1. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge in Verbindung mit Art. 5 I dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 °C liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieses Art. 3 Nr. 10 darstellt.
  2. Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 °C liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt, nicht allein deshalb unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, weil diese Einrichtung zur Schonung von Anbauteilen wie Abgasrückführventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter beiträgt, es sei denn, es ist nachgewiesen, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines dieser Bauteile verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.

EuGH (Große Kammer), Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20 (GSMB Invest GmbH & Co. KG/​Auto Krainer GesmbH)

Das vorliegende Urteil betrifft die Auslegung von Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 I und II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007 L 171, 1). Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der GSMB Invest GmbH & Co. KG und der Auto Krainer GesmbH wegen einer Klage auf Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug, das mit einer Software ausgerüstet ist, durch die die Abgasrückführung dieses Fahrzeugs nach Maßgabe der ermittelten Temperatur und Höhenmeter verringert wird.

Sachverhalt: Am 09.01.2011 schloss die GSMB Invest GmbH & Co. KG mit der Auto Krainer GesmbH einen Kaufvertrag über einen VW Caddy Maxi 2.0 TDI 4MOTION in der Ausstattungsvariante „Comfortline“. Das Fahrzeug ist mit einem Euro?5-Dieselmotor des Typs EA189 (Hubraum: 2 l) ausgestattet, der über ein Abgasrückführventil (im Folgenden: AGR-Ventil) verfügt.

Am 27.12.2017 erhob die GSMB Invest GmbH & Co. KG vor dem vorlegenden Gericht, dem österreichischen Landesgericht Klagenfurt, gemäß § 879 I ABGB1§ 879 I des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt: „Ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.“ und § 932 IV ABGB2§ 932 IV ABGB bestimmt: „Sind sowohl die Verbesserung als auch der Austausch unmöglich oder für den Übergeber mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden, so hat der Übernehmer das Recht auf Preisminderung oder, sofern es sich nicht um einen geringfügigen Mangel handelt, das Recht auf Wandlung. …“ Klage auf Aufhebung dieses Kaufvertrags gegen Zahlung eines Benützungsentgelts.

Die Auto Krainer GesmbH macht geltend, ein solches Thermofenster benutzten alle Hersteller von Fahrzeugen mit einem Euro?5-Dieselmotor, und das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt, die zuständige Typgenehmigungsbehörde in Deutschland, habe dieses Thermofenster als eine nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zulässige Maßnahme angesehen. Außerdem habe das Kraftfahrt-Bundesamt bei der Kontrolle des Updates der fraglichen Software festgestellt, dass sich dieses nicht nachteilig auf die Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen auswirke.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ergibt sich aus Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, dass das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sei. In den meisten Ländern der Europäischen Union, insbesondere in Deutschland und Österreich, liege die Umgebungstemperatur das ganze Jahr überwiegend unter 15 °C und aufgrund der geografischen Lage dieser Staaten beführen die Fahrzeuge vielfach Gebiete oberhalb von 1.000 Höhenmetern, sodass man vernünftigerweise erwarten könne, dass solche Bedingungen dem normalen Fahrzeugbetrieb i. S. von Art. 3 Nr. 10 entsprächen.

Die in Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme könne jedoch nicht als Rechtsgrundlage für Abschalteinrichtungen dienen, die unter „normalen“ Fahrzeugbetriebsbedingungen aktiviert würden.

Art. 3 IX der Verordnung (EG) Nr. 692/20083Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18.07.2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2008 L 199, 1. bestimme, innerhalb von welchem Zeitraum bei einem Kaltstart der Motor die volle Funktionsfähigkeit gewährleisten müsse. Danach müsse die Stickstoffoxid(NOX)-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei ?7 °C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreichen. Die Genehmigungsbehörden könnten keine EG?Typgenehmigung erteilen, wenn die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen nicht hinreichend nachgewiesen seien. Aus dieser Nachweispflicht ergebe sich, dass der Unionsgesetzgeber eindeutig festgestellt habe, dass ein Thermofenster nicht gerechtfertigt werden könne, wenn es diese Voraussetzungen nicht erfülle.

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass sich der EuGH noch nicht zu den Fragen nach der Auslegung der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geäußert habe, die der bei ihm anhängige Rechtsstreit aufwerfe.

Unter diesen Umständen hat das Landesgericht Klagenfurt beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Ist Art. 5 I der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Ausrüstung eines Fahrzeugs i. S. von Art. 1 I dieser Verordnung unzulässig ist, wonach das AGR-Ventil, sohin ein Bauteil, welches das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflusst, so konstruiert ist, dass die Abgasrückführrate, das heißt der Anteil an Abgas, welches rückgeführt wird, so geregelt wird, dass es nur innerhalb des Thermofensters einen schadstoffarmen Modus gewährleistet und außerhalb dieses Thermofensters im Verlauf von 10 °C und oberhalb von 1.000 Höhenmetern im Verlauf von 250&nbsp:Höhenmetern linear auf null verringert wird, es sohin zu einer Erhöhung der Stickstoffoxid(NOX)-Emissionen über die Grenzwerte der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kommt?
  2. Ist Art. 5 II „um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen“ der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abgasstrategie, die vornehmlich der Schonung von Anbauteilen, wie AGR-Ventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter, dient, nicht die Ausnahmebestimmungen erfüllt?
  3. Ist Art. 5 I der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abgasstrategie, die die volle Funktionsfähigkeit der emissionsmindernden Einrichtungen nur in einem Temperaturbereich innerhalb des Thermofensters gewährleistet und daher in Europa, insbesondere in Österreich, während eines Jahres überwiegend nicht voll funktionsfähig ist, die Vorgabe nach Art. 5 I – Funktion des Fahrzeugs unter normalen Betriebsbedingungen – nicht erfüllt und eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt?

Der EuGH hat die Vorlagefragen wie aus den Leitsätzen ersichtlich beantwortet.

Aus den Gründen: Zur ersten und zur dritten Frage

[26]   Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem EuGH dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits zweckdienliche Antwort zu geben. Auch wenn das vorlegende Gericht seine Fragen der Form nach auf die Auslegung einer bestimmten Unionsrechtsvorschrift beschränkt hat, hindert dies demzufolge den EuGH nicht daran, ihm alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der EuGH hat insoweit aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (EuGH, Urt. v. 15.07.2021 – C-190/20, EU:C:2021:609 Rn. 23 m. w. Nachw. – DocMorris).

[27]   Im vorliegenden Fall nehmen die erste und die dritte Frage, die zusammen zu beantworten sind, auf Art. 5 I der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Bezug. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht jedoch hervor, dass das vorlegende Gericht klären möchte, ob das Thermofenster eine „Abschalteinrichtung“ i. S. von Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung darstellt, deren Verwendung nach Art. 5 II dieser Verordnung grundsätzlich unzulässig ist.

[28]   Die Auto Krainer GesmbH macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass das vorlegende Gericht die Funktionsweise der fraglichen Software falsch darstelle. Diese Software führe nämlich zu einer Reduzierung der Abgasrückführung, wenn die Ladelufttemperatur im Motor – und nicht die Umgebungstemperatur – weniger als 15 °C betrage. In technischer Hinsicht sei aber unstreitig, dass diese Ladelufttemperatur im Motor durchschnittlich um 5 °C höher sei als die Umgebungstemperatur. Demnach erfolge eine volle Abgasrückführung nicht bei Umgebungstemperaturen bis zu 15 °C, sondern bis zu 10 °C, das heißt im Bereich des Jahresdurchschnitts der Umgebungstemperatur in Deutschland (10,4 °C). Außerdem habe das vorlegende Gericht nicht angegeben, dass bei einer Umgebungstemperatur von unter 10 °C die Abgasrückführungsrate nur schrittweise linear auf null sinke, und zwar bis zu einer Umgebungstemperatur von ?5 °Celsius.

[29]   Gleichwohl ist im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem EuGH beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig (EuGH, Urt. v. 09.07.2020 – C-698/18 und C-699/18, EU:C:2020:537 Rn. 46 – SC Raiffeisen Bank SA und BRD Groupe Société Générale SA).

[30]   Unter diesen Umständen ist im Hinblick auf eine zweckdienliche Antwort an das vorlegende Gericht davon auszugehen, dass es mit seiner ersten und seiner dritten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 i. V. mit Art. 5 I dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, eine „Abschalteinrichtung“ i. S. dieses Art. 3 Nr. 10 darstellt.

[31]   In Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wird „Abschalteinrichtung“ definiert als „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

[32]   Der EuGH hat entschieden, dass eine solche Definition der Abschalteinrichtung dem Begriff „Konstruktionsteil“ eine große Tragweite verleiht, die sich sowohl auf die mechanischen Teile als auch auf die ihre Aktivierung steuernden elektronischen Teile erstreckt, soweit sie auf die Funktion des Emissionskontrollsystems einwirken und dessen Wirksamkeit verringern (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 64 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[33]   Der EuGH hat auch entschieden, dass unter den Begriff „Emissionskontrollsystem“ i. S. von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 sowohl die Technologien und die Strategie der Nachbehandlung von Abgasen fallen, mit denen die Emissionen im Nachhinein, das heißt nach ihrer Entstehung, verringert werden, als auch diejenigen, mit denen – wie mit dem AGR-System – die Emissionen im Vorhinein, das heißt bei ihrer Entstehung, verringert werden (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 90 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[34]   Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass das fragliche Fahrzeug mit einem AGR-Ventil und einer in den Rechner zur Motorsteuerung integrierten Software ausgestattet ist. Dieses Ventil ist eine der Technologien, die von den Automobilherstellern zur Kontrolle und Verringerung der durch die unvollständige Verbrennung des Treibstoffs entstehenden Stickstoffoxid(NOX)-Emissionen verwendet werden. Die Wirksamkeit der Beseitigung von Schadstoffen hängt mit der Öffnung des AGR-Ventils zusammen, die durch die genannte Software gesteuert wird. Außerhalb des durch das Update dieser Software geschaffenen und in Randnummer 19 des vorliegenden Urteils beschriebenen Thermofensters wird die Abgasrückführungsquote linear auf null gesenkt, was zu einer Überschreitung der durch die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 für Stickstoffoxid (NOX) festgelegten Emissionsgrenzwerte führt.

[35]   So erkennt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Software, die nach dem Thermofenster programmiert ist, die Lufttemperatur und die Höhe des Fahrbetriebs, „um“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, „die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren“.

[36]   Da eine solche Software auf die Funktion des Emissionskontrollsystems einwirkt und dessen Wirksamkeit verringert, handelt es sich bei ihr um ein „Konstruktionsteil“ im Sinne dieser Bestimmung (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 66 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[37]   Um festzustellen, ob es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Software um eine Abschalteinrichtung i. S. von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt, ist noch zu prüfen, ob diese Software die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems „unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind,“ verringert.

[38]   Die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 definiert den Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ nicht und verweist für die Festlegung seiner Bedeutung und seiner Tragweite nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten.

[39]   Daher handelt es sich hierbei um einen unionsrechtlichen Begriff, der in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen ist, wobei nicht nur der Wortlaut der Bestimmungen, in denen er vorkommt, sondern auch der Kontext dieser Bestimmungen und das mit ihnen verfolgte Ziel zu berücksichtigen sind (vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 26.01.2021 – C-422/19 und C-423/19, EU:C:2021:63 Rn. 45 – Hessischer Rundfunk).

[40]   Wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ergibt, bezieht sich der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ auf die Nutzung des Fahrzeugs unter normalen Fahrbedingungen, das heißt nicht nur, wie die Auto Krainer GesmbH in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen vorträgt, auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter den Bedingungen für den als „New European Driving Cycle“ (NEDC) bezeichneten Zulassungstest, der zu dem für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkt galt, der im Labor durchgeführt wird und aus der Wiederholung von vier Stadtfahrzyklen, gefolgt von einem außerstädtischen Fahrzyklus besteht. Dieser Begriff verweist somit auf die Verwendung dieses Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 96 und 101 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]). Die Testzyklen für die Emissionen der Fahrzeuge im Zulassungsverfahren beruhen nämlich nicht auf den realen Betriebsbedingungen (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 92 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[41]   Diese Auslegung wird durch den Kontext von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gestützt. Nach Art. 4 II dieser Verordnung müssen die vom Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen sicherstellen, dass unter anderem die Auspuffemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeugs bei normalen Nutzungsbedingungen wirkungsvoll begrenzt werden. Ferner sieht Art. 5 I der Verordnung vor, dass der Hersteller die Fahrzeuge so ausrüsten muss, dass die Bauteile, die sich auf das Emissionsverhalten auswirken, es erlauben, dass die Fahrzeuge unter normalen Betriebsbedingungen die in der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen vorgesehenen Emissionsgrenzwerte einhalten (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 97 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[42]   Diesen Bestimmungen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es möglich wäre, zwischen der Funktionsweise einer Einrichtung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen Software während der Phase der Zulassungstests und im Betrieb unter normalen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge zu unterscheiden. Im Gegenteil liefe nämlich der Einbau einer Einrichtung, die die Einhaltung der in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vorgesehenen Grenzwerte nur während der Phase des Zulassungstests sicherstellen kann, obwohl diese Testphase normale Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs nicht nachstellen kann, der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 97 und 98 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]). Das Gleiche gilt für den Einbau einer Einrichtung, mit der diese Einhaltung nur innerhalb eines Thermofensters sichergestellt werden kann, das zwar die Bedingungen abdeckt, unter denen die Phase des Zulassungstests stattfindet, aber nicht den normalen Fahrbedingungen, wie sie in Randnummer 40 des vorliegenden Urteils definiert sind, entspricht.

[43]   Die in Randnummer 40 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung, wonach der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ auf die Verwendung des Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen verweist, wie sie im Unionsgebiet üblich sind, wird auch durch das mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verfolgte Ziel bestätigt, das, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 1 und 6 ergibt, darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere die Stickstoffoxid(NOX)-Emissionen bei Dieselkraftfahrzeugen zu mindern (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 67, 86 und 87 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[44]   Was die Frage angeht, ob eine Software wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter normalen Fahrbedingungen verringert, steht fest, dass Umgebungstemperaturen von weniger als 15 °C sowie das Fahren auf Straßen über 1.000 Höhenmetern im Unionsgebiet üblich sind.

[45]   Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung (EG) Nr. 692/2008, die auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar ist und in der Maßnahmen zur Durchführung der Art. 4, 5 und 8 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 festgelegt werden, in ihrem Art. 3 IX Unterabsatz 2 vorsieht, dass die Hersteller der Genehmigungsbehörde belegen, dass die Stickstoffoxid(NOX)-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei &mninus;7 °C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht. Nach Art. 3 IX Unterabsatz 5 erteilt die Genehmigungsbehörde keine Typgenehmigung, wenn die vorgelegten Angaben nicht hinreichend nachweisen, dass die Nachbehandlungseinrichtung tatsächlich innerhalb des genannten Zeitraums eine für das ordnungsgemäße Funktionieren ausreichend hohe Temperatur erreicht. Die letztgenannte Bestimmung bestätigt die Auslegung, wonach die in der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Emissionsgrenzwerte einzuhalten sind, wenn die Temperaturen deutlich unter 15 °C liegen.

[46]   Daher ist davon auszugehen, dass eine Software wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems „unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind,“ i. S. von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 einschränkt und daher eine Abschalteinrichtung im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

[47]   Daher ist auf die erste und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 i. V. mit Art. 5 I dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieses Art. 3 Nr. 10 darstellt.

Zur zweiten Frage

[48]   Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, wenn diese Einrichtung zur Schonung von Anbauteilen wie AGR-Ventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter beiträgt.

[49]   Nach Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Von diesem Verbot gibt es jedoch drei Ausnahmen, darunter die in Art. 5 II lit. a, nämlich wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“.

[50]   Da sie eine Ausnahme vom Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen enthält, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist diese Bestimmung eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 111 und 112 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[51]   Was zunächst den Begriff „Motor“ betrifft, unterscheidet Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 692/2008, wie der Generalanwalt in den Nummern 118 und 119 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ausdrücklich zwischen dem Motor und dem Emissionsminderungssystem. Die Vorgaben für den „Motor“ sind nämlich in Absatz 3.3.1.2 dieses Anhangs aufgeführt, während die Vorgaben für die „Parameter des Emissionsminderungssystems“ in Absatz 3.3.1.3 dieses Anhangs enthalten sind. Dieser letzte Absatz umfasst unter den Buchstaben a und c ausdrücklich Partikelfilter und die Abgasrückführung. Außerdem gelten nach Art. 10 I Unterabsatz 2 dieser Verordnung Partikelfilter für die Zwecke der Verordnung als emissionsmindernde Einrichtungen.

[52]   Folglich handelt es sich bei dem AGR-Ventil, dem AGR-Kühler und dem Dieselpartikelfilter um vom Motor getrennte Bauteile. Das AGR-Ventil befindet sich nämlich in unmittelbarer Nähe des Motorblocks, direkt am Ansatz des Auspuffkrümmers. Wird das AGR-Ventil geöffnet, gelangen die Abgase in den Gasansaugkrümmer, damit sie ein zweites Mal verbrannt und mittels eines Wärmetauschers, dem AGR- Kühler, gekühlt werden. Der Partikelfilter, der sich vor dem Auspuffrohr befindet, ermöglicht es seinerseits, die Luft zu filtern, um verschmutzende Feinstaubpartikel aufzufangen.

[53]   Was sodann die Begriffe „Unfall“ und „Beschädigung“ in Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 betrifft, hat der EuGH entschieden, dass eine die Wirkung des Emissionskontrollsystems verringernde Abschalteinrichtung, um nach dieser Bestimmung zulässig zu sein, es ermöglichen muss, den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 109 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[54]   Die Verschmutzung und der Verschleiß des Motors können daher jedenfalls nicht als „Beschädigung“ oder „Unfall“ im Sinne der genannten Bestimmung angesehen werden, denn sie sind im Prinzip vorhersehbar und der normalen Funktionsweise des Fahrzeugs inhärent (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 110 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[55]   Diese Auslegung wird durch das mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verfolgte Ziel bestätigt, das, wie in Randnummer 43 des vorliegenden Urteils betont, darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und in der Union die Luftqualität zu verbessern; dies impliziert eine wirksame Verringerung der Stickstoffoxid (NOX)-Emissionen während der gesamten normalen Lebensdauer der Fahrzeuge. Das Verbot, auf das sich Art. 5 II dieser Verordnung bezieht, würde ausgehöhlt und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn es zulässig wäre, dass die Hersteller Fahrzeuge allein deshalb mit solchen Abschalteinrichtungen ausstatten, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 113 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]).

[56]   Nur die unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, können daher die Verwendung einer Abschalteinrichtung nach Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 rechtfertigen.

[57]   Die Auslegung des Begriffs „Beschädigung“ durch den EuGH im Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 – CLCV u. a. (Abschalteinrichtung für Dieselmotoren) – wird nicht durch das Vorbringen der deutschen Regierung und jenes der Auto Krainer GesmbH infrage gestellt, wonach sich aus der englischen („damage“) und der deutschen („Beschädigung“) Sprachfassung ergebe, dass dieser Begriff nicht nur plötzliche und unvorhersehbare Ereignisse erfasse.

[58]   Wie nämlich zum einen der Generalanwalt in Nummer 115 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, sprechen die Definitionen des Begriffs in der englischen und in der deutschen Sprache, obwohl sie im Unterschied zu der Definition desselben Begriffs [„dégâts“] in der französischen Sprache nicht zwangsläufig bedeuten, dass eine Beschädigung auf ein „plötzliches“ Ereignis zurückzuführen ist, nicht gegen die Auslegung des Begriffs „Beschädigung“, die der EuGH vorgenommen hat. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass die vom EuGH vorgenommene enge Auslegung auf den in den Randnummern 50 und 55 des vorliegenden Urteils angeführten Gründen beruht.

[59]   Die deutsche Regierung und die Auto Krainer GesmbH machen jedoch geltend, dass die fragliche Abschalteinrichtung notwendig sei, da sich bei zu niedrigen oder zu hohen Temperaturen Ablagerungen bei der Abgasrückführung bilden könnten und auf diese Weise zu einer falschen Stellung des AGR-Ventils, das heißt beispielsweise dazu, dass sich ein Ventil nicht mehr öffne oder nicht mehr korrekt schließen lasse, oder sogar zu einer vollständigen Blockierung dieses Ventils führen könnten. Ein beschädigtes oder schlecht positioniertes AGR-Ventil könne Beschädigungen am Motor selbst verursachen und insbesondere zu Leistungsverlusten des Fahrzeugs führen. Außerdem sei nicht vorhersehbar und kalkulierbar, wann die Ausfallgrenze des AGR-Ventils erreicht werde, da diese Grenze plötzlich und unvorhersehbar überschritten werden könne, selbst wenn eine regelmäßige Wartung dieses Ventils vorgenommen werde. Leistungsverluste des Fahrzeugs, die plötzlich und unvorhersehbar aufträten, beeinträchtigten den sicheren Betrieb des Fahrzeugs, indem zum Beispiel die Gefahr eines schweren Verkehrsunfalls bei einem Überholvorgang erheblich erhöht werde.

[60]   Die Auto Krainer GesmbH macht ferner geltend, dass die Versottung von Bauteilen des Abgasrückführungssystems dadurch, dass sie eine Fehlfunktion des AGR-Ventils bis hin zu dessen Verklemmen hervorrufen könne, zu einem Durchbrand des Dieselpartikelfilters und einem Motorbrand oder sogar, als Folge davon, einem Brand des gesamten Fahrzeugs führen könne, was den sicheren Betrieb des Fahrzeugs gefährde.

[61]   Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass schon dem Wortlaut von Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu entnehmen ist, dass eine Abschalteinrichtung, um unter die in dieser Bestimmung enthaltene Ausnahme zu fallen, nicht nur notwendig sein muss, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen, sondern auch, um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Wie der Generalanwalt in Nummer. 106 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist diese Bestimmung nämlich angesichts der Verwendung der Konjunktion „und“ dahin auszulegen, dass die darin vorgesehenen Voraussetzungen kumulativ sind.

[62]   Daher kann in Anbetracht der Tatsache, dass diese Ausnahme, wie in Randnummer 50 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eng auszulegen ist, eine Abschalteinrichtung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Wie der Generalanwalt in Nummer 126 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gehört eine solche Prüfung jedoch im Ausgangsrechtsstreit zur Würdigung des Sachverhalts, die allein Sache des vorlegenden Gerichts ist.

[63]   Außerdem trifft es zwar zu, dass Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 formell keine weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme vorschreibt. Doch würde eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet wäre, offensichtlich dem mit dieser Verordnung Nr. 715/2007 verfolgten Ziel, von dem diese Bestimmung nur unter ganz besonderen Umständen eine Abweichung zulässt, zuwiderlaufen und zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Grundsatzes der Begrenzung der Stickstoffoxid(NOX)-Emissionen von Fahrzeugen führen.

[64]   In Anbetracht der Tatsache, dass Art. 5 II lit. a eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung daher nicht im Sinne dieser Bestimmung notwendig sein.

[65]   Ließe man zu, dass eine Abschalteinrichtung wie sie in Randnummer 63 des vorliegenden Urteils beschrieben ist, unter die in Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen könnte, würde dies dazu führen, dass diese Ausnahme während des überwiegenden Teils eines Jahres unter den im Unionsgebiet herrschenden tatsächlichen Fahrbedingungen anwendbar wäre, sodass der in Art. 5 II der Verordnung aufgestellte Grundsatz des Verbots solcher Abschalteinrichtungen in der Praxis weniger häufig zur Anwendung kommen könnte als diese Ausnahme.

[66]   Die Auto Krainer GesmbH und die deutsche Regierung machen ferner geltend, dass die „Notwendigkeit“ einer Abschalteinrichtung nicht die bestmögliche Technik erfordere und dass der Stand der Technik zum Zeitpunkt der EG?Typgenehmigung zu berücksichtigen sei, um zu beurteilen, ob diese Notwendigkeit im Hinblick auf den Schutz des Motors und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs i. S. von Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gegeben sei. Die Verwendung eines AGR-Systems, das mit Thermofenstern in je nach Genehmigungszeitpunkt unterschiedlichem Umfang arbeite, entspreche aber unstreitig dem Stand der Technik. Außerdem müsse bei der Auslegung des Begriffs „notwendig“ in dieser Bestimmung dem Erfordernis Rechnung getragen werden, die Umweltinteressen gegen die wirtschaftlichen Interessen der Hersteller abzuwägen.

[67]   Wie der Generalanwalt in Nummer. 129 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, geht zum einen aus dem siebten Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 hervor, dass der Unionsgesetzgeber bei der Festlegung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen die Interessen der Automobilhersteller und insbesondere die Kosten, die den Unternehmen durch die erforderliche Einhaltung dieser Werte auferlegt werden, berücksichtigt hat. Es ist somit Sache der Hersteller, die technischen Vorrichtungen anzupassen und anzuwenden, damit diese Grenzwerte eingehalten werden, wobei diese Verordnung keineswegs den Einsatz einer bestimmten Technologie vorschreibt.

[68]   Zum anderen impliziert, wie in Randnummer 55 des vorliegenden Urteils ausgeführt, das mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verfolgte Ziel, das darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und die Luftqualität in der Union zu verbessern, eine wirksame Verringerung der Stickstoffoxid(NOX)-Emissionen während der gesamten normalen Lebensdauer der Fahrzeuge (EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-693/18, EU:C:2020:1040 Rn. 113 – CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren]). Wenn aber eine Abschalteinrichtung nach Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 allein deshalb zugelassen würde, weil zum Beispiel die Kosten für die Forschung hoch sind, die technische Ausrüstung teuer ist oder für den Nutzer häufigere und kostspieligere Wartungsarbeiten am Fahrzeug anfallen, würde dieses Ziel infrage gestellt.

[69]   Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese Bestimmung, wie in den Randnummern 50 und 62 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eng auszulegen ist, ist davon auszugehen, dass eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn zum Zeitpunkt der EG?Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann.

[70]   Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, nicht allein deshalb unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, weil diese Einrichtung zur Schonung von Anbauteilen wie AGR-Ventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter beiträgt, es sei denn, es ist nachgewiesen, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines dieser Bauteile verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 II lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.

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