1. Der Käufer eines Neuwagens darf erwarten, dass das Fahrzeug die durch die einschlägige Norm (hier: „Euro 5“) vorgegebenen Emissionsgrenzwerte tatsächlich und nicht nur dann einhält, wenn es – was eine spezielle Software erkennt – einem Abgastest unterzogen wird.
  2. Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen und deshalb mangelhaften Neuwagens muss dem Verkäufer vor einem Rücktritt vom Kaufvertrag grundsätzlich die Möglichkeit zur Nacherfüllung geben.

LG Paderborn, Urteil vom 17.05.2016 – 2 O 381/15

Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der Beklagten aufgrund einer Bestellung vom 29.10.2013 einen Neuwagen, der am 07.11.2013 erstzugelassen und dem Kläger am 08.11.2013 übergeben wurde.

In dem Fahrzeug, das in die Emissionsklasse „Euro 5“ eingestuft wurde, befindet sich ein Dieselmotor des Typs EA189. Bei diesem Motor wird die Abgasrückführung von einer speziellen Software gesteuert, die zwischen zwei verschiedenen Betriebsmodi wechseln kann. Die Auswahl des Betriebsmodus – 0 oder 1 – erfolgt in Abhängigkeit davon, ob das Fahrzeug einem Abgastest unterzogen wird und dafür einen bestimmten Fahrzyklus durchfährt. Ist dies der Fall, so aktiviert die Software den Betriebsmodus 1, während das Fahrzeug im normalen Straßenverkehr automatisch im Betriebsmodus 0 betrieben wird. In diesem Modus sind die NOX-Emissionen höher als im Betriebsmodus 1, das heißt, im Betriebsmodus 0 werden mehr Stickoxide ausgestoßen als im Betriebsmodus 1.

Nach Bekanntwerden dieser Problematik entwickelte die Beklagte in Abstimmung mit dem Kraftfahrt- Bundesamt einen Zeit- und Maßnahmenplan, nach dem die technische Überarbeitung der Fahrzeuge mit dem Dieselmotor „EA189“ für September 2016 vorgesehen ist.

Der Kläger hat vor diesem Hintergrund mit Schreiben vom 02.11.2015 gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und die Beklagte zur Abgabe eines Rücknahmeangebots aufgefordert. Die Beklagte ging darauf nicht ein.

Der Kläger meint, sein Fahrzeug weise einen erheblichen Mangel auf, und behauptet, dass es im realen Fahrbetrieb die einschlägigen Emissionsgrenzwerte („Euro 5") deutlich überschreite. Die von der Beklagten angegebenen Werte und auch die vorgeschriebenen Grenzwerte halte das Fahrzeug nur ein, wenn es – im Betriebsmodus 1 – einem Abgastest unterzogen werde, nicht jedoch im realen Fahrbetrieb (Betriebsmodus 2). Der Kläger ist der Auffassung, dass die Software, die in seinem Fahrzeug zum Einsatz kommt, eine eine unzulässige Abschaltvorrichtung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 sei und dazu führe, dass das Fahrzeug nicht mehr dem genehmigten Typ entspreche. Einer Frist zur Nachbesserung – so meint der Kläger – habe es nicht bedurft, weil die Beklagte eine Nachbesserung erst im September 2016 vornehmen wolle und ihm, dem Kläger, ein derart langes Abwarten nicht zumutbar sei. Der Kläger hält im Übrigen für möglich, dass die von der Beklagten beabsichtigten Maßnahmen zu einer Veränderung der Verbrauchswerte, der Leistung und der Geräuschemissionen seines Fahrzeugs führen werden.

Seine im Wesentlichen auf Zahlung von 23.255,69 € nebst Zinsen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. 1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen in Höhe von insgesamt 23.255,69 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus § 346 I BGB i. V. mit §§ 437 Nr. 2, 323 I, II, 320, 348 BGB oder sonstigen Rechtsgründen zu.

Zwar haben die Parteien des Rechtsstreits einen Kaufvertrag i. S. von § 433 BGB geschlossen …

Auch geht das Gericht davon aus, dass das streitgegenständliche Fahrzeug einen Sachmangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB aufweist.

Nach der vorbenannten Vorschrift ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.

Im vorliegenden Fall eignet sich das streitgegenständliche Fahrzeug grundsätzlich für den Fahrbetrieb und somit für die gewöhnliche Verwendung. Jedoch verfügt es nicht über eine Beschaffenheit, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die ein Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Ein Käufer eines Neufahrzeugs darf annehmen, dass das Fahrzeug hinsichtlich des Schadstoffausstoßes die für die Emissionsklasse „Euro 5“ vorgegebenen Grenzwerte im Rahmen des für die Einstufung maßgeblichen Prüfverfahrens auch tatsächlich einhält und dieses Ergebnis nicht nur aufgrund einer speziellen in dem Fahrzeug verbauten Software suggeriert wird, die den künstlichen Fahrzyklus erkennt und in einen Betriebsmodus schaltet, der den Stickoxidausstoß reduziert.

Dem Rücktritt steht jedoch entgegen, dass der Kläger der Beklagten keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat.

Nach § 323 I BGB kann der Gläubiger im Fall einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung des Schuldners vom Vertrag zurücktreten, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt hat. Vorliegend hat der Kläger jedoch die sofortige Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs von der Beklagten gefordert, ohne ihr vorher die Gelegenheit zur Mangelbeseitigung gewährt zu haben.

Die Einräumung einer Gelegenheit zur Nacherfüllung war nicht entbehrlich. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB nicht vor.

Nach § 440 Satz 1 Fall 3 BGB bedarf es außer in den Fällen des § 281 II BGB und § 323 II BGB der Fristsetzung … auch dann nicht, wenn dem Käufer die Nacherfüllung unzumutbar ist. Dabei ist die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung – im Gegensatz zu der Vorschrift des § 323 II Nr. 3 BGB – allein aus der Perspektive des Käufers zu bestimmen und kann sich aus der Person des Verkäufers, der Art der Mangelhaftigkeit sowie den mit der Nacherfüllung verbundenden Begleitumständen ergeben (vgl. BeckOK-BGB/Faust, Stand: 01.08.2014, § 440 Rn. 35 ff.).

Dies zugrunde gelegt kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger die von der Beklagten weiterhin angebotene Nacherfüllung unzumutbar ist. Der von dem Kläger beanstandete Mangel in Form des erhöhten Abgasausstoßes im gewöhnlichen Fahrbetrieb führt zu keinerlei funktionellen Beeinträchtigung in der Nutzung des Fahrzeugs. Insbesondere verfügt das Fahrzeug nach wie vor über alle erforderlichen Genehmigungen zur Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr. Eine Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Erklärung des Rücktritts durch den Kläger im November 2015 eine Nacherfüllung für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp erst für September 2016 angeboten hatte. Der Kläger war und ist nach wie vor in der Lage, das Fahrzeug bis zu diesem Zeitpunkt ohne für ihn spürbare Beeinträchtigungen weiter nutzen. Erhebliche, über die bloße Zeitspanne bis zur tatsächlichen Vornahme der Nachbesserungsarbeiten hinausgehende Unannehmlichkeiten oder sonstige Nachteile, die mit der angebotenen Nacherfüllung durch die Beklagte einhergehen, sind von dem Kläger jedenfalls nicht hinreichend substanziiert vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Beklagte gegenüber ihren Kunden – und damit auch gegenüber dem Kläger – auf die Einrede der Verjährung für Ansprüche im Zusammenhang mit der Verwendung der Software bis zum 31.12.2017 verzichtet.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund der behaupteten arglistigen Täuschung der Beklagten über den tatsächlichen Schadstoffausstoß des Fahrzeugs im Fahrbetrieb. Unabhängig davon, dass der Kläger nicht substanziiert dazu vorgetragen hat, wann welche verantwortlichen Personen im Konzern Kenntnis von dem Einsatz der Software hatten, was für eine etwaige Wissenszurechnung erforderlich wäre, führt auch eine unterstellte arglistige Täuschung der Beklagten im vorliegenden Fall nicht zur Annahme einer Unzumutbarkeit der Nacherfüllung.

Ein Verlust der Vertrauensgrundlage aufseiten des getäuschten Käufers, der Grund für den Wegfall der Nacherfüllungsmöglichkeit des Verkäufers in diesen Fällen ist, kann jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn besondere Umstände vorliegen (vgl. BGH, Urt. v. 09.01.2008 – VIII ZR 210/06, juris Rn. 20), die erwarten lassen, dass eine ordnungsgemäße Nachbesserung stattfinden wird. Diese sind im vorliegenden Fall darin zu sehen, dass die Nachbesserungsarbeiten der Beklagten in enger Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrt-Bundesamt und damit unter staatlicher Aufsicht erfolgen. In diesem Zusammenhang haben das Kraftfahrt-Bundesamt und die Beklagte einen übergeordneten Maßnahmenplan sowie darauf aufbauend konkrete Umsetzungsvereinbarungen getroffen, um die Nachbesserungsarbeiten an den betroffenen Fahrzeugen zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund, dass die Mangelbeseitigung mithin unter Einbeziehung und in Abstimmung mit den beteiligten Behörden erfolgt, kann derzeit selbst bei einer unterstellten Täuschung der Beklagten von einer Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nach Auffassung des Gerichts nicht ausgegangen werden.

Aus denselben Gründen scheidet auch die Entbehrlichkeit der Fristsetzung zur Nacherfüllung nach der allgemeinen Vorschrift des § 323 II Nr. 3 BGB aus.

Der Kläger kann sich derzeit auch nicht darauf berufen, dass die von der Klägerin angebotene Nacherfüllung nicht dauerhaft und wertminderungsfrei erfolgen könne oder aber zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch führen werde. Dafür, dass die beabsichtigte und von der Beklagten beschriebene Nachbesserung von vorneherein nicht erfolgreich sein kann, ist bislang nichts ersichtlich. Sollten die klägerischen Behauptungen aber tatsächlich zutreffen und die Nachbesserung erfolglos verlaufen, so stünden dem Kläger dann, aber eben erst nach Erfolglosigkeit der Nacherfüllungsbemühungen, gegebenenfalls Gewährleistungsrechte gegen die Beklagte zu, die diesbezüglich bis zum 31.12.2017 auf die Einrede der Verjährung ausdrücklich verzichtet hat.

Nach alledem liegen jedenfalls derzeit die Voraussetzungen für eine Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht vor. Auf die weitere streitige Frage, ob der Rücktritt wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nach § 323 V 2 BGB ausgeschlossen ist, kam es nicht mehr an.

2. Mangels Hauptanspruchs hat der Kläger auch keinen Zinsanspruch aus den §§ 288 I, 286 BGB oder § 291 BGB

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