.2009 – 16 U 59/09
Sachverhalt: Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Gebrauchtwagen sowie auf Schadensersatz in Anspruch. Der Beklagte begehrt widerklagend Ersatz seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Hintergrund des Rechtsstreits ist, dass die mit Kraftfahrzeugen handelnde Klägerin nach Durchführung einer Gebrauchtfahrzeugbewertung einen als X-Caprio bezeichneten Pkw des Beklagten in Zahlung genommen hat, der zwar wie ein entsprechender X aussah, tatsächlich aber aus verschiedenen Fahrzeugteilen zusammengebaut war und nicht von X stammte.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Haftung des Beklagten sei nach § 442 I 2 BGB ausgeschlossen, weil der Klägerin der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben sei. Zudem lägen weder Anhaltspunkte für ein arglistiges Verschweigen seitens des Beklagten noch für die Übernahme einer Beschaffenheitsgarantie vor. Der Widerklage hat das Landgericht stattgegeben, da die Klägerin ihre aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag resultierenden Pflichten verletzt habe, indem sie vorprozessual zu Unrecht einen vermeintlichen Anspruch gegen den Beklagten geltend gemacht habe.
Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil hatte nur hinsichtlich der Widerklage Erfolg.
Aus den Gründen: II. … 1. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass Gewährleistungsansprüche der Klägerin gegen den Beklagten nach § 442 I 2 BGB ausgeschlossen sind, weil der Klägerin der Mangel des Fahrzeugs – bei dem es sich entgegen der Angaben im Kaufvertrag nicht um ein X-Caprio handelte – infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall einleuchten muss (Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., § 277 Rn. 5 m. w. Nachw.).
Es kann zunächst offenbleiben, ob es eine generelle Untersuchungspflicht des gewerblichen Autohändlers gibt, der einen Pkw von einem Privatmann ankauft. Hier hatte nämlich die Klägerin das Fahrzeug des Beklagten einschließlich Kfz-Schein und Kfz-Brief ausdrücklich zur Bewertung und Schätzung des Ankaufspreises und damit zur Untersuchung bzw. Überprüfung sämtlicher wertbildender Faktoren erhalten. Damit war es bereits aus diesem Grund ureigene Angelegenheit der Klägerin, diese Untersuchung sowohl des Fahrzeugs als auch der vorgelegten Papiere gründlich durchzuführen. Dabei kann ebenfalls offenbleiben, ob es einem gewerblichen Autohändler in diesem Zusammenhang obliegt, jede der zahlreichen Zeilen eines Fahrzeugsbriefs durchzulesen, zur Kenntnis zu nehmen und auf die Richtigkeit hin zu überprüfen. Zumindest die wesentlichen Umstände sind zu überprüfen und auf Übereinstimmung mit den tatsächlichen Gegebenheiten abzugleichen. Dazu gehört nach Auffassung des Senats auch die Angabe des Fahrzeugherstellers, zumal sich diese nicht an entlegener Stelle, sondern bereits in Zeile 2 des Fahrzeugbriefs befindet. Hinzu kommt vorliegend, dass ein Mitarbeiter der Klägerin – wie sie selbst … vorgetragen hat – die für die Erstellung der computergestützten Bewertung erforderlichen Daten dem Fahrzeugbrief entnommen und sowohl handschriftlich in die Gebrauchtwagenbewertung übertragen als auch in den PC eingegeben hat. Diese Daten umfassten auch den im Textteil A in Zeile 2 angegebenen Schlüssel für den Fahrzeughersteller, der sich unmittelbar neben der ausdrücklichen Angabe des Fahrzeugherstellers befindet, die vorliegend „SONST. KFZ-HERSTELLER“ lautet. Selbst wenn dem Mitarbeiter der Klägerin diese unmittelbar neben dem Fahrzeugschlüssel angeführte, mit dem Anschein nicht übereinstimmende Herstellerangabe zunächst entgangen sein sollte, so hatte er jedoch besonderen Grund aufmerksam zu werden, als der Computer eine Fehlermeldung auswarf und das Fahrzeug nicht finden konnte. Spätestens dies hätte Anlass sein müssen, die Herstellerangabe und die sonstigen Angaben in dem Kfz-Brief zu überprüfen. Dann hätte der Mitarbeiter der Klägerin auch feststellen können und müssen, dass als Fahrzeughersteller in der Zeile 2 neben dem Schlüssel nicht X, sondern „SONST. KFZ-HERSTELLER“ angegeben ist, und dass darüber hinaus am Ende des Kfz-Briefs unter „Raum für weitere amtlich zugelassene Eintragungen“ angeführt ist, dass es sich um einen Ersatzbrief handelt und die Fahrzeugbeschreibung auf Seite 2 aufgrund eines Vollgutachtens nach § 21 StVZO … erstellt wurde. Nach § 21 StVZO ist aber – was die Klägerin als Fachhändlerin wissen musste – eine Betriebserlaubnis zu beantragen, wenn ein Fahrzeug nicht zu einem genehmigten Typ gehört. Somit lag es aber für den Mitarbeiter der Klägerin auf der Hand, dass die Bezeichnung des Fahrzeugs als X nicht zutreffen konnte. Dabei hat er, obwohl er selbst auf diese Umstände aufmerksam wurde, die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonderem Maße verletzt, weil er die ganz nahe liegende Überlegung, den geweckten Zweifeln durch einen weiteren Blick in den Kfz-Brief nachzugehen, nicht angestellt, sondern ohne weitere Überprüfung der Sachlage den Schlüssel für X in den Computer eingegeben hat.
Unbegründet sind dabei die von der Klägerin angemeldeten Bedenken hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit des erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Schriftsatz vom 25.02.2009 gehaltenen Vortrags des Beklagten. Dass die Schlüsselnummer in unmittelbarer Nähe des Vermerks „SONST. KFZ-HERSTELLER“ im Kfz-Brief aufgedruckt ist, ergab sich bereits aus dem im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in Kopie vorliegenden Kfz-Brief und ist zudem unstreitig; neues unstreitiges Vorbringen ist aber in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen (Zöller/Heßler, ZPO, 27. Aufl., § 531 Rn. 21). Im Übrigen ist auch unerheblich, ob der Mitarbeiter der Klägerin die ausdrückliche Angabe des Fahrzeugherstellers wahrgenommen hat oder nicht; maßgeblich ist allein, dass er nach Erhalt der Fehlermitteilung allen Anlass dazu gehabt hätte nachzuschauen, welche Eintragung der Kfz-Brief hinsichtlich des Fahrzeugherstellers enthält. Dass diese Angabe … auch dem von ihrem Käufer eingeschalteten Fachbetrieb B entgangen ist, entlastet die Klägerin insoweit nicht.
Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, der Beklagte habe die Problematik mit der Typschlüssel-Nummer unter Hinweis auf einen (angeblichen) Reimport bagatellisiert. Abgesehen davon, dass der Beklagte diese Behauptung bestreitet, hätte sich der Mitarbeiter der Klägerin als Fachmann nicht auf eine solche – nicht ohne Weiteres nachvollziehbare und von einem Laien abgegebene mögliche – Begründung verlassen dürfen, zumal dem Fahrzeugbrief zusätzliche Hinweise auf die Herstellerproblematik zu entnehmen waren. Da es sich zudem bei dem Hersteller eines Fahrzeugs um eine wichtige, wertbildende Eigenschaft – und nicht um eine Lappalie – handelt, war die Klägerin in besonderem Maße gehalten, möglichen Zweifeln nachzugehen und sich nicht auf die Angaben eines fachunkundigen Verkäufers zu verlassen.
Im Übrigen liegen auch die weiteren Voraussetzungen des § 442 I 2 BGB für einen Haftungsausschluss vor. Die Annahme des Landgerichts, dass ein arglistiges Verschweigen des Mangels durch den Beklagten nicht ersichtlich sei, wird mit der Berufung nicht angegriffen und ist auch nicht zu beanstanden, da der Beklagte, der den Pkw selbst als X-Caprio erworben hat, der Klägerin sämtliche Unterlagen, aus denen sich die Fahrzeugangaben entnehmen ließen, zur Prüfung und Bewertung zur Verfügung gestellt hat. Dem Landgericht ist auch darin zuzustimmen, dass der Beklagte keine Beschaffenheitsgarantie nach § 443 I BGB übernommen hat, da es an Hinweisen darauf fehlt, der Beklagte habe in jedem Fall für alle Folgen des Fehlens der Beschaffenheit „X“ einstehen wollen. Die im Kaufvertrag erfolgte Bezeichnung des Pkw als „X“ stellt nur eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I 1 BGB dar, deren Fehlen allein zur Mangelhaftigkeit führt.
Nach alledem hat die Berufung hinsichtlich der Klage keinen Erfolg.
2. Der Beklagte hat aber gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, sodass die Widerklage auf die Berufung hin abzuweisen ist. Zwar ist mit der Entscheidung des BGH vom 16.01.2009 – V ZR 133/08 (BGHZ 179, 238) davon auszugehen, dass die unberechtigte außergerichtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gegenüber dem Beklagten als Vertragspartner der Klägerin einen Verstoß gegen die Pflicht der Klägerin zur Rücksichtnahme nach § 241 II BGB darstellt und i. S. von § 280 I 1 BGB pflichtwidrig ist. Die Klägerin hat die Pflichtwidrigkeit aber nicht nach § 280 I 2 BGB zu vertreten.
Nach dem Urteil des BGH vom 16.01.2009 handelt der Gläubiger, der seinen Vertragspartner unberechtigt außergerichtlich in Anspruch nimmt, nämlich nicht schon dann fahrlässig, wenn er nicht erkennt, dass seine Forderung in der Sache nicht berechtigt ist. Die Berechtigung seiner Forderung kann nämlich sicher nur in einem Rechtsstreit geklärt werden, dessen Ergebnis vorauszusehen von dem Gläubiger im Vorfeld oder außerhalb eines Rechtsstreits nicht verlangt werden kann. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 II BGB) entspricht der Gläubiger deshalb vielmehr bereits dann, wenn er prüft, ob die Vertragsstörung auf eine Ursache zurückzuführen ist, die dem eigenen Verantwortungsbereich zuzuordnen, der eigene Rechtsstandpunkt mithin plausibel ist. Mit dieser Plausibilitäts- oder Evidenzkontrolle hat es sein Bewenden.
Gemessen an diesen Anforderungen hat die Klägerin ihr unberechtigtes Zahlungsverlangen nicht zu vertreten, da sie nicht fahrlässig gehandelt hat. Die Klägerin hatte den Pkw von dem Beklagten erworben. Das Fahrzeug war mangelhaft mit der Folge, dass die Klägerin selbst von ihrem Käufer auf Rückabwicklung des Kaufvertrags in Anspruch genommen worden ist, ohne den Käufer auf § 442 I BGB verweisen zu können. Vor diesem Hintergrund ist der Rechtsstandpunkt der Klägerin, ihrerseits Rückgriff gegenüber dem Beklagten als Verkäufer nehmen zu können, plausibel, da danach die Ursache der Vertragsstörung nicht im eigenen Verantwortungsbereich der Klägerin, sondern in jenem des Beklagten lag.
Zudem musste die Klägerin im Rahmen einer Evidenzkontrolle auch nicht annehmen, ihr Anspruch gegen den Beklagten sei wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der Mangelhaftigkeit ausgeschlossen; vielmehr durfte sie ihren eigenen Rechtsstandpunkt in der Sache für vertretbar halten, zumal es sich bei der Frage des Vorliegens einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Mangels um eine Bewertungsfrage handelt, deren Ergebnis nicht ohne Weiteres auf der Hand liegt …