- Art. 2 II lit. d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge fällt, nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn es, obwohl es über eine gültige EG-Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 II dieser Verordnung verboten ist.
- Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 °C liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.
- Art. 3 VI der Richtlinie 1999/44/EG ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verboten ist, nicht als „geringfügig“ eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte.
EuGH (Große Kammer), Urteil vom 14.07.2022 – C-145/20 (DS/Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG, Volkswagen AG)
Das vorliegende Urteil betrifft die Auslegung von Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007 L 171, 1) sowie von Art. 2 II lit. d und Art. 3 VI der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. 1999 L 171, 12). Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DS auf der einen Seite und der Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG und der Volkswagen AG auf der anderen Seite wegen einer Klage auf Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug, das mit einer Software ausgerüstet ist, durch die die Abgasrückführung dieses Fahrzeugs insbesondere nach Maßgabe der ermittelten Temperatur verringert wird.
Sachverhalt: Am 21.12.2013 kaufte DS, ein Verbraucher, von der Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG, einer unabhängigen Vertragsautohändlerhin von Volkswagen, ein Fahrzeug der Marke Volkswagen, das mit einem Dieselmotor des Typs EA189 der Generation Euro 5 ausgestattet war.
Dieses Fahrzeug war mit einer Software ausgestattet, aufgrund deren eine Abgasrückführung nach zwei Betriebsmodi (im Folgenden: Umschaltlogik) erfolgte. Der erste Modus kam nur während des Zulassungstests, dem „New European Driving Cycle“ (NEDC), im Labor zum Einsatz. In diesem Modus war die Abgasrückführungsrate höher als im zweiten Modus, der unter normalen Fahrbedingungen zur Anwendung gelangte. Der in Rede stehende Fahrzeugtyp wurde vom deutschen Kraftfahrt-Bundesamt, der in Deutschland für die Typgenehmigung zuständigen Behörde, zugelassen. Die Umschaltlogik war dieser Behörde gegenüber nicht offengelegt worden.
Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass das Kraftfahrt-Bundesamt, wenn es von der Umschaltlogik Kenntnis gehabt hätte, diesen Fahrzeugtyp nicht genehmigt hätte. Weiter ist ihm zu entnehmen, dass DS das fragliche Fahrzeug auch dann gekauft hätte, wenn er von der Umschaltlogik Kenntnis gehabt hätte.
Mit Entscheidung vom 15.10.2015, die auf der Grundlage von § 25 II EG?FGV erlassen wurde, ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt an, dass Volkswagen die Umschaltlogik zu entfernen habe, um die Vereinbarkeit der Motoren des Typs EA189 der Generation Euro 5 mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 herzustellen. Mit Schreiben vom 20.12.2016 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt Volkswagen mit, das vorgeschlagene Update vorgenannten Software (im Folgenden: Update der Software) sei geeignet, die Vorschriftsmäßigkeit herzustellen. In der Folge wurde die EG?Typgenehmigung des hier betroffenen Fahrzeugtyps vom Kraftfahrt-Bundesamt weder widerrufen noch zurückgenommen.
Am 15.02.2017 ließ DS das Update der Software an seinem Fahrzeug durchführen. Dieses Update ersetzte die Umschaltlogik durch eine Programmierung, nach der der emissionsmindernde Modus nicht nur während des oben erwähnten Zulassungstests, sondern auch im Fahrbetrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr zum Einsatz gelangte. Die Abgasrückführung war jedoch nur dann voll wirksam, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 °C lag (im Folgenden: Thermofenster).
DS erhob vor dem Landesgericht Linz (Österreich) Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises für das fragliche Fahrzeug gegen dessen Rückgabe, hilfsweise Preisminderung, äußerst hilfsweise Feststellung der Haftung der Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG und der Volkswagen AG für Schäden aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
Mit Urteil vom 12.12.2018 wies das Landesgericht Linz die Klage ab. Dieses Urteil wurde vom Oberlandesgericht Linz (Österreich) mit Urteil vom 04.04.2019 bestätigt.
DS legte gegen dieses Urteil beim österreichischen Obersten Gerichtshof, dem vorlegenden Gericht, Revision mit der Begründung ein, dass das fragliche Fahrzeug einen Mangel aufweise, da die Umschaltlogik eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 IU der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 sei. Da das Update der Software diesen Mangel nicht behoben habe, drohten diesem Fahrzeug infolge dieses Updates Wertverlust und Schäden.
Die Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG und die Volkswagen AG machen geltend, das Thermofenster sei eine nach Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zulässige Abschalteinrichtung. Diese Einschätzung werde vom Kraftfahrt-Bundesamt geteilt.
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Umschaltlogik eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 sei. Jedenfalls sei das fragliche Fahrzeug mangelhaft i. S. von § 922 ABGB1§ 922 I des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt: „Wer einem anderen eine Sache gegen Entgelt überlässt, leistet Gewähr, dass sie dem Vertrag entspricht. Er haftet also dafür, dass die Sache die bedungenen oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat, dass sie seiner Beschreibung, einer Probe oder einem Muster entspricht und dass sie der Natur des Geschäftes oder der getroffenen Verabredung gemäß verwendet werden kann.“, weil diese Abschalteinrichtung gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt nicht offengelegt worden sei.
In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, ob das fragliche Fahrzeug angesichts der Verpflichtung, ein nicht mit einer solchen Abschalteinrichtung ausgerüstetes Fahrzeug zu liefern, eine Vertragswidrigkeit im Sinne der Richtlinie 1999/44/EG aufgewiesen habe. Sollte dies zutreffen, wäre seiner Ansicht nach zu prüfen, ob dieses Fahrzeug nach dem Update der Software, aufgrund deren die Abgasrückführung erfolgte, noch immer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet sei, und wären die rechtlichen Folgen eines etwaigen Bestehenbleibens eines solchen Mangels nach dem Update der Software zu klären.
Konkret möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob das Fahrzeug, falls es, auch wenn es über eine EG?Typgenehmigung verfügen sollte, mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet wäre, deren Verwendung nach Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verboten sei, i. S. von Art. 2 II lit. d der Richtlinie 1999/44/EG eine Qualität aufweisen würde, die bei Gütern der gleichen Art üblich sei und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten könne, und somit vermutet werden müsste, dass es vertragsgemäß sei. Wenn es sich um ein Produkt wie ein Fahrzeug handle, das normativen Vorgaben genügen müsse, erwarte der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher tatsächlich die Einhaltung dieser Vorgaben. Dass Fahrzeuge ein Typgenehmigungsverfahren durchlaufen müssten, stehe diesem Verständnis von Art. 2 II lit. d nicht notwendigerweise entgegen.
Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob das Thermofenster unter die Ausnahme nach Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 fallen könne, auf die sich die Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG und die Volkswagen AG berufen, oder ob dies jedenfalls ausgeschlossen sei, wie DS vorträgt. Insoweit führt das vorlegende Gericht aus, dass die Ausnahmen in diesem Art. 5 II angesichts des Ziels des Umweltschutzes, das sich aus den Erwägungsgründen 1 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ableite, eng auszulegen seien. Da bekannt sei, dass die durchschnittliche Temperatur in einem Teil des Unionsgebiets einschließlich Österreichs mehrere Monate im Jahr unter 15 °C liege, werde die Außentemperatur, bei der die Abgasrückführung eines Fahrzeugs wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in vollem Umfang wirksam sei, während eines Großteils des Jahres im Durchschnitt nicht erreicht. Unter diesen Umständen erscheine es unmöglich, eine derart häufig funktionierende Abschalteinrichtung mit einer dieser Ausnahmen zu rechtfertigen.
Drittens fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Tatsache, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet sei, deren Verwendung nach Art. 5 II dieser Verordnung verboten sei, als geringfügige Vertragswidrigkeit i. S. von Art. 3 VI der Richtlinie 1999/44/EG eingestuft werden könne, da der betroffene Verbraucher, selbst wenn er Kenntnis von der Existenz und dem Funktionieren dieser Einrichtung gehabt hätte, dieses Fahrzeug trotzdem gekauft hätte.
Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
- Ist Art. 2 II lit. d der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG?Typgenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann?
- Ist Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb des Prüfbetriebs unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn die Außentemperatur innerhalb des Thermofensters liegt, nach Art. 5 II lit. a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus?
- Ist Art. 3 VI der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art. 3 Nr. 10 i. V. mit Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinne der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte?
Der EuGH hat die Vorlagefragen wie aus den Leitsätzen ersichtlich beantwortet.
Aus den Gründen: Zur ersten Frage
[46] Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 II lit. d der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen ist, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 fällt, die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, und somit zu vermuten ist, dass es dem Kaufvertrag über dieses Fahrzeugs entspricht, wenn es, obwohl es über eine gültige EG?Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 II dieser Verordnung verboten ist.
[47] Art. 2 I der Richtlinie 1999/44 verpflichtet den Verkäufer, dem Verbraucher dem Kaufvertrag gemäße Güter zu liefern.
[48] Nach Art. 2 II lit. d dieser Richtlinie wird vermutet, dass Verbrauchsgüter vertragsgemäß sind, wenn sie eine Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn unter anderem die Beschaffenheit des Gutes in Betracht gezogen wird.
[49] In Bezug auf ein Verbrauchsgut wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nämlich ein Kraftfahrzeug, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Nr. 5 der Richtlinie 2007/46/EG2Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.09.2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie), ABl. 2007 L 263, 1. die „EG?Typgenehmigung“ definiert als „das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbstständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen dieser Richtlinie und der in Anhang IV oder XI aufgeführten Rechtsakte entspricht“. Dieser Anhang IV („Für die EG?Typgenehmigung von Fahrzeugen anzuwendende Vorschriften“) verweist in seinem Teil I („Aufstellung der Rechtsakte für die EG?Typgenehmigung von in unbegrenzter Serie hergestellten Fahrzeugen“) für „Emissionen leichter Pkw und Nutzfahrzeuge (Euro 5 und 6)/Zugang zu Informationen“ auf die Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
[50] Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 4 III Unterabsatz 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur gestatten, wenn diese den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen.
[51] Schließlich weist nach Art. 4 I der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 der Hersteller nach, dass alle von ihm verkauften, zugelassenen oder in der Union in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen.
[52] Aus den in den Randnummern 49 bis 51 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen ergibt sich zum einen, dass die Fahrzeuge, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 2007/46/EG fallen, einer Typgenehmigung bedürfen, und zum anderen, dass diese Typgenehmigung nur erteilt werden kann, wenn der fragliche Fahrzeugtyp den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, insbesondere denen über Emissionen, zu denen Art. 5 dieser Verordnung gehört, entspricht.
[53] Außerdem legt der Hersteller nach Art. 18 I der Richtlinie 2007/46/EG in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG?Typgenehmigung für Fahrzeuge jedem vollständigen, unvollständigen oder vervollständigten Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde, eine Übereinstimmungsbescheinigung bei. Nach Art. 26 I der Richtlinie 2007/46/EG ist diese Bescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme eines Fahrzeugs zwingend vorgeschrieben.
[54] Wenn ein Verbraucher ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, kann er vernünftigerweise erwarten, dass die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und insbesondere deren Art. 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden, und zwar auch ohne spezifische Vertragsklauseln.
[55] Daher ist Art. 2 II lit. d der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass ein Fahrzeug, das den Anforderungen dieses Art. 5 nicht entsprechen würde, nicht die Qualität und Leistungen aufweisen würde, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher im Hinblick auf die Beschaffenheit des Gutes vernünftigerweise erwarten kann.
[56] Wie der Generalanwalt in Nummer 149 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wird diese Auslegung nicht dadurch infrage gestellt, dass der fragliche Fahrzeugtyp über eine EG?Typgenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann. Die Richtlinie 2007/46/EG betrachtet nämlich den Fall, dass die Rechtswidrigkeit eines Bauteils eines Fahrzeugs, zum Beispiel im Hinblick auf die Anforderungen von Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, erst nach dieser Genehmigung entdeckt wird. So sieht Art. 8 VI der Richtlinie 2007/46/EG vor, dass die Genehmigungsbehörde die Typgenehmigung eines Fahrzeugs entziehen kann. Außerdem ergibt sich aus Art. 13 I 1 und 3 dieser Richtlinie, dass ein Mitgliedstaat, der die EG?Typgenehmigung erteilt hat, dann, wenn ihn der Hersteller über eine Änderung der Angaben in den Beschreibungsunterlagen unterrichtet, im Benehmen mit dem Hersteller entscheiden kann, dass eine neue EG?Typgenehmigung zu erteilen ist, sofern dies erforderlich ist.
[57] Dies scheint hier der Fall zu sein, da nach dem Vorlagebeschluss der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Fahrzeugtyp ursprünglich vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigt wurde, ohne dass dem Kraftfahrt-Bundesamt das Vorhandensein der Umschaltlogik offengelegt wurde. Außerdem ergibt sich aus dieser Entscheidung, dass das Kraftfahrt-Bundesamt, wenn es von der Umschaltlogik Kenntnis gehabt hätte, keine EG?Typgenehmigung für diesen Fahrzeugtyp erteilt hätte.
[58] Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 II lit. d der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen ist, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 fällt, nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn es, obwohl es über eine gültige EG?Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 II dieser Verordnung verboten ist.
Zur zweiten Frage
[59] Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass nach dieser Bestimmung eine Abschalteinrichtung notwendig sein kann, die unter anderem die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, sodass die Abgasrückführung in einem Teil des Unionsgebiets lediglich für ungefähr sechs Monate pro Jahr voll funktioniert.
[60] Nach Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Von diesem Verbot gibt es jedoch drei Ausnahmen, darunter die in Art. 5 II lit. a, nämlich wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“.
[61] Da sie eine Ausnahme vom Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen enthält, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist diese Bestimmung eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 111 und 112 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).
[62] Was zunächst den Begriff „Motor“ betrifft, unterscheidet Anhang I der Verordnung Nr. 692/2008, wie der Generalanwalt in den Nummern 118 und 119 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ausdrücklich zwischen dem Motor und dem Emissionsminderungssystem. Die Vorgaben für den „Motor“ sind nämlich in Absatz 3.3.1.2 dieses Anhangs aufgeführt, während die Vorgaben für die „Parameter des Emissionsminderungssystems“ in Absatz 3.3.1.3 dieses Anhangs enthalten sind. Dieser letzte Absatz umfasst unter den Buchstaben a und c ausdrücklich Partikelfilter und die Abgasrückführung. Außerdem gelten nach Art. 10 I Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 Partikelfilter für die Zwecke dieser Verordnung als emissionsmindernde Einrichtungen.
[63] Folglich sind das AGR-Ventil, der AGR-Kühler und die Dieselpartikelfilter, die nach den Angaben der Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG, durch das Thermofenster geschont werden sollen, vom Motor getrennte Bauteile. Das AGR-Ventil befindet sich nämlich in unmittelbarer Nähe des Motorblocks, direkt am Ansatz des Auspuffkrümmers. Wird das AGR-Ventil geöffnet, gelangen die Abgase in den Gasansaugkrümmer, damit sie ein zweites Mal verbrannt und mittels eines Wärmetauschers, dem AGR-Kühler, gekühlt werden. Der Partikelfilter, der sich vor dem Auspuffrohr befindet, ermöglicht es seinerseits, die Luft zu filtern, um verschmutzende Feinstaubpartikel aufzufangen.
[64] Was sodann die Begriffe „Unfall“ und „Beschädigung“ in Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 betrifft, hat der EuGH entschieden, dass eine die Wirkung des Emissionskontrollsystems verringernde Abschalteinrichtung, um nach dieser Bestimmung zulässig zu sein, es ermöglichen muss, den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 109 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).
[65] Die Verschmutzung und der Verschleiß des Motors können daher jedenfalls nicht als „Beschädigung“ oder „Unfall“ im Sinne der genannten Bestimmung angesehen werden, denn sie sind im Prinzip vorhersehbar und der normalen Funktionsweise des Fahrzeugs inhärent (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 110 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).
[66] Diese Auslegung wird durch das mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verfolgte Ziel bestätigt, das darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und in der Union die Luftqualität zu verbessern; dies impliziert eine wirksame Verringerung der Stickstoffoxid(NOX)-Emissionen während der gesamten normalen Lebensdauer der Fahrzeuge. Das Verbot, auf das sich Art. 5 II dieser Verordnung bezieht, würde ausgehöhlt und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn es zulässig wäre, dass die Hersteller Fahrzeuge allein deshalb mit solchen Abschalteinrichtungen ausstatten, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 113 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).
[67] Nur die unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, können daher die Verwendung einer Abschalteinrichtung nach Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 rechtfertigen.
[68] Die Auslegung des Begriffs „Beschädigung“ durch den EuGH im Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 – CLCV u. a. (Abschalteinrichtung für Dieselmotoren) – wird nicht durch das Vorbringen der deutschen Regierung und jenes der Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG infrage gestellt, wonach sich aus der englischen („damage“) und der deutschen („Beschädigung“) Sprachfassung ergebe, dass dieser Begriff nicht nur plötzliche und unvorhersehbare Ereignisse erfasse.
[69] Wie nämlich zum einen der Generalanwalt in Nummer 115 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, sprechen die Definitionen des Begriffs in der englischen und in der deutschen Sprache, obwohl sie im Unterschied zu der Definition desselben Begriffs („dégâts“) in der französischen Sprache nicht zwangsläufig bedeuten, dass eine Beschädigung auf ein „plötzliches“ Ereignis zurückzuführen ist, nicht gegen die Auslegung des Begriffs „Beschädigung“, die der EuGH vorgenommen hat. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass die vom EuGH vorgenommene enge Auslegung auf den in den Randnummern 61 und 66 des vorliegenden Urteils angeführten Gründen beruht.
[70] Die deutsche Regierung, die Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG und die Volkswagen AG machen jedoch geltend, dass die fragliche Abschalteinrichtung notwendig sei, da sich bei zu niedrigen oder zu hohen Temperaturen Ablagerungen bei der Abgasrückführung bilden könnten und auf diese Weise zu einer falschen Stellung des AGR-Ventils, das heißt beispielsweise dazu, dass sich ein Ventil nicht mehr öffne oder nicht mehr korrekt schließen lasse, oder sogar zu einer vollständigen Blockierung dieses Ventils führen könnten. Ein beschädigtes oder schlecht positioniertes AGR-Ventil könne jedoch Beschädigungen am Motor selbst verursachen und insbesondere zu Leistungsverlusten des Fahrzeugs führen. Außerdem sei nicht vorhersehbar und kalkulierbar, wann die Ausfallgrenze des AGR-Ventils erreicht werde, da diese Grenze plötzlich und unvorhersehbar überschritten werden könne, selbst wenn eine regelmäßige Wartung dieses Ventils vorgenommen werde. Leistungsverluste des Fahrzeugs, die plötzlich und unvorhersehbar aufträten, beeinträchtigten den sicheren Betrieb des Fahrzeugs, indem zum Beispiel die Gefahr eines schweren Verkehrsunfalls bei einem Überholvorgang erheblich erhöht werde.
[71] Die Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG und die Volkswagen AG machen ferner geltend, dass die Versottung von Bauteilen des Abgasrückführungssystems dadurch, dass sie eine Fehlfunktion des AGR-Ventils bis hin zu dessen Verklemmen hervorrufen könne, zu einem Durchbrand des Dieselpartikelfilters und einem Motorbrand oder sogar, als Folge davon, einem Brand des gesamten Fahrzeugs führen könne, was den sicheren Betrieb des Fahrzeugs gefährde.
[72] Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass schon dem Wortlaut von Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu entnehmen ist, dass eine Abschalteinrichtung, um unter die in dieser Bestimmung enthaltene Ausnahme zu fallen, nicht nur notwendig sein muss, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen, sondern auch, um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Wie der Generalanwalt in Nummer 106 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist diese Bestimmung nämlich angesichts der Verwendung der Konjunktion „und“ dahin auszulegen, dass die darin vorgesehenen Voraussetzungen kumulativ sind.
[73] Daher kann in Anbetracht der Tatsache, dass diese Ausnahme, wie in Randummer 61 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eng auszulegen ist, eine Abschalteinrichtung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Wie der Generalanwalt in Nr. 126 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gehört eine solche Prüfung jedoch im Ausgangsrechtsstreit zur Würdigung des Sachverhalts, die allein Sache des vorlegenden Gerichts ist.
[74] Außerdem trifft es zwar zu, dass Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 formell keine weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme vorschreibt. Doch würde eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet wäre, offensichtlich dem mit dieser Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verfolgten Ziel, von dem diese Bestimmung nur unter ganz besonderen Umständen eine Abweichung zulässt, zuwiderlaufen und zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Grundsatzes der Begrenzung der Stickstoffoxid(NOX)-Emissionen von Fahrzeugen führen.
[75] In Anbetracht der Tatsache, dass Art. 5 II lit. a eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung daher nicht im Sinne dieser Bestimmung notwendig sein.
[76] Ließe man zu, dass eine Abschalteinrichtung, wie sie in Randnummer 74 des vorliegenden Urteils beschrieben ist, unter die in Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen könnte, würde dies dazu führen, dass diese Ausnahme während des überwiegenden Teils eines Jahres unter den im Unionsgebiet herrschenden tatsächlichen Fahrbedingungen anwendbar wäre, sodass der in Art. 5 II der Verordnung aufgestellte Grundsatz des Verbots solcher Abschalteinrichtungen in der Praxis weniger häufig zur Anwendung kommen könnte als diese Ausnahme.
[77] Die Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG und die Volkswagen AG sowie die deutsche Regierung machen ferner geltend, dass die „Notwendigkeit“ einer Abschalteinrichtung nicht die bestmögliche Technik erfordere und dass der Stand der Technik zum Zeitpunkt der EG?Typgenehmigung zu berücksichtigen sei, um zu beurteilen, ob diese Notwendigkeit im Hinblick auf den Schutz des Motors und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs i. S. von Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gegeben sei. Die Verwendung eines AGR-Systems, das mit Thermofenstern in je nach Genehmigungszeitpunkt unterschiedlichem Umfang arbeite, entspreche aber unstreitig dem Stand der Technik. Außerdem müsse bei der Auslegung des Begriffs „notwendig“ in dieser Bestimmung dem Erfordernis Rechnung getragen werden, die Umweltinteressen gegen die wirtschaftlichen Interessen der Hersteller abzuwägen.
[78] Wie der Generalanwalt in Nummer 129 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, geht zum einen aus dem siebten Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 hervor, dass der Unionsgesetzgeber bei der Festlegung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen die Interessen der Automobilhersteller und insbesondere die Kosten, die den Unternehmen durch die erforderliche Einhaltung dieser Werte auferlegt werden, berücksichtigt hat. Es ist somit Sache der Hersteller, die technischen Vorrichtungen anzupassen und anzuwenden, damit diese Grenzwerte eingehalten werden, wobei diese Verordnung keineswegs den Einsatz einer bestimmten Technologie vorschreibt.
[79] Zum anderen impliziert, wie in Randnummer 66 des vorliegenden Urteils ausgeführt, das mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verfolgte Ziel, das darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und die Luftqualität in der Union zu verbessern, eine wirksame Verringerung der Stickstoffoxid(NOX)-Emissionen während der gesamten normalen Lebensdauer der Fahrzeuge (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 113 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]). Wenn aber eine Abschalteinrichtung nach Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 allein deshalb zugelassen würde, weil zum Beispiel die Kosten für die Forschung hoch sind, die technische Ausrüstung teuer ist oder für den Nutzer häufigere und kostspieligere Wartungsarbeiten am Fahrzeug anfallen, würde dieses Ziel infrage gestellt.
[80] Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese Bestimmung, wie in den Randnummern 61 und 73 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eng auszulegen ist, ist davon auszugehen, dass eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn zum Zeitpunkt der EG?Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann.
[81] Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.
Zur dritten Frage
[82] Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 VI der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen ist, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verboten ist, als „geringfügig“ eingestuft werden kann, wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte.
[83] Nach Art. 2 III der Richtlinie 1999/44/EG liegt keine Vertragswidrigkeit vor, wenn der Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von der Vertragswidrigkeit hatte oder vernünftigerweise nicht in Unkenntnis darüber sein konnte oder wenn die Vertragswidrigkeit auf den vom Verbraucher gelieferten Stoff zurückzuführen ist.
[84] Wie der Generalanwalt in Nummer 158 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist diese Bestimmung im Ausgangsverfahren jedoch nicht anwendbar, da nicht bestritten wird, dass DS zum Zeitpunkt des Kaufs des fraglichen Fahrzeugs keine Kenntnis von der angeblichen Vertragswidrigkeit hatte und vernünftigerweise auch nicht haben konnte.
[85] Keinem solchen subjektiven Element unterliegt hingegen die Frage, ob eine Vertragswidrigkeit i. S. von Art. 3 VI der Richtlinie 1999/44/EG „geringfügig“ ist oder nicht; hiervon hängt es ab, ob der Verbraucher berechtigt ist, die Vertragsauflösung zu verlangen.
[86] Daher ist der Umstand, dass ein Verbraucher nach dem Kauf eines Verbrauchsgutes einräumt, dass er dieses Gut gekauft hätte, selbst wenn er Kenntnis von einer solchen Vertragswidrigkeit gehabt hätte, für die Feststellung, ob eine Vertragswidrigkeit als „geringfügig“ einzustufen ist, unerheblich.
[87] Im Lichte dieser Klarstellung ist zu klären, ob Art. 3 VI der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen ist, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verboten ist, als „geringfügig“ eingestuft werden kann.
[88] Da die Richtlinie 1999/44/EG den Begriff der „geringfügigen Vertragsverletzung“ nicht definiert, ist er entsprechend seinem üblichen Sinn im gewöhnlichen Sprachgebrauch auszulegen, wobei der Zusammenhang, in dem er verwendet wird, und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 09.07.2020 – C-264/19, EU:C:2020:542 Rn. 29 – Constantin Film Verleih; Urt. v. 03.06.2021 – C-650/18, EU:C:2021:426 Rn. 83 – Ungarn/Parlament).
[89] Was zunächst den gewöhnlichen Sprachgebrauch des Begriffs „geringfügig“ betrifft, so nimmt der Begriff „geringfügige Vertragsverletzung“ auf eine Vertragsverletzung geringer Erheblichkeit Bezug.
[90] Was sodann den Zusammenhang betrifft, in dem dieser Begriff verwendet wird, ist darauf hinzuweisen, dass durch Art. 3 III, V und VI der Richtlinie 1999/44/EG eine klare Abfolge bei der Durchführung der verschiedenen Abhilfemaßnahmen festgelegt wird, auf die der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit des Verbrauchsgutes Anspruch hat (EuGH, Urt. v. 23.05.2019 – C-52/18, EU:C:2019:447 Rn. 58 – Fülla).
[91] So hat der Verbraucher nach Art. 3 III Unterabsatz 1 dieser Richtlinie zunächst die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung zu verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist (EuGH, Urt. v. 23.05.2019 – C-52/18, EU:C:2019:447 Rn. 59 – Fülla).
[92] Nur wenn der Verbraucher weder auf die Nachbesserung noch auf die Ersatzlieferung des vertragswidrigen Verbrauchsgutes einen Anspruch hat oder wenn der Verkäufer keine dieser Abhilfemaßnahmen binnen einer angemessenen Frist oder ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher durchgeführt hat, kann der Verbraucher gemäß Art. 3 V der Richtlinie 1999/44/EG eine Vertragsauflösung verlangen, sofern es sich nicht um eine geringfügige Vertragswidrigkeit i. S. von Art. 3 VI dieser Richtlinie handelt (EuGH, Urt. v. 23.05.2019 – C-52/18, EU:C:2019:447 Rn. 60 – Fülla).
[93] Was schließlich die Ziele der Richtlinie 1999/44/EG betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass sich aus den Erwägungsgründen 1 und 10 bis 12 dieser Richtlinie ergibt, dass sie einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Verbrauchers und denen des Verkäufers herstellen soll, indem sie dem Verbraucher als schwächerer Vertragspartei einen umfassenden und wirksamen Schutz dagegen gewährt, dass der Verkäufer seine vertraglichen Verpflichtungen schlecht erfüllt, und zugleich erlaubt, vom Verkäufer angeführte wirtschaftliche Überlegungen zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 16.06.2011 – C-65/09 und C-87/09, EU:C:2011:396 Rn. 75 – Gebr. Weber und Putz; Urt. v. 23.05.2019 – C-52/18, EU:C:2019:447 Rn. 41 und 52 – Fülla).
[94] Daher kann, wie der Generalanwalt in Nummer 160 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Vertragsauflösung als gravierendste Abhilfemöglichkeit für den Verbraucher nur verlangt werden, wenn die Vertragswidrigkeit hinreichend erheblich ist.
[95] Was im vorliegenden Fall die Tatsache betrifft, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verboten ist, geht aus den Randnummern 49 bis 52 des vorliegenden Urteils hervor, dass ein Fahrzeugtyp, der eine solche Einrichtung enthält, nicht genehmigt werden kann. Außerdem ist festzustellen, dass ein solches Fahrzeug die in Anhang I dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nicht einzuhalten vermag. Die Erwägungsgründe 1 und 4 bis 6 dieser Verordnung unterstreichen die Bedeutung des Umweltschutzes und die Erforderlichkeit, die Stickstoffoxid(NOX)-Emissionen bei Dieselfahrzeugen erheblich zu mindern, um die Luftqualität zu verbessern und die Luftverschmutzungsgrenzwerte einzuhalten.
[96] Daher kann die Tatsache, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verboten ist, nicht als geringfügige Vertragswidrigkeit i. S. von Art. 3 VI der Richtlinie 1999/44/EG angesehen werden.
[97] Folglich ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 3 VI der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen ist, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verboten ist, nicht als „geringfügig“ eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte.