Ein unerheblicher Fahrzeugmangel (§ 323 V 2 BGB) berechtigt selbst dann nicht zum Rücktritt vom Kaufvertrag, wenn der Verkäufer sich weigert, seiner Beseitigungspflicht nachzukommen.
OLG Koblenz, Urteil vom 24.01.2008 – 5 U 684/07
Sachverhalt: Mit ihrer Berufung wendet sich die beklagte Kfz-Herstellerin gegen eine in erster Instanz erfolgreiche Klage auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen fabrikneuen Pkw.
Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 04.04.2005 gegen Zahlung des Kaufpreises von 72.500 € übergeben. Der Kläger beanstandete erstmals am 26.07.2005 neben einem starken Schleifen im Lenkrad Lackierungsmängel an der A-Säule, der Innenseite der Fahrertür und am vorderen Kennzeichenträger. Später wurden auch Lackierungsmängel am hinteren Kennzeichenträger gerügt. Bei einer Autobahnfahrt am 14.10.2005 stellte der Kläger eine starke Vibration des ganzen Fahrzeugs fest. Am 27.01.2006 erklärte er den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Das Landgericht hat Sachverständigenbeweis erhoben. Der Gutachter hat an einigen Stellen „Orangenhaut“ der Lackierung und außerdem Plattstellen der Fahrzeugreifen festgestellt . Die Plattstellen seien ursächlich für die Vibrationen und die Lenkradunruhe. Die Bereifung müsse erneuert werden. Wegen der Mängel der Bereifung hat das Landgericht der Klage stattgegeben, dabei allerdings 1.305 € als Nutzungsersatz abgezogen. Die Berufung der Beklagten hatte weitgehend Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Der Kläger war nicht zum Rücktritt vom Kaufvertrag befugt. Zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs am 04.04.2005 war das Fahrzeug frei von Sachmängeln, die einen Rücktritt rechtfertigen. Der vorhandene Lackierungsmangel am hinteren Kennzeichenträger (Orangenhaut) ist derart unerheblich, dass hierauf der Rücktritt nicht gestützt werden kann (§ 437 Nr. 2 BGB i. V. mit § 323 V 2 BGB). Insoweit war die Beklagte auf den Hilfsantrag des Klägers lediglich zur Nacherfüllung durch Beseitigung des Mangels zu verurteilen (§ 439 BGB).
1. Die Beklagte hat den ihr obliegenden Nachweis geführt, dass das Fahrzeug bei Gefahrübergang Anfang April 2005 und auch noch Ende Oktober 2005 frei von Sachmängeln war, die den Rücktritt rechtfertigen könnten. Die Plattstellen der Fahrzeugbereifung waren seinerzeit nicht vorhanden.
Das Landgericht hat das anders gesehen und gemeint, die vom Sachverständigen B annähernd zehn Monate später im August 2006 festgestellten Plattstellen der Fahrzeugreifen (Höhenschlag) seien ein erheblicher Sachmangel, der den Kläger zum Rücktritt berechtige. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Plattstellen bereits bei Gefahrübergang Anfang April 2005 vorhanden waren oder in der Folgezeit aus Gründen entstanden, die von der Beklagten zu verantworten sind.
Diese Tatsachengrundlage des angefochtenen Urteils ist durch das Beweisergebnis zweiter Instanz widerlegt. Die Plattstellen waren zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) im April 2005, aber auch im Oktober 2005 noch nicht vorhanden. Das ergibt sich aus Folgendem:
Bei seiner Probefahrt am 08.10.2006, vierzehn Monate nach Gefahrübergang, stellte der Sachverständige B bei Geschwindigkeiten über 140 km/h eine starke Unruhe im Lenkrad fest; das Lenkrad vibrierte. Diese Vibration übertrug sich bei noch höherer Geschwindigkeit auf das gesamte Fahrzeug; es handelte sich um eine außerordentlich auffällige Mangelerscheinung. Ursächlich hierfür sind nach den überzeugenden Ausführungen und Erläuterungen des Sachverständigen die Plattstellen der Fahrzeugreifen.
Die so beschriebene Mangelerscheinung hat der Kläger jedoch bei seinen Werkstattbesuchen im Frühjahr und Sommer 2005 nicht gerügt. Der Senat ist nach dem Inbegriff seiner mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme überzeugt, dass der Kläger jedenfalls ab Sommer 2005 die Fahrzeugbeschaffenheit besonders kritisch beobachtete und vermeintliche und tatsächlich vorhandene Mängel beanstandete. Dass er das Fahrzeug bis zu diesem Zeitraum niemals mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h und darüber bewegte, ist nicht behauptet und auch fernliegend. Wären die Plattstellen der Bereifung seinerzeit bereits vorhanden gewesen, hätte sie schon damals zu dem vom Sachverständigen beschriebenen, extrem auffälligen Fahrverhalten geführt. Derartiges hat der Kläger seinerzeit jedoch selbst nicht wahrgenommen und dementsprechend auch nicht gerügt.
Eine starke Vibration des Fahrzeugs beanstandete der Kläger erstmals nach einer Autobahnfahrt am 14.10.2005. Das führte am 24.10.2005 zu einer eingehenden Ursachenforschung durch den von der Beklagten beauftragten Techniker T. Da der Zeuge Arbeitnehmer der Beklagten ist und daher ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben kann, musste seine Darstellung besonders kritisch geprüft und gewürdigt werden. Auch unter dieser Prämisse sind jedoch keinerlei Umstände zutage getreten, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen erlauben. Der Senat hält die Darstellung des Zeugen T, der sich maßgeblich auf seine im Oktober 2005 gefertigten Notizen und Aufzeichnungen stützen konnte, für glaubhaft. Danach wurde die Bereifung des Fahrzeugs am 24.10.2005 sehr eingehend und sorgfältig mit allen verfügbaren technischen Messgeräten, aber auch optisch überprüft, ohne dass diese Untersuchung jene Standplatten zutage förderte, die der Sachverständige B annähernd zehn Monate später feststellte. Der Zeuge T hat dem Senat den Eindruck vermittelt, dass es ihm keinesfalls darum ging, einen unzufriedenen Kunden beschwichtigend abzuwimmeln. Der Zeuge war vielmehr bestrebt, den das Fahrverhalten betreffenden Beanstandungen des Klägers auf den Grund zu gehen und erforderlichenfalls für nachhaltige Abhilfe zu sorgen. Da der Zeuge weder bei seinen Messungen noch bei der Probefahrt nach erneutem Auswuchten aller vier Räder den Mangel (Standplatten) oder die Mangelerscheinung (Vibrationen jenseits von 140 km/h) feststellte, ist bewiesen, dass die Fahrzeugbereifung den vom Landgericht als maßgeblich angesehenen Fehler auch am 24.10.2005 noch nicht aufwies.
Das ist nicht dadurch infrage gestellt, dass der Kläger zuvor, am 14.10.2005 Vibrationen im Lenkrad gerügt hatte. Nach den Feststellungen des Zeugen T vom 24.10.2005 waren die Fahrzeugräder nicht hinreichend sorgfältig ausgewuchtet. Das erklärt die kurz zuvor vom Kläger gerügten Vibrationen. Mit den vom Sachverständigen erst annähernd zehn Monate später festgestellten Standplatten hat die vom Kläger im Oktober 2005 gerügte Mangelerscheinung nichts zu tun. Daher kommt ihm auch die Beweislastumkehr des § 476 BGB nicht zugute. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Standplatten erst zwischen dem 24.10.2005 und dem 08.10.2006 entstanden sind. Dafür scheidet eine Gewährleistungs- oder sonstige Haftung der Beklagten aus. Nach den Ausführungen des Sachverständigen können Standplatten unter widrigen Bedingungen durchaus binnen kürzester Zeit entstehen (Abstellen mit warm gefahrenen Reifen, zu niedriger Reifendruck etc.). Sämtliche denkbaren Ursachen für die erst nach dem 24.10.2005 entstandenen Reifenschäden liegen indes im Verantwortungsbereich des Klägers, der das Fahrzeug nach anwaltlicher Beratung längerfristig stilllegte.
Das ist durch die Aussage der Zeugin O, wonach das Fahrzeug ständig aufgebockt in der Garage stand, nicht entkräftet. Kurze Strecken ist das Fahrzeug auch nach dem 24.10.2005 und vor der Begutachtung durch den Sachverständigen im August 2006 noch bewegt worden. Dabei stellte der Sachverständige am 08.08.2006 bei allen vier Reifen einen gegenüber den Werksvorgaben zu niedrigen Luftdruck fest. Die Beklagte hat hierzu mitgeteilt, dass sie bei Lagerfahrzeugen zur Vermeidung von Plattstellen den Reifenluftdruck während der Standzeiten deutlich erhöht. Nach Auffassung des Senats muss ein Fahrzeughersteller seine Kunden in der Betriebsanleitung deutlich darauf hinweisen, dass bei längerem Abstellen des Fahrzeugs auf den belasteten Reifen deren Luftdruck erhöht werden muss, um Standplatten zu vermeiden. Denn das vom Sachverständigen aufgezeigte Problem ist in Fachkreisen bekannt, dem automobiltechnischen Laien jedoch nicht geläufig.
Ob der Beklagten insoweit ein Aufklärungs- und Hinweisversäumnis unterlaufen ist, kann jedoch dahinstehen. Der Kläger behauptet, das Fahrzeug in Kenntnis des Problems aufgebockt zu haben. Damit ist ausgeschlossen, dass ein fehlender Warnhinweis in der Betriebsanleitung des Fahrzeugs schadensursächlich war.
2. Die Lackierung des Fahrzeugs entspricht nach Auffassung des Senats weitgehend dem Stand der Technik. Sie weist eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 I 2 Fall 2 BGB). Weit überwiegend befinden sich die vom Kläger gerügten Lackierungsmängel an Stellen, die auch dem kritischen Betrachter eines Fahrzeugs der gehobenen Klasse nicht ohne Weiteres auffallen. Die Probleme, die durch die heute übliche Verwendung umweltfreundlicher Lacke auftreten, entsprechen der Verkehrserwartung, wonach der schonende Umgang mit Umweltressourcen bedeutsamer ist als die rundum makellose Oberflächenbeschaffenheit einer Fahrzeuglackierung.
Ein geringfügiger Mangel liegt allerdings darin, dass die Lackierung der Heckblende – und damit bei äußerer Betrachtung ohne Weiteres wahrnehmbar – in der Oberflächenstruktur unsauber ist (Orangenhaut). Diesen Mangel muss die Beklagte entsprechend dem zweiten Hilfsantrag des Klägers beseitigen (§ 439 I BGB).
Die Pflichtverletzung der Beklagten ist indes derart unerheblich, dass sie den Rücktritt des Klägers nicht rechtfertigt (§ 323 V 2 BGB). Für den Gebrauchtwagenkauf ist anerkannt, dass es im Rahmen der vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung (vgl. BGH, Urt. v. 24.03.2006 – V ZR 173/05, BGHZ 167, 19) entscheidend darauf ankommt, mit welchem Kostenaufwand sich ein Mangel beseitigen lässt. Ob das uneingeschränkt auf den Kauf eines fabrikneuen Fahrzeugs übertragen werden kann, erscheint zweifelhaft, bedarf im vorliegenden Fall aber nicht der Entscheidung. Denn der Beseitigungsaufwand ist hier derart gering, dass die Erheblichkeitsschwelle des § 323 V 2 BGB evident nicht überschritten ist.
Als maßgebliche Pflichtverletzung von Erheblichkeit kann dabei auch nicht die Weigerung der Beklagten angesehen werden, den geringfügigen Lackierungsmangel im Bereich der Heckblende zu beseitigen. Gerade bei geringfügigen Mängeln kann darüber gestritten werden, ob es sich überhaupt um einen Sachmangel handelt. Sähe man in der Weigerung des Verkäufers, eine derartige, vom Gericht letztlich als Mangel eingestufte Beanstandung zu beseitigen, stets eine den Rücktritt rechtfertigende erhebliche Pflichtverletzung, würde das Gewährleistungsrecht beim Kauf gesetzeswidrig ausgehöhlt. Die Gewährleistungsansprüche des Käufers knüpft das Gesetz nämlich in erster Linie an die Beschaffenheit der Sache und nicht an das nachvertragliche Verhalten des Verkäufers. Letzteres ist nur unter den Voraussetzungen des § 440 BGB von Bedeutung. Da diese Vorschrift jedoch die Anwendung des § 323 V 2 BGB nicht ausschließt, würde diese gesetzgeberische Regelung unterlaufen, wenn man in der Weigerung, einen unerheblichen Mangel zu beseitigen, stets eine Pflichtverletzung von Erheblichkeit sähe. In dieser Sicht der Dinge sieht der Senat sich auch dadurch bestätigt, dass der Ausschlussgrund des § 323 V 2 BGB nur im Falle der Minderung keine Anwendung findet (§ 441 I 2 BGB).
Dem Minderungsverlangen des Klägers konnte gleichwohl nicht entsprochen werden. Die Beklagte hat das Nachlackieren der Heckblende verweigert, weil sie in der „Orangenhaut“ keinen Mangel gesehen hat. Unvertretbar war dieser Rechtsstandpunkt nicht. Dem Vergleichsvorschlag des Landgerichts, der auch vorsah, die Heckblende nachzulackieren, hat die Beklagte sich nicht verschlossen. Von einer Verweigerung der Nacherfüllung kann bei dieser Sachlage keine Rede sein. Hinzu kommt, dass eine Minderung wegen des geringfügigen Lackierungsmangels im Bereich der Heckblende ihrem Umfang nach nicht dargetan ist (§ 442 III 1 BGB). Die Grundlagen für eine gerichtliche Schätzung der Minderung hat der Kläger ebenfalls nicht mitgeteilt (§ 441 III 2 BGB).
Die Beklagte war daher auf den weiteren Hilfsantrag lediglich zur Nachbesserung zu verurteilen …