Ein Neufahrzeug der gehobenen Mittelklasse weist einen Sachmangel (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB) auf, wenn sich – ohne dass tatsächlich eine Brandgefahr besteht – nach dem Anhalten des Fahrzeugs in unregelmäßigen Abständen ein starker Gummi-Brandgeruch, teils verbunden mit dem Geräusch eines Knisterns von langsam abkühlenden Metall, entwickelt.

LG München I, Urteil vom 14.09.2009 – 15 O 10266/08

Sachverhalt: Der Kläger fordert von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen neuen Pkw.

Der Kläger bestellte bei der Beklagten am 04.05.2007 einen neuen Pkw Mercedes-Benz zum Preis von 38.600,01 €. Dabei handelt es sich um ein Dieselfahrzeug mit Rußpartikelfilter. Der Kläger bezahlte die Rechnung vom 25.06.2007 und holte das Fahrzeug am 27.06.2007 in S. ab.

Er hat vorgetragen, im Zeitraum von der Übernahme des Fahrzeugs bis zum 09.09.2009 sei in unregelmäßigen Abständen in 41 Fällen am linken hinteren Radkasten ein starker Gummi-Brandgeruch, zum Teil verbunden mit dem Geräusch eines Knisterns von langsam abkühlenden Metall, aufgetreten. Insoweit bestehe die Gefahr, dass das Fahrzeug in Brand gerate. Weiter lasse sich das Fahrzeug nicht richtig betanken.

Bei mehreren Werkstattbesuchen bei der Beklagten, erstmals am 25.07.2007, konnte kein Gummi-Brandgeruch festgestellt werden. lm September 2007 und im November 2007 wurde die Bremsanlage des Fahrzeugs jeweils zerlegt, und die Bremsklötze wurden ausgetauscht.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.04.2008 wies der Kläger die Beklagte darauf hin, dass der Gummi-Brandgeruch nach wie vor auftrete, und setzte ihr eine Frist zur Nacherfüllung bis 30.04.2008. Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.05.2008 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises sowie zur Rücknahme des Fahrzeugs auf. Die Beklagte lehnte mit anwaltlichem Schreiben vom 30.05.2008 eine Rückabwicklung ab.

Die Klage hatte weitestgehend Erfolg.

Aus den Gründen: I. 1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 38.600 € aus §§ 433, 434 I 2 Nr. 2, 437 Nr. 2, §§ 323 I, V 2, 346 I BGB zu.

a) Die Beklagte hat an den Kläger unstreitig einen neuen Pkw Mercedes-Benz Typ E 200 CDI Limousine zum Preis von 38.600,01 € verkauft.

b) Die Beklagte hat eine Pflichtverletzung begangen, da sie den Pkw nicht in vertragsgemäßem Zustand geliefert hat. Das Fahrzeug wies im Zeitpunkt des Gefahrübergangs einen Sachmangel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB auf.

aa) Eine Sache ist frei von Sachmängeln i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB. wenn sich der gekaufte Gegenstand für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf.

(1) Für die gewöhnliche Verwendung eignet sich ein Kraftfahrzeug, wenn er keine technischen Mängel aufweist, die die Zulassung zum Straßenverkehr hindern oder die Gebrauchsfähigkeit aufheben oder beeinträchtigten (vgl. für einen gebrauchten Pkw: BGH, Urt. v. 10.10.2007 – VIII ZR 330/06, NJW 2008, 53). Für die Frage, welche Art der Beschaffenheit üblich ist, ist bei Neufahrzeugen auf den Stand der Technik abzustellen, für den der Entwicklungsstand aller in dieser Fahrzeugklasse vergleichbaren Kraftfahrzeuge maßgebend ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.06.2005 – I-3 U 12/04, NJW 2005, 2235; OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.06.2007 – 9 U 239/06, NJW-RR 2008, 137). Die Erwartung des Käufers muss objektiv berechtigt sein (vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2007 – VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351); abzustellen ist auf den Durchschnittskäufer (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 68. Aufl., § 434 Rn. 30).

(2) Vorliegend gibt es weder eine Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien (§ 434 I 1, 2 BGB) noch eine vom Vertrag vorausgesetzte, von der gewöhnlichen Verwendung abweichende Verwendung (§ 434 I 2 Nr. 1 BGB). Daher kommt es entscheidend auf § 434 I 2 Nr. 2 BGB an. Danach liegt ein Sachmangel vor.

(a) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich das streitgegenständliche Fahrzeug zur gewöhnlichen Verwendung eignet. Der Sachverständige hat in seiner Anhörung funktionelle Mängel ebenso wie eine Brandgefahr ausgeschlossen. Das Auto eignet sich also zum Fahren. Ein technischer Mangel, der die Zulassung zum Straßenverkehr hindern würde, liegt ebenfalls nicht vor. Schließlich wurde durch den Sachverständigen kein Mangel bei der Betankbarkeit des Fahrzeugs festgestellt.

(b) Demgegenüber weist das streitgegenständliche Fahrzeug aber keine Beschaffenheit auf, die bei einem neuen Dieselfahrzeug mit Rußpartikelfilter üblich ist und die der Kläger als Käufer erwarten kann.

Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme der Überzeugung, dass bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug im Zeitraum von der Übernahme in S. am 27.06.2007 bis zum 09.09.2009 in unregelmäßigen Abständen in 41 Fällen am linken hinteren Radkasten ein starker Gummi-Brandgeruch, zum Teil verbunden mit dem Geräusch eines Knisterns von langsam abkühlenden Metall, aufgetreten ist. Das ergibt sich aus der glaubwürdigen Aussage der Zeugin F. Das Gericht verkennt nicht, dass es sich dabei um die Ehefrau des Klägers handelt. Die Zeugin hat ausgesagt, dass die vorgelegten Anlagen K 6–K 6c von ihr und ihrem Mann erstellt wurden. Sie hätten immer, wenn sie den Gummi-Brandgeruch gemerkt hätten, aufgeschrieben, wann und bei welchem Kilometerstand das gewesen sei. Das Gericht hat keinerlei Anhaltspunkte, dass der Kläger und seine Ehefrau diese Vorfälle frei erfunden hätten, um sich – wie die Beklagte behauptet – vom Kaufvertrag lösen zu können. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge X bestätigte, am 18.06.2008 durch die Ehefrau des Klägers angesprochen worden zu sein und einen erheblichen, mittelstarken Geruch nach verbranntem Gummi am linken hinteren Radkasten eines Mercedes-Benz wahrgenommen zu haben. Dem steht nicht entgegen, dass weder die Beklagte selbst noch der Sachverständige diesen Gummi-Brandgeruch feststellen konnten. Der Gummi-Brandgeruch tritt eben nur unregelmäßig auf. Die Ursache des Geruchs konnte durch den Sachverständigen nicht festgestellt werden. Lediglich mechanische Ursachen – einschließlich der von der Beklagten ins Spiel gebrachten Regeneration des Rußpartikelfilters – schließt er aus. Dazu passt, dass der Sachverständige den Geruch nicht reproduzieren konnte. Das Sachverständigengutachten ist daher nicht geeignet, die Wahrnehmungen der Zeugen als falsch erscheinen zu lassen.

Der Sachverständige hat weiter ausgesagt, dass – die Angaben der Zeugin als richtig unterstellt – der unregelmäßig auftretende Gummi-Brandgeruch bei einem Neuwagen nicht dem Stand der Technik entspricht. Es entspricht auch der objektiv berechtigten Erwartung eines Käufers eines gehobenen Mittelklasse-Neuwagens, dass dieser frei von unregelmäßig auftretenden Gummi-Brandgerüchen ist.

b) Der festgestellte Sachmangel lag auch bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vor.

Gemäß § 476 BGB wird bei einem Verbrauchsgüterkauf vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, wenn sich der Sachmangel innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang zeigt. Vorliegend ging die Gefahr mit der Übergabe in S. auf den Kläger über. Der Gummi-Brandgeruch zeigte sich bereits erstmals am 25.07.2007 und damit innerhalb der Sechsmonatsfrist. Sachvortrag der Beklagten, der diese Vermutung entkräften könnte, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Der Kläger ist unstreitig Verbraucher i. S. des § 13 BGB.

c) Schließlich hat der Kläger der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 17.04.2008 gem. § 323 I BGB eine Frist zur Nacherfüllung bis zum 30.04.2008 gesetzt. Diese Frist ist fruchtlos verstrichen.

d) Endlich ist der Rücktritt auch nicht gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen.

aa) Bei einer nicht vertragsgemäßen Leistung kann der Gläubiger dann nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung des Schuldners unerheblich ist. Die Erheblichkeitsprüfung erfordert eine umfassende Interessenabwägung (OLG Nürnberg, Urt. v. 21.03.2005 – 8 U 2366/04, NJW 2005, 2019 [2020]). Zu berücksichtigen ist bei einem nicht behebbaren Mangel die von ihm ausgehende funktionelle und ästhetische Beeinträchtigung, aber auch die Schwere des Verschuldens des Schuldners, wobei bei Arglist eine unerhebliche Pflichtverletzung in der Regel zu verneinen ist (vgl. BGH, Urt. v. 24.03.2006 – V ZR 173/05, NJW 2006, 1960; Beschl. v. 08.12.2006 – V ZR 249/05, NJW 2007, 835; a. A. S. Lorenz, NJW 2006, 1925). Auch ein Komfortmangel (bei geschlossenem Fenster wahrnehmbare quietschende Bremsgeräusche) kann einen erheblichen Mangel darstellen (vgl. OLG Schleswig, Urt. v. 25.07.2008 – 14 U 125/07, NJW-RR 2009, 1065).

bb) Vorliegend führt die Interessenabwägung dazu, dass ein erheblicher Mangel angenommen werden muss. Einerseits ist zwar zu berücksichtigen, dass es sich nur um einen „ästhetischen“ Mangel – einen Geruch – handelt, der nur über kurze Zeit nach dem Anhalten (etwa 1–2 Minuten) wahrnehmbar ist und laut Aussage des Sachverständigen nach spätestens 15.000 km Laufleistung (derzeitge Laufleistung des Pkw ca. 12.000 km) sich von selbst verflüchtigen müsste, wenn man den vom Sachverständigen im Internet recherchierten Angaben Glauben schenken darf. Danach sei der Gummi-Brandgeruch auf ein Ausgasen der Verkleidungen in der Peripherie der Auspuffanlage bei Erwärmung zurückzuführen: diese Erscheinung würde sich nach „Abbrand“ der Beschichtung von alleine erledigen. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass die Beklagte den Kläger bewusst hingehalten hat, offenkundig in der Hoffnung, das Problem werde sich von allein lösen. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass dem Kläger unstreitig zunächst empfohlen wurde, weiter abzuwarten. Der vom Kläger fortlaufend monierte Gummi-Brandgeruch wurde von der Beklagten – bis hinein in diesen Prozess – schlicht als nicht existent behandelt, da er sich nicht auf Kommando reproduzieren ließ. Weiter wurde das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig in S. einer Begutachtung unterzogen, ohne dass dem Kläger das Ergebnis der Begutachtung mitgeteilt worden wäre. Dieses Verhalten lässt den Schluss zu, dass der Beklagten das Problem durchaus bekannt ist, dem Kläger aber diese Information bewusst vorenthalten wurde, wohl in der Hoffnung, das Problem werde sich infolge Zeitablaufs erledigen. Es muss daher eine erhebliche Pflichtverletzung angenommen werden, zumal es sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug um ein gehobenes Mittelklasse-Fahrzeug handelt, und der Kläger erst durch die Begutachtung im hiesigen Verfahren darüber Klarheit erlangte, dass insoweit keine Brandgefahr besteht. Daher kann dahinstehen, ob im vorliegenden Fall nicht allein der durch den auftretenden Geruch bestehende Komfortmangel ausreichen würde, um einen erheblichen Mangel zu bejahen.

e) Der Kläger hat unstreitig mit anwaltlichem Schreiben vom 26.05.2008 den Rücktritt vom mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag erklärt.

f) Als Rechtsfolge ergibt sich, dass die Beklagte die empfangene Leistung zurückzugewähren und der Kläger die gezogenen Nutzungen herauszugeben hat (vgl. § 346 I BGB). Es entsteht ein Rückgewährschuldverhältnis.

Folglich hat die Beklagte den gezahlten Kaufpreis in Höhe von 38.600,01 € zurückzuzahlen. Da allerdings (geringfügig) weniger beantragt wurde, konnten nur die beantragten 38.600 € zugesprochen werden (§ 308 I 1 ZPO). Weiter war die vom Kläger an die Beklagte geschuldete Nutzungsentschädigung antragsgemäß im Tenor zu berücksichtigen. Die Höhe der Nutzungsentschädigung von 0,15 € pro gefahrenem Kilometer ist für das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig. Der Tenor ist auch vollstreckungsfähig, da sich der in Abzug zu bringende Betrag durch einfache Multiplikation des am Tag der Übergabe festgestellten Tachostandes mit 0,15 € leicht ermitteln lässt …

h) Gemäß dem Antrag des Klägers war die Verurteilung Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auszusprechen (vgl. § 308 I 1 ZPO). Die Ausurteilung der bloßen Rückgabe des Fahrzeuges wäre nicht ausreichend gewesen, da das Fahrzeug an den Kläger in S. übereignet wurde und der Rücktritt selbst keine dingliche Wirkung entfaltet (vgl. Palandt/Grüneberg, a. a. O., Einf. v. § 346 Rn. 3). Der Kläger hat auf gerichtlichen Hinweis daher seinen Antrag in der Sitzung vom 13.10.2008 insoweit auf Rückübereignung umgestellt.

2. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.419,19 € aus §§ 437 Nr. 3, 280 I BGB zu. Zwar ist die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs neben dem Rücktritt möglich (§ 325 BGB). Aber der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er die vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten auch bezahlt hat. Daher fehlt es an einem Schaden des Klägers. Darauf musste das Gericht auch nicht hinweisen, da es sich insoweit nur um eine Nebenforderung (Kosten) handelt (vgl. § 139 II 1 ZPO). Daraus resultiert die Klageabweisung im Übrigen …

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