- Der Käufer eines modernen Gebrauchtfahrzeugs darf i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB erwarten, dass das Fahrzeug so konstruiert ist, dass es auf ebener Fahrbahn ohne Lenkeingriffe geradeaus fährt.
- Ein – hier gebrauchtes – Kraftfahrzeug ist auch dann mangelhaft i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB, wenn es an einem Konstruktions- oder Fabrikationsfehler leidet, der der gesamten Serie anhaftet. Denn welche Beschaffenheit bei einem Kraftfahrzeug „üblich“ i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB ist, ist gegebenenfalls durch einen am Stand der Technik orientierten – herstellerübergreifenden – Vergleich mit allen vergleichbaren Fahrzeugen zu ermitteln. Es ist also der Entwicklungsstand der gesamten Automobilindustrie und nicht bloß derjenige des konkreten Fahrzeugherstellers in den Blick zu nehmen.
LG Frankfurt a. M., Urteil 19.07.2006 – 2‑02 O 470/05
Sachverhalt: Die Klägerin kaufte von der Beklagten mit Vertrag vom 02.02.2004 für 33.300 € ein gebrauchtes, am 30.05.2003 erstzugelassenes Cabriolet. Dieses Fahrzeug wurde der Klägerin am 20.02.2004 übergeben.
Anlässlich eines Werkstattaufenthalts am 06.05.2004 beanstandete die Klägerin gegenüber der Beklagten unter anderem, dass das Fahrzeug nach rechts aus der Spur laufe. Im April 2005 führte die Klägerin ihr Cabriolet einem Vertragshändler des Herstellers vor, erklärte, der Wagen ziehe stark nach rechts, und verlangte, diese Fehlermeldung an den Hersteller weiterzuleiten. Seitens der Vertragswerkstatt wurde dem Fahrzeughersteller daraufhin mitgeteilt, man habe festgestellt, dass das Cabriolet sehr stark der Fahrbahnneigung und Spurrinnen nachfahre; bei unebener Fahrbahn sei das Fahrzeug unzumutbar instabil. Ein Vergleichsfahrzeug weise genau die gleichen und Vorführwagen des Vertragshändlers teilweise die gleichen Symptome auf. Der Fahrzeughersteller antwortete mit Schreiben vom 18.04.2005, dass er keine technische Lösung für das Schiefziehen des Fahrzeugs anbieten könne; dieses entspreche dem Stand der Technik.
Mit am 10.05.2005 bei Gericht eingegangenem Antrag leitete die Klägerin ein selbstständiges Beweisverfahren ein.
Sie macht unter Bezugnahme auf das in diesem Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten geltend, dass ihr Cabriolet extrem nach rechts ziehe. Mitte April 2005 habe der Verkaufsmitarbeiter M der Beklagten ihr mitgeteilt, dass man dafür keine technische Lösung unterbreiten könne. Sie habe den Pkw in der Vergangenheit gleichwohl nutzen müssen, da die Beklagte nicht bereit gewesen sei, den Kaufvertrag rückabzuwickeln, und sie, die Klägerin, finanziell nicht in der Lage sei, sich ein anderes Fahrzeug anzuschaffen.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgewähr des Cabriolets, in Anspruch genommen.
Die Beklagte hat nicht in Abrede gestellt, dass der Sachverständige im selbstständigen Beweisverfahren zutreffend festgestellt habe, dass das Fahrzeug der Klägerin ohne Betätigung der Lenkung nach rechts ziehe. Sie ist aber der Auffassung, dass der Pkw (theoretisch) gleichwohl in einem technisch einwandfreien Zustand sei. Die Untersuchung des Fahrzeugs habe ergeben, dass kein individueller Mangel vorliege; die Einstellung der Achsen liege innerhalb der zulässigen Toleranzen, und die Stoßdämpfer seien funktionstüchtig. Die Behauptung der Klägerin, dass das Fahrzeug extrem nach rechts ziehe sei unrichtig und offensichtlich „aufs Geratewohl“ und „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden. Der Pkw sei uneingeschränkt verkehrssicher und entspreche, wie sein Hersteller ausgeführt habe, dem Stand der Technik. Das Schiefziehen sei eine serientypische Erscheinung und damit kein Sachmangel.
Im Übrigen hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben und darauf verwiesen, dass Ansprüche der Klägerin wegen eines Sachmangels gemäß ihrer – der Beklagten – Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein Jahr nach Übergabe des Fahrzeugs verjährt seien. Verjährung damit bereits am 21.02.05 eingetreten. Nach dem Werkstattaufenhalt vom 06./07.05.2004 habe die Klägerin ihr, der Beklagten, gegenüber keine Mängel mehr gerügt.
Sollte der streitgegenständliche Kaufvertrag gleichwohl rückabgewickelt werden müssen – so hat die Beklagte schließlich geltend gemacht –, dann müsse die Klägerin ihr eine Nutzungsentschädigung für die von ihr zurückgelegten Kilometer zahlen. Die Beklagte hält insoweit einen Betrag in Höhe von 0,67 % des Kaufpreises je 1.000 gefahrene Kilometer für angemessen und hat hilfsweise mit einem Zahlungsanspruch in Höhe von 19.075,91 € gegen einen Rückzahlungsanspruch der Klägerin aufgerechnet.
Die Klage hatte zum Teil Erfolg.
Aus den Gründen: Die Klägerin kann die Rückzahlung eines Teils des Kaufpreises verlangen, da sie berechtigt ist, wegen eines Mangels vom Vertrag zurückzutreten (§ 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323, 434 I 2 Nr. 2 BGB).
Es kann nicht ernsthaft angezweifelt werden, dass ein Schiefziehen des Wagens schon von der Übergabe an als Sachmangel zu bewerten ist. Er zieht bei unterschiedlichen Fahrzuständen auf unterschiedlichen Fahrbahnoberflächen ohne Einfluss der Lenkung jeweils nach rechts.
Ein Pkw ist ein technisches Produkt, dessen Beschaffenheit nach dem heutigen Stand der Technik vergleichbarer Fahrzeuge zu messen ist. Maßstab ist dabei der Entwicklungsstand der gesamten Automobilindustrie und nicht derjenige des Fahrzeugherstellers. Dies gilt auch beim Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs, bei dem ein Käufer erwarten darf, dass es frei von Konstruktions- und Fabrikationsfehlern ist. Es geht hier nicht um Verschleißschäden oder Alterungserscheinungen. Der Käufer eines modernen Gebrauchtfahrzeugs darf davon ausgehen, dass dieses so konstruiert ist, dass es auf ebener Fahrbahn ohne Lenkhilfe geradeaus fährt.
Eine hiervon abweichende Vereinbarung der Sollbeschaffenheit haben die Parteien des Rechtsstreits jedenfalls nicht getroffen.
Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der beanstandete Zustand kein Mangel sei, weil es sich um eine serientypische Erscheinung handele und das Herstellerwerk nicht in der Lage sei, der Beklagten konkrete Anweisungen zur Beseitigung des Zustands zu unterbreiten. Das als Beleg für ihre Ansicht zitierte Handbuch (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl. [2005], Rn. 241) bestätigt diese mitnichten. Dort heißt es unter Bezugnahme auf Entscheidungen mehrerer Oberlandesgerichte:
„Als verfehlt erweist sich die vereinzelt vertretene Ansicht, ein Sachmangel sei nicht anzunehmen, wenn alle Fahrzeuge der Serie damit behaftet seien. Dadurch wird der Begriff des Sachmangels in unzulässiger Weise relativiert und im Endeffekt die Sachmängelhaftung für alle einer ganzen Serie anhaftenden Konstruktion-/Systemmängel ausgeschaltet. Dies ist mit dem geltenden Sachmängelrecht nicht zu vereinbaren.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Der in dem Wandelungsbegehren der Klägerin liegende Rücktritt vom Kaufvertrag ist nicht wegen Verjährung des Anspruchs auf Nacherfüllung unwirksam (§§ 438 IV, 218 I BGB).
Die Klägerin hat es zwar versäumt, die in Ziffer VI 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten auf ein Jahr verkürzte Verjährungsfrist für Ansprüche wegen Sachmängeln vor ihrem Ablauf zu hemmen. Dies ist aber unschädlich, weil die Klausel sich nur auf die Verjährung von Rechten bezieht, die unmittelbare Folge eines Sachmangels sind, aber nicht auf solche, die sich – wie hier – erst aus einer Rücktrittserklärung ergeben.
Ziffer VI 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen spricht nur von Ansprüchen wegen Sachmängeln. Diese Rechtsbegriffe sind entsprechend ihrer juristischen Fachbedeutung zu verstehen. Bei Sachmangel bestehende Ansprüche (§ 194 BGB), nämlich Nacherfüllung oder Schadensersatz, sind in § 437 Nr. 1 und Nr. 3 BGB geregelt (vgl. § 438 BGB). Die Klägerin macht diese aber nicht geltend, sondern will die Rechtslage durch eine Rücktrittserklärung gestalten. Anders als Ansprüche unterliegen diese Gestaltungsrechte aber nicht der Verjährung und werden deswegen nicht von der von der Beklagten verwendeten Klausel erfasst.
Ein Rücktritt wegen nicht vertragsgemäß erbrachter Leistungen ist zwar unwirksam, wenn der Nacherfüllungsanspruch verjährt ist (§§ 438 IV, 218 I BGB), eine dieser gesetzlichen Vorschrift entsprechende Regelung enthalten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen jedoch nicht.
Eine die Ziffer VI 1 ausdehnende Auslegung dahin, dass die Klausel nicht entsprechend der gesetzlichen Definition gemeint ist, sondern dass auch Ansprüche aufgrund von Gestaltungsrechten darunter fallen sollen, kommt nicht in Betracht. Denn im Zweifel ist zulasten des Verwenders die kundenfreundlichste Auslegung zu wählen (§ 305c II BGB).
Selbst wenn man die Klausel im Sinne der Beklagten dahin auslegen müsste, dass mit Ablauf der Verjährungsfrist für Ansprüche wegen Sachmängeln auch eine Rücktritterklärung nicht mehr wirksam sei, könnte die Beklagte daraus keine Einrede herleiten. Die Klausel ist dann jedenfalls als überraschende Klausel unwirksam. Sie ist zwar als solche nicht ungewöhnlich; in dem Formular über die Bestellung des Fahrzeugs vom 02.02.2004 wurde aber handschriftlich der Zusatz: „Werksgarantie bis 30.05.2005, Kundin hat Rücktrittsrecht bis zur Besichtigung und Probefahrt am 04.02.2004“ hinzugefügt. Damit wird beim durchschnittlichen Kunden der Eindruck erweckt, die Verjährungsfrist laufe erst am 30.05.2005 ab und könne – wie hier geschehen – durch den am 10.05.2005 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens gehemmt werden. Ohne die hier fehlende Erläuterung versteht er nicht, dass damit nur das Herstellerwerk über die Beklagte versprechen lässt, bis zu diesem Datum Reparaturen zu bezahlen, und dass dies nichts mit Gewährleistung aus dem Kaufvertrag mit der Beklagten zu tun hat.
Es gilt deswegen die gesetzliche Frist für einen Rücktritt von zwei Jahren.
Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises ist jedoch durch die hilfsweise erklärte Aufrechnung der Beklagten teilweise erloschen.
Die Klägerin ist gemäß § 346 I, II 1 Nr. 1 BGB verpflichtet, den Wert der gezogenen Nutzungen zu ersetzen. Dieser wird nach der linearen Wertminderung entsprechend der Fahrleistung geschätzt.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist ein Vergütungssatz von 0,67 % des Anschaffungspreises pro angefangener 1.000 km nicht angemessen. Dieser früher von der Rechtsprechung häufig angesetzte Wert ist überholt. Er beruht auf der Annahme, dass die Gesamtfahrleistung 150.000 km beträgt. Inzwischen wird von vergleichbaren Fahrzeugen aber eine Laufleistung von circa 200.000 km erwartet (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 466). Dies ergibt dann einen Satz von 0,5 %.
Wegen des Mangels des Fahrzeugs ist nicht der von der Klägerin gezahlte Kaufpreis, sondern der um den Mangel geminderte Wert zugrunde zulegen. Unter Zugrundelegung der Tatsche, dass das Fahrzeug auch unabhängig von der Beschaffenheit der Fahrbahnoberfläche ohne Lenkeinfluss nach rechts zieht und dieser Zustand nicht behebbar ist, erscheint eine Minderung des Kaufpreises um ein Viertel angemessen. Ein höherer Abzug ist nicht angebracht, da der Sachverständige nicht bestätigt hat, dass dieser Zustand die Verkehrssicherheit erheblich beeinträchtigt.
Das Gericht schätzt, dass der Wegstreckenzähler im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Gesamtfahrleistung von 130.000 km anzeigte. Die Beklagte hat vorgetragen, dass eine von ihr durchgeführte Computerabfrage ergeben habe, dass dieser Wert kürzlich von einer anderen Werkstatt eingegeben worden sei. Aus dem Vergleich des Zählerstands bei der Übernahme des Fahrzeugs und bei der Untersuchung durch den Sachverständigen ergibt sich, dass die durchschnittliche monatliche Fahrleistung 4.134 km betrug. Da der Umfang der Nutzung nach der Untersuchung unverändert geblieben ist, kann angenommen werden, dass die Klägerin danach circa 37.200 km und somit insgesamt circa 115.500 km zurückgelegt hat. Der Wert der Nutzungsentschädigung beträgt somit 14.485,50 €. …