Der Besitzer eines Kraftfahrzeugs war beim Erwerb des Besitzes dann nicht in gutem Glauben i. S. von § 990 I 1 BGB, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, dass er gegenüber dem Eigentümer nicht zum Besitz berechtigt ist. Grob fahrlässige Unkenntnis erfordert dabei, dass der Besitzer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders hohem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet gelassen hat, was sich im gegebenen Fall jedem hätte aufdrängen müssen (vgl. BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, juris Rn. 11 [zu § 932 II BGB]). Für ihn musste also auch bei nur durchschnittlichem Merk- und Erkenntnisvermögen ohne besonders hohe Aufmerksamkeit und besonders gründliche Überlegung das Fehlen eines Besitzrechts zu erkennen gewesen sein. Insoweit ist ein objektiver Maßstab anzulegen, doch können individuelle Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten des Besitzerwerbers zu einer Verschärfung der Anforderungen an die gebotene Sorgfalt führen.

LG Halle, Urteil vom 12.12.2023 – 4 O 92/23

Sachverhalt: Der Kläger, der gewerblich gebrauchte Fahrzeuge ankaufte und aufarbeitete, kaufte am 16.01.2022 einen Gebrauchtwagen zum Preis von 16.800 €. Nachdem ihm das Fahrzeug übergeben und übereignet worden war, arbeitete der Kläger es mit erheblichem Aufwand auf und verkaufte es anschließend für 25.000 € an A.. In dem Kaufvertrag behielt sich der Kläger das Eigentum an dem Fahrzeug bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises vor.

Der Kläger vereinbarte mit A telefonisch einen Übergabetermin für den 15.02.2022. Zuvor hatte A dem Kläger eine Bankbescheinigung vorgelegt, wonach er den Kaufpreis auf das Konto des Klägers überwiesen hatte. Der Kläger ging daher davon aus, dass er den Kaufpreis umgehend erhalten werde. Am 15.02.2022 übergab der Bruder des Klägers das Fahrzeug, die Originalpapiere und sämtliche Schlüssel dem Abholer. Dieser stattete den Pkw, der ausweislich der Zulassungsbescheinigung Teil I am 24.01.2022 außer Betrieb gesetzt worden war, mit Überführungskennzeichen aus und nahm ihn mit. Den Kaufpreis in Höhe von 24.000 € erhielt der Kläger nie; er erstattete deshalb am 18.02.2022 Strafanzeige.

Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde nach dem 15.02.2022 auf Internetplattformen (u. a. „mobile.de“) für 16.700 € zum Kauf angeboten. Der Sohn des Beklagten S entdeckte den Pkw erstmals am 17.02.2022 und nahm sofort telefonisch Kontakt mit dem Verkäufer auf. Mit diesem wurde vereinbart, dass das Fahrzeug am 18.02.2022 in in Frankfurt a. M. besichtigt und Probe gefahren werde.

Den vereinbarten Termin nahm der Beklagte mit seinem Sohn S wahr. Das Fahrzeug stand an der vereinbarten Adresse am Straßenrand. Ein Mann, der während des gesamten folgenden Verkaufsgesprächs eine hochgezogene Kapuze über dem Kopf und eine Corona-Schutzmaske über dem unteren Teil des Gesichts trug, trat an den Beklagten und S heran und gab sich als Verkäufer des Fahrzeugs zu erkennen. Er hatte zwei Kaufvertragsformulare dabei, die er handschriftlich ausfüllte und die dann unterschrieben wurden. Den vereinbarten Kaufpreis von 16.000 € zahlte der Beklagte in bar; er erhielt im Gegenzug das Fahrzeug mit den dazugehörigen Originalpapieren.

Den Pkw verkaufte der Beklagte sodann für 24.000 € an K.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 02.12.2022 forderte der Kläger den Beklagten auf, ihm bis zum 13.12.2022 Schadensersatz in Höhe von 25.000 € zu leisten. Mit Anwaltsschreiben vom 16.12.2022 wurde der Beklagte ergänzend aufgefordert, an den Kläger außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Der Beklagte lehnte Zahlungen mit anwaltlichem Schreiben vom 20.12.2022 ab.

Der Kläger macht geltend, der Beklagte sei bei der Übergabe des Pkw am 18.02.2022 nicht in gutem Glauben gewesen und habe daher kein Eigentum an dem Fahrzeug erworben. Zu seinen – des Klägers – Lasten habe jedoch der gutgläubige K Eigentum an dem Pkw erworben, und wegen dieses Eigentumsverlusts müsse der Beklagte Schadenersatz leisten in Höhe von 24.000 € nebst Zinsen leisten. Außerdem habe der Beklagte vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.156,20 € nebst Zinsen zu ersetzen.

Der Beklagte hat eingewandt, er sei gutgläubig Eigentümer des streitgegenständlichen Pkw geworden. Der Verkäufer habe sich telefonisch und auch am 18.02.2022 in Frankfurt a. M. als V vorgestellt, und dieser Namen sei auch den ihm – dem Beklagten – übergebenen Originalfahrzeugpapiere vermerkt. Diese hätten er und sein Sohn genau geprüft. Der Verkäufer habe sogar darauf bestanden, dass er – der Beklagte – ein Ausweisdokument vorlege, wie es bei einer Barzahlung von mehr als 10.000 € vorgeschrieben sei. Warum das Fahrzeug in Frankfurt a. M. übergeben werde, habe der Verkäufer in dem vor dem 18.02.2022 geführten Telefonat erklärt. Anhaltspunkte dafür, dass der streitgegenständliche Pkw gestohlenen worden sein könnte, habe es nicht gegeben.

K – so hat der Beklagte behauptet – sei am 09.04.2022 von dem Kaufvertrag über den Pkw zurückgetreten. Er habe daraufhin eine Anzahlung in Höhe von 1.500 € zurückerhalten und den restlichen Kaufpreis in Höhe von 22.500 € nicht gezahlt. Er – der Beklagte – habe das Fahrzeug mittlerweile für 20.000 € an einen anderen Käufer veräußert.

Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg.

Aus den Gründen: Die Klage ist mit Ausnahme eines Teils des geltend gemachten Zinsanspruchs … begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 24.000 € gegen den Beklagten aus §§ 989, 990 I 1, § 249 I BGB.

Der Kläger war trotz der Übergabe des Kraftfahrzeugs durch seinen Bruder B am 15.02.2022 an den mutmaßlichen Käufer A Eigentümer des Kraftfahrzeugs geblieben, denn in dem Kaufvertrag vom 09.02.2022 war ein Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung vereinbart. Eine Zahlung des Kaufpreises durch A erfolgte zu keiner Zeit.

Der Verkäufer, der dem Beklagten am 18.02.2022 das Kraftfahrzeug in Frankfurt a. M. übergab, war nicht zum unmittelbaren Eigenbesitz an dem Kraftfahrzeug berechtigt. Zwar hatte der Kläger durch seinen Bruder das Fahrzeug seinem vermeintlichen Käufer A übergeben, sodass dieser zunächst berechtigten unmittelbaren Fremdbesitz im Rahmen des geschlossenen Kaufvertrages erhielt, während der Kläger aufgrund des vereinbarten Eigentumsvorbehalts an dem Kraftfahrzeug mittelbarer Eigenbesitzer wurde. Indem der Käufer des Klägers jedoch seine Pflichten aus dem Kaufvertrag nicht erfüllte, diesen nicht anerkannte und das nicht in seinem Eigentum stehende Kraftfahrzeug zum Kauf anbot, beendete er das Besitzmittlungsverhältnis rechtswidrig, sodass sein vorgetäuschter unmittelbarer Eigenbesitz rechtsfehlerhaft wurde.

Der Beklagte war am 18.02.2022 bei dem Erwerb des Besitzes an dem Kraftfahrzeug nicht gutgläubig i. S. des § 990 I 1 BGB, sondern bösgläubig.

Bösgläubig handelt ein Käufer, der beim Kauf den Mangel des Besitzrechts des Verkäufers kennt oder grob fahrlässig nicht kennt. Grob fahrlässige Unkenntnis des Käufers liegt dabei vor, wenn er als Besitz- und Eigentumserwerber die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders hohem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall sich jedem hätte aufdrängen müssen (vgl. BGH, Urt. v. 18.06.1980 – VIII ZR 119/79, BGHZ 77, 274, 277; Urt. v. 01.03.2013 – , juris Rn. 11). Für den Käufer als Erwerber muss auch bei unterstelltem nur durchschnittlichem Merk- und Erkenntnisvermögen ohne besondere Aufmerksamkeit und ohne besonders gründliche Überlegungen aufgrund der Gesamtumstände und der Person des Veräußerers erkennbar gewesen sein, dass der Verkäufer/​Veräußerer Nichteigentümer (und damit i. S. des § 990 BGB auch kein berechtigter Eigenbesitzer) war (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14). Die Bösgläubigkeit bestimmt sich nach objektiven Kriterien, sodass die persönlichen Verhältnisse des Käufers/​Erwerbers und Handelsgewohnheiten den Maßstab nicht vermindern, wohl aber verschärfen können (vgl. BGH, Urt. v. 02.12.1958 – VIII ZR 212/57, LM Nr. 12 zu § 932 BGB = BeckRS 1958, 31195388; Urt. v. 23.05.1966 – VIII ZR 60/64, LM Nr. 21 zu § 932 BGB = BeckRS 1966, 31180082).

Im vorliegenden Fall sprechen gewichtige Umstände gegen eine Bösgläubigkeit des Beklagten. Denn ihm wurde das Fahrzeug mit allen Originalpapieren und Originalschlüsseln übergeben. Über diese verfügt im Normalfall nur der berechtigte Eigenbesitzer und Eigentümer. Hier war der Käufer des Klägers und Verkäufer des Beklagten jedoch durch einen Betrug an die Originalpapiere und die Originalschlüssel gelangt, sodass eine genaue Prüfung der Papiere die fehlende Berechtigung des Verkäufers nicht zeigen konnte und zudem der Verkäufer daraus alle relevanten Informationen über das Fahrzeug, wie beispielsweise die Daten der Erstzulassung oder der Abmeldung, entnehmen und im Verkaufsgespräch richtig wiedergeben konnte.

Gleichwohl hätte der Beklagte anhand der Gesamtumstände des Verkaufstermins am 18.02.2022 die Nichtberechtigung der das Fahrzeug am 18.02.2022 übergebenden Person anhand folgender Umstände bemerken können und müssen:

Das Fahrzeug wurde an einem circa 200 km vom Wohnort des scheinbaren Verkäufers entfernten Ort übergeben.

Der Verkaufstermin am 18.02.2022 fand als sogenannter Straßenverkauf statt. Dabei wird das zu verkaufende Kraftfahrzeug am Straßenrand einer öffentlichen Straße oder auf einem öffentlichen Parkplatz verkauft, also an einem öffentlichen, jedermann zugänglichen Ort ohne Bezug zu einem Betriebs- oder Privatgrundstück des Verkäufers oder der verbrieften Wohnanschrift des Verkäufers. Den Treffpunkt hatte der Verkäufer vorgegeben, der damit Gelegenheit hatte, vorab das Fahrzeug an einer geeigneten Stelle fernab vom Wohnsitz des früheren Eigentümers bereitzustellen.

Das Fahrzeug wurde zu einem auffällig günstigen Preis verkauft, denn sowohl der Kläger als auch der Beklagte verkauften das Fahrzeug für 25.000 € beziehungsweise 24.000 €, der Beklagte bezahlte dagegen nur 16.000 €, mithin circa zwei Drittel des Marktwerts, was ihm auch bekannt war, wie sich an dem später von ihm geforderten Kaufpreis zeigte.

Der Kaufpreis wurde trotz der Höhe von mehr als 10.000 € in bar an Ort und Stelle auf der Straße gefordert und entrichtet. Der Verkäufer war während des ganzen Verkaufsgesprächs mit Kapuze und Gesichtsmaske vermummt, sodass von Kopf und Gesicht nur die Augen zu sehen waren.

Dass der Beklagte, der zusammen mit seinem Sohn S, der zum Verkaufstermin mit vor Ort war, einen gewerblichen Kraftfahrzeuge-Auktionshandel betrieb, führt dazu, dass die genannten Umstände ihm als erfahrenen Käufer von Gebrauchtfahrzeugen besonders auffallen mussten. Denn im Gegensatz zu Privatkäufern, die regelmäßig nur selten und wenige Male im Leben Gebrauchtfahrzeuge kaufen, gehörte das Ankaufen von Gebrauchtfahrzeugen zum Beruf des Beklagten, sodass er über Erfahrung verfügte. So war davon auszugehen, dass dem Beklagten der wesentlich unter dem Marktwert liegende Kaufpreis des durch den Kläger bereits hergerichteten Kraftfahrzeugs auffiel. Dies erklärt auch, wieso der Beklagte bereit war, bereits am Tag nach dem ersten Telefonat mit dem Verkäufer am 17.02.2022 in aller Frühe am 18.02.2022 die erhebliche Entfernung von jeweils zwischen 300 und 400 km zwischen seinem Wohnsitz in W. oder gegebenenfalls auch seinem Betriebssitz in Bfür einen Verkaufstermin in Frankfurt a. M. um 9.00 Uhr auf sich zu nehmen.

Wenn dem Beklagten aber der „Schnäppchenpreis“ des Kraftfahrzeugs sehr wahrscheinlich aufgefallen war, musste er eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die weiteren Umstände des Verkaufstermins legen. Denn es war die Frage aufgeworfen, wieso das Fahrzeug in diesem Zustand zu zwei Drittel des Marktwerts verkauft wurde. Vor Ort konnte der Beklagte als Fachmann für gebrauchte Kraftfahrzeuge erkennen, dass der „Schnäppchenpreis“ nicht am Zustand des vom Kläger kurz zuvor aufgearbeiteten Fahrzeugs liegen konnte. Ihm trat ein mit Kapuze und Corona-Gesichtsmaske völlig vermummter angeblicher Privatverkäufer weit ab von dessen angeblicher Adresse in einem eiligen Straßenverkauf gegenüber mit einem Barzahlungsverkaufsangebot bei einem weit über 10.000 € liegenden Verkaufspreis. Hier hätte sich dem Beklagten aufdrängen müssen, dass mit dem Verkauf trotz der augenscheinlich ordnungsgemäßen – weil echten – Fahrzeugpapiere etwas nicht stimmen könnte. Der Beklagte hätte sich bei diesen Gesamtumständen ein Ausweisdokument des Verkäufers zeigen lassen müssen, da sich aus den übrigen Gesamtumständen dessen Identität eben nicht ergab und Verdachtsmomente für ein rechtswidriges Geschäft klar erkennbar waren.

Der Schadenersatzanspruch des Klägers aus §§ 989, 990 I 1 BGB besteht der Höhe nach im geltend gemachten Umfang von 24.000 €.

Zu ersetzen ist gemäß § 989 BGB der Schaden, der dem Kläger dadurch entstanden ist, dass der Beklagte ihm das Kraftfahrzeug wegen des unstreitigen gutgläubigen Erwerbs des Eigentums an dem Kraftfahrzeug durch einen Dritten gemäß § 929 Satz 1, § 932 I 1, II BGB nicht herausgeben kann. Dieser Schaden beziffert sich der Höhe nach aufgrund des Marktwerts des Kraftfahrzeugs, denn der Kläger müsste einen solchen aufwenden, um sich ein vergleichbares Fahrzeug anzuschaffen. Den Marktwert des Fahrzeugs schätzt das Gericht gemäß § 287 I 1 ZPO auf der Grundlage der beiden Verkäufe durch den Kläger und den Beklagten auf 24.000 €. Keine Rolle spielte bei der Schätzung dagegen der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 07.11.2023 angegebene und vom Kläger bestrittene Verkaufspreis an eine weitere dritte Person in Höhe von 20.000 €, denn diesem lag nach eigenen Angaben des Beklagten der Umstand zugrunde, dass er das Fahrzeug wegen seiner Vorgeschichte möglichst schnell verkaufen wollte.

Der Zinsanspruch in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2022 ergibt sich aus § 286 I, § 288 I BGB. Der Beklagte geriet durch das Mahnschreiben der Klägervertreterin vom 02.12.2022 mit Fristsetzung für eine Zahlung von Schadenersatz von mehr als 24.000 € bis zum 12.12.2022 mit dem 13.12.2022 in Verzug. Die Verzugszinshöhe bestimmt sich nach § 288 I 2 BGB.

Der Kläger hat zudem als weiteren Schadenersatzanspruch aus den §§ 989, 990 I 1, § 249 BGB einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe der geltend gemachten, nicht auf die Prozessgebühren anrechenbaren Rechtsanwaltskosten von 1.156,20 €.

Es besteht hinsichtlich dieses Anspruchs des Klägers auch ein Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2022 aus den § 286 I, II Nr. 3, § 288 I 1 BGB. Mit der Begleichung dieser Forderung, die die Klägervertreterin mit Schreiben vom 16.12.2022 unter Fristsetzung zum 05.01.2023 geltend gemacht hat, geriet der Beklagte durch die ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung durch das Anwaltsschreiben seines Vertreters vom 20.12.2022 ab dem 21.12.2022 in Verzug.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 II Nr. 1 ZPO. …

PDF erstellen