Die in einem Grundstückskaufvertrag enthaltene Erklärung des Verkäufers, ihm seien keine unsichtbaren Mängel bekannt, rechtfertigt keine Abweichung von dem Grundsatz, dass den Käufer die Darlegungs- und Beweislast für die unterbliebene Aufklärung über offenbarungspflichtiger Umstände trifft (Bestätigung von Senat, Urt. v. 30.04.2003 – V ZR 100/02, NJW 2003, 2380).
BGH, Urteil vom 06.03.2020 – V ZR 2/19
Sachverhalt: Die Beklagten verkauften den Klägern mit notariellem Vertrag vom 24.07.2013 zum Preis von 120.000 € unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel ein Grundstück, das unter anderem mit einem Wochenendhaus und einer Motorradgarage bebaut ist. Die Motorradgarage ist mit dem Wochenendhaus verbunden und wurde als Wohnraum genutzt. Mitverkauft wurde nach dem Kaufvertrag unter anderem der „Fernseher aus dem Wohnzimmer“. Unter den sonstigen Vereinbarungen ist ausgeführt, dass der Grundbesitz in dem Zustand verkauft wird, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden hat. Zudem enthält der Vertrag die Erklärung, dass den Beklagten keine „unsichtbaren Mängel“ bekannt sind.
Mit Schreiben vom 16.10.2015 teilte die Bauaufsichtsbehörde den Klägern mit, dass die Motorradgarage ohne Genehmigung zu Wohnzwecken genutzt werde, wodurch die für die Nutzung als Wochenendhaus zulässige Grundfläche von 70 m2 deutlich überschritten sei. Die Nebengebäude befänden sich außerhalb der überbaubaren Fläche. Es sei beabsichtigt, gegen die baurechtswidrigen Zustände vorzugehen, insbesondere sei daran gedacht, den Rückbau auf das zulässige Maß zu verfügen. Die Kläger erklärten daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Die Kläger verlangen von den Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des Grundstücks, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten bezüglich der Rückübereignung, die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 11.057,33 €, die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten und die Freistellung von sämtlichen Kosten und Ansprüchen, die ihnen gegenüber durch die Bauaufsichtsbehörde geltend gemacht worden sind oder noch geltend gemacht werden.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Auf die Revision der Beklagten, die damit ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgten, wurde die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen: [4] I. Das Berufungsgericht meint, die Kläger hätten den Kaufvertrag wirksam angefochten, weil die Beklagten ihnen vor und bei Vertragsschluss arglistig verschwiegen hätten, dass ein Teil der auf dem Grundstück befindlichen Räumlichkeiten mangels einer bauaufsichtsrechtlichen Genehmigung nicht zu Wohnzwecken genutzt werden dürfe. Die Beklagten hätten zwar behauptet, den Klägern bereits bei der ersten Besichtigung erklärt zu haben, dass der Anbau nicht als Wohnraum genehmigt, aber ein Antrag auf Nutzungsänderung gestellt sei, und den Klägern bei einer weiteren Besichtigung auch einen Lageplan übergeben zu haben, aus dem die baurechtliche Situation zu erkennen gewesen sei. Diese Behauptungen hätten sie aber nicht bewiesen. Zwar seien die Kläger für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung – was auch die Verletzung einer Offenbarungspflicht umfasse – darlegungs- und beweisbelastet. Hier sei aber bereits aufgrund des notariellen Kaufvertrags der von den Klägern zu erbringende Beweis einer Verletzung der Aufklärungspflicht geführt. So heiße es in dem Kaufvertrag, dass der Fernseher aus dem „Wohnzimmer“ mitverkauft sei. Weiter sei nach dem Vertrag der Grundbesitz in dem Zustand verkauft worden, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden habe. Die notarielle Urkunde enthalte an keiner Stelle einen Hinweis auf die unerlaubte Wohnnutzung des Anbaus und eine (vermeintliche) Offenlegung dieses Umstands gegenüber den Klägern sowie des von den Beklagten eingeleiteten bauaufsichtlichen Verfahrens über eine Nutzungsänderung. Die Behauptung der Beklagten, die Kläger seien über die fehlende Genehmigung der Nutzung der Garage als Wohnraum unterrichtet worden, werde daher durch die Vertragsurkunde widerlegt. Für den Inhalt der Urkunde spreche die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit. Vor diesem Hintergrund hätten die Beklagten beweisen müssen, dass eine Aufklärung der Kläger erfolgt sei. Das Landgericht sei nach durchgeführter Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass den Beklagten dies nicht gelungen sei. Gegen die Darstellung der Beklagten sprächen auch die weiteren, aus der Aktenlage objektiv erkennbaren Umstände. Unrichtig sei etwa auch die in dem Notarvertrag enthaltene Erklärung der Beklagten, dass ihnen unsichtbare Mängel nicht bekannt seien. Das Vorbringen der Beklagten als wahr unterstellt, hätte spätestens an dieser Stelle ein Hinweis auf den baurechtswidrigen Zustand erfolgen müssen.
[5] II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch die Beklagten nicht angenommen werden.
[6] 1. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass im Falle einer wirksamen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ein Anspruch der Kläger auf Rückabwicklung des Vertrages (§ 812 I 1 Fall 1 BGB) und auf Zahlung von Schadensersatz nach den Grundsätzen der Haftung bei Vertragsschluss (§§ 280 I, 241 II, 311 II Nr. 1 BGB) in Betracht kommt (vgl. Senat, Urt. v. 03.05.2002 – V ZR 175/01, NJOZ 2002, 1888, 1889 m. w. Nachw.).
[7] 2. Weiterhin legt das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler zugrunde, dass die objektive Seite einer arglistigen Täuschung regelmäßig gegeben ist, wenn Räume als Wohnraum angepriesen werden, obwohl die für eine solche Nutzung notwendige baurechtliche Genehmigung nicht vorliegt. Denn die Baubehörde kann die Nutzung jedenfalls bis zur Erteilung der Genehmigung untersagen – und zwar unabhängig davon, ob eine Genehmigung unter Zulassung einer Ausnahme hätte erteilt werden können (vgl. Senat, Urt. v. 27.06.2014 – V ZR 55/13, NJW 2014, 3296 Rn. 10 m. w. Nachw.). Nach den – von den Beklagten nicht angegriffenen – Feststellungen des Berufungsgerichts wurde die Motorradgarage erkennbar als Wohnraum genutzt und der Kaufgegenstand auch mit dieser Nutzung angepriesen, obwohl die erforderliche bauaufsichtsrechtliche Genehmigung nicht vorlag.
[8] 3. Für den Fall unterbliebener Aufklärung geht das Berufungsgericht ferner zu Recht von dem Vorliegen der subjektiven Seite arglistigen Handelns seitens der Beklagten aus. Arglistig handelt ein Verkäufer, wenn er den Fehler mindestens für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass sein Vertragspartner den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (Senat, Urt. v. 14.06.2019 – V ZR 73/18, ZIP 2019, 2115 Rn. 11 m. w. Nachw.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beklagten haben ausweislich der Feststellungen des Berufungsgerichts eine Kenntnis von den bauordnungswidrigen Zuständen nicht in Abrede gestellt. Auch dies nehmen die Beklagten im Rahmen des Revisionsverfahrens hin.
[9] 4. Die Revision rügt indessen zu Recht, dass dem Berufungsgericht ein Rechtsfehler insoweit unterlaufen ist, als es den Beklagten die Beweislast für die von ihnen behauptete Aufklärung über die bauordnungswidrige Wohnnutzung zugewiesen hat.
[10] a) Im Ausgangspunkt sieht das Berufungsgericht noch zutreffend, dass derjenige, der einen Vertrag wegen arglistiger Täuschung anficht, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen sämtlicher Umstände, die den Arglisttatbestand ausfüllen, trifft (vgl. Senat, Urt. v. 20.10.2000 – V ZR 285/99, NJW 2001, 64, 65), wozu bei einer Täuschung durch Verschweigen auch die fehlende Offenbarung gehört (vgl. zur parallel gelagerten Fragestellung im Rahmen des § 444 BGB: Senat, Urt. v. 12.11.2010 – V ZR 181/09, BGHZ 188, 43 Rn. 12). Bei der behaupteten unterbliebenen Offenbarung handelt es sich um eine negative Tatsache; dem Käufer kommen daher Erleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zugute. Er muss, um seiner Darlegungs- und Beweislast zu genügen, nicht alle theoretisch denkbaren Möglichkeiten einer Aufklärung ausräumen; es reicht vielmehr aus, die von dem Verkäufer in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Weise substanziiert darzulegende Aufklärung ausräumen, das heißt zu widerlegen. Gelingt dies, ist der Beweis der negativen Tatsache erbracht (vgl. Senat, Urt. v. 27.06.2014 – V ZR 55/13, NJW 2014, 3296 Rn. 13; Urt. v. 12.11.2010 – V ZR 181/09, BGHZ 188, 43 Rn. 12; Urt. v. 30.04.2003 – V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2382 a. E.).
[11] b) Das Berufungsgericht hat diese Beweislastregel jedoch fehlerhaft angewandt. Entgegen seiner Auffassung ist es aufgrund des Inhalts des notariellen Kaufvertrags nicht gerechtfertigt, von dem geschilderten Grundsatz abzuweichen und den Beklagten die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass sie die Kläger über den bauordnungswidrigen Zustand des Kaufobjekts aufgeklärt haben.
[12] aa) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Erklärung der Beklagten zu unsichtbaren Mängeln. Der Senat hat bereits entschieden, dass die in einem Grundstückskaufvertrag enthaltene Erklärung des Verkäufers, ihm seien keine unsichtbaren Mängel bekannt, keine Abweichung von dem Grundsatz rechtfertigt, dass den Käufer die Darlegungs- und Beweislast für die unterbliebene Aufklärung über offenbarungspflichtiger Umstände trifft (Senat, Urt. v. 30.04.2003 – V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2382). Einer solchen Erklärung kommt kein Beweiswert in Bezug auf eine von dem Verkäufer behauptete Aufklärung zu. Hat diese Aufklärung stattgefunden, liegt es nämlich nahe, dass der Verkäufer nicht länger von einem „unsichtbaren“ Mangel ausgegangen ist.
[13] Hieran vermag auch die von dem Berufungsgericht herangezogene Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Kaufvertragsurkunde nichts zu ändern. Sie erstreckt sich nur auf die vollständige und richtige Wiedergabe der getroffenen Vereinbarungen. Dagegen gilt sie nicht für die bei Besichtigungen und Vertragsverhandlungen erteilten Informationen; diese bedürfen nicht der notariellen Vereinbarung und nehmen daher an der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der notariellen Urkunde nicht teil (vgl. Senat, Urt. v. 15.07.2011 – V ZR 171/10, VersR 2012, 452 Rn. 17, insoweit in BGHZ 190, 272 nicht abgedruckt; Urt. v. 13.06.2008 – V ZR 114/07, NJW 2008, 2852 Rn. 17; Urt. v. 30.04.2003 – V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2382).
[14] bb) Auch die weiteren von dem Berufungsgericht herangezogenen Bestimmungen des Kaufvertrags rechtfertigen keine Umkehr der Beweislast. Für die dem Käufer obliegende Beweisführung, dass ihm bestimmte Informationen von dem Verkäufer vor Vertragsschluss nicht gegeben worden seien, kann der Inhalt des Kaufvertrags nur eine – je nach den Umständen mehr oder minder große – indizielle Bedeutung haben (vgl. Senat, Urt. v. 15.07.2011 – V ZR 171/10, VersR 2012, 452 Rn. 17; Urt. v. 30.04.2003 – V ZR 100/02, NJW 2003, 2380, 2382). Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass die Vereinbarung, der Grundbesitz werde in dem Zustand verkauft, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden habe, ohnehin keine Rückschlüsse darauf zulässt, welche Informationen den Klägern in Bezug auf die Zulässigkeit der Wohnraumnutzung vor Vertragsschluss gegeben worden sind, und dass der Begriff „Wohnzimmer“ unter „Gegenstand des Kaufvertrages“ in erster Linie zur Individualisierung des mitverkauften Fernsehers verwendet worden sein dürfte.
[15] c) Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts ist entscheidungserheblich. Es beschränkt seine Aussage, an der Beweiswürdigung des Landgerichts bestünden keine Zweifel, ausdrücklich darauf, dass den Beklagten nicht der Beweis für ihre Behauptung gelungen sei, die Kläger im Rahmen der vorvertraglichen Verhandlungen wahrheitsgemäß über den baurechtlichen Zustand des Kaufobjekts aufgeklärt zu haben. Ob es – wie vom Landgericht angenommen – den Klägern gelungen ist, die von den Beklagten behauptete Aufklärung zu widerlegen, hat das Berufungsgericht hingegen nicht geprüft.
[16] III. Der angefochtene Beschluss kann hiernach keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben (§ 562 I ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 I ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
[17] Die bei den Klägern liegende Beweislast für die unterbliebene Offenbarung kehrt sich auch dann nicht um, wenn die Aufklärung dazu gedient haben soll, einen zuvor durch aktives Tun der Beklagten hervorgerufenen Irrtum zu beseitigen (vgl. Senat, Urt. v. 27.06.2014 – V ZR 55/13, NJW 2014, 3296 Rn. 14 m. w. Nachw.).
[18] Das Berufungsgericht wird daher zunächst zu prüfen haben, ob es den Klägern auf der Grundlage der bisherigen Beweiserhebung nach seiner Überzeugung gelungen ist, die von den Beklagten behauptete Aufklärung – durch einen Hinweis anlässlich des ersten Besichtigungstermins und die spätere Vorlage des Lageplans (Anlage B 1) – auszuräumen. Wenn sich das Berufungsgericht von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht zu überzeugen vermag, ist es an die erstinstanzliche Beweiswürdigung nicht gebunden, sondern zu einer erneuten Tatsachenfeststellung nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet (vgl. Senat, Urt. v. 19.07.2019 – V ZR 255/17, NJW 2019, 3147 Rn. 65).