- Der Käufer eines Gebrauchtwagens kann grundsätzlich erwarten, dass er von dem gewerblichen Verkäufer des Fahrzeugs so viele Fahrzeugschlüssel erhält, wie ausweislich des Infotainmentsystems für das Fahrzeug „angelernt“ wurden. Denn das Fehlen eines Schlüssels kann für den Käufer unabhängig davon, ob es sich um einen Funk- beziehungsweise Komfortschlüssel oder einen mechanischen Notschlüssel handelt, versicherungsrechtlich nachteilig sein.
- Ein gewerblicher Gebrauchtwagenverkäufer ist verpflichtet, vor dem Verkauf eines Fahrzeugs in dessen Infotainmentsystem abzufragen, wie viele Fahrzeugschlüssel für das Fahrzeug „angelernt“ wurden.
AG Schöneberg, Urteil vom 24.10.2023 – 17 C 79/23
Sachverhalt: Der Kläger kaufte von der beklagten Gebrauchtwagenhändlerin am 21.01.2023 einen gebrauchten, am 15.05.2018 erstzugelassenen Pkw Audi A6 Allroad 3.0 TDI zum Preis von 36.500 €. In § 2 des Kaufvertrags vereinbarten die Parteien, dass das Fahrzeug wegen diverser Vorschäden und Kratzer und wegen fehlenden Zubehörs nicht den objektiven Anforderungen i. S. von § 434 I, III BGB entspreche. Als fehlendes Zubehör ist allerdings lediglich die Konformitätsbescheinigung (Certificate of Conformity – CoC) aufgeführt.
Bei der Übergabe des Pkw am 10.02.2023 unterschrieb der Kläger ein Auslieferungsprotokoll, in dem die Anzahl der Fahrzeugschlüssel mit „2“ angegeben ist.
Am 28.02.2023 wandte sich der Kläger per E-Mail an den Kundendienst der Beklagten und wies darauf hin, dass für sein Fahrzeug drei Schlüssel „angelernt“ worden seien. Eine Deaktivierung des dritten Schlüssels sei nach Auskunft des Herstellers nicht vollständig möglich; jedenfalls könne der Pkw auch mit einem deaktivierten Schlüssel geöffnet werden. Der Kläger forderte die Beklagte – erfolglos – auf, diesen Mangel bis zum 03.03.2023 den Mangel zu beseitigen. Im März und April 2023 forderte der – anwaltlich vertretene – Kläger die Beklagte jeweils erneut unter Fristsetzung auf, das Schloss auszutauschen und ihm neue Schlüssel für sein Fahrzeug zur Verfügung zu stellen. Dabei verwies er auf die Passage in der Betriebsanleitung, wonach ein Schlüsselsatz für das Fahrzeug aus zwei Funk- und Komfortschlüsseln sowie einem Notschlüssel besteht. Weiter heißt es dort:
„Den Verlust eines Schlüssels sollten Sie Ihrer Versicherung melden. Die Anzahl der an das Fahrzeug angelernten Schlüssel können Sie im Infotainment abfragen. […] Damit können Sie sicherstellen, dass Sie beim Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs alle Schlüssel erhalten.“
Im Juni 2023 ließ der Kläger einen neuen Schließzylinder in das streitgegenständliche Fahrzeug einbauen und wandte dafür dafür 817,51 € auf.
Der Kläger behauptet, dass ihm sein früheres Fahrzeug gestohlen worden sei und es ihm daher – auch unter versicherungsrechtlichen Gesichtspunkten – besonders wichtig gewesen sei, den vollständigen Schlüsselsatz für das streitgegenständliche Fahrzeug zu erhalten. Er habe bereits bei der Übergabe des Pkw nach dem dritten Schlüssel gefragt und die Antwort erhalten, es existierten nur zwei Schlüssel. Für sein früheres – baugleiches – Fahrzeug seien drei Schlüssel vorhanden gewesen.
Nachdem der Kläger mit seiner Klage ursprünglich erreichen wollte, dass ihn die Beklagte von den Kosten für den Austausch des Schließzylinders freistellen muss, hat er zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 817,51 € nebst Zinsen und zum Ersatz von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 75,73 € zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und bestritten, dass bei der Erstauslieferung des Fahrzeugs drei Fahrzeugschlüssel vorhanden gewesen seien. Sie hat geltend gemacht, sie selbst habe das streitgegenständliche Fahrzeug nur mit zwei Schlüsseln erworben. Auch die Vorbesitzer hätten nur zwei Originalschlüssel besessen. Ein Austausch der gesamten Schließanlage sei aus Sicherheitsgründen nicht erforderlich gewesen; eine missbräuchliche Verwendung eines dritten Schlüssels durch Unbefugte sei nicht zu befürchten gewesen. Sie – die Beklagte – sei auch nicht verpflichtet gewesen, vor der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger im Infotainment abzufragen, wie viele Schlüsse für den Pkw „angelernt“ worden seien. Dem Kläger habe es freigestanden, auf den Abschluss einer entsprechenden Beschaffenheitsvereinbarung hinzuwirken.
Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Die zulässige Klage ist begründet.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des begehrten Schadensersatzes in Höhe von 817,51 € aus dem abgeschlossenen Kaufvertrag gemäß §§ 434 I, 437 Nr. 3 Fall 1, §§ 280 I, III, 281 I 1 BGB. Danach kann der Käufer Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn die Kaufsache einen Sachmangel hat und der Verkäufer die Beseitigung des Mangels beziehungsweise die Nacherfüllung abgelehnt hat oder diese fehlgeschlagen ist. Die Voraussetzungen liegen vor; der fehlende, aber im Bordcomputer angelernte dritte Schlüssel – wahrscheinlich der mechanische Notschlüssel – stellt (auch bei einem Gebrauchtwagenkauf über einen gewerblichen Händler) einen Sachmangel dar, den die Beklagte trotz mehrfacher Aufforderung mit Fristsetzung nicht i. S. von § 439 I Fall 1 BGB beseitigt hat.
Eine Kaufsache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven und objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht (§ 434 I BGB). Die Parteien haben hinsichtlich der Schlüsselanzahl im Kaufvertrag keine ausdrückliche Beschaffenheit vereinbart. Soweit der Kläger im Auslieferungsprotokoll den Erhalt von zwei Fahrzeugschlüsseln und Papieren bestätigt hat, liegt hierin keine einvernehmliche Vereinbarung zur Anzahl der Schlüssel, sondern nur eine Feststellung zu den neben dem Fahrzeug tatsächlich übergebenen Unterlagen und dem Zubehör. Bei dem hier einschlägigen Verbrauchsgüterkauf wären ferner die einschränkenden Voraussetzungen des § 476 I 2 BGB im Falle einer abweichenden Vereinbarung zu berücksichtigen gewesen.
Ein Sachmangel liegt nach § 434 III BGB objektiv aber auch immer dann vor, wenn die Sache eine Beschaffenheit (Nr. 2) oder ein Zubehör (Nr. 4) nicht aufweist, die bei Dingen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann. Bei Gebrauchtwagen umfasst die übliche Beschaffenheit, dass sie aus dem angegebenen Modelljahr, das die Art bestimmt, stammen (BeckOK-BGB/Faust, Stand: 01.08.2023, § 434 Rn. 95). Ob und welche Zubehörteile und Anleitungen zu übergeben sind, hängt ganz von der Art der Sache ab (BeckOK-BGB/Faust, a. a. O., § 434 Rn. 128).
Hier durfte der Kläger erwarten, dass ihm von der Beklagten entweder alle (angelernten) Schlüssel ausgehändigt werden oder die Verkäuferin auf den fehlenden Schlüssel schriftlich und unter Beachtung der Voraussetzungen des § 476 I 2 BGB im Kaufvertrag hinweist. § 2 des Kaufvertrags sieht hierzu unter Ziffer 2 „fehlende Teile, Zubehör“ vor.
Es handelt sich bei dem Kaufgegenstand zwar um einen Gebrauchtwagen. Sowohl Marke und Zulassungsdatum als auch der vereinbarte Kaufpreis lassen jedoch erkennen, dass es sich um ein hochwertiges Fahrzeug handelt.
Unstreitig sieht die Betriebsanleitung für das streitgegenständliche Fahrzeug einen Schlüsselsatz von insgesamt drei Schlüsseln vor. Weiter heißt es in dieser Anleitung ausdrücklich, dass die Anzahl der an das Fahrzeug angelernten Schlüssel über das Infotainment abgefragt werden könne. Damit könne sichergestellt werden, dass beim Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs alle Schlüssel übergeben werden.
Der Kläger hat durch die Vorlage von Fotos aus dem Infotainment (Anlage K 4) hinreichend nachgewiesen, dass tatsächlich drei Schlüssel für den gekauften Wagen angelernt gewesen sind. Eine Verwechslung ist ausgeschlossen, da auf den Fotos auch die Fahrgestellnummer des Fahrzeugs erkennbar ist. Es sind weder Anhaltspunkte vorhanden noch besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger nach Gefahrübergang und vor dem Austausch des Schließzylinders sowie dem Anlernen der neuen Schlüssel irgendwelche Veränderungen am Infotainment vorgenommen haben könnte. Soweit die Beklagte pauschal bestreitet, dass zu dem Fahrzeug drei Schlüssel gehörten und ein dritter Fahrzeugschlüssel vor dem streitgegenständlichen Verkauf nicht angelernt gewesen sei, setzt sie sich weder mit dem substanziierten Vortrag des Klägers noch mit der Bedienungsanleitung und dem Infotainment auseinander. Sie bestreitet insbesondere nicht, dass die eingereichte Bedienungsanleitung und die fotografischen Auszüge des Bordcomputers zu dem streitgegenständlichen Pkw gehören.
Die Beklagte kann sich für die Bedienungsanleitung auch nicht zu ihren Gunsten auf die von ihr zitierte Entscheidung des BGH (Urt. v. 02.04.2014 – VIII ZR 46/13) berufen. Darin geht es um die Zurechnung eines Verschuldens nach § 278 BGB. Die Verpflichtung des Verkäufers zur Verschaffung einer (objektiv) mangelfreien Sache und die damit korrespondierende Erwartung des Käufers i. S. von § 434 III BGB hat damit nichts zu tun.
Ihr Bestreiten bleibt damit insgesamt unbeachtlich (§ 138 II ZPO).
Es geht auch nicht um die unstreitig übergebenen zwei Originalschlüssel, sondern (wohl) um den separaten mechanischen Notschlüssel. Der klägerische Vortrag ist insoweit nicht unsubstanziiert. Denn der Kläger kann weitere Angaben zu dem fehlenden Schlüssel naturgemäß nicht machen. Da ein fehlender Schlüssel – unabhängig davon, ob es sich um einen weiteren Funk-/Komfortschlüssel oder den mechanischen Notschlüssel handelt – Auswirkungen auf die Kaskoversicherung haben kann, kann ein Käufer auch erwarten, dass er die Anzahl von Schlüsseln von dem gewerblichen Verkäufer erhält, die tatsächlich im Bordcomputer für das Fahrzeug angelernt sind.
Entgegen der Auffassung der Beklagten trifft sie diesbezüglich durchaus eine zumutbare Pflicht zur Abfrage des Bordcomputers vor dem Verkauf, welche ohne weitere Mühe möglich ist. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH, Urt. v. 28.03.2023 – VI ZR 19/22, juris Rn. 13). Durch die unberechtigte Nutzung des Notschlüssels (auch durch die Nachbestellung und das Inverkehrbringen von Ersatzschlüsseln) kann eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug geschaffen werden, welche die Gefahr des Missbrauchs durch Unbefugte in sich trägt (BGH, Urt. v. 28.03.2023 – VI ZR 19/22, juris Rn. 17). Dieser Gefahr kann durch Abfrage der angelernten Schlüssel vorgebeugt werden. Dass eine solche Handhabung der Erwartung der betroffenen Verkehrskreise entspricht, ergibt sich bei Gesamtschau auch aus den Empfehlungen in der Bedienungsanleitung.
Aufgrund der objektiven Anforderung an das Zubehör des streitgegenständlichen Pkw (§ 434 III 1 Nr. 4 BGB) kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie selbst habe das Fahrzeug nur mit zwei Originalfahrzeugschlüsseln erworben und auch die früheren Nutzer hätten nur zwei Schlüssel genutzt. Im Übrigen erfolgte der Vortrag erstmals, nachdem der Kläger den Zylinder hat austauschen lassen. Es hätte der Beklagten freigestanden, den fehlenden Schlüssel im Kaufvertrag aufzuführen.
Der Kläger ist gemäß § 249 I BGB so zu stellen, wie er bei Ausbleiben des schädigenden Ereignisses gestanden hätte, und kann aufgrund der erfolglos verstrichenen Frist Ersatz in Geld verlangen (§ 250 BGB). Er hat auch einen Anspruch auf den vollen Schadenersatz und muss sich nicht auf die Kosten für einen Ersatzschlüssel verweisen lassen. Denn ein solcher würde weder die Missbrauchsgefahr noch die Gefahr versicherungsrechtlicher Einschränkungen beseitigen. Die Deaktivierung eines mechanischen Notschlüssels führt nicht dazu, dass ein unbefugter Dritter gehindert wird, das Auto mit diesem Schlüssel zu öffnen. Der Einholung eines von der Beklagten angebotenen Sachverständigengutachtens bedurfte es hierfür nicht. Bereits im Internet lässt sich eine entsprechende Gefahr recherchieren, die im Einzelfall dazu führen kann, dass der Käufer Nachteile erleidet. Die Beklagte ist auch insoweit nicht schutzbedürftig. Sie hätte sich der Ersatzpflicht durch einen einfachen (aber ausdrücklichen) Hinweis im Kaufvertrag entziehen können.
Der Zinsanspruch folgt aus § 286 I 1, § 288 I BGB. Die Beklagte befand sich mit der Mängelbeseitigung in Verzug, der Kläger hat die Kosten am 21.06.2023 beglichen.
2. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe der verlangten 0,65-fachen Gebühr sind unter Verzugsgesichtspunkten gemäß § 280 I, II, § 286 I 1 BGB in Verbindung mit den Berechnungsvorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) erstattungsfähig. Den Rechenfehler hat die klägerische Partei auf Hinweis des Gerichts im Termin nicht korrigiert.
3. Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 91 I ZPO sowie hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.