- Bei einem Neufahrzeug der oberen Mittelklasse, das über einen großvolumigen Dieselmotor mit Automatikgetriebe verfügt (Audi A6 2,5 TDI), ist die Annahme einer erreichbaren Gesamtlaufleistung von 250.000 km realistisch.
- Es ist rechtlich unbedenklich und für die Parteien hilfreich, wenn im Urteil die vom Rückgewährschuldner zu zahlende Nutzungsentschädigung nicht exakt beziffert, sondern lediglich die – einfach durchzuführende – Berechnung vorgegeben wird.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 07.03.2003 – 14 U 154/01
Sachverhalt: Der Kläger kaufte bei dem beklagten Autohaus, einer Audi-Werksvertretung, einen Neuwagen zum Preis von 42.155,52 €. Seine Klage ist auf Wandelung des Kaufvertrags gerichtet.
Der Kläger hat in erster Instanz behauptet, das Fahrzeug weise verschiedene gravierende Mängel auf, die trotz mehrerer Nachbesserungsversuche der Beklagten nicht beseitigt worden bzw. gar nicht behebbar seien. So sei das Automatikgetriebe defekt, denn es weise ein Summen beim Gangwechsel in den unteren drei Gängen auf. Die Klimaautomatik funktioniere nicht, der Kraftstoffverbrauch sei zu hoch, und das Fahrzeug verliere Öl. Die mit Schreiben vom 10.08.2000 erklärte Wandelung sei deshalb begründet.
Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass jedenfalls die Klimaanlage nicht ordnungsgemäß funktioniere. Die Berufung der Beklagten hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg.
Aus den Gründen: Das Landgericht hat die Beklagte … zu Recht für verpflichtet gehalten, dem geltend gemachten Wandelungsbegehren des Klägers zu entsprechen. Angesichts des Umstands aber, dass der Kläger bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat … ca. 97.000 km mit dem Fahrzeug zurückgelegt hat, berechnet sich … unter dem Gesichtspunkt der gebotenen Vergütung für gezogene Nutzungen im Ergebnis ein höherer als vom Landgericht angenommener Abzug vom zurückzuerstattenden Kaufpreis. Im Einzelnen:
1. Die Beklagte ist, wie dies das Landgericht zutreffend angenommen hat, gemäß §§ 433, 459 I 1, 462, 465, 467, 346 ff. BGB a.F. (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) verpflichtet, den mit Schreiben des Klägers vom 10.08.2000 erhobenen Wandelungsanspruch zu erfüllen. Die empfangenen Leistungen (Kaufpreis einerseits und Kaufsache andererseits) sind somit zurückzugewähren … Das Vorbringen der Berufung rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Dass die Automatikfunktion der Klimaanlage mangelhaft arbeitet, hat der Sachverständige H in seinem Gutachten vom 28.05.2001 festgestellt und überzeugend begründet. Die vielfachen Messungen des Sachverständigen ergaben, dass die Temperaturverhältnisse im Fußbereich des Fahrzeuges ständig zwischen 6 °C bis 8 °C tiefer liegen als im übrigen Fahrzeug. Der Sachverständige hatte „ständig kalte Füße“. Dass dies nicht dem versprochenen „Wohlfühlklima“, das die Klimatisierungsautomatik vermitteln soll, entsprach, bedarf keiner weiteren Begründung. Damit stellt sich die Kaufsache als in einem Umfang als mangelhaft dar, der die Tauglichkeit des Fahrzeugs nicht unerheblich mindert. Dass dieser Fehler auch schon im Zeitpunkt der Übergabe der Kaufsache bestand, und der Kläger dies zweimal (nämlich am 11.04.2000 und am 10.07.2000) und jeweils vergeblich der Beklagten gegenüber zum Gegenstand einer Mängelrüge verbunden mit der Aufforderung zur Abhilfe gemacht hat, unterliegt schließlich auch keinem begründeten Zweifel …
2. Die Berufung hat insofern – zu einem geringen Teil – Erfolg, als die Bemessung der auf den zurückzuerstattenden Kaufpreis anzurechnenden Nutzungsvorteile (§ 347 Satz 2 BGB a.F. i. V. mit §§ 987, 100 BGB) gegenüber der Annahme des Landgerichts in doppelter Hinsicht einer Korrektur bedarf: Zum einen ist das Landgericht, was den Umfang der für die Ermittlung der Gebrauchsvorteile maßgeblichen, vom Kläger zurückgelegten Fahrstrecke angeht, von unzutreffenden Werten ausgegangen (nämlich 31.000 km anstelle einer schon im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht tatsächlich bestandenen Fahrleistung von ca. 58.600 km im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat sogar 97.000 km), und zum anderen erweist sich der vom Landgericht schematisch (also ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls) für angemessen gehaltene Satz von 0,67 % des Kaufpreises je angefangene 1.000 km zurückgelegter Strecke im vorliegenden Fall als überhöht. Im Einzelnen:
a) Die im Falle der Rückabwicklung eines gewandelten Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug geschuldete Vergütung der gezogenen Nutzungen, also der auszukehrende Wert eines tatsächlich erfolgten Gebrauchs, ist über § 287 II ZPO zu schätzen. Dabei ist allgemeiner, vom Senat geteilter Meinung nach der korrekte Anknüpfungspunkt einerseits der gezahlte Bruttokaufpreis, denn dieser verkörpert den gesamten Nutzungswert des Fahrzeugs. Andererseits stellt die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrleistung den Gesamtgebrauchswert dar (BGH, NJW 1983, 2194). Weiter besteht Einigkeit dahin, dass der Gebrauchswert eines Fahrzeugs „linear“ aufgezehrt wird (vgl. BGH, NJW 1983, 2194), also nicht so, wie ein (für die Bemessung des Gebrauchsvorteils unbeachtlicher) Wertverlust, welcher bekanntermaßen einen degressiven Verlauf nimmt. Von Fahrzeug zu Fahrzeug unterschiedlichen Abschreibungswerten wird dabei durch die prozentuale Anlehnung an den jeweils gezahlten Kaufpreis Rechnung getragen (siehe OLG Hamm, BB 1981, 1853). Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte erweist sich nun die Anzahl der mit dem Fahrzeug durch den Wandelungsgläubiger zurückgelegten Kilometer als wesentlicher Maßstab in Anknüpfung an den gezahlten Kaufpreis und die für das betroffene Fahrzeug zu erwartende Gesamtlaufleistung, sodass mit der herrschenden Meinung (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl. [2003], Rn. 321 m. w. Nachw.), der der Senat folgt, die mathematische Formel zur Berechnung der Gebrauchsvorteile wie folgt lautet:
$$\text{Gebrauchsvorteil} = {\frac{\text{Bruttokaufpreis}\times\text{gefahrene Kilometer}}{\text{erwartete Gesamtlaufleistung}}}$$
Der vorliegende Fall erfordert nun auch keine Korrekturen dieses Ansatzes. So ist zunächst bei der linearen Berechnungsmethode zwar die Einschränkung beachtlich, dass der anteilige lineare Wertschwund für die Zeit der Nutzung die Differenz zwischen Anschaffungspreis und Verkehrswert des Fahrzeugs in mangelfreiem Zustand im Zeitpunkt der Rückgabe nicht überschreiten darf, weil sonst der Käufer zu sehr benachteiligt würde (OLG Hamm, MDR 1982, 580); dieses Problem stellt sich aber, wie sich zeigen wird, hier nicht. Außerdem rechtfertigt der zum Wandelungsanspruch führende Mangel – hier nicht etwa eine besonders starke Beeinträchtigung zum Beispiel des Fahrkomforts – nicht eine (sonst denkbare) Kürzung der Nutzungsentschädigung unter diesem Aspekt. Damit verbleibt es bei dem aufgezeigten Grundansatz.
b) Was nun die Bestimmung der Gesamtfahrleistung des in Rede stehenden Fahrzeugs angeht, müssen verschiedenste Haltbarkeitskriterien gewichtet und so eine Prognose angestellt werden. Der früher häufig von Gerichten, so auch im vorliegenden Fall vom LG Offenburg, angenommene Wert von 0,67 % des Kaufpreises pro angefangene 1.000 km basiert auf der Erwartung einer Laufleistung von lediglich 150.000 km. Diese Beurteilung kann aber dann nicht Platz greifen, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein im Jahr 1999 produziertes Neufahrzeug der Oberklasse betroffen ist, das zudem über einen großvolumigen Dieselmotor mit Automatikgetriebe verfügt. Das Fahrzeug, ein Audi A6 Quattro 2,5 l TDI V6 Tiptronic Automatik, zählt, wie gerichtsbekannt, zu den solidesten und langlebigsten Kraftfahrzeugen am Markt. Fahrleistungen zwischen 250.000 km und 300.000 km (und mehr) sind keine Seltenheit, sondern bei (zu unterstellendem) normalem Fahrverhalten und regelmäßiger Wartung vielmehr die Regel. Dass die vorstehende Prognose realistisch ist, zeigt auch die Angabe des sachverständigen Vertreters der Beklagten im Senatstermin. Herr D gab auf entsprechende Frage an, dass das Fahrzeug bei einem derzeitigen Kilometerstand von 97.000 im Fall ordentlichen Zustandes noch einen Wert von ca. 20.962,97 € haben dürfte, also sogar auch wertmäßig noch den halben Kaufpreis repräsentiert. Der Senat hat so keinen Zweifel, dass der für die folgende Berechnung unterstellte Wert einer erwartbaren Gesamtlaufleistung von 250.000 km realistisch und damit zutreffend ist, wobei noch beachtet werden musste, dass im konkreten Fall innerhalb von weniger als 3,5 Jahren schon eine Fahrleistung von 97.000 km erreicht wurde, das Fahrzeug also noch relativ „neu“ ist. Dann ergibt sich ein anzusetzender Gebrauchsvorteil mit 0,4 % des Bruttokaufpreises pro angefangene 1.000 km, das ist ein Wert von 168,62 € je 1.000 km oder 0,169 €/km …
c) Der Senat hält es … für rechtlich unbedenklich und für die Parteien hilfreich, die exakte Höhe der Gebrauchsvergütung nicht (bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) selbst auszurechnen und sodann vom auszukehrenden Kaufpreis abzuziehen, sondern lediglich die (einfach durchzuführende) Abzugsberechnung vorzugeben (siehe hierzu auch den Vorschlag von Kaufmann, DAR 1990, 294 [296]; Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 323). Der vollstreckbare Inhalt eines solchen Urteils ist eindeutig. Bei der Durchführung des Urteilsausspruchs wird auf diese Weise durch die Parteien bzw. gegebenenfalls den Gerichtsvollzieher dann stets beachtet, dass die Gebrauchsvorteile grundsätzlich bis zum Tage der Rückgabe zu vergüten sind. Der Sache nach geht es in diesem Zusammenhang nicht etwa nur um die Vermeidung ansonsten eintretender kleinerer Ungenauigkeiten, sondern es werden zwischen dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung und der Vollstreckung häufig eintretende erhebliche Änderungen quasi automatisch berücksichtigt. Dieser betroffene Zeitraum beträgt regelmäßig mehrere Wochen und nicht selten sogar mehrere Monate. Während dieser Zeit wird das Fahrzeug durch den Wandelungsgläubiger (zulässigerweise) in der Regel weiter eingesetzt. Wird nun, wie dies in den meisten Fällen gerichtlicher Entscheidungen erfolgt, die zurückzugewährende Leistung des Käufers im Urteil ausgerechnet festgelegt, ergibt sich das Problem, dass Abwicklungsprobleme vorprogrammiert sind, denen der Wandelungsschuldner mitunter nur durch eine Zwangsvollstreckungsgegenklage begegnen könnte. Der vorliegende Fall zeigt in besonderem Maße die Notwendigkeit und damit Vorzugswürdigkeit der angewandten Methode. Der Kläger kam nämlich bezogen auf die zurückliegende Zeit durchschnittlich monatlich auf eine Fahrleistung von ca. 2.350 km …