- Eine bewegliche Sache kommt dem Eigentümer nicht i. S. von § 935 I BGB abhanden, wenn er den unmittelbaren Besitz freiwillig aufgibt. Die Besitzaufgabe ist nicht deshalb unfreiwillig, weil sie auf einer Täuschung beruht, denn die Besitzaufgabe ist ein Realakt und keine Willenserklärung.
- Kosten für eine den Verzug erst begründende Erstmahnung sind kein Verzugsschaden; der Schuldner muss sie dem Gläubiger deshalb nicht gemäß §§ 280 I, II, 286 I 1 BGB ersetzen.
OLG Hamm, Urteil vom 12.07.2018 – 5 U 133/17
Sachverhalt: Der Beklagte erwarb am 05.05.2008 eine Rolex-Herrenarmbanduhr zum Preis von 12.000 € samt dazugehöriger Garantiekarte. Diese ist in französischer Sprache verfasst. Sie weist den – nicht mit dem Beklagten identischen – Erstkäufer der Uhr aus und zertifiziert die Echtheit derselben.
Ein Jahr später entschloss sich der Beklagte, die Uhr wieder zu verkaufen. Er traf er sich deshalb am 13.05.2009 mit einem unter dem Namen „U“ auftretenden Unbekannten, der Interesse an der Uhr zeigte, im Hotel H in Düsseldorf. U gab an, er wolle die Uhr im Hotel G, das dem Hotel H schräg gegenüber liegt, von einem Experten prüfen lassen. Der Beklagte übergab U die Uhr, behielt aber die Garantiekarte zurück. U nahm die Uhr an sich und verließ damit das Hotel H, ohne zurückzukehren.
Der Beklagte erstattete daraufhin Strafanzeige gegen U. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein, weil sie die Identität des Täters nicht ermitteln konnte.
Am 23.02.2016 erwarb der Kläger die streitgegenständliche Uhr ohne Garantiekarte von dem Gebrauchtuhrenhändler D, von dem er bereits zuvor gebrauchte Rolex-Uhren erworben hatte, zum Preis von 14.500 €. Anlässlich einer Revision übergab der Kläger die Uhr Anfang September ihrem Hersteller. Diese stellte fest, dass die Uhr zur Sachfahndung ausgeschrieben war; sie wurde daraufhin am 06.09.2016 polizeilich beschlagnahmt und sichergestellt.
In der Folge hob die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme der Uhr auf. Sie stellte einen Hinterlegungsantrag bei der Hinterlegungsstelle des AG Düsseldorf, das die Uhr unter annahm und bis heute bei der Justizkasse Nordrhein-Westfalen in Hamm verwahrt. Als mögliche Empfangsberechtigte der Uhr benannte die Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag den Kläger und den Beklagten.
Der Kläger hat gemeint, er habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zur Herausgabe der Uhr, da er die Uhr jedenfalls gutgläubig erworben habe. Der Rechtsschein des Besitzes habe für die Eigentümerstellung des D gesprochen. Er – der Kläger – sei hinsichtlich der Eigentümerstellung des D auch gutgläubig gewesen; insbesondere könne das Fehlen der Garantiekarte keine Bösgläubigkeit begründen, da die Garantiekarte lediglich die Echtheit der Uhr zertifiziere. Die Situation sei deshalb nicht mit der beim Kauf eines Gebrauchtwagens vergleichbar.
Die Uhr sei dem Beklagten nicht abhandengekommen; vielmehr habe der Beklagte dem U den unmittelbaren Besitz – wenn auch täuschungsbedingt – willentlich verschafft. U sei auch nicht Besitzdiener des Beklagten gewesen, da er weder in abhängiger Stellung für den Beklagten tätig noch dessen Weisungen unterworfen gewesen sei, nachdem sich der Beklagte seiner tatsächlichen Verfügungsmacht über die Uhr entäußert hatte.
Der Beklagte hat behauptet, er habe mit U vereinbart, dass dieser die Uhr nach der Prüfung durch den Experten zurückbringen solle.
Er hat gemeint, der Kläger habe das Eigentum an der Uhr nicht gutgläubig erwerben können, da ihm – dem Beklagten – die Uhr abhandengekommen sei. Bei der Überlassung der Uhr an U habe es sich lediglich um eine Besitzlockerung gehandelt, die an den tatsächlichen Besitzverhältnissen nichts geändert habe. Den unmittelbaren Besitz habe er gegen seinen Willen erst verloren, als U nicht zurückgekehrt sei.
Ein gutgläubiger Erwerb scheitere zudem an der Bösgläubigkeit des Klägers. Diese resultiere daraus, dass der Kläger beim Erwerb der Uhr keine Garantiekarte erhalten habe. Rolex-Uhren würden aber regelmäßig nur mit Garantiekarte verkauft. Erhalte der Käufer keine entsprechende Karte, begründe dies allein schon grobe Fahrlässigkeit. Angesichts des Preises von 14.500 € hätten den Kläger ohnehin erhöhte Nachforschungsobliegenheiten getroffen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Widerklage des Beklagten hat es den Kläger verurteilt, gegenüber dem AG Düsseldorf die Herausgabe der streitgegenständlichen Uhr an den Beklagten zu bewilligen.
Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten scheitere daran, dass der Kläger nicht Eigentümer der Uhr habe werden können, da diese dem Beklagten abhandengekommen sei. U sei mit Annahme der Uhr Besitzdiener des Beklagten geworden; der Beklagte sei folglich unmittelbarer Besitzer geblieben und habe den unmittelbaren Besitz gegen seinen Willen verloren, als U die Uhr nicht zurückgebracht habe. Übe nämlich ein Kaufinteressent über einen zu Prüfungszwecken überlassenen Gegenstand nach der Verkehrsanschauung die tatsächliche Gewalt nur nach den Weisungen des Verkäufers aus, sei der Käufer nicht als unmittelbarer Besitzer, sondern lediglich als Besitzdiener zu qualifizieren. Hier habe U dem Weisungsrecht des Beklagten unterstanden, da er die Uhr nach den glaubhaften Angaben des Beklagten habe zurückbringen sollen. Dass der Beklagte möglicherweise nicht mehr auf U habe einwirken können, nachdem dieser das Hotel verlassen hatte, sei zum einen irrelevant, da für die Einordnung als Besitzdiener keine ununterbrochene Einwirkungsmöglichkeit notwendig sei. Zum anderen habe der Beklagte durch Einbehalten der Garantiekarte seine Einflussmöglichkeiten auf die Uhr aufrechterhalten.
Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte im Wesentlichen Erfolg.
Aus den Gründen: Die … Berufung des Klägers hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Abweisung seines Antrags auf Zustimmung zur Herausgabe der Uhr bzw. die eigene Verurteilung zur Erklärung jener Zustimmung richtet. Soweit die Berufung die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten betrifft, bleibt sie erfolglos.
I. Der Anspruch des Klägers auf Erteilung der Zustimmung zur Herausgabe der Uhr ergibt sich aus § 812 I 1 Fall 2 BGB.
1. Damit das AG Düsseldorf als Hinterlegungsstelle die Uhr an einen der Beteiligten herausgeben darf, bedarf es im Rahmen eines Prätendentenstreits gemäß § 22 III Nr. 1 HintG NRW der Bewilligung der Herausgabe durch die übrigen Beteiligten. Der (wahre) Berechtigte kann die Abgabe dieser Erklärung gemäß § 812 I 1 Fall 2 BGB von den übrigen Prätendenten verlangen, die ihre Rechtsposition auf seine Kosten erlangt haben; insoweit ist es ohne Bedeutung, ob die Voraussetzungen für die Hinterlegung vorlagen. Ob der Anspruch besteht, richtet sich nicht nach dem Innenverhältnis zwischen den Prätendenten, sondern ausschließlich nach dem materiellen Rechtsverhältnis zwischen dem hinterlegenden Schuldner – hier der Staatsanwaltschaft – und dem Kläger (BGH, Urt. v. 30.01.2015 – V ZR 63/13, juris Rn. 8; Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 179/11, juris Rn. 10; Urt. v. 15.10.1999 – V ZR 141/98, juris Rn. 25). Dies beruht darauf, dass die Hinterlegung zur Erfüllung einer gegen den Hinterlegenden gerichteten Forderung erfolgt (§ 372 Satz 2 BGB; BGH, Urt. v. 30.01.2015 – V ZR 63/13, juris Rn. 8; Urt. v. 13.11.1996 – VIII ZR 210/95, juris Rn. 10).
Nach diesen Maßstäben kann der Kläger als wahrer Berechtigter an der Uhr die Zustimmung zur Herausgabe vom Beklagten verlangen, da er einen Anspruch auf Herausgabe aus § 111n StPO bzw. § 985 BGB gegen die Staatsanwaltschaft hatte, bevor diese die Uhr hinterlegte. Der Kläger war und ist Eigentümer der Uhr, die Staatsanwaltschaft war spätestens nach Ende der Beschlagnahme und bis zur Hinterlegung Besitzerin ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB).
2. Der Kläger ist mit dem Erwerb der Uhr von D Eigentümer der Uhr geworden. Ausgangspunkt für dieses Ergebnis bildet die Eigentumsvermutung des § 1006 I 1 BGB, nach der zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache vermutet wird, dass er Eigentümer der Sache sei. Zwar ist der Kläger inzwischen nicht mehr Besitzer der Uhr, als früherer Besitzer kann er sich aber auf die Eigentumsvermutung des § 1006 II BGB berufen. Dass der Beklagte sich als früherer Besitzer ebenfalls auf die Eigentumsvermutung des § 1006 II BGB berufen kann, ist unerheblich, da die Vermutung aus dem zeitlich späteren Besitz der Vermutung aus dem früheren Besitz vorgeht (BGH, Urt. v. 30.01.2015 – V ZR 63/13, juris Rn. 34; Staudinger/Gursky, BGB, Neubearb. 2012, § 1006 Rn. 19).
Die Vermutung zugunsten des Klägers vermochte der Beklagte nicht zu widerlegen (§ 292 Satz 1 ZPO; zu den Anforderungen an die Widerlegung: BGH, Urt. v. 03.03.2017 – V ZR 268/15, juris Rn. 20 ff.).
a) Entgegen den Ausführungen des Landgerichts ist die Uhr dem Beklagten insbesondere nicht gemäß § 1006 I 2 BGB, der auch auf § 1006 II BGB Anwendung findet (Palandt/Herrler, BGB, 77. Aufl. [2018], § 1006 Rn. 6; Staudinger/Gursky, a. a. O., § 1006 Rn. 21), abhandengekommen.
Ein Abhandenkommen i. S. des § 935 I 1 BGB setzt voraus, dass der Eigentümer oder sein Besitzmittler den unmittelbaren Besitz ohne sein Willen verloren hat (BGH, Urt. v. 13.12.2013 – V ZR 58/13, juris Rn. 8; Urt. v. 16.04.1969 – VIII ZR 64/67, juris Rn. 16; Urt. v. 15.11.1951 – III ZR 21/51, juris Rn. 62; Staudinger/Wiegand, BGB, Neubearb. 2017, § 935 Rn. 4). Dies war vorliegend nicht der Fall.
Im Zeitpunkt des Besitzverlusts, dem Verschwinden des U, war der Beklagte nicht mehr unmittelbarer Besitzer i. S. des § 854 I BGB. Den unmittelbaren Besitz hatte er durch die Übergabe der Uhr und das Entlassen des U bereits auf diesen übertragen. Dass die Überlassung täuschungsbedingt erfolgte, begründet keine Unfreiwilligkeit, da die Besitzaufgabe Realakt und nicht Willenserklärung ist (Palandt/Herrler, a. a. O., § 935 Rn. 5; Staudinger/Wiegand, a. a. O., § 935 Rn. 11).
Der Beklagte ist insbesondere nicht deshalb unmittelbarer Besitzer geblieben, weil U als Besitzdiener i. S. des § 855 BGB einzuordnen wäre. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob der Beklagte mit U eine (ausdrückliche) Vereinbarung zur Rückgabe der Uhr schloss, was der Kläger entgegen der Auffassung des Landgerichts zulässigerweise gemäß § 138 IV ZPO mit Nichtwissen bestritten hat. Denn selbst nach dem Vortrag des Beklagten konnte U kein Besitzdiener sein.
aa) Besitzdiener i. S. des § 855 BGB ist, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat. Dazu muss nach dem BGH ein nach außen erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet werden (BGH, Urt. v. 17.03.2017 – V ZR 70/16, juris Rn. 13; Urt. v. 13.12.2013 – V ZR 58/13, juris Rn. 10; Urt. v. 30.05.1958 – V ZR 295/56, juris Rn. 23), das dem Besitzherrn zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzdiener durchzusetzen (BGH, Urt. v. 17.03.2017 – V ZR 70/16, juris Rn. 13; Urt. v. 13.12.2013 – V ZR 58/13, juris Rn. 10; Staudinger/Gutzeit, BGB, Neubearb. 2012, § 855 Rn. 16). Besitzdiener ist nicht jeder, der Weisungen des Eigentümers der Sache zu befolgen hat, sondern nur derjenige, demgegenüber der Eigentümer die Einhaltung seiner Weisungen im Nichtbefolgungsfall aufgrund eines Direktionsrechts oder vergleichbarer Befugnisse unmittelbar selbst durchsetzen kann (BGH, Urt. v. 17.03.2017 – V ZR 70/16, juris Rn. 13).
bb) Ein soziales Abhängigkeitsverhältnis wie zum Beispiel ein Arbeitsverhältnis, mit dem rechtlich wie faktisch Weisungsrechte des Besitzherrn einhergehen, bestand zwischen dem Beklagten und U nicht. Es fehlt auch an einer strukturell vergleichbaren Situation, die eine analoge Anwendung von § 855 BGB rechtfertigen könnte (vgl. BGH, Urt. v. 17.03.2017 – V ZR 70/16, juris Rn. 14).
Eine strukturell vergleichbare Situation haben Teile der Instanzrechtsprechung in Fällen von Gefälligkeitsüberlassungen angenommen, da zu erwarten sei, dass sich der Gefälligkeitsnutzer aufgrund seiner Loyalität gegenüber dem Erlaubenden an dessen Weisungen halten werde. Erforderlich sei jedoch stets, dass der Besitzherr ständig auf die Sache zugreifen könne (OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.02.2009 – 10 U 3/09, juris Rn. 4; OLG Nürnberg, Urt. v. 02.06.1989& – 8 U 2161/88, juris Rn. 47; Erman/A. Lorenz, BGB, 15. Aufl. [2017], § 855 Rn. 13; Staudinger/Gutzeit, a. a. O., § 855 Rn. 30).
Ebenfalls eine strukturell vergleichbare, die analoge Anwendung des § 855 BGB rechtfertigende Situation nahm das OLG Köln in einer Entscheidung vom 18.04.2005 – 19 U 10/05 – für den Fall einer Probefahrt mit einem Kfz zur Anbahnung eines Kaufvertragsabschlusses an.
cc) Der vorliegende Fall ist aber nicht mit dem einer Gefälligkeitsüberlassung und auch nicht mit dem einer Probefahrt im Rahmen eines avisierten Kaufvertragsabschlusses vergleichbar. Auch über diese Fallgruppen hinaus gebietet die Interessenlage der Parteien keine analoge Anwendung des § 855 BGB.
(1) Zunächst handelte es sich bei der Überlassung der Uhr schon nicht um eine Gefälligkeit (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. [2018], Einl. v. § 241 Rn. 7 m. w. Nachw.). Eine solche Annahme ist bereits wegen des schlichten Werts der Uhr abwegig. Darüber hinaus und ganz wesentlich sollte die Überlassung aus Sicht des Beklagten auch gerade dem Kaufvertragsabschluss dienen. Die erheblichen wirtschaftlichen Interessen der Parteien lassen die Annahme eines Gefälligkeitsverhältnisses nicht zu. Selbst wenn man jedoch ein solches Verhältnis annimmt, hatte der Beklagte, nachdem U das Hotel verlassen hatte, keinerlei Zugriffsmöglichkeit mehr auf die Uhr. Er konnte also die Weisung zur Rückgabe nicht mehr unmittelbar selbst durchsetzen. Auch der Einbehalt der Garantiekarte führte nicht dazu, dass der Beklagte eine Einflussmöglichkeit auf die Uhr behielt. Die Garantiekarte enthält nämlich zum einen jedenfalls ab dem Zweitverkauf keine Aussage über die Berechtigung an der Uhr, zum anderen gibt es selbst nach dem Vortrag des Beklagten einen relevanten Markt für Uhren ohne Garantiekarte, sie blieb also unproblematisch verkehrsfähig.
(2) Auch ist die Situation nicht mit der bei einer Probefahrt zur Anbahnung eines Kaufvertragsschlusses vergleichbar. Zwar sind die Fälle im Ausgangspunkt gleichgelagert, da auch im Fall des OLG Köln eine Sache, nämlich ein Kfz, zweckgerichtet überlassen wurde. Allerdings betraf die Entscheidung eine Probefahrt, welche täglicher Praxis im Fahrzeughandel entspricht. Das OLG Köln bezog sich folgerichtig ausdrücklich auf die Verkehrsanschauung und folgerte, dass der Probefahrende aufgrund der zeitlich und damit notwendigerweise auch örtlich eingeschränkten Überlassung des Fahrzeugs die tatsächliche Gewalt hierüber nur nach Weisung des Besitzherrn ausübe (OLG Köln, Beschl. v. 18.04.2005 – 19 U 10/05, juris Rn. 3). Da der Fahrzeughändler auch regelmäßig den Führerschein des Interessenten prüfen wird und das Fahrzeug – jedenfalls solange das Originalkennzeichen angebracht bleibt – anhand dessen identifiziert werden kann, mag dies Umstände darstellen, die Interessenten anhalten können, entsprechend den Weisungen des Fahrzeughändlers zu handeln, womit die vom OLG Köln zugrunde gelegte Verkehrsanschauung zumindest nicht ausgeschlossen erscheint. Der BGH hat bislang offengelassen, ob es eine solche Verkehrsanschauung gibt (BGH, Urt. v. 17.03.2017 – V ZR 70/16, juris Rn. 12).
Es ist jedoch nicht angezeigt, diese Verkehrsanschauung auf den vorliegenden Fall zu übertragen, denn es entspricht nicht allgemeiner Praxis, eine Uhr im Wert von über 10.000 € an eine nicht näher bekannte Person zu übergeben. Mit der Übergabe und dem Entlassen des U verlor der Beklagte jeden Zugriff auf die Uhr. Es sind auch keine sonstigen Umstände ersichtlich, die U hätten veranlassen können, entsprechend möglicher Weisungen des Beklagten zu handeln.
Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, welche Prüfung der vorgebliche Bekannte an der Uhr vornehmen sollte und warum er diese nur an einem anderen Ort unter Ausschluss des Beklagten vornehmen konnte. Eine Prüfung der Echtheit oder Mechanik der Uhr hätte jeweils auch im Beisein des Beklagten stattfinden können. Hat ein Verkäufer aber einen derart wertvollen Gegenstand in genannt fahrlässiger Weise aus der Hand gegeben, gibt es keine Verkehrsanschauung, die ihm nach der Übergabe und dem Verlassen des räumlichen Bereichs durch den nicht näher bekannten Käufer noch eine Weisungsbefugnis oder tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit zubilligen würde.
(3) Zuletzt besteht auch keine Veranlassung, § 855 BGB über die bereits geschilderten Fallgruppen hinaus auf den vorliegenden Fall auszudehnen. Die Norm dient nämlich jedenfalls auch dazu, einen Besitzschutz des Besitzdieners gegenüber dem Besitzherrn gemäß §§ 859, 861, 862 BGB auszuschließen (Palandt/Herrler, a. a. O., § 855 Rn. 1; Staudinger/Gutzeit, a. a. O., § 855 Rn. 5). Dies beruht auf dem Gedanken, dass Besitzherr und Besitzdiener in der Regel aus einem Lager stammen und gleichgerichtete Interessen verfolgen bzw. der Wille des Besitzherrn den Willen des Besitzdieners wie im Falle von Gefälligkeitsverhältnissen gleichsam überlagert. Der Beklagte als Verkäufer und U als vermeintlicher Käufer verfolgten jedoch gegenläufige Interessen, die sich in ihrer Gewichtigkeit auch nicht übertrafen.
(4) Die Überlassung stellte auch keine bloße Besitzlockerung dar, da der Beklagte spätestens, als U das Hotel verließ, keine Einwirkungsmöglichkeit mehr auf die Uhr hatte. Nichts anderes ergibt sich aus § 856 II BGB, der § 854 BGB lediglich konkretisiert und Fälle einer vorübergehenden Verhinderung in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt regelt (MünchKomm-BGB/Joost, 7. Aufl. [2017], § 856 Rn. 1). Die Norm kann jedoch Fälle einer gewollten Besitzübertragung nicht erfassen, da ansonsten auch jeder Vermieter, Verleiher, Hinterleger etc. unmittelbarer Besitzer der Sache bliebe.
b) Der Beklagte konnte zur Widerlegung des § 1006 II BGB auch nicht beweisen, dass der Kläger kein Eigentum an der Uhr erworben hat (vgl. BGH, Urt. v. 20.09.2004– II ZR 318/02, juris Rn. 21; Urt. v. 16.10.2003 – IX ZR 55/02, juris Rn. 30). Soweit er sich darauf berufen hat, dass der Kläger bei dem Erwerb der Uhr bösgläubig gewesen sei, ist dies zur Widerlegung der Erwerbsvoraussetzungen nicht ausreichend. Die Berufung hierauf setzt nämlich implizit voraus, dass D selbst als Nichtberechtigte verfügte. Mangels Abhandenkommens der Uhr greift die Eigentumsvermutung des § 1006 II BGB jedoch auch zugunsten des D. Da der Beklagte nichts zur Widerlegung dieser Vermutung vorgetragen hat, ist davon auszugehen, dass der Kläger von D als Berechtigter erwarb und eine etwaige Bösgläubigkeit damit irrelevant wäre.
Selbst wenn man zugunsten des Beklagten unterstellt, dass D als Nichtberechtigter verfügte, erwarb der Kläger das Eigentum an der Uhr, da er nicht bösgläubig i. S. des § 932 II BGB war, ihn insbesondere keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne der Norm traf. Das von Beklagtenseite in diesem Zusammenhang ins Feld geführte Argument des Fehlens der Garantiekarte konnte keine Bösgläubigkeit begründen, da die Karte im Unterschied zur Zulassungsbescheinigung Teil II jedenfalls ab dem Zweitverkauf keine Aussage mehr über die Verfügungsberechtigung an der Uhr trifft. Dass unstreitig ein relevanter Markt für Luxusuhren auch ohne Garantiekarte besteht, unterstreicht den Befund fehlender Bösgläubigkeit des Klägers, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich eine größere Anzahl von Personen der Gefahr eines gescheiterten Eigentumserwerbs aussetzt.
II. Die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 524,67 € sind nicht ersatzfähig.
Es ergibt sich insbesondere kein Anspruch aus Verzug gemäß §§ 280 I, II, 286 BGB, da der Beklagte erst mit Ablauf der in der Mahnung gesetzten Frist zur Bewilligung der Herausgabe der Uhr am 06.03.2017 in Verzug kam. Die Kosten für die verzugsbegründende Erstmahnung sind jedoch nicht ersatzfähig, da im Zeitpunkt der maßgeblichen Leistungshandlung gerade noch kein Verzug vorlag (BGH, Urt. v. 13.12.2012 – I ZR 150/11, juris Rn. 25; MünchKomm-BGB/Ernst, 7. Aufl. [2016], § 286 Rn. 159; Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 286 Rn. 44).
Da es bei Ansprüchen aus § 812 BGB lediglich um die Abschöpfung ungerechtfertigt zugeflossener Vermögensvorteile geht, fallen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, welche zur Durchsetzung eines solchen Anspruchs entstanden sind, auch nicht in den Schutzbereich dieser Norm (vgl. Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 249 Rn. 57).
III. Die Widerklage ist spiegelbildlich zur Klage in der Hauptsache unbegründet, da nicht der Beklagte, sondern der Kläger Eigentümer der Uhr ist.
IV. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 91 I ZPO i. V. mit § 43 I GKG sowie § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
V. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 II ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat hat den Fall insbesondere im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an die Besitzdienereigenschaft entschieden. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision erfordert. Das OLG Köln begründete seine Entscheidung im Fall der Probefahrt eines Kfz zur Anbahnung eines Kaufvertrags ausdrücklich mit der bestehenden Verkehrsauffassung, eine vergleichbare Verkehrsauffassung ist beim Kauf gebrauchter Luxusuhren jedoch nicht erkennbar.