Eigentum an einem verlorenen Kraftfahrzeug kann gemäß § 973 I 1 BGB nur der Finder (§ 965 BGB) erlangen, der das Fahrzeug an sich nimmt, also daran Besitz durch Erlangung der tatsächlichen Gewalt über das Fahrzeug erwirbt. Die bloße Anzeige des Funds bei der zuständigen Behörde reicht für ein Ansichnehmen nicht aus.
OLG Celle, Urteil vom 26.02.2025 – 14 U 53/24
Sachverhalt: Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie nicht verpflichtet ist, dem Beklagten ein Kraftfahrzeug – einen Audi Q8 – herauszugeben.
Dieses Fahrzeug war bis zum 07.04.2022 ordnungsgemäß und verschlossen in einer Parkbucht am Fahrbahnrand einer Straße in O. abgestellt.
Am 13.01.2022 meldete der Beklagte das Fahrzeug über die „Online-Wache“ der Polizei und machte vorsorglich Eigentumsansprüche geltend. Nachdem der Beklagte auf telefonische Nachfrage bei der Polizei die Auskunft erhalten hatte, er müsse sich an die Klägerin halten, da diese für den ruhenden Verkehr zuständig sei, nahm er mit E-Mail vom 09.02.2022 Kontakt zu der Klägerin auf und meldete auch ihr gegenüber Eigentumsansprüche an dem Fahrzeug an. Diese bekräftigte er mit weiteren E-Mails vom 06.03.2022, 10.03.2022 und 07.04.2022 unter Hinweis auf das Fundrecht.
Am 07.04.2022 ließ die Klägerin das streitgegenständliche Fahrzeug – wie sie behauptet: zu ihrem Betriebshof – abschleppen, nachdem die Polizei die Kennzeichen des Fahrzeugs entstempelt hatte. Ermittlungen der Klägerin ergaben, dass das Fahrzeug auf die in S. ansässige G-GmbH zugelassen war. Deren alleiniger Gesellschafter war ausweislich des Handelsregisters der in S. wohnhafte A. Sowohl für den Sitz der Gesellschaft als auch für den Wohnsitz des A war die Anschrift … in S. angegeben. Sämtliche Zustellungsversuche der Klägerin an A blieben erfolglos.
Mit Schreiben ihrer späteren Prozessbevollmächtigten vom 30.01.2023 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass er nach ihrer Rechtsauffassung nicht Eigentümer des Fahrzeugs geworden sei und daher keinen Anspruch auf Herausgabe des Fahrzeugs habe. Die weitere Korrespondenz der späteren Prozessbevollmächtigten der Parteien blieb erfolglos.
Die Klägerin erhob daher negative Feststellungsklage mit der Begründung, sie sei für das weitere verwaltungsinterne Verfahren auf eine gerichtliche Klärung der Eigentümerstellung und eines darauf gestützten Herausgabeanspruchs angewiesen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, der Beklagte habe nach den Vorschriften des Fundrechts kein Eigentum an dem streitgegenständlichen Fahrzeug erwerben können. Der Pkw sei bereits keine geeignete Fundsache; zudem sei der Beklagte – unstreitig – nicht im Besitz eines Fahrzeugschlüssels gewesen, sodass er das Fahrzeug nicht im Sinne des Fundrechts habe in Besitz nehmen können. Der Beklagte hielt die Klage erstinstanzlich bereits für unzulässig. Im Übrigen vertrat er die Auffassung, dass er nach den Vorschriften des Fundrechts Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs geworden sei und ihm daher ein Herausgabeanspruch gegen die Klägerin zustehe.
Das Landgericht hat die negative Feststellungsklage abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig, aber unbegründet. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin das streitgegenständliche Fahrzeug nicht an den Beklagten herauszugeben habe; vielmehr habe der Beklagte, weil er Eigentümer des Fahrzeugs geworden sei, einen Herausgabeanspruch gegen die Klägerin.
Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Berufung hat die Klägerin ihr Feststellungsbegehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiterverfolgt. Ein ordnungsgemäß abgestelltes und ordnungsgemäß verschlossenes Fahrzeug könne entgegen der Auffassung des Landgerichts keine verlorene Sache im Sinne des § 965 I BGB sein. Soweit das Landgericht eine Besitzaufgabe nach § 856 BGB bejaht habe, habe es verkannt, dass es eine den Parteien unbekannte Person gebe, die das Fahrzeug abgestellt habe und zu diesem Zeitpunkt im Besitz des Fahrzeugschlüssels gewesen sei oder sogar noch sei. Soweit das Landgericht die Besitzaufgabe mit fehlendem Versicherungsschutz und dem Umstand begründet habe, dass alle Versuche, mit den Personen, auf die das Fahrzeug zugelassen war, Kontakt aufzunehmen, erfolglos geblieben seien, könne auch dies nicht zu einer Besitzaufgabe führen. Es sei auch denkbar, dass der damalige Besitzer des Fahrzeugs dieses mangels einer anderweitigen Parkmöglichkeit dauerhaft in O. abgestellt habe. Unzutreffend sei schließlich die Auffassung des Landgerichts, der Beklagte habe das Fahrzeug im Sinne des § 965 I BGB durch die Meldung bei der Polizei über die „Online-Wache“ am 13.01.2022 an sich genommen. Ein Ansichnehmen im Sinne des § 965 I BGB setze die Erlangung der tatsächlichen Gewalt, also des unmittelbaren Besitzes voraus. Unmittelbarer Besitzer eines Fahrzeugs könne aber nur sein, wer das Fahrzeug auch auf- und zuschließen könne. Der Beklagte habe dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht näher gestanden als jeder andere Passant.
Der Beklagte hat das Urteil des Landgerichts gegen die Angriffe der Berufung verteidigt und geltend gemacht, bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handele es sich um eine verlorene Sache. Die Klägerin könne nicht darlegen, wer Eigentümer des Fahrzeugs gewesen sei. Das Fahrzeug sei unstreitig auf die G-GmbH zugelassen gewesen und offensichtlich seit mehr als zweieinhalb Jahren von niemandem vermisst worden. Weder sei das Fahrzeug seit Januar 2022 bewegt worden noch habe sich seit April 2022 jemand wegen des Fahrzeugs bei der Klägerin, der Polizei oder einer Zulassungsstelle gemeldet. Die Klägerin verkenne die Voraussetzungen des § 965 I BGB. Nach dieser Vorschrift genüge ein Ansichnehmen. Der Ansatz der Klägerin, unmittelbarer Besitzer eines Fahrzeugs könne nur sein, „wer das Fahrzeug auch öffnen und verschließen“ könne, sei falsch. Derzeit habe die Klägerin unstreitig „Besitz“ an dem Fahrzeug, obwohl sie (ebenfalls) nicht in der Lage sein dürfte, es zu öffnen. Darauf könne es daher nicht ankommen.
Die Berufung hatte Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Die Klage ist zulässig und begründet. Denn die Klägerin ist dem Beklagten zur Herausgabe des Pkw Audi Q8 nicht verpflichtet.
1. Die von der Klägerin erhobene negative Feststellungsklage ist nach § 256 I ZPO zulässig. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die Parteien vorliegend über ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 I ZPO streiten, sowie, dass das für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin gegeben ist. Das Feststellungsinteresse folgt – wie das Landgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat – in der Regel daraus, dass der Beklagte sich eines vom Kläger verneinten Anspruchs ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten berühmt. So liegt es hier. Denn der Beklagte begehrt die Herausgabe des streitgegenständlichen Pkw, während die Klägerin einen Herausgabeanspruch des Beklagten in Abrede nimmt. Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen.
2. Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, dass sie dem Beklagten zur Herausgabe des Pkw Audi Q8 nicht verpflichtet ist.
a) Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Herausgabe des Pkw aus § 985 BGB. Denn der Beklagte hat kein Eigentum nach § 973 I BGB an dem Fahrzeug erlangt. Hierzu im Einzelnen:
aa) Bei dem Pkw Audi Q8 handelt es sich nicht um eine verlorene Sache gemäß § 965 I BGB.
Eine Sache ist verloren, wenn sie besitz-, aber nicht herrenlos ist. Die Beendigung des Besitzes erfolgt nach § 856 I BGB durch Aufgabe oder Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft (vgl. MünchKomm-BGB/Oechsler, 9. Aufl. [2023], § 965 Rn. 3). Auf die Gründe des Besitzverlusts, insbesondere eines unfreiwilligen, kommt es dabei nicht an (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.04.2018 – 3 C 24/16, BVerwGE 162, 71 Rn. 10).
Grundsätzlich hat derjenige, der Rechte aus § 973 I BGB geltend macht und unter Berufung auf seinen gesetzlichen Eigentumserwerb die Sache herausverlangt, die Voraussetzungen seines Eigentumserwerbs darzulegen und zu beweisen (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 16.11.1981 – 1 U 83/81, MDR 1982, 409). Der Beklagte hat hier also darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Pkw Audi Q8 um eine verlorene Sache handelt, die nicht mehr im Besitz eines Dritten steht.
Der Beklagte hätte – unter Berücksichtigung seiner Darlegungsnot – seiner Darlegungslast dann genügt, wenn zumindest aufgrund der unstreitigen beziehungsweise der von ihm behaupteten Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spräche, dass der Pkw im Zeitpunkt seines Auffindens durch ihn nicht (mehr) im Besitz einer anderen Person stand. Dies wäre der Fall, wenn aufgrund der Umstände nicht mehr damit zu rechnen wäre, dass der letzte Besitzer die Sachen wieder an sich nimmt (vgl. hierzu nur OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.10.2020 – 1 W 17/20, juris Rn. 15).
Gemessen an dem Vorstehenden ist bereits fraglich, ob der Beklagte hinreichende Tatsachen vorgetragen hat, die für eine Besitzlosigkeit des Fahrzeugs im Zeitpunkt seines Auffindens sprechen. Der Senat verkennt nicht den Umstand, dass das Fahrzeug über einen relativ langen Zeitraum in einem Industriegebiet mit Nähe zu einer Autobahn abgestellt und nicht als vermisst, gestohlen oder unterschlagen gemeldet wurde. Dass sich der letzte Besitzer bis heute nicht gemeldet hat, lässt indes keinen zuverlässigen Schluss auf eine im Zeitpunkt des Auffindens erfolgte Besitzaufgabe des letzten Besitzers zu. Denkbar wäre stattdessen auch, dass der letzte Besitzer des streitgegenständlichen Pkw erst nach dessen Auffinden durch den Beklagten davon abgesehen hat, seinen Besitz weiter auszuüben, möglicherweise, weil er den Besitz selbst nicht rechtmäßig erlangt hatte (so jedenfalls OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.10.2020 – 1 W 17/20, juris Rn. 19). Aus diesem Grund teilt der Senat auch nicht die von dem Beklagten (unter Bezug auf AG Hamburg, Urt. v. 16.03.1993 – 9 C 1812/92, NJW 1993, 2627) vertretene Ansicht, es spreche ein Anscheinsbeweis für eine Besitzaufgabe, wenn ein – in jenem Fall nämlich gestohlener – Pkw 12 Tage unbenutzt auf einem öffentlichen Parkplatz stehe; ein Diebstahl des Pkw steht hier gerade nicht fest. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Pkw ordnungsgemäß in einem Industriegebiet mit guter Erreichbarkeit des Fernverkehrs abgestellt wurde. Dass der letzte Besitzer den Pkw an einer gut erreichbaren statt an einer entlegenen Örtlichkeit abstellte, könnte ebenso dafür sprechen, dass er seinen Besitz an dem Pkw noch ausüben wollte.
Diese Frage kann jedoch letztlich dahinstehen.
bb) Denn nach § 965 I BGB ist jedenfalls nur derjenige Finder, der eine verlorene Sache (findet und) an sich nimmt. Der Beklagte hat den Audi Q8 nicht an sich genommen.
(1) Der Begriff des „Ansichnehmens“ bezeichnet zunächst einen (unscharf bezeichneten) tatsächlichen Vorgang. Im Hinblick auf die hier im Streit stehende juristische Bewertung bedarf er daher einer (richterlichen) Würdigung in Bezug auf den einschlägigen Tatbestand des „Ansichnehmens“ einer Sache.
(a) Der BGH hat das Tatbestandsmerkmal des „Ansichnehmens“ bereits mit Urteil vom 27.11.1952 (IV ZR 178/52, BGHZ 8, 130, 132 f. = juris Rn. 10) wie folgt definiert:
„Da ‚Ansichnehmen‘ in § 965 BGB nichts anderes bedeutet als ‚Inbesitznehmen‘, folgt hieraus, dass die Beklagte den Ring für die Klägerin gefunden und ‚an sich genommen hat‘, so daß auch nur diese die Finderin im Rechtssinne ist. Das hat das Berufungsgericht verkannt, wenn es die Rechtsfrage, ob die Beklagte Besitzdienerin der Klägerin war, dahingestellt gelassen und ausgeführt hat, die Eigenschaft der Beklagten als Besitzdienerin schließe nicht aus, daß sie den Ring ‚an sich genommen‘ = unmittelbar ergriffen habe. Daran, daß der Besitzdiener die tatsächliche Gewalt wirklich ausübt, ist schon nach dem Wortlaut des § 855 BGB kein Zweifel; er tut das aber ‚für einen anderen‘ und kann insoweit auch Besitz für diesen erwerben, ohne deshalb als dessen Stellvertreter im Sinne der §§ 164 ff. BGB zu handeln. Diese rechtliche Möglichkeit hat das Berufungsgericht bei seiner Annahme, beim Finden und Ansichnehmen sei keine Stellvertretung möglich, weil beides ‚Tathandlungen‘ seien, übersehen. Hierbei ist klarzustellen, daß das Finden nach dem Gesetzeswortlaut zwar einen Doppeltatbestand erfordert, nämlich das ‚Finden‘ im Sinne des sinnlichen Wahrnehmens der verlorenen Sache und das ‚Ansichnehmen‘, daß jedoch das erste Tatbestandsstück (Finden) nicht maßgebend ist, weil das Wahrnehmen der Sache allein in keinem Falle zur Begründung der Finderstellung ausreicht. Nimmt jemand im Sinne des § 965 BGB eine Sache an sich, die ein anderer wahrgenommen und ihm gezeigt hat, so ist er Finder im Sinne des Gesetzes, obwohl der andere die Sache zuerst wahrgenommen hat und im Sprachgebrauch des täglichen Lebens als Finder bezeichnet werden mag. Das sonach entscheidende Tatbestandsmerkmal des Fundes, das Ansichnehmen, bedeutet aber nur Erlangung der tatsächlichen Gewalt, also des unmittelbaren Besitzes. Es ist auch sonst allgemein anerkannt, daß der Besitzdiener im Rahmen des sozialen Abhängigkeitsverhältnisses zu seinem Besitzherrn, d. h. soweit er dessen auf die Sache bezüglichen Weisungen zu folgen hat, für diesen den unmittelbaren Besitz erwirbt. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob etwa der Besitzdiener (beispielsweise eine Hausgehilfin) im Rahmen eines Rechtsgeschäfts (Einkauf von Lebensmitteln) für den Besitzherrn Besitz erlangt oder wie hier auf Grund eines Fundes. Das entscheidende Tatbestandsstück, die Erlangung des unmittelbaren Besitzes durch den Besitzdiener für den Besitzherrn ist in den Fällen des § 854 dasselbe wie in denjenigen des § 965. Dieses Ergebnis folgt zwangsläufig aus dem Wesen der Besitzdienerschaft.“
Der Definition des BGH entsprechend wird „Ansichnehmen“ auch in der aktuellen Literatur als Besitzbegründung verstanden (vgl. MünchKomm-BGB/Oechsler, a. a. O., § 965 Rn. 10 m. w. N., Staudinger/Heinze, BGB, Neubearb. 2020, § 965 Rn. 9).
(b) Die vorstehende Definition des Ansichnehmens, die in erster Linie auf eine tatsächliche Sachherrschaft abstellt, ist auf den hiesigen Fall übertragbar. Zwar handelt es sich bei dem vorliegend in Rede stehenden Gegenstand um einen Pkw und nicht – wie in dem oben genannten, vom BGH zu entscheidenden Fall – um einen Ring. Sowohl der Ring als auch der Pkw können jedoch der Natur ihrer Sache nach grundsätzlich an sich genommen werden. So kann auch ein Pkw in den unmittelbaren – insbesondere durch Ingangsetzung und Fahrt – oder mittelbaren – zum Beispiels mithilfe eines Abschleppdienstes, der das Fahrzeug auf den Grundbesitz des Finders verbringt – Besitz gelangen. Unter Zugrundelegung der Definition des BGH hat der Beklagte das Fahrzeug aber zu keinem Zeitpunkt im Sinne des § 965 I BGB an sich genommen.
Sofern der Beklagte meint, die Definition des Tatbestandsmerkmals des Ansichnehmens durch den BGH sei überholt, was die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 05.10.1987 (5 U 75/78, NJW 1979, 725) und die sich dieser Auffassung anschließende Entscheidung des Landgerichts Aachen vom 31.07.1989 (7 S 264/88, BeckRS 1989, 3373) zeigten, kann dem nicht gefolgt werden. Denn selbst wenn man mit dem Oberlandesgericht Hamm und dem Landgericht Aachen auch eine nicht mit der Besitzergreifung verbundene Art der Sicherstellung der verlorenen Sache für § 965 BGB genügen ließe, liegt der Fall hier anders. In der genannten Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm benachrichtigte der Entdecker eines gestohlenen und vom Dieb stehen gelassenen Autobusses die Polizei und sorgte außerdem dafür, dass dieser Bus bis zur Abholung durch den Eigentümer bewacht wurde. In dem hier zu entscheidenden Fall hat der Beklagte hingegen lediglich die Polizei über den im Industriegebiet abgestellten Pkw informiert und diesen weder – beispielsweise durch ein privates Unternehmen – abschleppen noch bewachen lassen. Dritte hätten somit – anders als in den oben genannten, vom Oberlandesgericht Hamm und Landgericht Aachen entschiedenen Fällen – weiterhin Zugriff auf den Pkw gehabt.
(2) Der Beklagte hat auch keinen unmittelbaren Besitz an dem Pkw begründet. Besitz ist, wie aus § 854 I BGB folgt, zunächst nichts anderes als die tatsächliche Gewalt über die Sache, also die tatsächliche Sachherrschaft (ganz h. M., s. nur BGH, Urt. v. 27.10.1971 – VIII ZR 48/70, BGHZ 57, 166, 168 = NJW 1972, 43; Urt. v. 06.05.2009 – XII ZR 137/07, BGHZ 180, 300 = juris Rn. 25). Das streitgegenständliche Fahrzeug war hier verschlossen und ordnungsgemäß abgestellt. Einen Schlüssel hatte der Beklagte nicht und somit keine Möglichkeit, das Fahrzeug in Eigenbesitz zu nehmen und fortzubewegen. Er hatte folglich keine tatsächliche Gewalt über die Sache und keinen unmittelbaren Besitz.
(3) Der Beklagte hat auch keinen mittelbaren Besitz begründet. Denn hierfür fehlt es an einem Besitzmittlungswillen des Besitzmittlers im Sinne von § 868 BGB.
Zwar ist die Begründung mittelbaren Besitzes durch einen Besitzmittler des Finders möglich und kann zur Begründung der „Finderstellung“ ausreichen (vgl. MünchKomm-BGB/Oechsler, a. a. O., § 965 Rn. 11 m. w. N.). Mittelbarer Besitz kommt aber nicht in Betracht, wenn der unmittelbare Besitzer die Sache als ihm gehörig, also als Eigenbesitzer, besitzt. Um dem mittelbaren Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft zu vermitteln, muss der unmittelbare Besitzer dessen Herausgabeanspruch anerkennen. Er muss (als Fremdbesitzer) den Willen haben, die tatsächliche Sachherrschaft in Anerkennung des Herausgabeanspruchs gleichsam für den mittelbaren Besitzer auszuüben (vgl. BeckOGK/Götz, Stand: 01.01.2025, § 868 Rn. 46 m. w.N.; BeckOGK/Schermaier, Stand: 01.12.2024, § 965 BGB Rn. 51).
Ein Besitzmittlungswille der Klägerin als zuständige Fundbehörde in diesem Sinn ist von dem Beklagten weder schlüssig dargelegt noch sind anderweitige Anhaltspunkte hierfür ersichtlich. Nach Anzeige des Funds durch den Beklagten hat die Klägerin dem Beklagten weder schriftlich noch mündlich bestätigt, den Pkw als Fundsache aufgenommen zu haben oder aufzunehmen zu wollen. Auch hat sie nicht erklärt, auf die Fundsache für den Beklagten achten zu wollen und insbesondere auf diese Weise seine potenziellen Rechte als Finder des Fahrzeugs zu wahren. Stattdessen hat die Klägerin dem Beklagten mit E-Mail vom 09.02.2022 mitgeteilt, dass in der Sache gegen den Eigentümer ermittelt und der Vorgang „nicht als Fundsache“ betrachtet werden könne.
Sofern der Beklagte meint, ein Besitzmittlungswille der Klägerin folge daraus, dass die Klägerin selbst nicht behaupte, dass das Fahrzeug ihr „gehöre“ (vgl. Schriftsatz vom 10.12.2024), verkennt er, dass die Klägerin vielmehr – wie oben dargelegt – den Herausgabeanspruch des Beklagten (positiv) anerkennen müsste, um dem Beklagten die tatsächliche Sachherrschaft zu vermitteln. Die Klägerin begehrt hier aber stattdessen die Feststellung, dass sie dem Beklagten nicht zur Herausgabe des Pkw verpflichtet ist.
Ein Besitzmittlungswille der Klägerin war und ist somit nicht gegeben, sodass der Beklagte auch keinen mittelbaren Besitz begründet haben kann.
b) Der Beklagte hat auch kein Eigentum an dem Fahrzeug gemäߧ 958 I BGB erworben.
Gemäß § 958 I BGB erwirbt das Eigentum, wer eine herrenlose bewegliche Sache in Eigenbesitz nimmt. Zwar handelt es sich – wie bereits dargelegt – bei dem Pkw um eine bewegliche Sache. Der Pkw war jedoch nicht herrenlos. Herrenlos ist eine Sache, an der kein Eigentum eines privaten Rechtsträgers besteht (vgl. MünchKomm-BGB/Oechsler, a. a. O., § 958 Rn. 3). Hierfür trägt der Beklagte ebenfalls die Beweislast. Anhaltspunkte dafür, dass der frühere Eigentümer sein Eigentum vorliegend aufgegeben hat oder dieses anderweitig erloschen wäre, bestehen nicht. Stattdessen sprechen sowohl der Umstand, dass der Pkw ordnungsgemäß und verschlossen abgestellt wurde, als auch die Werthaltigkeit des Fahrzeugs dafür, dass der bisherige Eigentümer sein Eigentum auch künftig behalten und nicht wahllos einer potenziellen Aneignung durch Dritte preisgeben wollte (vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.10.2020 – 1 W 17/29, juris Rn. 25).
c) Dem Beklagten steht schließlich kein öffentlich-rechtlicher Herausgabeanspruch zu. Zwar ist anerkannt, dass ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis entsteht, wenn eine Behörde in Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben Gegenstände in Besitz nimmt, die im Eigentum einer Privatperson stehen (vgl. jurisPK-BGB/Jülch/Marie Herberger, 10. Aufl. [2023], § 688 Rn. 43 ff., Stand: 14.01.2025). Vorliegend bestand aber nie Eigentum des Beklagten. Insofern folgen öffentlich-rechtliche Normen dem zivilrechtlichen Eigentumsbegriff, begründen aber kein zivilrechtliches Eigentum. Die Klägerin hat den Pkw zu Recht nie als Fundsache behandelt. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
III. …