§ 476 II BGB verstößt zwar insoweit gegen die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, als er es den Parteien beim Verbrauchsgüterkauf einer gebrauchten Sache erlaubt, die gesetzliche Verjährungsfrist für die Ansprüche des Käufers wegen eines Sachmangels auf ein Jahr abzukürzen. Diese Richtlinienwidrigkeit hat aber keine Auswirkungen auf die bestehende Rechtslage.
OLG Zweibrücken, Urteil vom 19.03.2020 – 4 U 198/19
(nachfolgend: BGH, Urteil vom 18.11.2020 – VIII ZR 78/20)
Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der Beklagten am 31.03.2017 für 24.750 € einen gebrauchten BMW X6. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, die in den Kaufvertrag einbezogen wurden, heißt es unter anderem:
„VII. Haftung für Sachmängel
1. Ansprüche des Käufers wegen Sachmängeln verjähren in einem Jahr ab Ablieferung des Kaufgegenstandes an den Kunden. …“
Das Fahrzeug wurde Kläger am 31.03.2017 übergeben. Dieser rügte mit Schreiben vom 01.09.2017 zunächst einen zu hohen Ölverbrauch, einen Defekt des Klimakompressors und einen Defekt des Luftfahrwerks hinten links. Nachdem die Parteien hinsichtlich dieser Mängel korrespondiert hatten, beantragte der Kläger am 05.02.2018 die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahren. Er wollte feststellen lassen, dass der BMW X6 einen Defekt am hinteren rechten Luftfahrwerk aufweise und deshalb an Höhe verloren habe. Mit Antrag vom 03.04.2018, der beim Amtsgericht am 04.05.2018 einging, begehrte der Kläger außerdem die Feststellung, dass sich die Steuerkette des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlängert habe und daher ausgetauscht werden müsse. Unter dem 17.08.2018 erweiterte der Kläger das selbstständige Beweisverfahren abermals, und zwar dahin gehend, dass sich der Sachverständige auch zu der Ursache eines eingetretenen Motorschadens äußern solle.
Der Kläger hat die Beklagte erstinstanzlich auf Rückabwicklung des Kfz-Kaufvertrags und den Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten (1.242,84 €) in Anspruch genommen. Außerdem hat er die Feststellung begehrt, dass die Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Verzug sei. Zur Begründung hat der Kläger geltend gemacht, er sei wirksam mangelbedingt von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten. Die Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, mit der die gesetzliche Verjährungsfrist für die Ansprüche des Käufers wegen eines Sachmangels auf ein Jahr abgekürzt werde, sei unwirksam, da § 476 II BGB gegen die Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkaufrichtline) verstoße.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und geltend gemacht, hinsichtlich der Mängel, auf die der Kläger seinen Rücktritt gestützt habe, sei ein selbstständiges Beweisverfahren erst nach Ablauf der Verjährungsfrist eingeleitet worden. Dass § 476 II BGB möglicherweise richtlinienwidrig sei, stehe seiner Anwendung nicht entgegen.
Das LG Frankenthal (Pfalz) hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Ansprüche des Klägers wegen der streitgegenständlichen Mängel seien verjährt. § 476 II BGB sei zwar richtlinienwidrig; dies führe aber nicht dazu, dass die Vorschrift nicht angewendet werden dürfe.
Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Mit zutreffender Begründung hat das Erstgericht richtig dahin entschieden, dass ein auf die klagegegenständlichen Mängel gestütztes Nacherfüllungsverlangen des Klägers verjährt und ein Rücktritt vom Kaufvertrag deshalb ausgeschlossen ist. Die von § 476 II Fall 2 BGB eröffnete Möglichkeit einer vertraglichen Verjährungsverkürzung bei gebrauchten Sachen ist zwar nach einhelliger Auffassung richtlinienwidrig (EUGH, Urt. v. 13.07.2017 – C-133/16, ECLI:EU:C:2017:541 = MDR 2018, 653 – Ferenschild; BeckOK-BGB/Faust, Stand: 01.11.2019, § 476 Rn. 4 m. w. Nachw.). Bis zu einer Neuregelung durch den deutschen Gesetzgeber hat dies aber keine Auswirkungen auf die bestehende Rechtslage.
Der Wortlaut des Gesetzes ist derart klar und eindeutig, dass eine Auslegung der Norm im Sinne einer Regelung einer Haftungsdauer, welche dem deutschen Regelungsmodell fremd ist, die Wortlautgrenze sprengen würde (Kulke, MDR 2018, 1025, 1028 m. w. Nachw.). Der deutsche Gesetzgeber hat „Verjährung“ geschrieben und die Verjährung im Rechtssinne gemeint (B. Köhler, GPR 2018, 37, 41).
Auch eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung des § 476 II BGB im Sinne einer teleologischen Reduktion der Norm kommt nicht in Betracht, da dies zur generellen Nichtanwendbarkeit des letzten Halbsatzes führen würde (BeckOK-BGB/Faust, a. a. O., § 476 Rn. 4; MünchKomm-BGB/Lorenz, 8. Aufl., § 476 Rn. 26 f; a. A. Leenen, JZ 2018, 284, 289). Zudem führte eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung zu einer indirekt unmittelbaren Anwendung einer Richtlinie im Verhältnis zwischen Privaten, welche in ständiger Rechtsprechung des EuGH abgelehnt wird (EuGH, Urt. v. 14.07.1994 – C-91/92, Slg. 1994, I-3325 = ECLI:EU:C:1994:292 = NJW 1994, 2473 Rn. 20 – Faccini Dori; Urt. v. 26.02.1986 – Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 = ECLI:EU:C:1986:84 = NJW 1986, 2178 Rn. 48 – Marshall; vgl. auch BGH, Urt. v. 07.05.2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 34; Kulke, MDR 2018, 1025, 1029). Eine Entscheidung gegen den Wortlaut der Norm und den konkreten Willen des Gesetzgebers kann selbst unter den großzügigen Maßstäben des BGH vorliegend nicht erfolgen. Es fehlt insoweit bereits an der notwendigen verdeckten Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit. Eine solche liegt vor, wenn das ausdrücklich angestrebte Ziel einer richtlinienkonformen Umsetzung durch die Regelung nicht erreicht worden ist und ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber die Regelung in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass sie nicht richtlinienkonform ist (BGH, Urt. v. 07.05.2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 23). Sind hingegen – wie hier – mehrere Lösungen geeignet, die Vorgaben der Richtlinie zu erfüllen, so ist es Sache des Gesetzgebers – und nur des Gesetzgebers – die von ihm bevorzugte Lösung zu wählen. Auch das BVerfG (BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschl. v. 23.05.2016 – 1 BvR 2230/15, 1 BvR 2231/15, NJW-RR 2016, 407 = r+s 2016, 407 Rn. 49) betont, dass der Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung dort überschritten ist, wo ohne hinreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen geschaffen werden (B. Köhler, GPR 2018, 37, 41). So verhält es sich hier. Denn durch den Gesetzgeber könnte einerseits den Parteien die Möglichkeit eingeräumt werden, die Haftungsfrist auf ein Jahr zu verkürzen (was die dem deutschen Recht bisher fremde Einführung einer Unterscheidung von Haftungs- und Verjährungsfrist bedeutete), andererseits bestünde aber auch die Möglichkeit, die Verkürzung der Verjährungsfrist nach § 476 II Fall 2 BGB ersatzlos zu streichen (vgl. B. Köhler, GPR 2018, 37, 41).
Bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber ist damit die derzeitige gesetzliche Regelung anzuwenden (vgl. MünchKomm-BGB/Lorenz, a. a. O., § 476 Rn. 26 f.; B. Köhler, GPR 2018, 37, 42).
III. …
IV. Die Revision wird zugelassen, da höchst- oder obergerichtliche Entscheidungen zu der streitentscheidenden Problematik, die sich über den hier zu entscheidenden Einzelfall hinaus in einer Vielzahl von Fällen stellen kann, soweit für den Senat ersichtlich, nicht vorliegen (§ 543 II Nr. 1 ZPO).
Hinweis: Die Revision des Klägers hat der VIII. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 18.11.2020 – VIII ZR 78/20 – zurückgewiesen.