Ein Kfz-Vertragshändler, der auch eine Kfz-Werkstatt betreibt, handelt grob fahrlässig i. S. von § 442 I 2 BGB, wenn er ein Fahrzeug von einem privaten Verkäufer ohne eingehende Untersuchung kauft, obwohl er weiß, dass das Fahrzeug einen größeren, von dem privaten Verkäufer zum Teil selbst beseitigten Unfallschaden erlitten hat.

OLG Schleswig, Urteil vom 04.11.2005 – 4 U 46/05

Sachverhalt: Die Klägerin, eine Kfz-Vertragshändlerin mit Fachwerkstatt, erwarb von dem Beklagten am 21.09.2002 einen gebrauchten VW Polo. Vor Abschluss des Kaufvertrags hatte der Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass das Fahrzeug einen Unfallschaden im Umfang von 10.000 € erlitten habe, den er – der Beklagte – teilweise selbst repariert habe. Die Klägerin untersuchte den VW Polo erst, nachdem ihr der Beklagte das Fahrzeug nach Abschluss des Kaufvertrags endgültig überlassen hatte. Dabei stellte sie fest, dass der – unstreitig verkehrssichere – Pkw einen schlecht reparierten Heckschaden aufweist, dessen fachgerechte Beseitigung einen Kostenaufwand von 8.445,87 € erfordert.

Der auf Zahlung dieses Betrags gerichteten Klage hat das Landgericht stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg.

Aus den Gründen: II. … Der Beklagte haftet der Klägerin wegen vorhandener Sachmängel an dem … veräußerten Fahrzeug … nicht, da diesbezügliche Rechte der Klägerin auf Schadensersatz … bzw. Minderung … gemäß § 442 I 2 BGB ausgeschlossen sind.

1. Denn die Klägerin handelte grob fahrlässig, als sie das Fahrzeug des Beklagten ohne eine eingehende Untersuchung auf noch vorhandene Mängel ankaufte. Dabei kann dahinstehen, inwieweit überhaupt – unter Berücksichtigung der Angaben des Beklagten bei dem Verkauf des Fahrzeugs – Sachmängel vorlagen.

a) Die Klägerin traf in Anbetracht der Erklärungen des Beklagten, das Fahrzeug habe einen Unfallschaden von 10.000 € erlitten und der Schaden sei teilweise selbst repariert worden, eine weitergehende Untersuchungsobliegenheit. Denn diese Tatsache legte für die Klägerin, eine Fachwerkstatt, den Schluss nahe, dass der Unfallschaden nicht in der Art und Weise beseitigt worden war, wie es ihrem Standard entsprochen hätte.

So ist es ohnehin im Kfz-Handel heute allgemein üblich, einen Gebrauchtwagen vor der Hereinnahme jedenfalls einer Sicht- und Funktionsprüfung zu unterziehen. Dabei hat sich die Sicht- und Funktionsprüfung an den Angaben des Verkäufers zum Zustand des Fahrzeugs zu orientieren, will sich der Aufkäufer nicht dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit ausgesetzt sehen. Erfährt die aufkaufende Fachwerkstatt von einem Unfallschaden – hier ein Schaden von immerhin 10.000 € – und den Umständen der Reparatur – hier teilweise Eigenreparatur –, muss ihre Sicht- und Funktionsprüfung gerade auch dies mit einbeziehen; sie darf das Fahrzeug nicht nur oberflächlich untersuchen. Aufgrund ihrer Fachkenntnis ist sie gerade in Anbetracht der gegebenenfalls zu erwartenden mängelbehafteten Reparatur verpflichtet, dieses genauer zu untersuchen als ein Fahrzeug ohne Unfallschaden. Ein Händler, der auf diese selbstverständliche Vorsichtsmaßnahme verzichtet und damit seine Sachkunde und seine technischen Apparate bewusst ungenutzt lässt, kauft das Fahrzeug so, wie es ist, zumal hier ohne großen Aufwand das Ausmaß der verbliebenen Schäden laut Sachverständigengutachten zu erkennen war. Das Händlerverhalten ist damit jedenfalls als grobe Fahrlässigkeit i. S. von § 442 I 2 BGB zu werten (vgl. dazu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl., Rn. 1563 m. w. Nachw.).

b) Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dem Zeugen G seien die – nach den Ausführungen im Sachverständigengutachten durchaus erkennbaren – Mängel nicht aufgefallen, da der Zeuge G lediglich Verkäufer, nicht aber Techniker sei.

Zum einen ist nicht auf die Fachkenntnis des Zeugen G abzustellen. Denn anders als im Strafrecht gilt im Zivilrecht ein objektiver, auf die allgemeine Verkehrsbedürftigkeit ausgerichteter Sorgfaltsmaßstab (Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 276 Rn. 15 m. w. Nachw.), der zur Folge hat, dass der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht dadurch ausgeräumt werden kann, dass der Schuldner sich auf fehlende Fachkenntnisse beruft, sofern diese nicht dem objektiven Sorgfaltsmaßstab entsprechen (vgl. auch Reinking/Eggert, a a O., Rn. 1549). Da es sich bei der Klägerin um eine Fachwerkstatt handelt, ist mithin der insoweit vorhandene technische Sachverstand maßgeblich. Es bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Kfz-Mechaniker die auf eine unfachmännische Reparatur hinweisenden verbliebenen Mängel bzw. Anzeichen nicht erkannt hätte. Im Gegenteil sind bei Durchsicht des Fahrzeugs, die offenbar unmittelbar nach Kaufabschluss stattgefunden hat (durch den Zeugen W wohl am folgenden Montag, vgl. sogenanntes DEKRA-Formular) ein „schlecht reparierter Heckschaden“ sowie weitere kleinere Mängel sofort festgestellt worden. Nach den Ausführungen im Gutachten hätten auch bereits am Tag des Ankaufs die ohne Weiteres erkennbaren unterschiedlichen Spaltbreiten (3–8 mm) im Heckbereich als Hinweis auf den schlecht reparierten Schaden auffallen müssen.

c) Die Klägerin entlastet auch nicht, dass am Sonnabend ihre Werkstatt unterbesetzt war, sodass offenbar eine fachmännische Prüfung des anzukaufenden Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt nicht möglich war. Denn insoweit trifft die Klägerin ein Organisationsverschulden, zumal sie davon ausgehen muss, dass gerade am Wochenende Kaufinteressenten erscheinen, die wiederum gebrauchte – und damit gegebenenfalls zu überprüfende – Fahrzeuge in Zahlung zu geben wünschen. Sofern eine Überprüfung aus Personalgründen nicht möglich sein sollte, ist der Klägerin zuzumuten, den Vertragsabschluss über den Ankauf des Fahrzeugs auf den nächstfolgenden Tag, an dem eine Untersuchung möglich ist, zu verschieben. Fragen des personellen Managements fallen allein in den Risikobereich des Fachhändlers und nicht in den des Vertragspartners, zumal in der Regel Hintergrund des Wunsches des Fachhändlers auf – schnellen – Ankauf des Gebrauchtwagens der damit verbundene Verkauf eines anderen Fahrzeugs ist.

2. Dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit seitens der Klägerin steht auch nicht der Arglisteinwand gegenüber dem Beklagten entgegen (§ 442 I 2 BGB). Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der Beklagte sie bei Inzahlunggabe seines Fahrzeugs arglistig getäuscht hat.

a) Zwar hat der Verkäufer den Käufer richtig und vollständig über Mängel aufzuklären, die ihm bekannt sind, die Offenbarungspflicht geht umso weiter, je unkundiger der Käufer ist (BGH, Urt. v. 21.01.1981 – VIII ZR 10/80, NJW 1981, 928, 929; Urt. v. 29.01.1975 – VIII ZR 101/73, NJW 1975, 642, 644). Der Beklagte hat die Klägerin hier jedoch über alle Tatsachen informiert, deren Mitteilung von ihm nach der Verkehrsauffassung zu erwarten war.

Er hat die Klägerin zum einen darauf hingewiesen, dass das Fahrzeug einen Unfallschaden in einem Umfang von 10.000 € gehabt hatte. Dies ergibt sich unzweideutig aus dem entsprechenden Vermerk im sogenannten DEKRA-Formular. Auch der Zeuge G, Mitarbeiter der Klägerin, hat bekundet, der Beklagte habe ihm gegenüber als Schadenshöhe 10.000 € angegeben. Hinweise darauf, dass der Beklagte erklärt habe, der Unfallschaden sei für 10.000 € repariert worden, wie die Klägerin behauptet, liegen nicht vor und erscheinen auch im Hinblick auf die weitere Mitteilung des Beklagten, er habe den Schaden teilweise selbst repariert, wenig plausibel. Dass der Beklagte die Klägerin aber auch auf Letzteres vor Abschluss des Kaufvertrages hingewiesen hat, hat die Klägerin bereits in ihrem vorprozessualen Schreiben vom 10.03.2003 eingeräumt.

Einer weitergehenden Aufklärung bedurfte es seitens des Beklagten zunächst nicht, denn der Umfang der Aufklärungspflicht ist stets auch von den Erkenntnismöglichkeiten und -fähigkeiten des Kfz-Händlers abhängig (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 1679). Der Beklagte konnte, da es sich bei der Klägerin um eine Fachhändlerin und Fachwerkstatt handelte, davon ausgehen, dass sie durch gezielte Nachfrage die genaue Art und Weise der Reparatur abklären oder aber das Fahrzeug vor Ankauf selbst eingehend untersuchen würde, zumal die unterschiedlichen Spaltbreiten im Heckbereich offensichtlich waren. Denn die Mitteilung des Beklagten, den Schaden teilweise selbst repariert zu haben, ließ in jedem Fall für die Klägerin die Frage offen, ob diese – teilweise – Eigenreparatur in Anbetracht des schweren Schadens sowohl in Umfang als auch Qualität dem Standard einer Fachfirma entsprach, den sie nunmehr … ihrer Klagforderung zugrunde legt. Im Gegenteil warf die diesbezügliche Mitteilung des Beklagten gerade insoweit erhebliche Zweifel auf, zumal sie auch so hat verstanden werden können, dass ein Teil des Unfallschadens überhaupt unrepariert geblieben war.

In Anbetracht der Fachkenntnis auf Klägerseite hieße es die Aufklärungspflicht überzustrapazieren, wenn der Beklagte von sich aus von vornherein hätte darlegen müssen, wie er im Einzelnen – und mit welchen gegebenenfalls verbliebenen Restschäden – den Unfallschaden beseitigt hatte. Hier veräußerte der Beklagte das Fahrzeug nicht an einen Privatkäufer, sondern an einen Käufer, der als Händler und Fachwerkstatt über außerordentliche Fachkenntnis und alle technischen Möglichkeiten zur Überprüfung verfügte und bei dem deshalb auch im Hinblick auf die Mitteilungen des Beklagten von einem entsprechenden Problembewusstsein auszugehen war. Eine eigene Untersuchung seitens der Klägerin wäre deshalb auch zu erwarten gewesen, ebenso wie weitere diesbezügliche Fragen. Erst Letztere hätten gegebenenfalls eine weitere Aufklärungspflicht des Beklagten begründet. Davon hat die Klägerin aber abgesehen. Mithin brauchte der Beklagte aber von sich aus nicht auf weitere Einzelheiten hinzuweisen.

b) Auch die weitere – subjektive – Voraussetzung der Arglisthaftung, der Verkäufer habe gewusst oder damit gerechnet, dass der Käufer den Mangel nicht kenne (sog. Wissenselement 2; vgl. Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 1625 m. w. Nachw.), hat die Klägerin unter Berücksichtigung des Vorstehenden nicht hinreichend dargelegt. Die Tatsache, dass der Beklagte der Klägerin den erheblichen Schadensumfang mitteilte und auf die teilweise Eigenreparatur hinwies, lässt nicht den Schluss zu, dass er damit rechnete, Art und Umfang der Reparatur sowie verbliebene Restmängel würden der Klägerin, einer Fachwerkstatt, verborgen bleiben. …

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