Jeder Käufer eines Pkw und insbesondere der Käufer eines Neufahrzeugs kann erwarten, dass Startprobleme allenfalls kurzfristig auftreten. Ein Neuwagen, der sich nicht problemlos starten lässt, stellt keine vertragsgemäße Leistung des Verkäufers dar; denn die Startfähigkeit eines Fahrzeugs ist nicht lediglich eine Frage des Komforts.

OLG München, Urteil vom 26.10.2011 – 3 U 1853/11

Sachverhalt: Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Neufahrzeug und erhebt im Zusammenhang damit Schadensersatzansprüche. Da sie zur Finanzierung des Kaufpreises einen Darlehensvertrag abschloss, begehrt die Klägerin außerdem die Freistellung von der eingegangenen Darlehensverpflichtung.

Das LG Traunstein hat die Klage mit Urteil vom 19.04.2011 abgewiesen.

Gegen dieses Urteil richtet dich die Berufung der Klägerin. Sie bringt unter Bezugnahme auf das erstinstanzlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen H vor, das Fahrzeug springe aus unbekannten Gründen in unregelmäßigen Abständen und zu nicht vorhersehbaren Zeitpunkten nicht oder nur mit Zeitverzögerungen von bis zu 20 Minuten an. Sie, die Klägerin, habe nicht nur – wie der Sachverständige bei seinen Fehlversuchen – Wartezeit von bis zu fünf Minuten, sondern auch längere Startversuchszeiten (ca. 10 Minuten, ca. 15 Minuten und ca. 20 Minuten) erlebt. Am 21.10.2010 sei das Fahrzeug auch nicht durch den herbeigeholten ADAC zu starten gewesen.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Aus den Gründen: II. … [Die Klägerin] hat gemäß §§ 434 I 2, 437 Nr. 2, Nr. 3, 440, 323 II Nr. 1, 284 BGB Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und auf Schadensersatz bezüglich verschiedener Aufwendungen (siehe 1.) sowie als weitere Schadensposition Anspruch auf die Freistellung bezüglich einer Darlehensverpflichtung (siehe 2.). Die Pflichtverletzung der Beklagten ist nicht unerheblich i. S. von § 323 V 2 BGB.

1. Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 9.854,70 € Zug um Zug gegen Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs

a) Das der Klägerin am 02.10.2009 verkaufte Neufahrzeug war mangelhaft, da es nicht frei von Sachmängeln war i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB. Bei Personenkraftwagen, insbesondere bei Neufahrzeugen, kann jeder Käufer erwarten, dass Startprobleme allenfalls nur kurzfristig auftreten.

Nach Feststellung des Sachverständigen H … wurde das Fahrzeug verschiedensten potenziellen Störquellen … ausgesetzt, wobei diese Störquellen ohne Einfluss auf die vom Sachverständigen durchgeführten Startversuche waren. Bei den an zehn Tagen zu unterschiedlichsten Temperaturen durchgeführten insgesamt 1.084 Startversuchen ergaben sich sieben fehlerhafte Starts, die nach Darlegung des Sachverständigen im Termin vom 22.03.2011 entsprechend dem Vortrag der Klageseite dadurch gekennzeichnet waren, dass in nicht beeinflussbarer Zeit das Starten erst nach mehrfachem Schlüsselumdrehen gelang. Beim Sachverständigen waren Zeiten bis zu sechs Minuten bis zum Start erforderlich. Die Ursache für den Mangel konnte der Sachverständige nicht finden, der Fehler trat ohne jeden erkennbaren Grund in nicht nachvollziehbaren Abständen auf.

Ein weitergehendes Ausmaß des Mangels – größere Wartezeiten bis zum Start bzw. keinerlei Start durch die Klägerin möglich – hat die Klägerin durch Pannenbelege des ADAC vom 09.01.2010 und 10.04.2010 nachgewiesen.

Ein Neuwagen, der sich nicht problemlos starten lässt, ist keine vertragsgemäße Leistung und somit eine vom Verkäufer zu vertretende Pflichtverletzung.

Umstände dafür, dass die Beklagte den Mangel nicht zu vertreten hätte, sind weder erkennbar noch von der Beklagten substanziiert vorgetragen. Dafür, dass es sich um eine den Rücktritt ausschließende unerhebliche Pflichtverletzung gemäß § 323 V 2 BGB handeln würde, trägt die Beklagte die Beweislast. Ein derartiger Beweis kann von der Beklagten aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen H und den zur Beweiswürdigung herangezogenen ADAC-Belegen nicht gelingen: Bereits wiederholt spontan auftretende Startprobleme bei einem Neuwagen in einem zeitlichen Umfang von mindestens fünf Minuten bis zum Gelingen des Starts sind sicher nicht unerheblich. Ob zeitlich darunter liegende Verzögerungen beim Start auch nicht unerheblich i. S. von § 325 V 2 BGB wären, war hier nicht zu entscheiden. Welcher Komfortklasse der Neuwagen zugerechnet wird, ist hierbei rechtlich unerheblich, da die Anlassfähigkeit eines Fahrzeugs keine Frage des Komforts ist, sondern bei einem Gegenstand, dessen wesentliche Funktion im Starten, Fahren, Parken, Starten, Fahren etc. besteht, von elementarer Bedeutung. Die von der Beklagten … zitierte Rechtsprechung/Literatur zum „Mehrkomfort“ ist für den verfahrensgegenständlichen Mangel nicht anwendbar. So ist auch … nicht vorgetragen – und auch generell dem Gericht nicht bekannt –, dass [die Fahrzeugherstellerin] das problemlose Starten bzw. unterschiedliche Wartezeiten bis zum Gelingen eines Starts bei ihren Kia-Fahrzeugen in die Preisgestaltung bezüglich des „Fahrzeugskomforts“ einrechnen würde, geschweige denn, dass sie dies für potenzielle Kunden kenntlich machen würde.

Hinzu kommt, dass die jederzeitige, kurzfristigst mögliche Startfähigkeit eines Fahrzeugs nicht nur mit der Hauptfunktion des vorliegenden Kaufgegenstands (nämlich das Fahren mit einem Pkw, wozu das Starten des Fahrzeugs unerlässlich ist) in unmittelbarem Zusammenhang steht, sondern auch für die Verkehrssicherheit von entscheidender Bedeutung ist: Es gibt vielfach Situationen im Straßenverkehr, in denen ein Pkw angehalten und der Motor abgestellt wird (z. B. vor einer Bahnschranke; infolge eines Unfallgeschehens auch ohne Beteiligung des inkriminierten Fahrzeugs). Ein Pkw, der bei der wieder möglichen Weiterfahrt – vielleicht – erst nach fünf Minuten gestartet werden kann, stellt für den Lenker des startunfähigen Fahrzeugs und auch für andere Verkehrsteilnehmer einen erheblichen Risikofaktor dar. Das Fahrzeug wäre nämlich ein stehendes Hindernis im öffentlichen Straßenraum. Schon aus diesem Grund ist die Argumentation des Landgerichts, dass der vorliegende Mangel im Langstreckenbetrieb nicht so gravierend sei, nicht zielführend. Abgesehen davon wurde das Fahrzeug von einer Privatperson ohne jegliche Sondervereinbarung (keinerlei Vereinbarung in dem Sinne „nur tauglich für Langstrecke, da Startprobleme zu erwarten“) gekauft.

b) Ob das Schreiben der Klägerin vom 06.02.2010 eine Fristsetzung nach § 323 I BGB darstellt, kann dahinstehen, da die Fristsetzung gemäß § 323 II Nr. 1 BGB entbehrlich ist: Die Leistung wurde ernsthaft und endgültig verweigert. Die Klägerin hat mehrfach den Mangel bezüglich des Startens gerügt, die Beklagte hat sich darauf zurückgezogen, dass sie den Mangelpunkt zwar überprüft hätte, aber alles funktioniert habe (Schreiben der Beklagten vom 06.02.2010). Auch im Prozess wird von der Beklagten ein Rücktrittsrecht der Klägerin verneint. Die Beklagte … [hält] das Problem beim Anlassen bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug schließlich nur für eine Frage des Komforts und bei einer niedrigeren Preisklasse für ein vom Käufer hinzunehmendes Phänomen.

c) Bezüglich der Höhe des klägerischen Zahlungsanspruchs orientieren sich die Ausführungen an der Enumeration in den Schriftsätzen der Klägerin vom 07.06.2010 und vom 31.01.2011.

aa) Die Klägerin leistete unstreitig eine Anzahlung von 9.000 €.

bb) Winterreifen 449 €. Dass die Beklagte die Anschaffung von Winterreifen für 449 € für das streitgegenständliche Fahrzeug bestreitet, ist nicht nachvollziehbar, da diese Position im Kaufvertrag zusätzlich zu dem zuvor aufgelisteten Gesamtbetrag von 21.025 € enthalten ist: „Ein Satz Winterräder 449 € inkl. Montage“. Da der Klägerin das Rücktrittsrecht für das streitgegenständliche Fahrzeug zusteht, sind die für das Fahrzeug angeschafften Reifen eine erstattungsfähige vergebliche Aufwendung.

cc) Bezahlte Finanzierungsrate 1.197,34 €. Die von der Beklagten bestrittene Zahlung wurde von der Klägerin … nachgewiesen.

dd) Zulassungskosten 36,50 €, Kosten für Kfz-Kennzeichen 30 € und Feinstaubplakette 5 €. Bezüglich vorgenannter Positionen liegt ein unsubstanziiertes Bestreiten bezüglich des Anfalls der Kosten vor. Die drei Positionen sind regelmäßig für die Zulassung und den Fahrbetrieb anfallende Kosten, die im üblichen Rahmen liegen.

ee) Fiktive Garagenmiete für Januar 2011 30 €, für das Fahrzeug bei der Beklagten gekaufte Radzierbleche 47,98 €, Kosten für die Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs 5,60 €, Kosten der 20.000-km-Inspektion 253,28 €. Für sämtliche sich auf 336,86 € summierende Positionen der Klageerweiterung – die schlüssig und entweder belegt oder bezüglich der Garagenmiete nach § 287 ZPO zutreffend schätzbar sind – liegt kein substanziiertes Bestreiten vor.

ff) Die von der Klägerin abgezogene Nutzungsentschädigung in Höhe von 1.200 € ist zutreffend ermittelt.

Die Klägerin trägt unbestritten eine Gesamtfahrleistung von 13.500 km vor und bringt vor, dass 2.300 km von ihr allein für Fahrten von und zu Werkstätten zum Zwecke der Nachbesserungsversuche aufgewendet wurden. Die Beklagte meint hierzu, dass kein Abzug von 2.300 km vorzunehmen sei, da das Fahrzeug nicht mangelbehaftet gewesen sei und der Klägerin demzufolge kein Rücktrittsrecht zustehe.

Abgesehen davon, dass ein zum Rücktritt berechtigender Mangel vorliegt (siehe 1a), liegt eine substanziierte Darlegung bezüglich des Abzugs von 2.300 km im Schreiben der Klägerin vom 07.03.2010 an die Beklagte, worin sie ihre Fahrten zu den jeweiligen Kfz-Werkstätten benennt. Unter Berücksichtigung des Wohnorts der Klägerin einerseits und den Firmensitzen der Beklagten, der S-GmbH und der G-GmbH andererseits ist der von der Klägerin in ihrer Rechnung zugrunde gelegte Abzug von 2.300 km plausibel und wird demzufolge gemäß § 287 ZPO zur weiteren Berechnung in dieser Höhe geschätzt. Bei einem Kaufpreis von 21.085 €, gefahrenen 11.200 km (13.500 km – 2.300 km) und unstreitig zu erwartender Gesamtlaufleistung von 200.000 km ergibt sich unter Verwendung der Formel

$${\frac{\text{Bruttokaufpreis}\times\text{gefahrene Kilometer}}{\text{Gesamtlaufleistung}}}$$

eine Nutzungsentschädigung von 1.180 €; die Klägerin lässt sich 1.200 € anrechnen.

gg) Die Addition/Subtraktion der unter aa) bis ff) dargestellten Beträge führt zu einer Forderung der Klägerin in Höhe von 9.854,70 €.

d) Ein Zinsanspruch in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ergibt sich aus §§ 288 I, 291 BGB. Für die Forderung in Höhe von 9.517,84 € beginnt der Zinslauf mit dem Verzug der Beklagten ab 01.04.2010 (Frist wurde bis 31.03.2010 vom Klägervertreter gesetzt). Hinsichtlich des weiteren Betrags in Höhe von 336,86 € läuft die Verzinsung aufgrund der Zustellung der Klageerweiterung am 04.02.2011 ab 05.02.2011.

e) Die beantragte Feststellung des Annahmeverzugs bezüglich der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs war auszusprechen, da die Beklagte der Rückabwicklungsaufforderung der Klägerin nicht nachkam.

2. Teil des Schadensersatzanspruchs der Klägerin ist die Freistellung der Klägerin von der von ihr im Hinblick auf die Kauffinanzierung des streitgegenständlichen Fahrzeugs eingegangenen Darlehensverpflichtung bei der S-Bank. Der unter Beteiligung der Beklagten geschlossene Darlehensvertrag wurde vorgelegt. Der Freistellungsanspruch ist im Übrigen – abgesehen von dem nach Auffassung der Beklagten nicht vorliegenden Rücktrittsgrund – unstreitig …

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