- Ein vom VW-Abgasskandal betroffener Gebrauchtwagen ist i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 mangelhaft. Denn ein Käufer darf erwarten, dass ein Fahrzeug die einschlägigen Emissionsgrenzwerte nicht nur dann einhält, wenn es einem Emissionstest unterzogen wird. Der Umstand, dass bei einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeug (nur) in dieser Situation die Schadstoffemissionen reduziert werden, begründet deshalb einen Mangel, ohne dass es darauf ankommt, ob sich das Fahrzeug für die gewöhnliche Verwendung eignet.
- Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs kann seine auf den Abschluss des Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung nicht wirksam mit der Begründung anfechten, er habe sich über die Schadstoffemissionen des Fahrzeugs und damit über eine verkehrswesentliche Eigenschaft i. S. des § 119 II BGB geirrt. Denn als leges speciales dürfen die Regelungen über die kaufvertragliche Mängelhaftung (§§ 434 ff. BGB) und insbesondere das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung nicht durch eine Irrtumsanfechtung (§ 119 II BGB) unterlaufen werden.
LG Landau (Pfalz), Urteil 11.07.2016 – 2 O 17/16
Sachverhalt: Der Kläger verlangt im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Abgasskandal die Rückabwicklung eines mit der Beklagten geschlossenen Kfz-Kaufvertrages, nachdem er seine auf den Abschluss dieses Vertrages gerichtete Willenserklärung angefochten hat.
Der Kläger kaufte von der Beklagten im August 2014 einen gebrauchten VW Touran 1.6 TDI zum Preis von 21.449 €. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 05.08.2014 übergeben. Den Kaufpreis beglich der Kläger in Höhe von 2.500 €, indem er sein bisher genutztes Fahrzeug bei der Beklagten in Zahlung gab. Zur Finanzierung des restlichen Kaufpreises nahm der Kläger bei der Volkswagen Bank GmbH ein Darlehen auf.
Das VW Touran des Klägers ist mit einem EA189-Dieselmotor ausgerüstet. Er ist deshalb vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffen, das heißt, bei dem Fahrzeug kommt eine Software zum Einsatz, die den Stickoxidausstoß „schönt“, sobald der VW Touran auf einem Prüfstand einem Emissionstest unterzogen wird. Die vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge werden derzeit von der Volkswagen AG überarbeitet. Der Arbeitsaufwand beläuft bei jedem betroffenen Fahrzeug auf circa eine Stunde, und die Überarbeitung eines jeden Fahrzeugs ist (nur) für die Volkswagen AG mit Kosten von etwa 100 € verbunden.
Mit Schreiben vom 26.11.2015 erklärte der Kläger die Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums (§ 119 II BGB) und hilfsweise die Anfechtung wegen einer arglistiger Täuschung (§ 123 I Fall 1 BGB). Mit weiterem Schreiben vom 05.01.2016 berief sich der Kläger ausschließlich auf einen Eigenschaftsirrtum und forderte die Beklagte zur Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung verminderten Kaufpreises auf.
Der Kläger, der an der Arglistanfechtung ausdrücklich nicht mehr festhält, behauptet, er habe sich mit Blick auf die Schadstoffemissionen seines Fahrzeugs über eine verkehrswesentliche Eigenschaft geirrt. Darüber hinaus ist er der Auffassung, die Fahrzeugherstellerin habe das Fahrzeug manipuliert und dadurch ihn – den Kläger – als Käufer bewusst getäuscht.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises oder Schadensersatz.
1. Der Kläger kann seinen Rückzahlungsanspruch nicht aus §§ 346 I, 323, 433 BGB herleiten. Dabei kann dahinstehen, ob die Anfechtungserklärung des Klägers auch als Rücktrittserklärung umgedeutet werden kann. Es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß § 323 I BGB.
Die im Fahrzeug des Klägers verbaute Software ist gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB mangelhaft, da sie die Abgaswerte, mithin den Ausstoß von Stickoxid, im Prüfstand schönt. Insofern weist das Fahrzeug keine Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf. Ein Käufer kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise der Stickoxidausstoß reduziert wird. Dies begründet für sich gesehen bereits einen Sachmangel, unabhängig davon, ob sich das Fahrzeug für die gewöhnliche Verwendung im Straßenverkehr eignet (LG Münster Urt. v. 14.03.2016 – 011 O 341/15, juris Rn. 18; LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15, juris Rn. 21).
Der Rücktritt scheitert jedoch an der fehlenden Fristsetzung zur Nacherfüllung. Gemäß §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 I BGB setzt der Rücktritt des Käufers wegen eines behebbaren Mangels voraus, dass eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt bzw. beim Verbrauchsgüterkauf jedenfalls zur Nacherfüllung aufgefordert wird. Der Kläger forderte die Beklagte dagegen nie zur Nacherfüllung auf, sondern forderte sofort die Rückzahlung des Kaufpreises. Eine Nachbesserung wäre aufgrund der insoweit unbestrittenen Angaben der Beklagten durch Überarbeitung der Software ohne Weiteres möglich.
Eine Fristsetzung war auch nicht nach § 323 II Nr. 3 BGB entbehrlich. Zwar begründet eine arglistige Täuschung i. S. von § 123 BGB regelmäßig Umstände, die eine Fristsetzung entbehrlich machen. Eine solche Täuschung durch die Beklagte hat der Kläger jedoch nicht dargetan. Zum einen erklärt der Kläger in der Klageschrift, dass er an dem Aspekt der arglistigen Täuschung nicht mehr festhalten möchte. Zum anderen lässt sich seinem Vortrag allenfalls eine arglistige Täuschung durch den Hersteller, nicht jedoch durch den Händler, also die Beklagte, entnehmen. Dass sich die Beklagte die arglistige Täuschung des Herstellers zurechnen lassen muss, ist nicht ersichtlich. Der Kläger führt nicht aus, in welchem Verhältnis die Beklagte zum Hersteller steht und welchen Einfluss der Hersteller auf den Abschluss des Kaufvertrages hatte. Soweit der Kläger pauschal behauptet, dass sich aus den derzeit geführten Rechtstreiten erkennen lasse, dass die Beklagte in diesem Rechtsstreit vom VW-Konzern „fremdgesteuert“ werde, genügt er seinen Anforderungen an die Darlegungslast im Hinblick auf die Zurechnung der arglistigen Täuschung nicht. Selbst wenn die Beklagte vom VW-Konzern bei der Abwehr der Klageforderung unterstützt würde, so lässt dies keinen Rückschluss darauf zu, dass diese bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschluss zusammengewirkt haben.
Da eine arglistige Täuschung durch die Beklagte nicht ersichtlich ist, scheitert der Rücktritt jedenfalls an dem fehlenden Nacherfüllungsverlangen.
2. Der Kläger kann einen Rückzahlungsanspruch des Kaufpreises auch nicht auf § 812 I 1 Fall 1 BGB stützen, da der Kaufvertrag als Rechtsgrund nicht durch Anfechtung erloschen ist.
a) An einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung hält der Kläger explizit nicht mehr fest. Im Übrigen liegt eine solche aus den oben genannten Gründen nicht vor.
b) Die Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums gemäß § 119 II BGB scheitert am Vorrang der Mängelrechte. Ab Gefahrübergang regelt § 437 BGB als lex specialis die Rechte des Käufers, soweit der Irrtum über die verkehrswesentliche Eigenschaft gleichzeitig die Mangelhaftigkeit der Sache begründet. Hintergrund ist, dass dem Verkäufer über die §§ 434 ff. BGB ein Recht zur zweiten Andienung eingeräumt wird, dass nicht durch Rückgriff auf § 119 II BGB umgangen werden soll (Ahrens, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 119 Rn. 5; Jauernig/Mansel, BGB, § 119 Rn. 16; BGH, Beschl. v. 18.10.2007 – V ZB 44/07, NJW-RR 2008, 222 Rn. 9). Wie bereits dargestellt handelt es sich bei der verbauten Software um einen Sachmangel mit der Folge, dass eine Anfechtung nach § 119 II BGB ausgeschlossen ist.
3. Da der Kläger gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung bzw. Rückabwicklung des Kaufvertrages hat, stehen ihm nicht die daran anknüpfenden Schadensersatzansprüche (Zinsschaden und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) zu, und die Beklagte befindet sich auch nicht im Annahmeverzug. …