Erklärt der Verkäufer eines Gebrauchtwagens, das Fahrzeug habe während seiner Besitzzeit keinen Unfallschaden erlitten, ohne zugleich darauf hinzuweisen, dass er das Fahrzeug erst wenige Tage vor der Veräußerung erworben und lediglich im Rahmen einer Probefahrt genutzt hat, so liegt darin keine – den Vorwurf einer Arglist rechtfertigende – Erklärung „ins Blaue hinein“. Durch die Bezugnahme auf seine Besitzzeit gibt der Verkäufer vielmehr klar zu erkennen, dass er nur für diesen Zeitraum Angaben zur Unfallfreiheit des Fahrzeugs machen will.

BGH, Urteil vom 19.07.2023 – VIII ZR 201/22

Sachverhalt: Der Beklagte erwarb von dem Kläger für 4.500 € ein Gebrauchtfahrzeug unter Ausschluss der Gewährleistung. Beim Verkauf des Fahrzeugs wies der Kläger den Beklagten nicht darauf hin, dass er – der Kläger – das Fahrzeug erst wenige Tage zuvor von einem Händler erworben und lediglich im Rahmen einer Probefahrt genutzt hatte.

Mit Schreiben vom 16.12.2019 erklärte der Beklagte den Rücktritt von dem mit dem Kläger geschlossenen Kaufvertrag sowie vorsorglich die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Er forderte den Kläger unter Fristsetzung zur (Rück-)Zahlung des Kaufpreises sowie zur Erstattung von Aufwendungen in Höhe von insgesamt 8.017,38 € auf. Der Kläger erklärte sich daraufhin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht mit der Rückabwicklung des Kaufvertrags gegen Zahlung eines Gesamtbetrags von 5.500 € einverstanden und zahlte diesen Betrag an den Beklagten. Der Beklagte erwiderte, er sei mit diesem Abgeltungsbetrag nicht einverstanden, und forderte die Zahlung von insgesamt 7.300 €. Der Kläger bot dem Beklagten daraufhin lediglich die Zahlung weiterer 500 € an.

Der zuletzt – jeweils nebst Zinsen – auf Zahlung von 4.500 € und Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage hat das Amtsgericht überwiegend stattgegeben.

Zur Begründung seiner dagegen gerichteten Berufung hat der Beklagte geltend gemacht, der Kläger habe arglistig gehandelt, indem er in der Kaufvertragsurkunde angegeben habe, das Fahrzeug habe während seiner Eigentumszeit keinen Unfallschaden erlitten, obwohl er das Fahrzeug nur wenige Tage zuvor im August 2018 erworben und bis auf eine einstündige Probefahrt nicht genutzt habe. Es handele sich hierbei um eine Behauptung des Klägers „ins Blaue hinein“.

Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dabei hat es „von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen“ im Berufungsurteil unter Hinweis auf §§ 540 I Nr. 1, II, 313a I 1 ZPO abgesehen. Mit der dagegen gerichteten Revision wollte der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen ausgeführt:

Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung von 4.500 € gemäß § 812 I 1 Fall 1 BGB gegenüber dem Beklagten zu.

Ein Rechtsgrund für diese Leistung sei insbesondere nicht in einem zwischen den Parteien vereinbarten Rückgewährschuldverhältnis zu sehen. Eine vertragliche Vereinbarung über die Rückabwicklung des Kaufvertrags sei zwischen den Parteien nicht zustande gekommen.

Der Kaufvertrag zwischen den Parteien sei auch nicht durch Ausübung eines gesetzlichen Rücktrittsrechts gemäß § 437 Nr. 2, § 323 BGB in ein Rückgewährschuldverhältnis nach §§ 346 ff. BGB umgewandelt worden. Unabhängig von dem Vorliegen eines etwaigen Mangels bestehe ein solches Rücktrittsrecht nicht, da die Haftung wirksam ausgeschlossen worden sei. Auf diesen Haftungsausschluss könne sich der Kläger auch berufen, da er weder den Mangel arglistig verschwiegen noch eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen habe (§ 444 BGB).

Aus dem Umstand, dass der Kläger angegeben habe, das Fahrzeug sei während seiner Eigentumszeit unfallfrei gewesen, könne nicht auf ein arglistiges Verschweigen des Mangels geschlossen werden. Vorliegend sei kein Mangel verschwiegen worden, sondern der Umstand, dass die Eigentumszeit nur wenige Tage betragen habe und das Fahrzeug mit Ausnahme einer Probefahrt nicht genutzt worden sei. Entgegen der Auffassung des Beklagten hätte der Kläger ihm diesen Umstand nicht mitteilen müssen. Bei einem Privatkauf obliege es dem Käufer, Nachfragen zu den für ihn relevanten Umständen zu stellen. Komme es ihm auf die Dauer des Besitzes an, so habe er diese zu erfragen. Es gebe keine Aufklärungspflicht hinsichtlich eines solchen Umstands seitens des Verkäufers.

Die dagegen gerichtete Revison des Beklagten hatte Erfolg.

[13]   Aus den Gründen: II. 1. Die Revision ist zulässig und insbesondere in vollem Umfang statthaft (§ 543 I Nr. 1 ZPO). Die Einzelrichterin hat die Revision ohne Verstoß gegen Art. 101 I 2 GG zugelassen (vgl. hierzu Senat, Urt. v. 29.04.2020 – VIII ZR 355/18, NJW 2020, 1947 Rn. 12; Beschl. v. 15.12.2020 – VIII ZR 304/19, juris Rn. 8; jeweils m.w. Nachw.).

[14]   2. Die Revision hat auch in der Sache Erfolg. Sie ist schon deshalb begründet, weil das Berufungsurteil eine der Vorschrift des § 540 I 1 Nr. 1 ZPO genügende Darstellung der Urteilsgründe vermissen lässt.

[15]   a) Nach § 540 I 1 Nr. 1 ZPO kann in einem Berufungsurteil der Tatbestand durch die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil der ersten Instanz, verbunden mit erforderlichen Berichtigungen, Änderungen und Ergänzungen, die sich aus dem Vortrag der Parteien und aus einer etwaigen Bezugnahme auf Schriftsätze vor dem Berufungsgericht ergeben, ersetzt werden. Die Einhaltung dieser Voraussetzungen ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH für den Inhalt eines Berufungsurteils nicht entbehrlich. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch und vor allem aus seinem Sinn, trotz der Erleichterungen bei der Abfassung von Berufungsurteilen die revisionsrechtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Lässt ein Berufungsgericht – wie hier – die Revision zu oder unterliegt das Berufungsurteil der Nichtzulassungsbeschwerde, müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung aus dem Urteil oder – im Falle des § 540 I 2 ZPO – aus dem Sitzungsprotokoll so erschließen, dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung möglich ist. Außerdem muss das Berufungsurteil erkennen lassen, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, und die Anträge, welche die Parteien im Berufungsverfahren gestellt haben, müssen zumindest sinngemäß deutlich werden. Denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Sachverhalt und das genaue Begehren selbst zu ermitteln, um abschließend beurteilen zu können, ob die Revision begründet ist (vgl. Senat, Urt. v. 11.05.2022 – VIII ZR 379/20, NJW-RR 2022, 877 Rn. 14; Urt. v. 26.05.2021 – VIII ZR 93/20, NJW-RR 2021, 1016 Rn. 11; Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 242/16, DAR 2018, 78 Rn. 4 m. w. Nachw.; Urt. v. 19.07.2017 – VIII ZR 3/17, NZM 2017, 732 Rn. 7 f. m. w. Nachw.).

[16]   Fehlen im Berufungsurteil die entsprechenden Darstellungen, leidet es an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel; das Revisionsgericht hat das Urteil in einem solchen Fall grundsätzlich aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. Senat, Urt. v. 11.05.2022 – VIII ZR 379/20, NJW-RR 2022, 877 Rn. 15; Urt. v. 26.05.2021 – VIII ZR 93/20, NJW-RR 2021, 1016 Rn. 12; Urt. v. 19.07.2017 – VIII ZR 3/17, NZM 2017, 732 Rn. 9 m. w. Nachw.).

[17]   b) Den beschriebenen Erfordernissen wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Nachdem das Berufungsgericht die Revision selbst zugelassen hat, lagen – entgegen dessen rechtsirriger Annahme – die Voraussetzungen nach §§ 540 II, 313a I 1 ZPO für ein Absehen von der durch § 540 I 1 Nr. 1 ZPO vorgeschriebenen Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen nicht vor (vgl. BGH, Urt. v. 26.05.2021 – VIII ZR 93/20, NJW-RR 2021, 1016 Rn. 13; Urt. v. 19.07.2017 – VIII ZR 3/17, NZM 2017, 732 Rn. 10; Urt. v. 21.02.2017 – VI ZR 22/16, NJW 2017, 3449 Rn. 8). Das Berufungsurteil gibt zwar die im Berufungsverfahren gestellten Anträge der Parteien und auch das zweitinstanzliche Parteivorbringen wieder. Es lässt aber nicht hinreichend erkennen, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist.

[18]   aa) Dem Berufungsurteil lassen sich insbesondere die in erster Instanz getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht entnehmen. Es lässt die erforderliche Bezugnahme auf die Feststellungen des Amtsgerichts vermissen und enthält auch weder eine eigenständige Wiedergabe der von der Vorinstanz zugrunde gelegten Tatsachen noch der von den Parteien erstinstanzlich gestellten Anträge.

[19]   bb) Die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung lassen sich auch nicht hinreichend deutlich aus den übrigen Urteilsgründen erschließen oder zumindest sinngemäß entnehmen (vgl. BGH, Urt. v. 26.05.2021 – VIII ZR 93/20, NJW-RR 2021, 1016 Rn. 14; Urt. v. 21.02.2017 – VI ZR 22/16, NJW 2017, 3449 Rn. 8; jeweils m. w. Nachw.). Aus den Gründen des Berufungsurteils geht lediglich hervor, dass die Parteien um die Rückzahlung eines Betrags in Höhe von 4.500 € an den Kläger als Verkäufer streiten, den dieser zuvor im Zuge von Verhandlungen über eine (einvernehmliche) Rückabwicklung des zwischen den Parteien geschlossenen Fahrzeugkaufvertrags nach einem von dem Beklagten erklärten Rücktritt vom Vertrag beziehungsweise einer von diesem erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung an diesen zurückgezahlt hatte. Ferner lässt sich der Begründung entnehmen, dass das Amtsgericht dem Kläger einen solchen Anspruch nebst Zinsen unter Ablehnung einer von dem Beklagten erklärten Aufrechnung mit einer auf Aufwendungsersatz gerichteten Gegenforderung zuerkannt hat. Weitere Angaben – etwa zum konkreten Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrags, namentlich zum Kaufgegenstand und dessen Beschaffenheit sowie zu dem von dem Berufungsgericht erwähnten Haftungsausschluss – fehlen dagegen ebenso wie Angaben zu dem streitigen Vorbringen der Parteien in der ersten Instanz sowie zum Grund und zur Höhe des zur Aufrechnung gestellten Aufwendungsersatzanspruchs.

[20]   Hinsichtlich der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien lässt sich dem Berufungsurteil lediglich sinngemäß entnehmen, dass der Kläger einen Anspruch auf Rückzahlung eines Betrags in Höhe von 4.500 € nebst Zinsen geltend gemacht und der Beklagte die Klageabweisung beantragt hat. Aus dem Berufungsurteil erschließen sich zudem nicht die Entscheidungsgrundlagen bezüglich der Nebenforderungen.

[21]   cc) Nach alledem genügt das Berufungsurteil nicht den Anforderungen einer ausreichenden Darstellung des Streitgegenstands und seiner tatsächlichen Grundlagen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

[22]   III. 1. Dem Berufungsurteil fehlt somit bereits die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545 I, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage. Daher ist es nach §§ 562 I, 563 I 1 ZPO aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (vgl. Senat, Urt. v. 11.05.2022 – VIII ZR 379/20, NJW-RR 2022, 877 Rn. 25; Urt. v. 26.05.2021 – VIII ZR 93/20, NJW-RR 2021, 1016 Rn. 17; Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 242/16, DAR 2018, 78 Rn. 6 m. w. Nachw.; Urt. v. 19.07.2017 – VIII ZR 3/17, NZM 2017, 732 Rn. 13).

[23]   2. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

[24]   a) Unter Zugrundelegung der dem Berufungsurteil zu entnehmenden Feststellungen hat das Berufungsgericht – entgegen der Auffassung der Revision – frei von Rechtsfehlern angenommen, dass die Parteien eine Vereinbarung über die Rückzahlung des Kaufpreises an den Beklagten nicht getroffen haben. Die dahin gehende – nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegende (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Urt. v. 28.09.2022 – VIII ZR 300/21, NJW-RR 2022, 1666 Rn. 14 m. w. Nachw.) – Auslegung der wechselseitigen Erklärungen der Parteien im Zusammenhang mit dem von dem Beklagten erklärten Rücktritt ist nicht zu beanstanden.

[25]   b) Das Berufungsgericht hat auch – jedenfalls unter Zugrundelegung der von ihm bisher getroffenen Feststellungen – ohne Rechtsfehler ein arglistiges Verschweigen von Unfallschäden durch Angaben seitens des Klägers „ins Blaue hinein“ verneint (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 19.03.1981 – VIII ZR 44/80, NJW 1981, 1441 unter II 2 a; Urt. v. 16.03.2012 – V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn. 28; Urt. v. 25.01.2019 – V ZR 38/18, NJW 2019, 2380 Rn. 33; Urt. v. 14.06.2019 – V ZR 73/18, WM 2020, 2235 Rn. 25). Ein solche Angabe kann insbesondere nicht in der Erklärung des Klägers gesehen werden, das Fahrzeug sei während seiner Besitzzeit unfallfrei gewesen, ohne dass er auf den Erwerb des Fahrzeugs erst wenige Tage vor der Veräußerung an den Beklagten und die Fahrzeugnutzung, die lediglich im Rahmen einer einstündigen Probefahrt erfolgte, hingewiesen hätte. Durch die Bezugnahme auf seine Besitzzeit hat der Kläger – entgegen der Ansicht der Revision – klar zu erkennen gegeben, dass er nur für diesen Zeitraum Angaben zur Unfallfreiheit des Fahrzeugs machen wollte. Dass das Fahrzeug während dieses Zeitraums einen Unfall erlitten hätte, wird aber von der Revision nicht aufgezeigt und ist auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts auch sonst nicht ersichtlich.

[26]   c) Soweit die Revision eine Aufklärungspflicht des Klägers aufgrund der aus dem Senatsurteil vom 16.12.2009 – VIII ZR 38/09, NJW 2010, 858 – herzuleitenden Grundsätze als gegeben erachtet, ist jedenfalls unter Zugrundelegung der bisherigen von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht zu erkennen, dass hier eine vergleichbare Fallgestaltung gegeben wäre.

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