Ein Mit­te 2017 er­wor­be­ner Mer­ce­des-Benz-Pkw kann im Sin­ne von § 434 I 2 Nr. 2 BGB man­gel­haft sein, weil er mit ei­nem her­stel­ler­spe­zi­fi­schen Not­ruf­sys­tem aus­ge­stat­tet ist, das der Käu­fer selbst nicht de­ak­ti­vie­ren kann. Liegt ein Man­gel vor, so hat der Käu­fer ei­nen (Nach­bes­se­rungs-)An­spruch dar­auf, dass der Ver­käu­fer das Not­ruf­sys­tem de­ak­ti­viert (§ 437 Nr. 1, § 439 I Fall 1 BGB).

AG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 23.03.2018 – 44 C 314/17

Sach­ver­halt: Der Klä­ger ver­langt von der be­klag­ten Kfz-Ver­käu­fe­rin, von der er ei­nen Mer­ce­des-Benz B 180 er­wor­ben hat, in ers­ter Li­nie die De­ak­ti­vie­rung ei­nes im Fahr­zeug in­stal­lier­ten Not­ruf­sys­tems.

Das in Re­de ste­hen­de Fahr­zeug er­warb der Klä­ger am 14.06.2017 auf der Grund­la­ge ei­ner ver­bind­li­chen Be­stel­lung zum Preis von 24.899 € brut­to von der Be­klag­ten. So­wohl in der Be­stel­lung des Klä­gers als auch in der Auf­trags­be­stä­ti­gung der Be­klag­ten ist als Aus­stat­tung des Fahr­zeu­ges un­ter an­de­rem ein „Mer­ce­des-Benz-Not­ruf­sys­tem“ auf­ge­führt. Ei­ne Er­läu­te­rung da­zu hat­te der Klä­ger bei den Ver­kaufs­ver­hand­lun­gen mit der Be­klag­ten nicht er­hal­ten.

Das Not­ruf­sys­tem ge­hört seit 2012 zur Stan­dard­aus­stat­tung sämt­li­cher neue­ren Mer­ce­des-Benz-Pkw. Re­gis­trie­ren die im Fahr­zeug ein­ge­bau­ten Sen­so­ren ei­nen Un­fall, wird über ein fest in­stal­lier­tes Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­dul au­to­ma­tisch ein Not­ruf ab­ge­setzt, bei dem ins­be­son­de­re die Po­si­ti­on und die Fahrt­rich­tung des Fahr­zeugs so­wie die An­zahl der In­sas­sen über­mit­telt wer­den. Der Fahr­zeug­nut­zer kann die­ses Not­ruf­sys­tem nicht ab­schal­ten; ei­nem Ver­trags­händ­ler ist es aber mög­lich, das Sys­tem „aus­zu­co­die­ren“. Das Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­dul ist dann nicht mehr ak­tiv in das Mo­bil­funk­netz ein­ge­loggt, doch wird das Not­ruf­sys­tem bei ei­nem Un­fall wie­der ak­tiv.

Am 19.06.2017 un­ter­zeich­ne­te der Klä­ger ei­ne da­ten­schutz­recht­li­che Ein­wil­li­gungs­er­klä­rung. Dort ver­sah er le­dig­lich ein Käst­chen mit ei­nem Häk­chen:

„☒  Falls Sie nicht möch­ten, dass wir Ih­re Da­ten ver­ar­bei­ten und nut­zen, dür­fen wir Sie aus recht­li­chen Grün­den lei­der nicht mehr über Pro­duk­te und Dienst­leis­tun­gen in­for­mie­ren. Wenn Sie der pos­ta­li­schen In­for­ma­ti­on nicht zu­stim­men wol­len, kreu­zen Sie bit­te hier an.“

Mit Te­le­fax vom 23.10.2017 for­der­te der Klä­ger die Be­klag­te – er­folg­los – auf, das in sei­nem Fahr­zeug vor­han­de­ne Not­ruf­sys­tem bis zum 26.10.2017 zu de­ak­ti­vie­ren. Hilfs­wei­se min­der­te er den Kauf­preis für den Pkw.

Der Klä­ger be­haup­tet, über das Not­ruf­sys­tem könn­ten per­so­nen­be­zo­ge­ne Da­ten über­tra­gen wer­den. Mit sei­ner Kla­ge will er in ers­ter Li­nie er­rei­chen, dass die Be­klag­te das Not­ruf­sys­tem de­ak­ti­vie­ren muss. Hilfs­wei­se be­gehrt er ge­stützt auf § 437 Nr. 2 Fall 2, §§ 441 I, III, IV 1 BGB die Zah­lung von min­des­tens (24.899 € × 10 % =) 2.489,90 €.

Die Be­klag­te macht un­ter an­de­rem gel­tend, dass ei­ne voll­stän­di­ge De­ak­ti­vie­rung des Not­ruf­sys­tems mit ei­nem un­zu­mut­bar ho­hen Zeit- und Kos­ten­auf­wand ver­bun­den sei. Dar­über hin­aus sei nicht si­cher­ge­stellt, dass die De­ak­ti­vie­rung des Not­ruf­sys­tems nicht an­de­re elek­tro­ni­sche Funk­tio­nen des Fahr­zeugs be­ein­träch­ti­ge. Es sei zu be­fürch­te, dass der Klä­ger nach der De­ak­ti­vie­rung des Not­ruf­sys­tems fort­lau­fend Feh­ler­mel­dun­gen er­hal­te und nicht mehr über das Ver­kehrs­ge­sche­hen in­for­miert wer­de

Die Kla­ge hat­te mit dem Haupt­an­trag Er­folg.

Aus den Grün­den: Der Klä­ger hat … ei­nen An­spruch auf Män­gel­be­sei­ti­gung ge­mäß § 437 Nr. 1, § 439 I Fall 1 BGB.

In­dem un­strei­tig das von ihm er­wor­be­ne Fahr­zeug mit ei­ner von ihm nicht ab­schalt­ba­ren Not­ruf­an­la­ge aus­ge­stat­tet war, war es mit ei­nem Man­gel ge­mäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB be­haf­tet.

Vor­lie­gend ist in Be­zug auf die Not­ruf­an­la­ge mit ih­ren als sol­che un­strei­ti­gen tech­ni­schen Da­ten­über­mitt­lungs­funk­tio­nen ei­ne nach­tei­li­ge Ab­wei­chung der tat­säch­li­chen Be­schaf­fen­heit des Fahr­zeugs von der Nor­mal­be­schaf­fen­heit des Kauf­ge­gen­stands ge­ge­ben.

Maß­ge­bend für die Nor­mal­be­schaf­fen­heit als Un­ter­fall der ver­trag­li­chen Be­schaf­fen­heit sind ge­mäß §§ 242, 157 BGB die Ge­samt­um­stän­de, die Ver­kehrs­sit­te und der Grund­satz von Treu und Glau­ben. Es ist zu er­mit­teln, was un­ter Zu­grun­de­le­gung des ob­jek­ti­ven Emp­fän­ger­ho­ri­zon­tes un­ter be­stimm­ten Ei­gen­schafts­be­schrei­bun­gen kon­kret zu ver­ste­hen war. Ent­schei­dend da­für sind auch der tech­ni­sche Stand und die tech­ni­sche Üb­lich­keit be­stimm­ter Ei­gen­schaf­ten.

Zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Kauf­ver­trags über den hier streit­ge­gen­ständ­li­chen Pkw war ein vom Kun­den nicht ab­schalt­ba­res Not­ruf­sys­tem, wel­ches fort­wäh­rend in Da­ten­über­tra­gungs­sys­te­me ein­ge­loggt ist und bei der sen­so­ri­schen Auf­nah­me be­stimm­ter auf ei­nen Un­fall hin­wei­sen­den Da­ten au­to­ma­tisch ei­ne Mehr­zahl von Da­ten an be­stimm­te vor­ge­ge­be­ne Stel­len über­trägt, we­der recht­lich vor­ge­se­hen noch üb­li­cher Stan­dard bei Kraft­fahr­zeu­gen. Die Be­klag­te selbst be­ruft sich le­dig­lich auf die Se­ri­en­aus­stat­tung ih­rer Fahr­zeug­mo­del­le. Un­be­strit­ten ist ge­blie­ben, dass es zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ver­trags Neu­wa­gen und erst recht Ge­braucht­wa­gen vom Al­ter des streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeugs gab, die nicht mit ei­nem au­to­ma­ti­schen, nicht ab­schalt­ba­ren Not­ruf­sys­tem aus­ge­stat­tet wa­ren. Die Ein­rich­tung von da­ten­über­tra­gen­den Funk­tio­nen mag all­ge­mein im Vor­drin­gen be­find­lich sein, ist aber we­der ein tech­ni­scher Stan­dard bei elek­tro­ni­schen Funk­tio­nen, noch ist ei­ne sol­che un­ter durch­schnitt­li­chen Kun­den be­kannt. Viel­mehr ist nach Treu und Glau­ben und un­ter Be­rück­sich­ti­gung der bis­he­ri­gen Ver­kehrs­sit­te da­von aus­zu­ge­hen, dass Ein­rich­tun­gen und Sys­te­me, die Da­ten nach au­ßen über­tra­gen, de­ak­ti­viert wer­den kön­nen. Ab­wei­chen­des hät­te aus­drück­lich ver­ein­bart wer­den müs­sen.

Die Be­klag­te kann sich in­so­weit auch nicht auf Pro­spekt-, Wer­be­an­ga­ben oder auf Be­triebs­an­lei­tun­gen im In­ter­net be­ru­fen, denn sämt­li­che dort ent­hal­te­nen Er­klä­run­gen sind nicht in den Ver­trag ein­be­zo­gen wor­den. Hier­zu hät­te es ei­ner aus­drück­li­chen Be­zug­nah­me der Par­tei­en be­durft.

Es liegt zu­dem ein Man­gel durch ei­nen Ver­stoß ge­gen § 4 I BDSG vor. Durch die nicht ab­schalt­ba­re Not­ruf­an­la­ge sind Da­ten ge­mäß § 1 III BDSG und § 3 I BDSG be­trof­fen. Nach dem Par­tei­vor­trag ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Not­ruf­an­la­ge In­for­ma­tio­nen über per­sön­li­che und sach­li­che Ver­hält­nis­se zu­min­dest be­stimm­ba­rer na­tür­li­cher Per­so­nen über­trägt.

Die Be­stimm­bar­keit ei­ner na­tür­li­chen Per­son ist zu be­ja­hen, wenn Da­ten er­ho­ben wer­den, die ein Fahr­pro­fil er­mit­tel­bar ma­chen. Durch die Not­ruf­an­la­ge wird aus­weis­lich der von den Par­tei­en vor­ge­leg­ten Un­ter­la­gen ei­ne Mehr­zahl von tech­ni­schen Da­ten er­ho­ben und wei­ter­ge­lei­tet, die in ih­rer Ge­samt­heit Rück­schlüs­se auf ei­ne be­stimm­te na­tür­li­che Per­son vom Grund­satz her mög­lich ma­chen, weil ein be­stimm­tes Fahr­ver­hal­ten auf­ge­zeich­net wird, wel­ches sich zu­sam­men­setzt aus Fahr­po­si­tio­nen, In­sas­sen­zahl, Be­las­tung des Fahr­zeugs, Fahrt­rich­tung, die Auf­zeich­nung be­stimm­ter Fahr­stre­cken, die für das Fahr­zeug ge­wähl­te Sprach­ein­stel­lung etc. Die Kom­bi­na­ti­on die­ser Da­ten kann Rück­schlüs­se über na­tür­li­che Per­so­nen er­mög­li­chen, weil ein wie­der­er­kenn­ba­res Fahr­ver­hal­tens­mus­ter er­mit­telt wer­den kann (vgl. Ki­nast/Kühnl, NJW 2014, 3057 ff).

Ge­mäß § 4 I BDSG ist für die Er­he­bung, Ver­ar­bei­tung und Nut­zung von Da­ten die Ein­wil­li­gung des Be­trof­fe­nen er­for­der­lich. Ei­ne sol­che liegt hier nicht vor. Ins­be­son­de­re ist sie für den Klä­ger nicht in der da­ten­schutz­recht­li­chen Ein­wil­li­gungs­er­klä­rung … ent­hal­ten. Dort hat der Klä­ger durch An­kreu­zen al­lein ei­ner der In­for­ma­ti­ons­über­tra­gung wi­der­spre­chen­den Pas­sa­ge kei­ner­lei da­ten­recht­li­che Zu­stim­mung er­teilt.

Die Da­ten­er­he­bung, -ver­ar­bei­tung und -nut­zung war auch nicht ge­mäß § 28 II Nr. 2 lit. a oder lit. b BDSG zu­läs­sig. Sie ist näm­lich nicht zum Schutz be­rech­tig­ter In­ter­es­sen Drit­ter oder der öf­fent­li­chen Si­cher­heit er­for­der­lich. Die In­ter­es­sen ei­nes Ver­kehrs­un­fall­schut­zes kön­nen durch frei­wil­li­ge Da­ten­über­tra­gung gleich ef­fek­tiv er­füllt wer­den. Ob auf­grund sta­tis­ti­scher Er­fah­run­gen zum tat­säch­li­chen Si­cher­heits­ver­hal­ten ei­ne zu­sätz­li­che Ver­pflich­tung  zum Selbst­schutz ge­schaf­fen wird, ist je­weils ei­ne po­li­ti­sche Ent­schei­dung, wel­che hin­sicht­lich der Not­ruf­an­la­ge in Kraft­fahr­zeu­gen durch die Ver­ord­nung (EU) 2015/758 mit ih­rer in­ner­staat­li­chen Um­set­zung für die Zu­kunft ge­trof­fen wor­den ist, be­rührt aber den An­wen­dungs­be­reich von § 28 II Nr. 2 lit. a oder lit. b BDSG nicht.

Auch er­gibt sich aus § 28 I BDSG kei­ne Be­rech­ti­gung zur ent­spre­chen­den Da­ten­er­he­bung, -ver­ar­bei­tung und -nut­zung. Wie oben aus­ge­führt, war die Ei­gen­schafts­ver­ein­ba­rung ei­ner Not­ruf­an­la­ge nicht da­hin ge­hend aus­zu­le­gen, dass es sich hier­bei um ei­ne au­to­ma­tisch da­ten­über­tra­gen­de, nicht ab­schalt­ba­re Ein­rich­tung han­deln soll­te. Viel­mehr war le­dig­lich ei­ne An­la­ge ge­schul­det, über die Not­ru­fe ab­ge­setzt wer­den kön­nen. In­so­weit ist auf die obi­gen Aus­füh­run­gen zu ver­wei­sen.

Der Klä­ger hat ei­nen Nach­er­fül­lungs­an­spruch. Die­ser kann vom Käu­fer wahl­wei­se in Form ei­ner Män­gel­be­sei­ti­gung oder der Nach­lie­fe­rung ei­ner man­gel­frei­en Sa­che gel­tend ge­macht wer­den. Der Klä­ger hat sich für die Män­gel­be­sei­ti­gung ent­schie­den.

Ei­ne Un­mög­lich­keit der Man­gel­be­sei­ti­gung ge­mäß § 275 I und II BGB hat die Be­klag­te trotz rich­ter­li­chen Hin­wei­ses in der Sit­zung vom 2.02.2018 nicht nach­voll­zieh­bar vor­ge­tra­gen. Sie hat le­dig­lich all­ge­mein auf mög­li­che Feh­ler­mel­dun­gen und die mög­li­che Be­ein­träch­ti­gung von Bord­elek­tro­nik ver­wie­sen. Sie hat we­der zu tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten ei­ner De­ak­ti­vie­rung nä­her Stel­lung ge­nom­men noch den Auf­wand mög­li­cher tech­ni­scher Maß­nah­men an dem Fahr­zeug zur voll­kom­me­nen Ab­schal­tung der Not­ruf­an­la­ge be­zif­fert. Die Ein­ho­lung ei­nes Sach­ver­stän­di­gen­be­wei­ses wür­de vor­lie­gend der un­zu­läs­si­gen Aus­for­schung die­nen.

Die Be­klag­te hat nicht im An­satz die Vor­aus­set­zun­gen des § 439 IV BGB nach­voll­zieh­bar dar­ge­legt. Sie hat ih­re vor­aus­sicht­li­chen De­ak­ti­vie­rungs­kos­ten nicht be­zif­fert, so­dass kei­ner­lei Aus­sa­gen über das Ver­hält­nis zwi­schen dem man­gel­be­ding­ten Min­der­wert und den Kos­ten der Män­gel­be­sei­ti­gung ge­trof­fen wer­den kön­nen.

We­gen des Er­folgs des Haupt­an­trags muss­te über den Hilfs­an­trag nicht ent­schie­den wer­den. …

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