- Beim Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs (hier: eines Wohnmobils) begründet der Besitz des Veräußerers allein nicht den für einen gutgläubigen Eigentumserwerb (§§ 929 Satz 1, 932 BGB) erforderlichen Rechtsschein. Vielmehr gehört es regelmäßig zu den Mindestanforderungen des gutgläubigen Erwerbs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu überprüfen. Ist der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und der Zulassungsbescheinigung Teil II, kann der Erwerber dennoch bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen müssen und er sie unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht allerdings nicht.
- Dass der private Verkäufer eines Gebrauchtwagens Barzahlung des Kaufpreises verlangt, ist kein besonderer Umstand, der den Erwerber misstrauisch machen muss.
- Dem Erwerber eines Gebrauchtwagens ist nicht schon deshalb infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt, dass das Fahrzeug nicht dem Veräußerer gehört, weil der Veräußerer nur einen Fahrzeugschlüssel vorlegen kann und zusagt, den zweiten Schlüssel kurzfristig nachzureichen. Dies steht einem gutgläubigen Eigentumserwerb vielmehr nur entgegen, wenn der Erwerber daran zweifeln muss, dass der Veräußerer überhaupt über den zweiten Schlüssel verfügt.
- Derjenige, der gutgläubig Eigentümer eines Gebrauchtwagens geworden ist, hat gegen den bisherigen Eigentümer einen Anspruch auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 985 BGB i. V. mit § 952 II BGB analog).
- Die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass dem Erwerber eines Gebrauchtwagens zum maßgeblichen Zeitpunkt bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, dass das Fahrzeug nicht dem Veräußerer gehört, trifft den Alteigentümer.
OLG Köln, Urteil vom 29.11.2017 – 16 U 86/17
Sachverhalt: Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger gutgläubig das Eigentum an einem Wohnmobil erworben hat.
Der Beklagte, dem das Fahrzeug seinerzeit gehörte, vermietete es am 21.05.2016 an eine Frau, die sich als N vorstellte. Der Kläger behauptet, er habe das Wohnmobil, das im Internet zum Kauf angeboten worden sei, mit schriftlichem Kaufvertrag vom 28.05.2016 von einer L gekauft. Unstreitig ist, dass der Kläger eine Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II erhielt, aber nur einen Fahrzeugschlüssel. Der schriftliche Kaufvertrag vom 28.05.2016 enthält die Zusage, dass der Kläger den zweiten Schlüssel per Post erhalten werde und ihm die Kosten für einen Schlosswechsel ersetzt würden, falls ihm der zweite Schlüssel nicht innerhalb einer Woche vorliege.
Die Zulassungsbescheinigungen haben sich inzwischen als Fälschungen erwiesen.
Das Landgericht hat die Klage auf Herausgabe des zweiten Schlüssels und der Fahrzeugpapiere abgewiesen. Auf die Widerklage des Beklagten hat es den Kläger verurteilt, das streitgegenständliche Wohnmobil an den Beklagten herauszugeben, und hierfür eine Frist bestimmt. Für den Fall, dass die Herausgabe nicht fristgerecht erfolgt, hat das Landgericht den Kläger zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 52.000 € an den Beklagten verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte überwiegend Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Der Kläger ist aufgrund gutgläubigen Erwerbs Eigentümer des Wohnmobils geworden und kann daher vom Beklagten die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II für das Fahrzeug verlangen. Dagegen steht ihm ein Anspruch auf Herausgabe weiterer Papiere und des Zweitschlüssels nicht zu.
Der Kläger kann gemäß §§ 985, 952 II BGB vom Beklagten Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II verlangen. Das Eigentum an den Fahrzeugpapieren folgt entsprechend § 952 II BGB (Palandt/Herrler, BGB, 76. Aufl., § 952 Rn. 6) dem Eigentum an dem Fahrzeug. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Kläger das Eigentum an dem Fahrzeug gutgläubig erworben.
Gemäß § 932 I 1 BGB wird der Erwerber durch eine durch Einigung und Übergabe des unmittelbaren Besitzes erfolgte Veräußerung auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zum Zeitpunkt der Eigentumsübertragung nicht in gutem Glauben war. Nach § 932 II BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Die Darlegungs- und Beweislast für den fehlenden guten Glauben liegt beim früheren Eigentümer, also beim Beklagten.
Der gutgläubige Eigentumserwerb ist nicht schon deshalb nach § 935 I 1 BGB ausgeschlossen, weil das Fahrzeug dem früheren Eigentümer abhandengekommen ist. Abhandenkommen bezeichnet den unfreiwilligen Besitzverlust. Indem der Beklagte das Fahrzeug vermietet hat, hat er den unmittelbaren Besitz freiwillig aufgegeben. Ob der Entschluss zur Aufgabe des Besitzes durch Willensmängel beeinträchtigt ist, spielt für das Abhandenkommen keine Rolle (Palandt/Herrler, a. a. O., § 935 Rn. 5). Das Gleiche gilt auch für die finanzierende Bank als mögliche Sicherungseigentümerin. Aus dem vom Beklagten vorgelegten Kreditvertrag ergibt sich, dass das Darlehen zur Anschaffung eines Wohnmobils zur gewerbsmäßigen Vermietung gewährt wurde und damit ein Besitzverlust im Rahmen einer Vermietung auch nicht dem Willen der Bank widersprach.
Der Beklagte trägt nicht vor, dass der Kläger Kenntnis davon hatte, dass die Verkäuferin nicht zum Verkauf des Fahrzeugs berechtigt war, hierfür liegen auch keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte vor. Der Kläger hat bei Erwerb des Fahrzeugs die Berechtigung des Verkäufers auch nicht grob fahrlässig verkannt.
Unter grober Fahrlässigkeit wird ein Handeln verstanden, bei dem die erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, NJW 2013, 1946 Rn. 12). Nach ständiger Rechtsprechung begründet beim Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs der Besitz des Veräußerers allein noch nicht den für den Gutglaubenserwerb erforderlichen Rechtsschein. Vielmehr gehört es regelmäßig zu den Mindestanforderungen des gutgläubigen Erwerbs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu überprüfen. Auch wenn der Veräußerer im Besitz der Zulassungsbescheinigung Teil II ist, kann der Erwerber gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht besteht dagegen nicht (BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, NJW 2013, 1946 Rn. 14; OLG Saarbrücken, Urt. v. 17.05.2017 – 2 U 72/16, juris Rn. 35 = BeckRS 2017,118118 Rn. 30).
Nach diesen Maßstäben ist der gute Glauben des Klägers, für dessen Fehlen der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast trägt, letztlich nicht zu verneinen.
Dem Kläger wurden beim Verkauf die Zulassungsbescheinigungen Teil I und Teil II vorgelegt. Die Namen stimmen mit dem Namen der Verkäuferin im Kaufvertrag überein. Zwar waren die Zulassungsbescheinigungen, wie sich später herausstellte, gefälscht. Dies steht dem gutgläubigen Erwerb indes nicht entgegen, da der Kläger die Fälschungen nicht erkennen musste. Zwar weisen die Zulassungsbescheinigungen unterschiedliche Aussteller aus, auch gehört die Gemeinde G., in der nach den Zulassungsbescheinigungen die Halterin ihren Wohnsitz hatte, nicht zum Kreis K. Dies musste dem ortsfremden Kläger aber nicht auffallen, zumal auch die zuständige Straßenverkehrsbehörde die Fälschungen nicht als solche erkannt hat, sondern das Fahrzeug auf den Kläger zugelassen hat.
Grobe Fahrlässigkeit ergibt sich auch nicht bereits daraus, dass die angebliche Verkäuferin den Zweitschlüssel nicht übergeben konnte. Entgegen der Ansicht des Landgerichts steht dies allein dem gutgläubigen Erwerb nicht entgegen. Dies lässt sich auch nicht der vom Landgericht zitierten Literaturstelle entnehmen. Vielmehr kommt es auf die Würdigung der Gesamtumstände an.
Das OLG München (Urt. v. 26.05.2011 – 23 U 434/11, BeckRS 2011, 14507) hat den guten Glauben trotz gefälschter Zulassungsbescheinigung und fehlendem zweiten Schlüsselsatz bejaht. Der fehlende Schlüsselsatz stand dem gutgläubigen Erwerb nicht entgegen, da der Verkäufer nicht angegeben hatte, über diesen nicht zu verfügen, sondern dem Erwerber die Herausgabe des zweiten Schlüsselsatzes versprochen hatte. Ebenso hat das OLG Saarbrücken entschieden. Danach musste der bei Übergabe fehlende Zweitschlüssel beim Käufer deshalb keinen Verdacht wecken, weil sein Vorhandensein nicht generell verneint wurde sondern – wie auch im vorliegenden Fall – die kurzfristige Nachreichung zugesagt und sogar in den schriftlichen Kaufvertrag aufgenommen wurde (ebenso OLG Saarbrücken, Urt. v. 17.05.2017 – 2 U 72/16, juris = BeckRS 2017,118118, in einem ähnlichen Sachverhalt). Da der Kläger keinen Anlass hatte, daran zu zweifeln, dass die Verkäuferin über den Zweitschlüssel verfügte, begründet der Umstand, dass sie ihn bei Übergabe des Fahrzeugs nicht übergeben konnte, noch keinen hinreichenden Verdacht auf die fehlende Berechtigung der Verkäuferin am Fahrzeug.
Auch die weiteren Umstände des Erwerbs stellen den guten Glauben des Klägers nicht infrage. Dass es sich um einen Barverkauf handelte, ist bei einem Gebrauchtwagenverkauf unter Privatleuten kein Umstand, der Verdacht erregen muss. Das Gleiche gilt für den Treffpunkt im Gewerbegebiet. Die Erklärung des für die Verkäuferin auftretenden angeblichen H, dass es sich um den Parkplatz seines Firmengeländes handelt, war nicht evident auffällig oder unrichtig. Schließlich steht auch der vereinbarte Kaufpreis von 34.000 € dem gutgläubigen Erwerb nicht entgegen. Er war nicht so niedrig, dass der Kläger Verdacht schöpfen musste. Der Kläger hat hierzu Internetangebote vorgelegt, mit denen ähnliche Fahrzeuge für 36.000 € bis 38.000 € angeboten werden.
Soweit der Beklagte den Vortrag des Klägers zu den Umständen des Kaufs bestreitet, ist dies unerheblich. Denn die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die dem guten Glauben entgegenstehen, trägt der ursprüngliche Eigentümer. Einen anderen Geschehensablauf hat der Beklagte nicht konkret vorgetragen und unter Beweis gestellt.
Der weitergehende Antrag auf Herausgabe aller weiteren im Besitz des Beklagten befindlichen Papiere für das Fahrzeug, ist schon wegen fehlender Bestimmtheit nicht zulässig. Mangels genauer Bezeichnung der infrage kommenden Papiere wäre eine entsprechende Verurteilung nicht vollstreckbar.
Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Herausgabe des Zweitschlüssels für das Fahrzeug aus § 985 BGB zu, da er nicht Eigentümer des Schlüssels ist. Der Kläger hat mit dem gutgläubigen Erwerb des Fahrzeugs nicht zugleich das Eigentum an dem zweiten, noch beim Beklagten befindlichen Fahrzeugschlüssel erlangt. Der Fahrzeugschlüssel ist eine bewegliche Sache, an der selbstständig Eigentum begründet werden kann (vgl. Staudinger/Sieper, BGB, Neubearb. 2017, § 97 Rn. 31). Der Kläger konnte auch nicht nach § 932 I BGB gutgläubig das Eigentum erwerben. Zwar war der Zweitschlüssel mit verkauft. Der gutgläubige Eigentumserwerb nach § 932 I BGB setzt aber voraus, dass der Erwerber an der Sache unmittelbaren Besitz erlangt. Hieran fehlt es. …